Ein Debattenbeitrag zum Amnesty-Bericht. (Teil 2 von 2, Teil 1 findet ihr hier)
Den Imperialismus benennen!
Was bedeutet das im Konkreten? Palästinensische und palästinasolidarische Gruppen in Deutschland müssen eine konsequente politische Analyse des deutschen Imperialismus und seiner Mittäterschaft am Kolonialismus in Palästina erarbeiten und aus dieser Analyse die politische Praxis ableiten. An der Stelle einer solchen Analyse steht momentan bei vielen Gruppen lediglich eine vage antirassistische Haltung. Parallel zu anderen breiten antirassistischen Bewegungen in Deutschland, vor allem nach dem faschistischen Terrorangriff in Hanau oder dem Polizeimord am schwarzen US-Amerikaner George Floyd, agierten palästinasolidarische Gruppen unter der Prämisse, einen speziellen „antipalästinensischen Rassismus“ überwinden zu wollen. Der Begriff des antipalästinensischen Rassismus stiftet dabei eine gewisse Identität und bindet alle diejenigen, die sich von diesem Rassismus betroffen fühlen, an ein gemeinsames Projekt. Wie viele andere gegenwärtige antirassistischen Bewegungen scheitern jedoch auch palästinensische und palästinasolidarische Gruppen an einer konkreten Analyse der eigentlichen Funktion des Rassismus. Mit dem vagen Kampf gegen einen „strukturellen“ Rassismus wird zwar die Vielfalt an Diskriminierung und Abwertung von Palästinenser*innen sprachlich gefasst. Eine klare Benennung der durch diesen Rassismus legitimierten und verschleierten Verhältnisse bleibt aber bislang aus – das Verständnis von Rassismus bleibt durch und durch idealistisch. Insofern zeigt sich hier eine keineswegs zufällige Paralle zur Verwendung des Apartheid-Begriffs: Genauso wie die Nutzung des Apartheid-Begriffs ohne tiefergehende Analyse des zionistischen Sieldungskolonialismus die größeren Zusammenhänge verschweigt, so lenkt auch die Fokussierung auf die Pseudoanalyse des antipalästinensischen Rassismus von einer Analyse des deutschen Imperialismus in seiner Gänze ab. Und auch in den Forderungen, die auf Grundlage dieser vagen und in die Irre gehenden Analyse gemacht werden, zeigt sich die Unzulänglichkeit des idealistischen Antirassismus: Zur Überwindung der Diskriminierung und Ungleichheit werden Selbstreflexion und moralisches Handeln der „Mehrheitsgesellschaft“ angemahnt.
Es ist jedoch vermessen, die Unterstützung Israels durch Deutschland, so wie zum Beispiel die BDS-Bewegung,als moralische Frage zu adressieren und darauf hinwirken zu wollen, dass sich die deutsche Öffentlichkeit, die bürgerlichen Institutionen und der deutsche Staat der Unmoral ihres Verhaltens gewahr werden und von dann an anders handeln. Niemals in der Geschichte wurde eine Unterdrückung durch eine plötzliche humanistische Eingebung der Herrschenden beendet. Nein, wir müssen es bewerkstelligen, die konkreten wirtschaftlichen und politischen Ziele Deutschlands herauszuarbeiten, um diese untergraben zu können: Deutschland hat sich seinen Wiederaufstieg als europäischer Hegemon nach 1945 vor allem durch die materielle und ideologische Unterstützung Israels erkauft. Weil die BRD Israel als Vertreterin aller jüdischen Menschen auf der Welt anerkannte und seine Läuterung für die NS-Verbrechen und die industrielle Vernichtung europäischer Jüd*innen vor allem durch Reparationszahlungen an den zionistischen Staat vollzog, entstand die enge Verbindung dieser beider imperialistischen Staaten. Das deutsche Hochhalten der bedingungslosen Solidarität mit Israel ist also Teil einer Masche Deutschlands, das sich so in das Gewand eines wohltätigen, geläuterten, geschichtsbewussten und vor allem harmlosen Staates hüllt. Diese Masche ist notwendig, denn sie erlaubt es Deutschland gleichzeitig, als Anführerin der Europäischen Union und auf eigene Faust imperialistische Unternehmungen auf der ganzen Welt durchzuführen.
