Lübecker Brandanschlag: 10 vertuschte Nazimorde

18. Januar 2021

Dass die deutsche Justiz rechte Straftäter oft mit Samthandschuhen anfasst, auch gern laufen lässt oder ihre politische Motivation leugnet, ist eine traurige Tatsache. Manchmal verstößt sie dabei Hand in Hand mit der Polizei so massiv gegen alle Grundsätze einer sauberen Ermittlungsarbeit und auch gegen jede Logik, dass man sich als Beobachter nur noch die Haare raufen kann. Ein solcher Fall ist der Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft an der Lübecker Hafenstraße in der Nacht zum 18. Januar 1996, der sich an diesem Montag zum 25. Mal jährt – ein trauriger Höhepunkt rechter Gewalt in den 90ern und ein bleibender Justizskandal.

Zehn Menschen starben damals in den Flammen, sie kamen aus Zaire, Angola, Togo und dem Libanon. Es gab 39 Verletzte. Die mutmaßlichen Täter, drei Neonazis aus dem mecklenburgischen Städtchen Grevesmühlen in der Nähe von Lübeck, wurden den Ermittler*innen quasi auf dem Silbertablett serviert, aber sie durften es nicht gewesen sein. Stattdessen schob man die Tat einem Hausbewohner in die Schuhe. In der Chronik rechtsterroristischer Anschläge in der BRD gibt es wohl kaum einen anderen Fall, in dem so viel auf die Täterschaft von Neonazis hindeutete – und so wenig getan wurde, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.

Zum Zeitpunkt der Brandstiftung hatten sich 48 Menschen in der von der Diakonie betriebenen Unterkunft nahe der Trave aufgehalten. In ihrer Wohnung starben die 29 Jahre alte Françoise Makudila und ihre fünf Kinder Christine (17), Miya (14), Christelle (8), Legrand (5) und Jean-Daniel (3). Monique Maiamba Bunga (27) und ihre Tochter Nsuzana (7) hatten noch versucht, wie die meisten anderen Bewohner, dem Feuer übers Dach zu entkommen, stürzten dabei ab und erlitten tödliche Verletzungen. In seinem Zimmer erstickte Rabia El Omari (17). Im Vorbau fand man noch die stark verbrannte Leiche von Sylvio Amoussou.

Erst fünf Tage später wurde in der Gerichtsmedizin festgestellt, dass die Ursache seines Todes keine Rauchgasvergiftung gewesen war. Der Gerichtsmediziner, der ihn obduzierte, stellte unter anderem einen Schädelbruch fest und schloss nicht aus, dass dieser durch äußere Gewalteinwirkung verursacht worden war. Er empfahl, einen weiteren Spezialisten heranzuziehen. Die Staatsanwaltschaft kam dem nicht nach, sondern gab Amoussous Leiche zur Einäscherung frei – eines der vielen haarsträubenden Versäumnisse in diesem Fall.

Über die zehn Menschen, die bei dem Brand starben, heißt es auf der Homepage der Initiative Hafenstraße ’96, die zum 25. Jahrestag des Anschlags eine Erinnerungswoche organisierte, sie seien nach Deutschland gekommen, „um ein sicheres Zuhause zu finden“ – und weiter: „Sie kamen als Geflüchtete nach Deutschland und wurden von deutschen Täter*innen ermordet.“ Tatsächlich gibt es wenig Zweifel an der Täterschaft der drei Neonazis Maik W., Dirk T. und René B., die am Morgen nach dem Anschlag in Grevesmühlen festgenommen wurden. Schon die Tatsache, dass Zeugen sie noch vor Eintreffen der Feuerwehr in der Nähe des brennenden Hauses neben ihrem Wartburg stehend gesehen hatten, war ein deutliches Indiz.

Dann wurden bei allen dreien auch noch versengte Wimpern, Augenbrauen und Haare festgestellt. Laut Gerichtsmedizin waren diese Spuren nicht älter als 24 Stunden und „typisch für Brandstifter“. Die drei Neonazis lieferten völlig absurde und unglaubwürdige Erklärungen für ihre Versengungen. W. wollte einen Hund mit Haarspray eingesprüht und angezündet haben. René B. behauptete ernsthaft, er habe im Dunkeln Benzin aus seinem Mofa abgezapft, habe dabei, um etwas zu sehen, ein Feuerzeug angezündet und habe sich die Haare in der entstehenden Stichflamme versengt.

