Blame The Game – Das System ist keine Verschwörung

25. Juni 2020

Autor*in

Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag des Roten Aufbau Hamburg

Aktuell scheint der kollektive Lagerkoller für diese Welle der Pandemie überwunden zu sein, die Massendemonstrationen der „Corona-Kritiker“ nehmen rapide ab und auch die Medienaufmerksamkeit für verwirrte Prominente geht zurück. Der vegane Kochbuch-Autor Attila Hildmann hat inzwischen die bunteste Palette an Verschwörungstheorien über seinem Telegram-Kanal in die Welt posaunt und der Schnulzensänger Xavier Naidoo geht immer weiter im rechten Fahrwasser unter. Ken Jebsen glaubt, hinter der Corona-Verschwörung stecke Bill Gates und dieser wolle uns alle zwangsimpfen. Auf die immer verrückter werdenden einzelnen Theorien kann man an dieser Stelle nicht eingehen, dennoch erreichen diese Wirrköpfe ein großes mediales Interesse, auch wenn sie an Mobilisierungspotenzial gerade einbüßen. Grund genug um sich etwas näher mit der Thematik „Verschwörungstheorie“ an sich zu beschäftigen.

Im Kapitalismus liegt ein permanenter Schleier über den gesellschaftlichen Zusammenhängen, so durchschaut die Mehrheit der Menschen weder die Ausbeutungs- noch die Herrschaftsverhältnisse. Uns wird zum Beispiel eingeredet, wir wären unseres Glückes Schmied, als wäre etwa Arbeitslosigkeit kein gesellschaftliches Problem, sondern vielmehr persönlicher Natur. So starten die reichen Kinder mit viel besseren Bedingungen in das Wettrennen um eine lebenswerte Zukunft, als Kinder aus Hartz-4-Familien. Die Möglichkeit besteht, dass Einzelne der weniger gutbetuchten nun gesellschaftlich aufsteigen, jedoch bleiben sie Ausnahmen. Dem Rest wird dann vorgegaukelt, sie könnten „es“ auch „schaffen“, wenn sie es nur wirklich wollten – ganz einfach? Als ob.

Wir wachsen auf mit unseren Idolen der neoliberalen Welt und wollen alle Fußballstars oder Topmodels werden. Der Kapitalismus schafft Illusionen in unser aller Köpfen, damit wir fleißig im Hamsterrad weiterlaufen. In diesem ganzen Wahn entfremden wir uns von dem Wesentlichen und so werden alle Beziehungen durch den Kapitalismus durchdrungen. Die Menschen treten sich nur noch innerhalb dieser Verhältnisse entgegen und alles wird durch die Totalität der Wirtschaft bestimmt. So werden ökonomische Gesetze zu gesellschaftlichen; Wir konkurrieren um günstige Lebensmittel, Wohnungen oder Lebenspartner*innen. Um uns diese kalten Verhältnisse schön zu reden, verlieren wir uns alle in Träumen und lenken uns mit Gedanken an „bessere Zeiten“ von den realen Missständen ab.

Über die komplexen gesellschaftlichen Verhältnisse sollen sich nämlich stattdessen irgendwelche Soziologen und Politologen Gedanken machen, wodurch schon die Teilung der Arbeit zu einer Mystifizierung beiträgt. Dies ist allerdings keine Verschwörung von einzelnen Akteuren, vielmehr bringt der Kapitalismus als System diesen Zustand hervor.

Die kapitalistische Konkurrenz führt dazu, dass sich die größeren Unternehmen immer weiter durchsetzen, was zu einer ungeheuren Zentralisation von Kapital und einer gleichartigen Konzentration auf einzelne Kapitalisten führt.

Der Besitzer von Amazon Jeff Bezos zum Beispiel, hat mehr Geld angehäuft als ganze Nationen. Haben er oder Bill Gates sich nun mit anderen Superreichen verschworen? Ihren Reichtum haben sie angehäuft, weil sie sich auf dem Markt durchgesetzt haben, doch sind auch die Reichen untereinander nicht beste Freunde, sondern stehen einander als Konkurrenten gegenüber.

