Die Linke im Wahlkampf: Auf Knien kann man nicht in den Sozialismus robben

15. September 2021

Ich hab ne gute Nachricht und ne schlechte auch. Zuerst die Gute: Dieses erbärmliche Schauspiel namens Wahlkampf dauert nur noch wenige Wochen. Man wird uns von den grinsenden Gesichtern und leeren Slogans erlösen, die Werbeagenturen werden ihre Abschlussrechnungen aufsetzen, eine der drei Nullnummern wird zu Koalitionsverhandlungen laden, alles wie immer.

Und jetzt die schlechte: Abgesehen davon, dass am Ende entweder eine äußerst schlechte oder eine etwas weniger, aber immer noch sehr schlechte Regierung herauskommen wird, hat einer schon jetzt wieder mal verloren: Der Sozialismus. Es sind, anders als man erwarten würde, nicht die wüsten Polemiken aus der Geldkoffer-Union, die ihm schaden. Es ist der kompromisslose Regierungskurs der einzigen größeren Kraft, die ihn sich zumindest irgendwie auf die Fahnen geschrieben hat oder irgendwann mal hatte.

Man könnte jetzt zwar billig sagen: also bitte, was hat denn die Linke mit Sozialismus zu tun und wäre die Welt ein Uni-Seminar hätte man sicher recht. Aber am Ende des Tages wird die öffentliche Wahrnehmung dessen, was Sozialismus ist, leider nicht durch Bücher, freshe Tweets oder wackere Kleinstgruppen bestimmt, sondern eben durch in der Breite wahrnehmbarere Akteure, und wie immer man die Linke auch bewertet, zumindest das ist sie.

Welches Bild vermittelt sie dem geneigten Publikum? Erst mal eines völliger Unterwürfigkeit. Man möchte sich um jeden Preis als das „Zünglein an der Wage“ für zwei Parteien andienen, die bis ins Mark neoliberal, ḱapitalhörig und imperialistisch sind. Dieser absolute Wille zur Ohnmacht nimmt so groteske Züge an, dass man aufgelegte Elfmeter ins eigene Tor schießt. Anstatt nach dem ruhmlosen Ende eines desaströsen Angriffskriegs samt jahrzehntelanger Besatzung klipp und klar zu sagen, man koaliert nicht mit Kriegstreibern, lässt man sich von irgendwelchen Olafs und Annalenas an der Nase herumführen. „Nie wird die Situation entstehen, dass wir einen NATO-Austritt zur Bedingung eines rot-rot-grünen Bündnisses machen würden“, verspricht Dietmar Bartsch. Ja, warum eigentlich nicht? Weil ihr eure eigenen „Prinzipien“ für Marketing-Gags haltet, die man ohnehin nicht ernst meint?

Selbst beim NATO-Thema, bei dem man eigentlich abräumen hätte müssen, dazustehen, als hätte man grade in die Hose gemacht, ist allerdings nur Ausdruck des Gesamtkonzepts. Es geht der Linken nicht darum, die Wahlen als Bühne für Agitation und Aufklärung zu nutzen. Sie tritt wirklich mit einer einzigen Idee an: Wir wollen diejenigen sein, die Rot-Grün-Rot möglich machen. Das ganze Wahlprogramm ist darauf ausgelegt, irgendwelche sozialdemokratischen Illusionen fortzuschreiben. 13 Euro sind aber kein „gerechter Lohn“ (schon gar nicht für die Tätigkeiten, die das betrifft) und einen „fairen Übergang in eine klimagerechte Zukunft“ gibt es auch nicht durch irgendwelche kosmetischen Korrekturen am Kapitalismus; ein paar Reichen-Steuern mehr sorgen nicht dafür, dass obszöner Reichtum für wenige und bedrückende Armut für die Vielen durch dieses System täglich reproduziert werden; und Wohnen wird auch nicht mehr dadurch „bezahlbar“, dass man da und dort ein wenig an Stellschrauben dreht.

Die Linke weiß selbst: Wenn sie als gerade noch so ins Parlament gerutschte 6-Prozent-Fraktion gnädig zum Koalieren berufen wird, wird sie mehr schlucken als durchsetzen. Vielleicht trifft man sich beim Mindestlohn zwischen der soften SPD-Forderung von 12 Euro und der absolut revolutionären eigenen 13-Euro-Forderung irgendwo bei 12,58 Euro, damit‘s was zu feiern gibt. Aber eine solche Regierung wird nichts gegen Niedriglohn und miese Arbeitsbedingungen insgesamt tun, sie wird die immer wildere Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht entschärfen, sie wird nicht mit Waffenexporten und Kriegen brechen und sie wird weiterhin gute Beziehungen zu antikommunistischen Diktaturen von Brasilien bis in die Türkei pflegen; sie wird vor allem aber keinen einzigen auch noch so kleinen Schritt in Richtung eines Bruches mit dem Kapitalismus gehen, der uns letztlich alle zugrunde richtet.

Was aber sonst? Man muss nicht in eine generelle Aversion gegen Parteien verfallen und auch nicht die Teilnahme an Wahlen als solche für ein Vergehen halten. Die Linkspartei könnte auch etwas Sinnvolles tun, ohne sich aufzulösen. Sie könnte klipp und klar sagen: Der Kapitalismus hat versagt, es braucht Sozialismus. Der hat viele Voraussetzungen, aber vor allem diejenige, dass wir die Macht im Staat erlangen und die Kapitalisten enteignen, entschädigungslos und ohne langes Fackeln. Sie könnte sich zum Sprachrohr der objektiven Interessen der arbeitenden Bevölkerung machen. Und sie könnte versuchen, wie langsam auch immer, die Macht- und Kräfteverhältnisse in diesem Klassenstaat zu verändern. Eine Koalitionsregierung könnte allerhöchstens dann ein Übergangsprogramm formulieren, wenn diese Zielsetzung in ihr verankert ist. Und natürlich ist das bei der anvisierten R2G-Nummer nicht der Fall.

Das mag man für „unrealistisch“ halten, aber wirklich unrealistisch ist, dass kosmetische Korrekturen bei Beibehaltung des Status Quo zu „gerechten Löhnen“, „bezahlbarem Wohnen“ und einer „klimagerechten Zukunft“ führen. Das müsste eigentlich jede Person wissen, die sich irgendwie sozialistisch nennt. Nur muss man das, was man angeblich vertritt, eben gelegentlich auch ernst nehmen und aufhören, sich in einer permanenten Geste der Unterwürfigkeit unter das Bestehende andauernd für die eigene Existenz zu entschuldigen. Auf Knien kommt man vielleicht an die Futtertröge eines Ministeramts, aber man kann nicht auf Knien in den Sozialismus robben.

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