Auf Wohnungssuche in Berlin: Kubanische Verhältnisse jetzt!

29. September 2021

Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ stand zur Abstimmung und ist jetzt durch. Bereits im Vorfeld konnte es nicht ausbleiben, dass die deutsche Qualitätspresse sich einen Berufsspekulanten zum Gespräch lud. Der, in Gestalt des LEG-Chefs Lars von Lackum, versuchte sich in Angstmache: Wenn kommunales Wohneigentum Schule mache, dann stehen uns – buhuuuu, buhuuuuu – „kubanische Verhältnisse“ bevor.

Ich lese die Zeilen, aber es stellt sich keine Gänsehaut ein. Es schreckt mich nicht, denn ich durchlebe derzeit einen im Unterschied zu Lackums fiktivem ganz realen Horror: Ich suche eine Wohnung in Berlin. Das letzte Mal, als ich auf dem allzu freien Markt eine Bleibe gesucht habe, ist fast ein Jahrzehnt her. Damals lebte ich in der für deutsche Linke nicht allzu untypischen Prekarisierung akademisch verwirrter Mittzwanziger, also von scheinselbständiger Rechnung zu scheinselbständiger Rechnung und meine Schufa war gelinde gesagt fragwürdig. Ich brauchte etwa drei Wochen, um eine halbwegs bezahlbare Wohnung im Wedding zu finden.

Heute, eine Umschulung und viele Jahre später, habe ich eine Vollzeitstelle in einem krisenfesten Handwerksberuf, verdiene ein mittleres Arbeiter:innengehalt und meine Schufa ist frei von Makel. Dazu kommt: ich hege keine Vorlieben für die heißbegehrten innerstädtischen Kultkieze, Lichtenberg oder Köpenick sind mir lieber als Kreuzberg oder Mitte. Ich brauche keinen Altbau und keinen Loft. Bis 600 warm ist mein Spielraum. Ich dachte also: Zwei Monate Polster bis zum Auszug, das muss ja locker easy reichen. Aber the times they are a changin‘.

Ich hatte die Rechnung ohne die gierigen Geier gemacht, die sich aus anderer Leute Bedürfnis, nicht unter einer Brücke zu schlafen, einen Reibach machen. Es stellte sich nämlich heraus: Es ist mittlerweile scheissegal, ob du malochen gehst, bis die Latzhose kracht, du findest in dieser Stadt einfach keine Wohnung mehr, die einigermaßen bewohnbar ist.

Die Suche auf dem größten derartigen Portal Immoscout – ich bezahle mittlerweile für die Pro-Variante – für Wohnungen bis 600 Euro warm ergibt zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Textes ohne WBS 45 Ergebnisse. Dazu kommt dann noch: Viele dieser Wohnungen sind „möblierte Appartements“, seelenlose Neubauten, in denen ganze Wohnungen auf knapp über 20 Quadratmeter gestaucht sind und dann mit Preisen von 18, 20 und mehr Euro pro Quadratmeter angeboten werden. Andere Bruchbuden werden unter dem Label „für Kreative“ oder „viel Platz für eigene Vorstellungen“ gleich völlig unsaniert, ohne Boden, unverputzt, halb abrissreif angeboten. Selbst die Bewerbungen in jenen Plattensiedlungen in Südneukölln oder Marzahn, bei denen du früher zwei Monatsmieten geschenkt gekriegt hättest, damit du die Stichschutzweste abbezahlen kannst, die du für den abendlichen Einkauf brauchst, sind heute aussichtslos: Sie haben sich für eine überdurchschnittlich beliebte Immobilie beworben und wir müssen ihnen leider absagen, denn wir haben über 500 Bewerbungen erhalten. Danke, ciao.

Bekommt man doch einmal einen Besichtigungstermin, warten da gut ein Dutzend anderer bereits ausgewählter und dementsprechend geeigneter Kandidat:innen. Die Chance, dass man den Zuschlag bekommt, ist also nicht sonderlich hoch. Nun ist man aber berufstätig und die Termine stets zuverlässig in der Arbeitszeit. Also kann man den halben Jahresurlaub darauf verwenden, sich bei Massenbesichtigungen die Füße in den Bauch zu stehen.

45 Wohnungen also in der ganzen Stadt. Man muss sich das verdeutlichen: Du musst mindestens das Dreifache der Miete netto verdienen. Dreimal 600 sind 1800 Euro netto. Die meisten Leute, die ich kenne, verdienen – auch in Vollzeit – deutlich weniger. Wie machen die das?

Klar, du hast die älteren Kolleg:innen, die schon seit Ewigkeiten dieselbe Wohnungen haben oder sich schon vor Jahrzehnten ein Eigenheim geleistet haben. Und die anderen? Die Geflüchteten wohnen noch im Heim. Die Jüngeren oft in WGs, weniger aus Freude an dieser Form des Zusammenlebens, sondern eher, weil‘s halt nicht mehr anders geht. Und dann gibt‘s auch immer wieder die, die ganz rausfallen. Etwa der Mechaniker, bei dem ich letztens mein Arbeitsauto reparieren ließ: Er schläft in seiner Werkstatt auf einer Matratze am Boden. Die taz hat das Phänomen kürzlich aufgegriffen: Es gibt in jenen für die Mehrheit der Gesellschaft völlig unsichtbaren Sektoren niedrig entlohnter Arbeit mittlerweile das Phänomen der wohnungslosen Proletarier:innen. Sie schuften und schlafen in Unterkünften, Zelten oder direkt an ihrem Arbeitsplatz.

Das Problem wird sich verschärfen. Wer heute Mindestlohn verdient, kann sich, wenn man die informelle Regel, dass die Warmmiete ein Drittel des Nettolohns nicht überschreiten soll, zugrunde legt, bei Steuerklasse 1 eine Wohnung leisten, die ca. 400 Euro warm und ein paar Zerquetschte kosten darf. Diese Wohnungen existieren schlichtweg nicht. Hier geht es schon lang nicht mehr darum, dass man sich nicht mehr aussuchen kann, wo in dieser Stadt man gerne wohnen möchte. Hier geht es darum, dass man in dieser Stadt überhaupt keine Wohnung mehr findet.

Ein von Lackum mag das nicht verstehen: Aber die Anzahl der Menschen, die sich von den Gespenstern Kuba oder DDR aufscheuchen lassen, ihr Kreuzchen bei den Haus- und Hofparteien der Spekulanten zu machen, schrumpft konstant. Wenn man kein reiches Schwein ist, langt in den meisten Fällen heutzutage eine Wohnungssuche und die Furcht vor Havanna weicht dem brennenden Wunsch kubanische Truppen unter Leitung eines wieder auferstandenen Fidel Castro mögen schwer bewaffnet in einem Schlauchboot am Spreeufer anlanden und die Firmenzentralen aller Profiteure dieses Verbrechens namens „Wohnungsmarkt“ in Schutt und Asche legen. Mindestens aber muss man die Spekulanten enteignen, aber wenn dann ohne Entschädigung – denn die haben sich die Geldsäcke in den vergangenen Jahren längst auf unser aller Nacken gegönnt.

# Titelbild: https://www.flickr.com/photos/uwehiksch/46851322574

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