Habersaathstraße: Leerstand rekommunalisieren statt Luxusneubau!

29. Juni 2022

Seit 2018 plant das Immobilienunternehmen Arcadia Estates GmbH den Abriss des Wohngebäudekomplexes an der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte. Nur noch neun Altmieter:innen wohnen in dem fünfstöckigen Gebäude, seit Jahren steht der Großteil leer und soll möglichst schnell teurem Luxusneubau weichen. Im Dezember 2021 besetzten obdach- und wohnungslose Menschen gemeinsam mit der Initiative Leerstand Hab-ich-saath die leeren Wohnungen. Nach diversen Reibereien und Verhandlungen mit dem Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne), nach zwei angedrohten Räumungen und Versuchen durch die Eigentümer:in, die Besetzer:innen gegen ukrainische Geflüchtete auszuspielen ist eigentlich nur eines richtig klar:

Die Bewohner:innen sind immer noch da und fordern die Rekommunalisierung des Wohnraums!

Das Lower Class Magazine sprach mit Felix (Leerstand Hab-ich-saath) und Sven (Bewohner und Aktivist bei Leerstand Hab-ich-saath)

In der Habersaathstraße will das Immobilien-Kapital nach altbekanntem Muster verfahren: Bewohner:innen werden aus ihrem Wohnraum gedrängt, mit dem entstandenen Leerstand wird zunächst spekuliert bevor abgerissen und luxuriös neugebaut werden soll. Was hat euch bewegt, sich in der Initiative zu organisieren und den Kampf aufzunehmen?

Felix: Ich finde vor allem den Ansatz wichtig, dass wir uns leerstehenden Wohnraum nehmen, welcher sich in den Händen einiger weniger Privatiers befindet und dabei Menschen ohne und mit Obdach gemeinsam ihre politischen Ziele formulieren und sich darüber verständigen, wie politische Aktionen aussehen können um diese zu erreichen.

Sven: Bevor ich mit Leerstand Hab-ich-saath in Kontakt kam war ich im letzten Jahr hauptsächlich mit Arbeiten beschäftigt und wohnte in einer Massenunterkunft für wohnungslose Menschen. Ich fand das Projekt in der Habersaathstraße sehr gut und beschäftigte mich erstmals mit den politischen Dimensionen hinter der Lebenssituation Wohnungslosigkeit. Zudem ist das Leben in einer Massenunterkunft nichts für mich, weil man immer mit drei, vier Menschen auf engstem Raum lebt und keine Privatsphäre hat. An den Schutz vor Corona wurde dort auch nicht gedacht. Irgendwann entstehen da immer Konflikte.

Wie hat sich das Kräftemessen zwischen euch, der Kapitalfraktion und Behörde seit Dezember entwickelt und wie beurteilt ihr die Rolle und Verhalten von Bürgermeister von Dassel bzw. dem Bezirk Berlin-Mitte?

Felix: Es gab ja kurz nach der Besetzung die Möglichkeit für den Bezirk, das Gebäude zu beschlagnahmen. Das wäre, laut Allgemeinem Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG), ein Instrument der Bezirke um gegen spekulativen Leerstand vorzugehen. Eine Beschlagnahmung hat der Bezirk sich nicht getraut, aus Angst vor einer Klage des Eigentümers. Stattdessen gab es Absprachen zwischen von Dassel und Eigentümer:in und von Dassel hat uns zugesichert, dass wir bis zu einem möglichen Abriss – den wir natürlich versuchen zu verhindern – im Haus bleiben können. Gerade sieht es aber stark danach aus, dass er sein Versprechen bricht und im Hintergrund unsere Räumung vorbereitet wird.

Man merkt, wie von Dassel versucht, es allen Beteiligten Recht zu machen und sich schadlos aus der Sache rauszuziehen: Er hat keinen Bock, die politischen Kosten für eine Räumung zu tragen und hat er aber auch keinen Bock, sich mit dem Eigentümer anzulegen. Zum Beispiel wendet der Bezirk das seit 2014 geltende Zweckentfremdungsverbot nicht an, was Strafzahlungen der Eigentümer:in in Millionenhöhe und wahrscheinlich den Bankrott der Arcadia sowie genügend Kohle für eine Rekommunalisierung der Gebäude bedeuten würde.

