Maria lebt seit langem in Deutschland, hat ihren Lebensmittelpunkt hier. Die politisch aktive Frau besucht Demonstrationen und beteiligt sich an Veranstaltungen. Dann kommt der Repressionsschlag: Ohne irgendeinen Vorwurf einer konkreten Straftat wird sie zur „gefährlichen“ Person erklärt, aus der Bundesrepublik ausgewiesen und erhält ein Einreiseverbot: für zwei Jahrzehnte! Wir haben mit dem Unterstützer:innenkreis „Grupo Internacional“ der Genossin über die Hintergründe dieses Falls gesprochen.
Eure Genossin Maria hat einen Bescheid deutscher Behörden erhalten, dass sie die Bundesrepublik verlassen muss und 20 Jahre nicht wieder einreisen darf. Was ist die Begründung für diese ungewöhnliche Strafe?
Die Begründungen sind lächerlich. Entscheidend dafür ist, dass unserer Genossin vorgeworfen wird, sie stelle eine Gefahr für den deutschen Staat dar. Dieser Vorwurf wird mit völlig normalen Aktivitäten gerechtfertigt, etwa dem Besuch von Kundgebungen oder Demonstrationen. Außerdem wird in der Hauptbeschuldigung auf ihre politische Arbeit in Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung und ihr Engagement in Sachen linker Politik erwähnt und argumentiert, dass ihr Aufenthalt in der BRD ausschließlich politisch motiviert sei.
Anscheinend soll sie unter anderem damit gegen ihre Aufenthaltsrechte als EU-Bürgerin verstoßen haben. Absurd ist, wie versucht wird, sie mit allen Mitteln zu kriminalisieren. Zum Beispiel werden ihre akademischen IT-Kenntnisse oder ihre sprachlichen Fähigkeiten für diese Begründung herangezogen. Für uns sind die Erklärungsansätze an den Haaren herbeigezogen, es wird alles versucht, um einer politisch aktiven Frau die Grenzen aufzuweisen und sie mundtot zu machen. Es handelt sich um eine Machtdemonstration mit grotesken Folgen.
Diese Maßnahme ist ja ein Novum in der BRD. Warum trifft das genau María? Was macht sie so „gefährlich“ für den deutschen Staat? Will man ein Exempel statuieren?
Jede*r Bürger*in der Europäischen Union hat ja angeblich das Recht zur Freizügigkeit. Ein längerfristiges Aufenthaltsrecht in einem anderen EU-Staat hat bestimmte Voraussetzungen (z.b Arbeitssuche, arbeiten, Studium, Ehe). Der Verlust tritt entweder ein, wenn die jeweiligen Voraussetzungen entfallen oder aber, wie im Fall unserer Genossin, der Verlust nach 6 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit.
Nur unter dieser Bedingung, unsere Genossin zu einer potenziellen Gefahr zu erklären, konnten die deutschen Behörden ihr das Recht auf Freizügigkeit entziehen und ein Reise- und Aufenthaltsverbot gegen sie verhängen. Wieder einmal zeigt sich, dass die EU hinter ihren so genannten liberalen und demokratischen Werten immer eine Lücke in ihren Gesetzen lässt, die sie für ihre eigenen Interpretationen offen hält. Man ermöglicht so, diese Gesetze für die eigenen politischen Interessen zu nutzen. Der Vorwurf, dass politisch Aktive eine Bedrohung seien, wird in allen EU-Ländern und insbesondere in Deutschland immer häufiger erhoben, um revolutionäre Tendenzen politischer Bewegungen zu bekämpfen. In diesem Fall begründen sie diese Vorwürfe gegen María damit, dass sie in die Strukturen der PKK (Partiya Karkerên Kurdistan/ Arbeiterpartei Kurdistans) in Deutschland eingebunden wäre und daher eine angeblich terroristische Vereinigung unterstütze. Gleichzeitig werfen sie ihr vor, sich politisch in der linksextremen Szene zu engagieren und damit eine Verbindung zwischen den PKK-Strukturen und der deutschen Linken herzustellen.
