Corona-Proteste in Slowenien: „Lasst uns die Regierung unter Quarantäne stellen” (IV Teil 1)

2. Oktober 2020

In Slowenien finden seit Ende April Großdemonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung statt. Das LCM sprach mit Ramona, Anarchistin aus Ljubljana. Im ersten Teil des Interviews geht es darum, wie die Proteste entstanden sind und was die Leute auf die Straße treibt. Im zweiten Teil geht es um Verschwörungstheoretiker*innen, die gelebte Solidarität während der Aktionen und was es bedeutet über Monate hinweg an Massenprotesten beteiligt zu sein.

Slowenien wird im Moment von vielen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen erschüttert, was ist in Ljubljana los?

Die Proteste sind sehr kreativ, und ich denke, sie sind mehr als nur Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Sie richten sich vor allem gegen die autoritäre rechtsaußen-Regierungen, aber auch gegen Militarismus, Kapitalismus, Umweltzerstörung, die rassistische Migrationspolitik usw. Die Proteste nehmen unterschiedliche Formen an, bündeln sich aber meist auf die, seit dem 26. April laufenden, wöchentlichen Freitagsproteste. Es finden viele Aktionen statt: Freitags sind es die riesigen abendlichen Demonstrationen; Dann gibt es kleinere Aktionen, manchmal auch außerhalb der Hauptstadt Ljubljana, wie zum Beispiel am 19. September in Anhovo gegen die Zerstörung der Natur. In den vergangenen Wochen gab es auch regelmäßige Dienstagsaktionen von selbstorganisierten Kulturschaffenden vor dem Kulturministerium. Die Journalisten organisieren sich und hatten auch ihre eigene Demonstration. Die Menschen finden wirklich zusammen, und nach all diesen Monaten gibt es immer noch eine Menge Energie. Sogar während des Sommers kamen die Menschen immer wieder auf die Straße. Die Zahlen gingen zwar zurück, aber es waren nie weniger als 3.000, was für Ljubljana eine Menge für einen selbstorganisierten Protest ist. Ich würde sagen, es ist ganz anders als in den vergangenen Jahren. Wir sind es gewohnt Demonstrationen zu haben, die schneller stattfanden, aber nicht länger als eine Woche oder höchstens ein paar Wochen dauern. Das bedeutet, dass sich das Terrain des Kampfes verändert. Wir müssen uns auf lang anhaltende Proteste einstellen, was an sich schon bedeutet, dass wir auch unsere Strategien anpassen müssen.

Wie hat das alles angefangen?

Wir sind jetzt ja schon im fünften Monat des Protests. Am 12. März verhängte Slowenien wegen Covid19 den Pandemiestatus. Noch in derselben Nacht übernahm Janez Janša die Regierung und wurde Premierminister, nachdem der ehemalige Premierminister Marjan Šarec zurücktrat. Janša ist ein rechtsextremer Politiker, dem Verbindungen zum Waffenhandel in den Balkankriegen in den 1990er Jahren nachgesagt werden. Er war auch der Premierminister, als 2012/2013 der große, sechs Monate andauernde Aufstand stattfand. Damals musste er unter dem Druck der Proteste zurücktreten. So begann der Pandemiezustand bei uns: Mit einem rechtsextremen Ministerpräsidenten und vielen Fragen, wie man sich als soziale Bewegung in einer Situation, in der Kollektivität verboten ist, organisieren kann.

Es gab auch eine verpflichtende Quarantäne mit all den damit verbundenen Problemen und dem Slogan #stayathome: Dadurch gab es die Gefahr, dass diese Zuhause das Zuhause zu einem Schauplatz patriarchaler Gewalt werden, und patriarchale Werte gestärkt werden. Es wurde viel gegen Dating, gegen Geselligkeit, geredet. Im Prinzip wurde die Idee propagiert, dass der einzig sichere Ort die Familie sei, ohne darüber zu sprechen, was in den Familien passiert, die nicht bilderbuchmäßig sind, wo es zum Beispiel viel häusliche Gewalt gibt. In dem Diskurs wurden auch „die Anderen“, sprich Migrant*innen als schmutzig, gefährlich und als Krankheitsträger dargestellt. Wir wussten, dass diese Quarantäne nur denjenigen zur Verfügung steht, die sie sich leisten können, weil viele Menschen einfach nicht zu Hause bleiben können. Entweder, weil sie infolge der Gentrifizierung kein Zuhause haben und im Allgemeinen auf der Verliererseite der kapitalistischen Ausbeutung stehen, und natürlich, weil viele Menschen in der Industrie oder in Lieferdiensten und Geschäften dazu gezwungen sind, weiter zu arbeiten, damit andere Menschen zu Hause bleiben können.