Angesichts der Spuren und der Absurdität dieser Erklärungen hätte ein Haftbefehl und eine Anklage die logische Folge sein müssen. Eine solche Spurenlage hätte jeden Linken, selbst bei einem weniger folgenreichen Brandanschlag für Jahre in den Knast gebracht. Doch die Lübecker Staatsanwaltschaft ließ das Trio wieder laufen, aufgrund eines dubiosen Alibis. Sie waren etwa zur Tatzeit in einer Tankstelle in der Nähe gesehen worden. Nur war diese Tankstelle lediglich etwa sechs Kilometer vom Haus an der Hafenstraße entfernt und die Brandermittler konnten den Beginn des Brandes nicht sicher auf einen genauen Zeitpunkt festlegen. Das spielte aber alles keine Rolle, ebenso wenig spätere Geständnisse der Neonazis gegenüber Dritten.

Neonazis durften es nicht gewesen sein. Die Ermittler*innen hatten sich bereits auf eine Variante eingeschossen, die offenbar ihrer politischen Prägung und den Erwartungen der um den Ruf Lübecks besorgten Verantwortlichen besser entsprach. Sie konzentrierten sich auf einen der Hausbewohner, den jungen Libanesen Safwan E.. Ein Rettungssanitäter tauchte wie Kai aus der Kiste auf und behauptete, dass dieser die Tat auf der Fahrt zum Krankenhaus gestanden habe. Das reichte der Staatsanwaltschaft, um E. zeitweise in Untersuchungshaft zu stecken und ihn vor Gericht zu zerren. Die Jugendkammer des Lübecker Landgerichts eröffnete im September 1996 den Prozess und führte ihn bis zum 30. Juni 1997. In dem Verfahren wurde klar, dass die Vorwürfe gegen den Geflüchteten nichts als ein haltloses Konstrukt waren. Es endete mit einem Freispruch für E., den am Ende selbst die Staatsanwaltschaft gefordert hatte.

Bisher hat die Justiz alle Versuche, das Verfahren neu aufzurollen, zunichte gemacht. Darum setzt die Initiative Hafenstraße ’96 ihre Hoffnungen auf eine Online-Petition, die zu Beginn der Erinnerungswoche gestartet wurde (hafenstrasse96.org). Mit dieser Petition soll versucht werden, einen Untersuchungsausschuss im schleswig-holsteinischen Landtag zur Aufklärung des Lübecker Brandanschlags zu erwirken. Die Petition wird von der Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke unterstützt, die Verteidigerin von Safwan Eid war. Gegenüber junge Welt sagte sie, die überlebenden Hausbewohner und die Öffentlichkeit hätten „einen Anspruch auf Verfolgung der wirklich Tatverdächtigen“. Die Vorgänge, die zur „Vertuschung zugunsten der rechtsradikalen Beschuldigten“ geführt hätten, müssten offengelegt werden. Die Staatsanwaltschaft Lübeck habe bewiesen, dass von ihrer Seite ein Bemühen um Aufklärung nicht zu erwarten sei. Nur ein „mit allen prozessualen Rechten ausgestatteter Untersuchungsausschuss“ könne Licht ins Dunkel bringen. Mord verjährt bekanntlich nicht.

# Titelbild: Stephan Grimm, Das Haus nach dem Anschlag, CC BY-SA 4.0

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2 Kommentare

    […] Bei­trag Lübe­cker Brand­an­schlag: 10 ver­tusch­te Nazi­mor­de erschien zuerst auf Lower Class […]

