Hetzjagden in Schöneberg? Die halbe Wahrheit der bürgerlichen Presse

9. August 2021

Kann sich noch jemand an den Türknauf des Todes erinnern? Am 29. Juni 2017 wurde der Kiez- und Nachbarschaftsladen Friedel54 geräumt. Die Polizei behauptete während der Räumung auf twitter, die Besetzer*innen des Ladens hätten einen Türknauf unter Strom gesetzt: „Lebensgefahr für unsere Kolleg. Dieser Handknauf in der #Friedel54 wurde unter !Strom! gesetzt. Zum Glück haben wir das vorher geprüft.“ Dass das natürlich frei erfundener Quatsch war, war egal. Ist die Sache erst Mal in der Welt, gerade von einer privilegierten Quelle, wie der Polizei, wurde das Gerücht in die Welt gesetzt und verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

Die Liste an absurden Falschbehauptungen der Polizei ist lang, gerade wenn es um vermeintliche „linke Gewalttäter“ geht. In Säure getunktes Konfetti, Clowns, die Säure mit Wasserpistolen versprühen, Molotov-Cocktail-Würfe im Schanzenviertel während der G20-Proteste usw. usf. Dennoch gilt die Polizei, wie gesagt, als privilegierte Quelle, das heißt, Quellen, von denen Journalist*innen annehmen können sollen, dass ihre Angaben der Wahrheit entsprechen. Polizeibehörden, Staatsanwaltschaft und auch Nachrichtenagenturen gehören dazu.

Die Wirkmacht dieser Priviligierung zeigt sich aber auch über das Verbreiten von Falschmeldungen hinaus. Vergangenen Sonntag gab es in Berlin-Schöneberg ein Straßenfest von demlinken Hausprojekt Rote Insel. Dort kam es nach übereinstimmenden Berichten, sowohl von der Polizei, als auch von Augenzeug*innen zu einer Festnahme. Ab hier unterscheiden sich die Darstellungen aber gewaltig. Die Polizei (und die bürgerliche Presse) berichten von Angriffen auf Polizeibeamt*innen, die Springerpostille BZ schreibt ein Mob habe die Polizei durch die Straßen gejagt.

Ein Augenzeuge, mit dem das lowerclassmagazine sprach und der anonym bleiben will, schilderte die Situation anders: „Eigentlich war das ganze Fest ziemlich entspannt, […] bis dann die Polizei einen Typen festgenommen hat. Das war ganz schön brutal, die saßen zu dritt auf ihm drauf. Das war dann eigentlich auch noch kein Drama, die Leute standen halt drumherum und haben gepöbelt.“

„Dann kam ein ziemlicher großer Bulle und und hat links und rechts Faustschläge ausgeteilt. Das war dann die Situation, wo es eskaliert ist. Danach waren die Leute halt sauer, auch weil die anderen Bullen auch angefangen haben Schläge zu verteilen und zu pfeffern.“

Dieses Statement deckt sich weitestgehend mit einem vom Jugendclub Potse veröffentlichten Tweet: „Gegen 17 Uhr rannte ein Trupp Polizisten auf den Spielplatz in der Mansteinstr. auf welchen zu dem Zeitpunkt Kinder gespielt haben und nahmen eine Person brutal fest. Das Gesicht der Person wurde in den Sand gedrückt, nachdem ihm ins Gesicht geschlagen wurde. Menschen die sich über die massive Gewalt beschwert haben wurden von der Polizei mit Schlägen und Tritten traktiert. Dabei nahm die Polizei eine weitere Person fest. Als die Polizei die Menschen in den Mannschaftswagen gebracht hat, wurden sie von einer empörten Menge aus der Straße gedrängt. Beide der festgenommen Personen wurden in der Wanne mehr mehrfach von verschiedenen Polizisten misshandelt. So wurde der Kopf einer der Personen mehrfach gegen die Scheibe geschlagen, die andere Person lag auf dem Boden des Wagens und ihr wurde auf den Kopf getreten.“

Auch dass der Festgenommene im Polizeiwagen misshandelt wurde, konnte bestätigt werden. Ein dem lowerclassmagazine zugesandtes Video zeigt eindeutig, wie der Kopf der gefesselten Person mehrfach gegen das Fenster geschlagen wird:

https://twitter.com/LowerClassMag/status/1424768987699814404

Jetzt kann man sagen, dass das was bisher in der bürgerlichen Presse veröffentlicht wurde, und weitestgehend ein Nachplappern der Polizeimeldung, bzw. dem Stuss der Polizei“gewerkschaft“ GdP, besteht, keine Falschmeldung wie die eingangs beschriebenen ist. Schließlich wurde die Polizei offensichtlich angeschrien und verfolgt, schließlich wurde ja – beide Seiten kommen zu Wort – der Tweet der Potse zitiert. Aber wenn Statements, wie das vom Jugendclub Potse zitiert werden, passiert dies unter der Prämisse, dass erst einmal die Behauptungen der Polizei widerlegt werden müssen.