Palästina darf kein zweites Südafrika sein
Es mag die Frage aufkommen, ob denn zwischen der mit der Moral argumentierenden idealistischen antirassistischen Analyse und einer konsequent anti-imperialistischen Analyse ein großer praktischer Unterschied bestünde. Gerade die starken Repressionen, mit der auch die sich an die deutsche Bürgerlichkeit richtenden Moralist*innen in Deutschland belegt werden, liessen einige vielleicht zu dem Schluss kommen, dass beide Arten des Kampfes zu ähnlichen Ergebnissen führen könnten. Doch das ist nicht so. Es lohnt sich, das Beispiel des Anti-Apartheid-Kampfes in Südafrika als historisches Beispiel heranzuziehen. Zwar unterscheiden sich die eigentlichen Ausformungen der Apartheid in Südafrika und in Israel, zudem wurde der heute verwendete Rechtsbegriff der Apartheid erst nach dem offiziellen Ende der Apartheid in Südafrika geschaffen. Das Beispiel Südafrikas ist aber aussagekräftig sobald wir uns die offizielle, sich an internationalem Recht orientierende Überwindung der Apartheid genauer ansehen. Wir erkennen, dass auch nach dem offiziellen Ende der Apartheid in Südafrika neokoloniale Verhältnisse und ein großes Maß an Unterdrückung herrschen. In einem Bericht der World Bank wurde Südafrika als eines der Länder mit der weltweit größten Ungleichheit aufgelistet. Die Abschaffung der rassistischen Gesetze selbst hat also keineswegs zu einer tatsächlichen Befreiung Südafrikas geführt, vielmehr ist Südafrika heute ein kapitalistisches Land mit prekarisierter schwarzer und weißer Arbeiterschaft. Dass der Kampf um Freitheit nach dem formalen Ende der Apartheid nicht politisch weitergeführt wurde und wird, liegt dabei nicht zuletzt an der ideologisch entlang von Klassenunterschieden und wirtschaftlichen Interessen gespaltenen früheren Anti-Apartheidsbewegung. Diese Bewegung hatte zwar ihr Ziel formell erreicht, vermochte es aber nicht, den Kampf um Freiheit gefestigt weiterzuführen.
Auch die mit bürgerlicher Moral begründete weltweite Soldiarität mit der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung fiel nach dem formellen Ende der Apartheid in sich zusammen. Der Druck, den bürgerliche Kampagnen auf die Regieurngen westlicher Staaten ausübten, hatte vor allem das Ziel, die Apartheid durch Reformen zu überwinden. Südafrika gilt heute als ein „normales“ Land – und „normal“ eben nicht trotz der herrschenden Ungleichheit, sondern gerade, weil diese Ungleichheit durch „normalen“ Kapitalismus verursacht werden konnte. Ist es angesichts dieses historischen Beispiels nicht ein großer Fehler, sich heute im Falle der Sache Palästinas auf eine bürgerliche internationale Solidarität zu verlassen? Es stimmt, der palästinensische Widerstand kann Kraft und Inspiration aus der Solidarität der südafrikanischen Helden wie Desmond Tutu oder Nelson und Winnie Mandela schöpfen. Aber Palästina darf kein zweites Südafrika sein. Und auch der Kampf für Palästina in Deutschland darf sich nicht hinter dem Apartheidbegriff versammeln, um sich dann dermaßen an die bürgerliche Brust gedrückt in den Schlaf wiegen zu lassen. Es mag kleinlich erscheinen, aus diesem Grund vielerorts gehörte Parolen wie „End Israeli Apartheid“ zu kritisieren. Jedoch kristallisiert sich in dieser kurzen, an die bürgerliche Gesellschaft gerichtete Parole eine Herangehensweise, die – zu Ende gedacht – das in Palästina tatsächlich um seine Freiheit kämpfende palästinensische revolutionäre Subjekt vollends verschwinden lässt und nur noch an die Unterstützung der bürgerlichen Klasse appelliert.