Sven: Stattdessen wird darauf gehofft, dass die Altmieter:innen sich auf einen von Bezirk und Eigentümer:in vorgeschlagenen „Deal“ einlassen, der einerseits von Dassel sein Gesicht wahren lässt und andererseits das Haus leer bekommt, so dass abgerissen werden kann. Da wird sich jetzt zeigen, ob die Altmieter:innen dem zustimmen oder nicht. Unser Kontakt zu denen ist gut und wir glauben, dass die dem schmutzigen Deal nicht zustimmen werden.

Im Bezug auf uns ließ von Dassel anfangs noch verlauten, dass er im Sinne der Besetzer:innen zu verhandeln versucht und spielte sich in seinen Anschreiben immer wieder als „Retter der Habersaathstraße“ auf. Im aktuellen Deal spielen wir, als neue Bewohner:innen, gar keine Rolle mehr und von Dassel sagt, er könne nichts mehr machen. Uns ist diesbezüglich zu Ohren gekommen, dass er immer nur mündliche Absprachen mit dem Eigentümer macht, es also keinerlei schriftlich festgehaltene und somit nachvollziehbare Kommunikation gibt. Wir werden so oder so hier bleiben und uns gegen eine Räumung wehren solange es keine Alternative für uns gibt.

Also sind die gesetzlichen Instrumente um der Immobilienwirtschaft Einhalt zu gebieten eurer Meinung nach vorhanden, werden aber nicht angewandt?

Sven: Das rechtliche Werkzeug sozusagen um dem Treiben der Immobilienhaie ein Ende zu setzen ist teilweise schon längst da, der Staat bzw. in unserem Fall der Bezirk Berlin-Mitte haben einfach nicht den Arsch in der Hose, dieses Werkzeug rauszuholen und zu benutzen.

Felix: Zum einen ist das Werkzeug da. Zum anderen muss man sich beispielsweise diesen Beschlagnahmungsparagraphen (§16, 17 ASOG) mal genauer anschauen: Dort steht, dass eine Beschlagnahmung von leerstehendem Wohnraum zu Abwendung von Obdachlosigkeit nur angewandt wird, wenn es keine anderen „milderen Mittel“ gibt, Menschen von der Straße wegzubekommen. Unter „milderen Mitteln“ fällt auch die Unterbringung in Massenunterkünften, wo die Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind. Dass heißt, das Privateigentum und die Rechte eines:r Eigentümer:in sind so heilig und werden so lange nicht angerührt, so lange man Menschen noch irgendwo reinpressen kann, ganz egal, wie es denen damit geht. Diese Gesetzeslage gibt Eigentümer:in quasi freie Hand, die Profitmaximierung auf Kosten von Lebenssituationen von Menschen ungehindert fortzuführen.

Wie erleben die Bewohner:innen diese unsichere Situation, das Abwarten und die ständigen Verhandlungen über ihren Wohnort?

Sven: Es ist nervenzerreibend und wir sind sehr angespannt. Diese Ungewissheit und auch die Angst, dass wir hier mit Polizeiaufgebot geräumt werden könnten, zehrt allen an den Nerven. Das führt wiederum auch dazu, dass es untereinander zu Reibereien kommt. Zu ersten Termin der Schlüsselübergabe hatten wir einen schönen Pappschlüssel gebastelt, welchen wir der Hausverwaltung übergeben wollten um nochmal drauf hinzuweisen, dass es nachwievor nicht ausreichend Schlüssel für den Müllraum gibt, so dass wir unseren Müll nicht vernünftig entsorgen können und dieser auch nicht abgeholt wird. Den Pappschlüssel hat die Hausverwaltung nicht angenommen, den zweiten Termin zur Schlüsselübergabe haben wir einfach ignoriert. Zudem gab es noch ein Gespräch mit Herrn Dr. Schlese vom Sozialamt-Mitte, welcher uns mitteilte, dass es derzeit keine Alternativunterbringung für die knapp 60 Bewohner:innen gäbe. Das EU-Ziel, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beseitigen, ist einfach lächerlich. Allein hier in Berlin-Mitte gibt es so viel Leerstand, teilweise schon ab sofort beziehbar! Da könnten schon ganz viele Menschen rein, würden die Behörden endlich anfangen, an diesem Ziel zu arbeiten.