Menschen, die sich den Ideen und Aktivitäten der kurdischen Freiheitsbewegung nur annähern, laufen in diesem Staat schon Gefahr, dass man ihnen die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorwirft. Wir müssen verstehen, dass dies aufgrund des bestehenden Gesetzes möglich ist, das die PKK in Deutschland seit 1993 als terroristische Vereinigung verbietet. Der deutsche Staat nutzt dieses Gesetz mit allen Mitteln und Methoden, um die kurdische Freiheitsbewegung und die internationalistische Solidarität mit ihr zu unterdrücken. Unter dem PKK-Verbot werden zum Beispiel jedes Jahr viele kurdische Aktivist*innen ins Gefängnis gesteckt oder verhaftet, weil sie Protestkundgebungen, Seminare oder kulturelle Veranstaltungen organisieren, die sich mit dem Kampf für die Autonomie ihres eigenen Volkes befassen. Auch viele andere, die sich solidarisch zeigen, werden vor Gericht gestellt, weil sie Fahnen oder Transparente zur Unterstützung des Freiheitskampfes in Kurdistan zeigen. Und in diesem Fall unserer Genossin María ist wiederum das PKK-Verbot allein der Hauptgrund, unter dem sie als europäische Staatsbürgerin zu einer potentiellen Gefahr erklärt und aus Deutschland zwangsausgewiesen werden kann. Einmal mehr wird die Angst des deutschen Staates deutlich, dass die Ideen der sozialistischen und Frauenrevolution in Kurdistan innerhalb seiner eigenen Grenzen Einfluss nehmen. Eine Rolle spielt auch, dass die BRD ideologisch, politisch und wirtschaftlich eng mit der Türkei zusammenarbeitet und die faschistischen und imperialistischen Pläne ihres treuen Alliierten Erdogan im Nahen Osten und im mediterranen Raum unterstützt.
Andererseits wissen wir, dass die BRD eine lange Tradition in der Unterdrückung nicht nur internationaler revolutionärer Bewegungen, insbesondere im Rahmen des § 129b – Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung – , sondern vor allem der revolutionären und linken Tendenzen im eigenen Land hat. Durch gezielte Kriminalisierungskampagnen verschiedener sozialer Kämpfe und nachfolgende politische Propaganda in den Massenmedien bombardiert der deutsche Staat seine Gesellschaft ständig mit der angeblichen Bedrohung einer gewalttätigen, extremistischen, linksradikalen und antifaschistischen Bewegung und schafft den Boden für Vorwürfe, wie sie in diesem Fall erhoben wurden. Die Teilnahme unserer Genossin María an der Verteidigung des Hambacher Forsts oder die Teilnahme an der Demonstration für die Freiheit der Frauen am 8. März sind für die deutsche Behörden Grund genug, eine potentielle Gefahr zu beschwören.
Also ja, dieser Fall ist ein Novum. Denn zum ersten Mal wird diese Entscheidung gegen eine EU-Bürgerin getroffen, die in Deutschland nie wegen irgendeiner Straftat angeklagt oder verurteilt wurde. Alle Vorwürfe, die erhoben werden, sind Attribute ihrer Person und ihrer öffentlichen Aktivitäten, hauptsächlich in Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland. Die Tatsache, dass es María trifft, liegt auch in der Staatslogik der BRD. Sie wird kriminalisiert, weil sie ein Leben gewählt hat, das nicht den Normen der patriarchalen und kapitalistischen Logik entspricht. Durch ihre klare Haltung und den von ihr gewählten Lebensweg, ein politisches Leben zu führen, wird sie vom deutschen Staat als Gefährderin betrachtet.
An dem Fall von María soll ein Exempel statuiert werden. Wir sehen, dass der deutsche Staat eine neue Methode der Repression dass nicht nur an die kurdische Freiheitsbewegung und mit ihr in Solidarität stehenden Internationalist*innen adressiert werden, sondern potenziell an alle politischen EU-Bürger*innen bzw. Aktivist*innen ohne deutschen Pass, deren Aufenthalt in irgendeiner Form angezweifelt werden kann. Auf diese Weise wird versucht, einen Präzedenzfall zu schaffen. Die Wirkung gleicht einem politischen Betätigungsverbot. Politisch aktive Menschen sollen isoliert und eingeschränkt werden, indem ihr Aktionsradius eingegrenzt wird. Mit Hilfe der europäischen Gesetze und der Ausrede, dass Aktivist*innen aufgrund ihres politischen Engagements eine nationale Bedrohung darstellen, versuchen sie, politische Ideologien, die für den Staat ein Problem darstellen, zu verhindern und außerhalb ihrer Grenzen zu halten. In diesem Fall ist es besonders die Ideologie und das politische Modell der kurdischen Freiheitsbewegung.