Die Aufmerksamkeit auf die Wenigen soll davon ablenken, dass das ganze System auf Unterdrückung aufgebaut ist. Genau dazu dienen Verschwörungstheorien häufig: Ausnahmen werden herausgepickt oder erfunden, um den Normalzustand nicht anzugehen. Oft wird eine Elitenkritik formuliert, die im Ansatz zwar erkennt dass der Zustand dieser Welt zu kritisieren und zu ändern ist, doch bleibt sie auf der Oberfläche stehen, indem sie nur das Personal wechseln möchte und nicht das System, welches zu eben diesem Zustand führt.

Kommunisten dagegen wollen die Bedingungen abschaffen, die solchen Reichtum und Macht auf einige Wenige konzentriert. Daher müssen wir dem kapitalistischen System mit seinen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten den Kampf ansagen, wenn wir an dem Zustand einer Welt, in der Organisationen wie die WHO vom Wohlwollen einzelner Kapitalisten wie Bill Gates abhängig sind, wirklich etwas ändern wollen.

Die Menschen werden innerhalb dieser Verhältnisse nicht von alleine darauf kommen, was hier verkehrt läuft und was zu ändern wäre. Wie wir gesehen haben, gibt es in unserer Gesellschaft viele Hindernisse, die Missstände zu begreifen. Unsere Aufgabe ist es daher, die Menschen aufzuklären, sie zu agitieren und zu aktivieren. Nur weil einige Leute wirre Gedanken haben, sollten wir sie also nicht abschreiben, sondern versuchen sie von unserer Position zu überzeugen.

Dass das nicht immer einfach ist, haben die letzten Wochen bewiesen. Ein fundiertes Verständnis von den Eigenschaften dieser Krise und das Bewusstsein, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem die eigentliche Krankheit ist, sind für diese Auseinandersetzung eine wichtige Grundlage.

Titelbild: RubyImages/APN

Schreibe einen Kommentar Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 Kommentare

    Marmontel 25. Juni 2020 - 11:15

    In der Tat. Leider hat ein Großteil der Linken und v.a. die junge Welt ihre Zustimmung zu der autoritären Wende gegeben, statt Aufklärung und Wissenschaftlichkeit und offenen Diskurs hochzuhalten.

    Man meint die gefühlte, herbeigeschriebene völlig übertriebene Gefährlichkeit des Virus helfe dabei Arbeitskämpfe und Klassenkämpfe zu rechtfertigen. Diese sind aber auch ohne das Virus mehr als gerechtfertigt und man stärkt damit die Herrschenden, die man kritiklos ihre feuchten autoritären Träume verwirklichen lässt, womit der Klassenkampf umso schwerer wird.

    Diese Kritiklosigkeit (und selbst wenn der Virus noch gefährlicher war als er für Ältere und Vorerkrankte und auch Arme ist) weckt schlechteste Erinnerungen an ein schlicht opportunistisches Verhältnis zur Politik alter realsozialistischer Parteieliten.

    Selbst wenn der Virus wirklich hochgradig gefährlich wäre, was er Gott sei Dank nicht ist, müsste eine Linke immernoch, wo es geht und nötig ist, die Macht kritisieren!

    Diese Unterwürfigkeit schadet der Linken ungemein und bestätigt den fatalen Eindruck für viele Menschen, dass sie „Teil des Systems“ ist, was die neoliberale und pseudoprogressive Linke ja auch ist.

    Dies sollte wirklich in der Linken schleunigst aufgearbeitet werden.

    Freundschaft,

    Marmontel

    […] – auch mit dem Mit­tel der Ver­schwö­rung. Das Inter­view knüpft an die­sen und den Text „Bla­me the Game – Das Sys­tem ist kei­ne Ver­schwö­rung“ des Roten Auf­bau Ham­burg an. Lea Mati­ka in einem Inter­view mit Dani­el Kul­la über […]