So ziemlich das einzige der vielen die Straßen momentan noch verunzierenden Wahlplakate, zu dem ich als radikaler Linker aus vollem Herzen Ja sagen kann, ist eines der FDP. Traurig, aber wahr. „Wie es ist, darf es nicht bleiben“, steht groß darauf. Jawohl, so ist es, dachte ich spontan, als ich es zum ersten Mal sah: In dieser Scheißrepublik, in der die Marginalisierten mit Brosamen abgespeist werden und die Hackfressen oben sitzen und die Korken knallen lassen, muss sich ne Menge ändern. Aber dass das hier nicht gemeint war, war mir natürlich auch gleich klar.
Die Visage von FDP-Chef Christian Lindner neben dem Slogan ist auf dem Plakat nicht zu übersehen. Und der und seine Partei meinen natürlich mit der Bemerkung, dass es nicht so bleiben darf, wie es ist, genau das Gegenteil von dem, was ich damit verbinde.
Was wollen Leute wie Lindner uns mitteilen, wenn sie sagen, dass es so nicht bleiben kann?
Ich übersetze das mal ein wenig zugespitzt – sie meinen damit: Wir haben zwar schon alles, Haus, Garten, den Zweitwagen in der Garage, einen sicheren Job, zwei bis drei Urlaubsreisen im Jahr, genug finanzielle Rücklagen et cetera pp. Aber das reicht uns nicht. Wir wollen auch, dass es für alle Zeiten so bleibt, dass diese „Ordnung“ in Beton gegossen wird. Und wir wollen vor allem nicht, dass jemand uns sagt, dass es in diesem Land ungerecht zugeht und wir auf Kosten anderer Leben. Wir wollen nicht kritisiert werden.
Die ersten und wichtigsten Artikel des inoffiziellen Grundgesetzes dieser Leute heißen:
1. Jeder ist seines Glückes Schmied.
2. Leistung muss sich wieder lohnen.
3. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.
Und 4. Wer arm ist, ist einfach nur zu blöd, um reich zu sein.
Das ist genau die Denke der FDP und ihrer Klientel, weiter gefasst sicher auch von weiten Teilen der Mittel- und Oberschicht. Der 1. Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, Marco Buschmann, hat das gerade noch einmal in wünschenswerter Deutlichkeit klar gestellt. „Die Schere zwischen Arm und Reich geht nur aus einem Grund auseinander“, bemerkte er kürzlich auf Twitter: „Die einen sparen in Geld. Das rostet weg. Die anderen sparen in Häusern und Aktien. Die werden immer wertvoller. Daher mehr Wohneigentum und Aktiensparen für alle!“
Für Typen wie diesen „Volksvertreter“ ist es offenbar unvorstellbar, dass es in diesem Land Menschen gibt, die weder sparen noch Aktien oder Häuser kaufen können – ganz einfach weil sie nicht genug Geld haben. Weil es gerade reicht, um das Leben zu fristen. Oder eben auch nicht und sie bei der Tafel anstehen müssen oder sonst wo. Obwohl: Buschmann weiß das alles sicher auch – darum ist das, was er da von sich gegeben hat, noch viel schlimmer. Denn er zeigt uns damit:
Die „Verlierer“ der Gesellschaft, die ALG-II- Empfänger, die kleinen Rentner und andere „Geringverdiener“ interessieren ihn und seinesgleichen nicht. Sie haben sie nicht auf der Rechnung, sie sind ihnen scheißegal, nur ein Klotz am Bein, den sie loswerden wollen. Sie sind für Buschmann und seinesgleichen die Verzichtbaren, die Überzähligen, das Kanonenfutter.
Darum ist die FDP auch der ideale Partner für Olaf Scholz, den Kandidaten, der bei der Bundestagswahl am Sonntag zwar offiziell für die SPD zur Bundestagswahl antritt, tatsächlich aber der Kandidat der Banken und Konzerne ist. Der wundersame Aufstieg dieses mehrfach totgesagten Mannes und gewesenen Kapitalismuskritikers (damals als Juso) ist nicht so unerklärlich, wie er manchmal erscheint. Er hat schließlich immer geliefert. Also aus Sicht der Herrschenden.