Wie seid Ihr als Radikale oder Antiautoritäre damit umgegangen?

Für die Bewegung war es eine Herausforderung, eine sichere Umgebung für die Proteste und uns selbst zu schaffen. Gleichzeitig mussten wir Wege finden, um zu vermitteln, dass es einen Unterschied gibt zwischen Maßnahmen gegen die Pandemie und Maßnahmen, die einfach ein Ausdruck des Autoritarismus sind, der mit Janša an die Regierung gekommen ist. Was passierte, war, dass die Mauern der Stadt sofort mit Slogans gegen autoritäre Maßnahmen bedeckt waren, die als Covid19-Maßnahmen maskiert waren – Slogans wie “Lasst uns die Regierung unter Quarantäne stellen, nicht das Volk” oder “Lasst uns die Regierung in die Fabriken und die Arbeiter in Sicherheit bringen”. Viele Menschen protestierten auch individuell, wie z.B. mit dem Aufstellen von Kreuzen auf dem Platz vor dem Parlament in 1,5 Meter Abstand, dem Markieren eines sicheren Weges für die Menschen, die sich versammelten, oder ähnliche aktivistische und künstlerische Interventionen in der Stadt.

Und abgesehen von Graffiti?

Am 26. April haben wir, über 25 antiautoritäre Gruppen, beschlossen, zu Fahrraddemonstrationen auf den Straßen aufzurufen. Wir haben diesen alten Trick aus der Antiglobalisierungsbewegung auspackt, obwohl wir alle vor 20 Jahren dieser Taktik sehr kritisch gegenüberstanden, weil sie uns nicht militant oder subversiv genug war. Aber in einer Situation, in der die Menschen Angst hatten, ihre Wohnungen zu verlassen, geschweige denn mit jemandem zusammen zu sein, der nicht zu ihrer unmittelbaren Familie gehört, dachten wir, dass dies den Menschen ein Gefühl der Sicherheit geben würde; dass sie sich nicht anstecken würden, weil es eine gewisse physische Distanz zulässt, die während des Protests eine sichere Umgebung schuf. Wir haben uns auch gefreut, dass wir uns vermummen konnten, und sich niemand wirklich darum schert.(lacht)

Wie ist es ausgegangen?

Wir dachten, dass vielleicht 40-50 Personen zu dieser Demo kommen würden. Aber schon bei der ersten Demonstration waren wir 500. Es ist wichtig, den Kontext zu verstehen: Das war vor der Ermordung von George Floyd bevor alles in die Luft gegangen ist.

500 klingt nach nicht viel…

Man muss diese Zahlen im Kontext sehen: In Slowenien gibt es 2 Millionen Menschen, in Ljubljana sind es 350.000, und wenn selbstorganisierte Demonstrationen 1000 Menschen auf die Straße locken, ist es ein Erfolg. Wenn es zwischen 2.000 und 3.000 Menschen sind, ist es die größte Sache überhaupt. Unter solchen Umständen 500 Leute auf der Straßen zu haben, war riesig. Wir merkten sofort, dass das der Moment ist, und begannen mit der vollen Mobilisierung für den 1. Mai, und es explodierte. Es waren zwischen 10.000 und 15.000 Menschen mit Fahrrädern auf den Straßen, viele neue Leute schlossen sich an, Demonstrationen fanden in anderen Städten des Landes statt. Und obwohl die Demonstrationen zu dieser Zeit nicht sehr militant waren, machte schon die bloße Tatsache, dass wir gegen die Anordnungen der Regierung da waren, einen Konflikt daraus, einfach indem wir als ein Kollektiv da waren.