Wenn ihr über den aktuellen Stellungskampf mit Bezirk und Eigentümer hinausdenkt: Was sind eure langfristigen Ziele oder (revolutionären) Perspektiven mit dem Projekt?

Sven: Wir wollen zunächst, dass das Haus zurück ans Land Berlin geht und den Menschen, die drin wohnen, zur Verfügung gestellt wird, ehe wir uns Gedanken über Selbstverwaltung oder langfristige Mietverträge für die Bewohner:innen machen können. Wir brauchen jetzt sofort eine Bleibeperspektive und eine Übernahme der Instandhaltung des Gebäudes. Das machen wir derzeit nämlich alles selbst und müssen das aus Spenden finanzieren.

Was uns freut, ist, dass wir sehr viele Anfragen bekommen von anderen Gruppen oder auch Menschen aus dem Ausland, die wissen wollen wir das alles bis hierher gemacht haben. Wir teilen sehr gerne unser Wissen und freuen uns natürlich, wenn es Nachahmer:innen gibt!

Felix: Perspektivisch geht es bei dem Projekt nicht darum, ein „Schöner Wohnen“ für 60 Personen zu kreieren oder so. Der erste Schritt ist jedoch das Haus zu behalten um es bewohnen zu können und in diesem Kampf sind wir gerade mittendrin. Wir als Initiative haben schon den Plan, z.B. weiter Menschen auf der Platte anzusprechen, weitere leerstehende Objekte mit ähnlichen Strategien zu erkämpfen und uns nicht nur auf die Habersaathstraße zu beschränken. Derzeit aber werden unsere Kapazitäten unter anderem im oben erwähnten Kampf sowie bei der Instandhaltung des Gebäudes aufgerieben. Das Gebäude stand jahrelang leer, es gab ein Müll(abholungs-)problem, es gibt immer wieder Wasserschäden, die wir selbst beheben müssen usw. Zudem sind die Bewohner:innen ein sehr heterogener Zusammenschluss mit unterschiedlichen Lebens- und Leidensgeschichten und dementsprechend unterschiedlichen Bedürfnissen. Nicht alle Personen haben die Kraft oder das Interesse, sich als Vollzeitaktivist:in in diesen aufreibenden Kampf zu begeben. Dennoch: Bei all dem derzeitigen Abkämpfen an den realpolitischen Gegebenheiten verlieren wir unsere langfristigen Ziele, nämlich die Wiederaneignung von Leerstand, den Aufbau von Orten für Menschen ohne festes Zuhause und selbstverwaltetes Wohnen, nicht aus den Augen!

Unterstützt die Menschen von der Habersaathstraße und Leerstand Hab-ich-saath!

Mehr Infos:

Web: https://strassegegenleerstand.de/

Twitter: @hab_ich_saath

Spendenkonto:

Empfänger:in: Neue Chance

IBAN: DE24 5206 0410 0003 9019 80

BIC: GEN0DEF1EK1

Betreff: Habersaathstraße

Bildquelle: privat vom Autor.

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Ein Kommentar über “Habersaathstraße: Leerstand rekommunalisieren statt Luxusneubau!”

    Sven 29. Juni 2022 - 8:46

    Super geschrieben. Hoffe das es viele Menschen leben das sie wissen für was wie kämpfen um ein Dach übernehmen kopf zu haben