Als Erster Bürgermeister Hamburgs erstmal hunderte Millionen Steuergelder in das eigentlich schon gescheiterte Projekt Elbphilharmonie gepulvert, um der Stadt mit den meisten Millionären im Land das gebührende Symbol ins Zentrum zu pflanzen – und dazu noch ein nettes Konzerthaus zu schenken. Beim Deal mit der Hamburger Warburg-Bank in Sachen „CumEx“ hat Scholz erneut bewiesen, für wen seine Tür allzeit offen steht. Und natürlich hat er, wer erinnert sich nicht daran, den G-20-Gipfel im Sommer 2017 zur Zufriedenheit der Herrschenden durchgezogen. Wer immer noch glaubt, er sei bei der Organisation dieser Veranstaltung gescheitert, hat das Prinzip nicht begriffen. Der Gipfel an der Elbe war ein wunderbares und überaus erfolgreiches Manöver für die Sicherheitskräfte und zudem der Auftakt für eine anschließende Repressionswelle in der BRD. Also: Mission completed!
Dass Scholz anschließend zum Finanzminister und Vizekanzler befördert wurde, hat also seine Richtigkeit. Nun ja, und jetzt ist er halt ganz oben angekommen: Bundeskanzler. Er wird es, hundert Pro! Er ist der richtige, um die kommenden Sauereien durchzuziehen, die Schrauben wieder anzuziehen, die Lasten der Coronakrise auf die Leute abzuwälzen, die im Kapitalismus immer für Krisen büßen müssen.
Im Spiegel hat einer dieser Lindner-Buschmann-Typen, um sie mal so zu nennen, namens Michael Sauga schon die Befehle ausgegeben. „Warum Scholz den Schröder machen muss“ steht drüber. Und drunter: „SPD und Grüne nähren die Illusion, dass die Öko-Wende den Sozialstaat nicht betrifft. Die Wahrheit lautet: Die Republik braucht eine neue Agenda 2010.“ Die ersten Sätze, die der Lohnschreiber zu Papier gebracht hat, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Sauga schreibt: „Es ist knapp 20 Jahre her, dass Gerhard Schröder jenen Satz formulierte, der noch heute vielen Sozialdemokraten das Blut in den Adern gefrieren lässt. »Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen«, verkündete der Kanzler in seiner Agenda-Rede im März des Jahres 2003. Einiges spricht dafür, dass bald wieder ein Sozialdemokrat im Kanzleramt sitzt. Mindestens genauso groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er in nicht allzu ferner Zukunft ebenfalls eine Agenda-Rede halten muss.“
Deutschland stehe, belehrt uns uns der vollversorgte Autor, „vor dem größten industriellen Umbau seiner Geschichte“. Zudem wechsle in den nächsten Jahren fast jeder zehnte Beschäftigte in den Ruhestand: „Und doch scheint es für SPD und Grüne vor allem darum zu gehen, die rekordhohe deutsche Sozialleistungsquote zu erhöhen.“ Dann faselt Sauga noch was von „Finanzlücke“, „siechenden Kranken- und Rentenkassen“, „Rückgang des Beschäftigungspotenzials“ et cetera pp. Sein ekliges Credo gipfelt in dem Satz: „Eine Regierung aber, die es ernst meint mit der Klimawende, muss eher dem Schröder-Ansatz folgen: also erst für wirtschaftliche Dynamik sorgen, bevor sie ans Verteilen denkt.“
Das Lied kommt einem bekannt vor. Und wir werden es nach der Wahl so oder ähnlich noch oft hören. Denn, egal welche Konstellation regiert – die Lasten der Coronakrise werden wieder mal auf die abgewälzt werden, die sich nicht wehren können. Auf dass die „wirtschaftliche Dynamik“ die Kriegskassen deutscher Konzerne und die Taschen der Besitzenden weiter fülle! Grüne und Linke werden daran nichts ändern können, vielleicht nicht einmal wollen. Dass die Herrschenden das Verarmungsprogramm Hartz-IV damals am besten mit einer „rot-grünen“ Regierung durchsetzen konnten, ist ja bekannt. Aber es heißt andererseits ja auch, die Geschichte wiederhole sich nicht. Nun ja, im Kapitalismus schon!
| Bundestagswahl: Das Kapital hebt ab – mit dem ScholzomatMaulwuerfe 8. Oktober 2021 - 8:45
[…] lowerclassmag.com… vom 8. Oktober […]