Was ist es, das die Menschen auf die Straße treibt? Sind es die Maßnahmen der Regierung? Ist es die Angst vor der Wirtschaftskrise?

Ich denke, es ist die Tatsache, dass wir während des Aufstands von 2012 und 2013 wirklich die Idee etabliert haben, dass man Politikern nicht trauen kann, weil sie gegen die Interessen der Menschen arbeiten. Und auch wenn sich damals die sozialen Unruhen gelegt haben und die Eliten eine Person geopfert haben, um sich als Ganzes zu erhalten, glaube ich, dass diese Regierung bei ihrem Amtsantritt wenig Vertrauen hatte. Deshalb wurden Maßnahmen, die ja auch in anderen Ländern ergriffen wurden, als eine Art Trick angesehen, den die Regierung benutzte. Die Leute sind skeptisch, denn sie haben sehr strenge Sparmaßnahmen erlebt, eine ideologische Übernahme des Wohlfahrtsstaates. Sie rechnen mit der Privatisierung des Bildungswesens und der öffentlichen Gesundheit. Sie rechnen mit Einschnitten in die Sozialstaatsstrukturen. Und sie erwarten, dass diese Regierung bald ideologische Themen wie das Recht auf Verhütung und Abtreibung in Angriff nehmen wird. Dazu kam die Tatsache, dass es offensichtlich war, dass die Regierung versuchte, einige Maßnahmen einzuführen, die nichts mit der Pandemie zu tun hatten, sondern damit, Dissens in der Gesellschaft zu verhindern. Zum Beispiel wollte die Regierung diese Pandemie sofort mit militärischer Gewalt bekämpfen, indem sie dem Militär Autorität über die Zivilbevölkerung gab. All dies und die Angst vor dem, was noch kommen wird, wie eine Wirtschaftskrise, hat die Menschen auf die Straße gelockt.

# Titelbild: Črt Piksi, Demo in LJubljana “Gemeinsam gegen Nationalismus – für Würde und eine bessere Welt”

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4 Kommentare

    […] die Corona-Maßnahmen der Regierung statt. Das LCM sprach mit Ramona, Anarchistin aus Ljubljana. Im ersten Teil des Interviews ging es darum, wie die Proteste entstanden sind und was die Leute auf die Straße […]

    […] der Regie­rung statt. Das LCM sprach mit Ramo­na, Anar­chis­tin aus Ljub­l­ja­na. Im ers­ten Teil des Inter­views ging es dar­um, wie die Pro­tes­te ent­stan­den sind und was die Leu­te auf […]