    […] Lübe­cker Brand­an­schlag: 10 ver­tusch­te Nazi­mor­de“Dass die deut­sche Jus­tiz rech­te Straf­tä­ter oft mit Samt­hand­schu­hen anfasst, auch gern lau­fen lässt oder ihre poli­ti­sche Moti­va­ti­on leug­net, ist eine trau­ri­ge Tat­sa­che. Manch­mal ver­stößt sie dabei Hand in Hand mit der Poli­zei so mas­siv gegen alle Grund­sät­ze einer sau­be­ren Ermitt­lungs­ar­beit und auch gegen jede Logik, dass man sich als Beob­ach­ter nur noch die Haa­re rau­fen kann. Ein sol­cher Fall ist der Brand­an­schlag auf eine Asyl­be­wer­ber­un­ter­kunft an der Lübe­cker Hafen­stra­ße in der Nacht zum 18. Janu­ar 1996, der sich an die­sem Mon­tag zum 25. Mal jährt – ein trau­ri­ger Höhe­punkt rech­ter Gewalt in den 90ern und ein blei­ben­der Jus­tiz­skan­dal. Zehn Men­schen star­ben damals in den Flam­men, sie kamen aus Zai­re, Ango­la, Togo und dem Liba­non. Es gab 39 Ver­letz­te. Die mut­maß­li­chen Täter, drei Neo­na­zis aus dem meck­len­bur­gi­schen Städt­chen Gre­ves­müh­len in der Nähe von Lübeck, wur­den den Ermittler*innen qua­si auf dem Sil­ber­ta­blett ser­viert, aber sie durf­ten es nicht gewe­sen sein. Statt­des­sen schob man die Tat einem Haus­be­woh­ner in die Schu­he. In der Chro­nik rechts­ter­ro­ris­ti­scher Anschlä­ge in der BRD gibt es wohl kaum einen ande­ren Fall, in dem so viel auf die Täter­schaft von Neo­na­zis hin­deu­te­te – und so wenig getan wur­de, um sie zur Rechen­schaft zu zie­hen. (…) Über die zehn Men­schen, die bei dem Brand star­ben, heißt es auf der Home­page der Initia­ti­ve Hafen­stra­ße ’96, die zum 25. Jah­res­tag des Anschlags eine Erin­ne­rungs­wo­che orga­ni­sier­te, sie sei­en nach Deutsch­land gekom­men, „um ein siche­res Zuhau­se zu fin­den“ – und wei­ter: „Sie kamen als Geflüch­te­te nach Deutsch­land und wur­den von deut­schen Täter*innen ermor­det.“ Tat­säch­lich gibt es wenig Zwei­fel an der Täter­schaft der drei Neo­na­zis Maik W., Dirk T. und René B., die am Mor­gen nach dem Anschlag in Gre­ves­müh­len fest­ge­nom­men wur­den. (…)Bis­her hat die Jus­tiz alle Ver­su­che, das Ver­fah­ren neu auf­zu­rol­len, zunich­te gemacht. Dar­um setzt die Initia­ti­ve Hafen­stra­ße ’96 ihre Hoff­nun­gen auf eine Online-Peti­ti­on, die zu Beginn der Erin­ne­rungs­wo­che gestar­tet wur­de (hafen​stras​se96​.org). Mit die­ser Peti­ti­on soll ver­sucht wer­den, einen Unter­su­chungs­aus­schuss im schles­wig-hol­stei­ni­schen Land­tag zur Auf­klä­rung des Lübe­cker Brand­an­schlags zu erwir­ken. Die Peti­ti­on wird von der Ham­bur­ger Anwäl­tin Gabrie­le Hein­ecke unter­stützt, die Ver­tei­di­ge­rin von Saf­wan Eid war. Gegen­über jun­ge Welt sag­te sie, die über­le­ben­den Haus­be­woh­ner und die Öffent­lich­keit hät­ten „einen Anspruch auf Ver­fol­gung der wirk­lich Tat­ver­däch­ti­gen“. Die Vor­gän­ge, die zur „Ver­tu­schung zuguns­ten der rechts­ra­di­ka­len Beschul­dig­ten“ geführt hät­ten, müss­ten offen­ge­legt wer­den. Die Staats­an­walt­schaft Lübeck habe bewie­sen, dass von ihrer Sei­te ein Bemü­hen um Auf­klä­rung nicht zu erwar­ten sei. Nur ein „mit allen pro­zes­sua­len Rech­ten aus­ge­stat­te­ter Unter­su­chungs­aus­schuss“ kön­ne Licht ins Dun­kel brin­gen. Mord ver­jährt bekannt­lich nicht.” Arti­kel von Kris­ti­an Stemm­ler vom 18. Janu­ar 2021 im Lower Class Maga­zin  […]