Ohne Einordnung und Ergänzung durch Infos, wie dem uns zugespielte Video oder die Nachfrage bei Leuten vor Ort, Pressemitteilungen von linken Kollektiven, wie der Roten Insel usw., wird dann im Endeffekt wegen der „Privilegierung“ der Polizei als Quelle am Ende die halbe Wahrheit und zwar die der Polizei verbreitet. Denn diese hat darüber hinaus wegen Ihrer zunehmend professionellen Pressearbeit und dem traditionell guten Draht zu bürgerlicher Presse wie Tagesspiegel, rbb, dpa oder reaktionären Hetzern wie der BZ (die alle Artikel zum Vorfall am Sonntag veröffentlichten) sowieso einen Vorsprung in Reichweite, Schnelligkeit und Kontakten, den auch social media nicht ausgleichen können. So wird am Ende immer Polizeigewalt legitimiert, weil die Logik der Polizei immer mehr Gewicht bekommt, als die Erfahrungen und Einschätzungen von Menschen, die Polizeigewalt erfahren oder sie beobachten und sich immer erst durch das Dickicht an gesponnenen Halbwahrheiten durchschlagen müssen, bevor sie gesehen oder gehört werden.

Deswegen dokumentieren wir unten stehend die Pressemitteilung der Roten Insel zu den Geschehnissen am Sonntag, wer wissen will, was die Polizei zu der ganzen Sache sagt, kann die bürgerliche Presse lesen. Der Tweet zum Türknauf des Todes übrigens wurde erst gelöscht, als zwei Kollektivmitglieder des Friedel54 Kollektivs dagegen klagten.

# Titelbild: Polizist schlägt gefesselten Festgenommenen, Quelle: privat

Pressemitteilung: Brutaler Polizei-Übergriff bei linkem Straßenfest

Am 08. August 2021 kam es in der Nähe des „Rote Insel“-Festes unter dem Motto “Kiezkultur von unten” zu Angriffen der Berliner Polizei. Gegen 17 Uhr verfolgten mehrere Polizeikräfte eine Person, die sich in der Nähe der Kundgebung aufhielt und warfen diese auf einem Spielplatz in der Mansteinstraße brutal zu Boden. Dabei drückten sie deren Gesicht in den Sand und knieten mit mehreren Beamten auf dem Kopf und dem oberen Halsbereich. Zudem schlugen sie auf die wehrlose Person ein. Kinder, die kurz zuvor noch dort gespielt hatten, rannten verängstigt mit ihren Eltern vom Spielplatz. Laut eines der festnehmenden Beamten erfolgte die Maßnahme wegen eines vermeintlich geklebten Stickers auf einem Straßenschild. Schnell solidarisierten sich zahlreiche Menschen mit der am Boden liegenden Person. Es kam zu verbalen Auseinandersetzungen, die von den Polizeikräften mit Schlägen, Tritten und Pfefferspray beantwortet wurden. Auf diese Weise trugen die Beamt:innen massiv zur Eskalation der Situation bei. Besonders der laut Presseberichten später verletzte Beamte schlug laut Augenzeug:innenberichten zuvor willkürlich auf Personen mit der Faust ein. Auf jetzt veröffentlichten Videos ist zu sehen, wie eine der festgenommenen Personen im Polizeifahrzeug vom Beamten mit der Nummer 11331 mehrfach ohne Grund mit dem Kopf gegen Seitenscheibe und Sitz geschlagen wird. Eine andere festgenommene Person berichtet laut Jugendzentrum Potse von Tritten gegen ihren Kopf im Einsatzfahrzeug. Während die festnehmenden Kräfte kurzzeitig den Bereich verließen, verblieben andere Beamte ohne Probleme auf dem Straßenfest. Nach dem Zwischenfall wurde die bis dahin ebenfalls ruhige Kundgebung ohne weitere Vorkommnisse fortgeführt. Im späteren Verlauf wurde eine dritte Person festgenommen und von der Polizei kriminalisiert.

Zu der Eskalation der Polizeigewalt sagt Anna Schönberg, Sprecherin des Organisationskreises des “Rote Insel”-Fests: „Es ist entsetzlich mit welcher Gewalt die Berliner Polizei selbst auf einem Kinderspielplatz gegen Personen wegen einer vermeintlichen Ordnungswidrigkeit vorgeht. Das widerspricht jeglicher Verhältismäßigkeit. Und jetzt wird versucht, die Tatsachen zu verdrehen. Berlin hat kein Problem mit Gewalt gegen die Polizei, sondern ein Polizeiproblem. Jeder Angriff am Sonntag ging von den Polizeikräften aus, die danach noch wehrlose Gefangene vermutlich aus Rache misshandelten. Es scheint inzwischen eine regelrechte Taktik zu sein, linke Veranstaltungen unter fadenscheinigen Gründen zu zerschlagen und deren Teilnehmende zu drangsalieren. Die gleiche 11. Hundertschaft hat schon am 05. Juni friedliche Menschen bei den Protesten gegen den AfD-Landesparteitag ins Krankenhaus geprügelt.“

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