Welche Behörde steckt eigentlich hinter diesem Beschluss? Ist das polizeilich, Geheimdienst, das Ministerium?
Dahinter steht ein gemeinsames Vorgehen verschiedener repressiver Institutionen des Staates. Die Hauptakteure mit dem politischen Interesse dahinter, die die gesamte Verantwortung für diesen Fall tragen, sind die Bundespolizei und die Ausländerbehörde von Magdeburg. Die Bundespolizei leitete ein Ermittlungsersuchen gegen unsere Genossin María ein und übergab es an die Ausländerbehörde von Magdeburg. Diese hat die Ermittlungen weitergeführt und mit Hilfe des Landeskriminalamts (LKA) und Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt Informationen über ihr politisches Engagement und ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland zusammengetragen.
Es ist wichtig, hier die einfache und schnelle Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Institutionen in Fragen der Repression und des Informationsaustauschs sowie die Macht und Rolle, die die Ausländerbehörde haben kann, zu bemerken. Denn obwohl die Polizei den Fall eingeleitet hat und die verschiedenen Polizeibehörden die Informationen weitergegeben haben, wären ohne die politische Motivation der Ausländerbehörde dieser Fall und die Entscheidung über die Zwangsausweisung und das 20-jährige Reise- und Aufenthaltsverbot nicht möglich gewesen.
Wie geht es der Genossin mit dieser Situation? Und was bedeutet das für euch?
Sowohl wir als auch unsere Genossin María betrachten diesen Fall nicht als Einzelfall, sondern als einen weiteren Schritt in der kontinuierlichen Kriminalisierung der Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung und die derzeitige europäische Tendenz, die sozialen und politischen Rechte immer mehr zu beschränken.
Mit diesem Fall sendet der deutsche Staat auch eine sehr klare Botschaft an alle, die sich mit dem Kampf des kurdischen Volkes solidarisieren, aber auch an die kurdische Bevölkerung in Deutschland. Sie versuchen, kurdische Menschen, die nicht einmal einen europäischen Pass haben, einzuschüchtern und so davon abzuhalten, ihre Stimme in Deutschland zu erheben und an öffentlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Kampf für Freiheit und Frieden in ihrem eigenen Land teilzunehmen.
Und deshalb ist für María und für uns klar, dass wir uns gegen diesen Angriff wehren werden. Wir werden nicht zulassen, dass der deutsche Staat einen Präzedenzfall gegen andere europäische Aktivist*innen in Deutschland schafft. Dies würde nicht nur die Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung betreffen, sondern könnte perspektivisch gegen alle politisch aktiven Menschen gerichtet sein, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben und sich offen engagieren. Es liegt in unserer Verantwortung, nicht zuzulassen, dass man Angst schürt, wenn Solidarität mit der kurdischen Befreiungsbewegung gezeigt wird. Mehr denn je müssen wir heute die Notwendigkeit eines sozialen Protests für ein freies, würdiges und gerechtes Leben für alle zu verteidigen.
Wie wollt ihr gegen diese Repression vorgehen und wie kann man euch dabei unterstützen?
Durch den Widerstand gegen diesen Fall werden wir zeigen, dass internationale Solidarität alle Grenzen überwinden kann und nicht mit den Repressionsmitteln des Staates gestoppt werden kann. So rufen wir als Unterstützungsgruppe „Grupo Internacional“ dazu auf, Solidarität mit dem Kampf in Kurdistan zu zeigen und den Angriff gegen unsere Genossin María zu einem gemeinsamen Widerstand gegen den Repressionsapparat des deutschen Staates und das europäische Grenzsystem zu machen.
Wir haben Informationsflyer in verschiedenen Sprachen vorbereitet und laden lokale Gruppen ein, dieses Material zu nutzen, um über den Fall zu informieren und die politischen Konsequenzen zu diskutieren, sowie ihre Solidarität in lokalen Mobilisierungen und Aktivitäten zu zeigen.
Abschließend möchten wir uns für all die Solidarität und Unterstützung bedanken, die wir in den letzten Wochen nicht nur aus Deutschland erhalten haben. Wenn das eigentliche Ziel der Repression immer darin bestand, zu isolieren, zu verängstigen und zu spalten, kann unsere Antwort nur sein, unsere revolutionäre Organisierung, unseren aktiven Widerstand und unsere internationale Solidarität mehr denn je zu intensivieren.
Medienspiegel 8. Februar 2022 9. Februar 2022 - 0:17
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