Palästina muss wieder zur antiimperialistischen Sache werden. Wir dürfen nicht Reformen und Zugeständnisse der Imperialist:innen fordern. Wir müssen uns selbst zum Kampf ums Ganze formieren. Wenn Ernesto Che Guevara uns dazu aufrief, zwei, drei, viele Vietnam auf der Welt zu schaffen, dann müssen wir uns dieser Aufgabe auch in Deutschand annehmen und den Freiheitskampf des palästinensischen Volkes in Deutschland mit antiimperialistischer Arbeit unterstützen. Deutschland wird in seinen Eingeweiden die Schlagkraft der Palästinasolidarität genau dann spüren, wenn wir es schaffen, unseren Kampf hier nicht an der Moral der Bürgerlichkeit, sondern an den Prinzipien der internationalistischen Kämpfe der unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt auszurichten. Das ist unsere große Verantwortung, nicht nur gegenüber dem palästinensischen nationalen Befreungskampf, sondern gegenüber all denen in der Welt, die sich zum Schlag gegen den Imperialismus formieren. So wie wir als Sozialist*innen von den Befreiungskämpfer*innen in Palästina erwarten, dass sie über die nationale und bürgerliche Befreiung hinausdenken, so müssen wir auch hier in Deutschland zur Tat schreiten und, gestützt auf eine konsequente politische Analyse, über spontane reformistische Aktionen hinausgehen. Unser Ziel muss stattdessen sein, uns mit den Kräften zu verbünden, die unsere Analyse des deutschen Imperialismus teilen. Erst dann können wir gemeinsam organisiert den Repressionen des deutschen Staates widerstehen. Es muss uns klar sein, dass diese Repressionen sich nicht durch Appelle an die deutsche Moral oder die deutsche Menschlichkeit abmildern lassen werden.
Und schließlich muss uns weiterhin klar sein, dass diese Repression in Zukunft stärker wird, sobald wir beginnen, gemeinsam die Illusion der bürgerlichen Freiheit zu zerschlagen. Es muss uns um nicht mehr und nicht weniger gehen, als hier in Deutschland Bewusstsein dafür zu schaffen, in was für einem Staat wir leben. Es ist ein imperialistischer Staat, in dem die Interessen der Kapitalist*innen über allem anderen stehen. Diese Ordnung, und somit auch die Mittäterschaft Deutschlands in der Unterdrückung der Palästinenser*innen, kann niemals durch moralische Argumentation, sondern nur durch den organisierten Kampf überwunden werden.
#Titelbild: Palästinasolidarische Demonstration in Berlin 2021, Archiv des Autors
Antideutscher Hurensohn 3. März 2022 - 4:50
Befreiung, schön und gut, was immer ausgeblender wird: Wie soll das denn funktionieren, wenn die Antikommunisten von Hamas und Co. so dominant sind? Selbst wenn man ignoriert, dass diese Islamisten von tatsächlichem, “echten” Antisemitismus angetrieben werden, irgendwann werden die eurem Internationalem Kampf den Schädel einschlagen, spätestens wenn ihr mit so Sperenzchen wie Frauenbefreiung anfangen wollt. Und das ist ja auch die Sache die die Pali-Bewegung so hässlich macht: Diese Probleme werden einfach ausgeklammert, so getan als gäbe es sie nicht, als würden die (vernünftigen) Palästinenser nicht auch massiv unter unfähigen Herrschern und dem Terror leiden.
steso 7. März 2022 - 23:25
ich stehe solidarisch an der seite des antikolonialem befreiungskampf der nun mehr seit über 86 jahren andauert aber geschichtsrevisionismus geht garnicht! die BRD war schon längst ein wirtschaftlicher “big player” geworden bevor die alten nazis in der BRD den staat israel anerkannten und dass taten sie nur aus dem einzigen grund weil (schon ein paar jahre) zuvor die DDR den staat israel anerkannt hatten.