    […] „Coro­na-Pro­tes­te in Slo­we­ni­en: „Lasst uns die Regie­rung unter Qua­ran­tä­ne st… ist ein Inter­view von David Rojas Kienz­le mit einer anar­chis­ti­schen Akti­vis­tin aus Ljub­l­ja­na – hier im ers­ten Teil über die Ent­ste­hung der Pro­test­be­we­gung in Slo­we­ni­en, wozu sie unter ande­rem aus­führt: „… Wir sind jetzt ja schon im fünf­ten Monat des Pro­tests. Am 12. März ver­häng­te Slo­we­ni­en wegen Covid19 den Pan­de­mie­sta­tus. Noch in der­sel­ben Nacht über­nahm Janez Janša die Regie­rung und wur­de Pre­mier­mi­nis­ter, nach­dem der ehe­ma­li­ge Pre­mier­mi­nis­ter Mar­jan Šarec zurück­trat. Janša ist ein rechts­ex­tre­mer Poli­ti­ker, dem Ver­bin­dun­gen zum Waf­fen­han­del in den Bal­kan­krie­gen in den 1990er Jah­ren nach­ge­sagt wer­den. Er war auch der Pre­mier­mi­nis­ter, als 2012/​2013 der gro­ße, sechs Mona­te andau­ern­de Auf­stand statt­fand. Damals muss­te er unter dem Druck der Pro­tes­te zurück­tre­ten. So begann der Pan­de­mie­zu­stand bei uns: Mit einem rechts­ex­tre­men Minis­ter­prä­si­den­ten und vie­len Fra­gen, wie man sich als sozia­le Bewe­gung in einer Situa­ti­on, in der Kol­lek­ti­vi­tät ver­bo­ten ist, orga­ni­sie­ren kann. Es gab auch eine ver­pflich­ten­de Qua­ran­tä­ne mit all den damit ver­bun­de­nen Pro­ble­men und dem Slo­gan #sta­ya­thome: Dadurch gab es die Gefahr, dass die­se Zuhau­se das Zuhau­se zu einem Schau­platz patri­ar­cha­ler Gewalt wer­den, und patri­ar­cha­le Wer­te gestärkt wer­den. Es wur­de viel gegen Dating, gegen Gesel­lig­keit, gere­det. Im Prin­zip wur­de die Idee pro­pa­giert, dass der ein­zig siche­re Ort die Fami­lie sei, ohne dar­über zu spre­chen, was in den Fami­li­en pas­siert, die nicht bil­der­buch­mä­ßig sind, wo es zum Bei­spiel viel häus­li­che Gewalt gibt. In dem Dis­kurs wur­den auch „die Ande­ren“, sprich Migrant*innen als schmut­zig, gefähr­lich und als Krank­heits­trä­ger dar­ge­stellt. Wir wuss­ten, dass die­se Qua­ran­tä­ne nur den­je­ni­gen zur Ver­fü­gung steht, die sie sich leis­ten kön­nen, weil vie­le Men­schen ein­fach nicht zu Hau­se blei­ben kön­nen. Ent­we­der, weil sie infol­ge der Gen­tri­fi­zie­rung kein Zuhau­se haben und im All­ge­mei­nen auf der Ver­lie­rer­sei­te der kapi­ta­lis­ti­schen Aus­beu­tung ste­hen, und natür­lich, weil vie­le Men­schen in der Indus­trie oder in Lie­fer­diens­ten und Geschäf­ten dazu gezwun­gen sind, wei­ter zu arbei­ten, damit ande­re Men­schen zu Hau­se blei­ben kön­nen. (…) Ich den­ke, es ist die Tat­sa­che, dass wir wäh­rend des Auf­stands von 2012 und 2013 wirk­lich die Idee eta­bliert haben, dass man Poli­ti­kern nicht trau­en kann, weil sie gegen die Inter­es­sen der Men­schen arbei­ten. Und auch wenn sich damals die sozia­len Unru­hen gelegt haben und die Eli­ten eine Per­son geop­fert haben, um sich als Gan­zes zu erhal­ten, glau­be ich, dass die­se Regie­rung bei ihrem Amts­an­tritt wenig Ver­trau­en hat­te. Des­halb wur­den Maß­nah­men, die ja auch in ande­ren Län­dern ergrif­fen wur­den, als eine Art Trick ange­se­hen, den die Regie­rung benutz­te. Die Leu­te sind skep­tisch, denn sie haben sehr stren­ge Spar­maß­nah­men erlebt, eine ideo­lo­gi­sche Über­nah­me des Wohl­fahrts­staa­tes. Sie rech­nen mit der Pri­va­ti­sie­rung des Bil­dungs­we­sens und der öffent­li­chen Gesund­heit. Sie rech­nen mit Ein­schnit­ten in die Sozi­al­staats­struk­tu­ren. Und sie erwar­ten, dass die­se Regie­rung bald ideo­lo­gi­sche The­men wie das Recht auf Ver­hü­tung und Abtrei­bung in Angriff neh­men wird. Dazu kam die Tat­sa­che, dass es offen­sicht­lich war, dass die Regie­rung ver­such­te, eini­ge Maß­nah­men ein­zu­füh­ren, die nichts mit der Pan­de­mie zu tun hat­ten, son­dern damit, Dis­sens in der Gesell­schaft zu ver­hin­dern. Zum Bei­spiel woll­te die Regie­rung die­se Pan­de­mie sofort mit mili­tä­ri­scher Gewalt bekämp­fen, indem sie dem Mili­tär Auto­ri­tät über die Zivil­be­völ­ke­rung gab…“ […]