Linke haben es ja meistens nicht so mit der Religion. Das ist manchmal ein wenig schade. Denn bei aller berechtigten Kritik wird dabei zu oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Und man entkommt den Religionen ja doch nicht, weil sie an allen möglichen Stellen ihre Spuren hinterlassen haben. Die christliche Religion zum Beispiel hat starke sprachliche Bilder und aufschlussreiche Geschichten inpetto, gerade wenn es um Ausnahmesituationen geht, also Krisen, Kriege, Naturkatastrophen, wenn es um Leben und Tod geht. Da findet man auch was zu der Naturkatastrophe, die im Juli von einem Tiefdruckgebiet mit dem Namen „Bernd“ ausgelöst wurde. Also zu dem Hochwasser mit schweren Sturzfluten, die in weiten Teilen West- und Mitteleuropas gewütet haben und keineswegs nur hierzulande, wie nationalistisch Verblödete meinen könnten.
Vermutlich ist es kein Zufall, dass durchgeknallte Milliardäre wie der Brite Richard Branson und Amazon-Gründer Jeff Bezos sich gerade jetzt ins Weltall oder in den Suborbit oder wie immer diese Schicht der Atmosphäre heißt haben schießen lassen. Das lieferte jedenfalls die Symbolbilder für diese Tage, in denen in der BRD fast nur über das Hochwasser berichtet wurde – nur ein paar Tage nachdem neue Temperaturrekorde aus den USA und Kanada gemeldet wurden. Wir wollen Branson und Bezos nicht so viel Verstand zutrauen, dass sie es bewusst gemacht haben, aber mit ihren Raketenstarts in diesen Tagen illustrierten sie ganz genau die generelle Haltung der Reichen und ihrer gut entlohnten Handlanger in Ober- und Mittelschicht angesichts der fortschreitenden Klima- und Umweltzerstörung: Nach uns die Sintflut, so heißt ihre Devise!
Passender könnte ein sprachliches Bild für die Ereignisse dieses Sommers und die Haltung der Herrschenden nicht sein – und dieses Bild stammt bekanntlich aus der Bibel. Mögen auch ganze Dörfer von Sturzfluten hierzulande weggerissen werden und dutzende Menschen dabei ihr Leben einbüßen – irgendein grundsätzliches Umdenken ist nicht ansatzweise erkennbar! Mediengeile Politiker fallen in hellen Scharen, denn es ist ja Bundestagswahlkampf, ins Katastrophengebiet ein und sondern Nichtssagendes ab. Ansonsten gilt die Devise „Business as usual!“. Die in Regierungen und Parlamenten sitzenden Knallchargen (von Ausnahmen abgesehen) können ja das Ruder gar nicht herumreißen, weil sie in Lohn und Brot stehen, beim Kapital nämlich, bei den Konzernen und Banken. Der Rubel muss rollen.
Es passt da noch eine andere Geschichte aus der Bibel, nämlich aus dem Buch Daniel, des Alten Testaments. Daniel war laut Wikipedia ein jüdischer Apokalyptiker, Traumdeuter und Seher im babylonischen Exil. Die Geschichte geht so: Der spätbabylonische König Belsazar gibt sich bei einer Feier ordentlich die Kante und protzt mit dem in Jerusalem zusammengeklauten Edelmetallen – da erscheint wie von Geisterhand eine Schrift an der Wand, die keiner von Belsazars Gelehrten entziffern kann. Nur Daniel, den er herbeizitiert, kann das. Er liest: Mene mene tekel u-parsin. Was soviel heißt wie: „Mene: Gezählt, das heißt, Gott hat gezählt die Tage Deiner Königsherrschaft und sie beendet. Tekel: Gewogen, das heißt, Du wurdest auf der Waage gewogen und für zu leicht befunden. Peres (U-parsin): Zerteilt wird Dein Königreich und den Persern und Medern übergeben“.
Soweit die alte Geschichte. Spannend und hochaktuell daran ist zum einen der Begriff „Menetekel“. Denn all das, was in diesen Tagen, Monaten und Jahren geschieht rund um den Erdball, wie die Überschwemmungen, die vielen verheerenden Waldbrände, die Temperaturrekorde und so weiter – all das sind natürlich Menetekel. Aber die profitgeilen Herrschenden des Systems und ihre Handlanger in Politik und Medien können und wollen sie nicht lesen und verstehen. Dabei müssen diese Menetekel, anders als im Buch Daniel, weder groß entziffert noch übersetzt werden. Jeder und jede kann sie sehen und deuten. It’s perfectly obvious!
Um aber nicht nur auf mehr als 2000 Jahre alte Geschichten und Sprachbilder zurückzugreifen, seien hier auch noch Propheten unserer Zeit zitiert. Als solche habe ich schon früher gern Künstler gesehen und da insbesondere, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht befremdlich klingt, so mancher Rockmusiker. Vor allem in den 60ern, 70ern und 80ern, auch noch in den 90ern sind Texte entstanden, in denen sehr drastisch und konkret vor den Zerstörungen gewarnt wird, die Kapitalismus und Technik auf der Erde anrichten. Zwei Texte seien hier zitiert.
Der eine Song ist vom Briten Chris Rea, der fälschlich von vielen als „Schmuserocker“ abgetan wird. Tatsächlich hat er bereits 1989 den nicht nur musikalisch bemerkenswerten Song „Road to hell“ geschrieben, der nichts weniger ist als eine eindringliche Warnung, dass der Weg des technischen „Fortschritts“ in den Abgrund führt. Er sei hier wiedergegeben:
Well I’m standing by a river
But the water doesn’t flow
It boils with every poison you can think of
And I’m underneath the streetlights
But the light of joy I know
Scared beyond belief, way down in the shadows
And the perverted fear of violence
Chokes a smile on every face
And common sense is ringing out the bells
This ain’t no technological breakdown
Oh no, this is the road to Hell
And all the roads jam up with credit
And there’s nothing you can do
It’s all just bits of paper
Flying away from you
Oh, look out world, take a good look
What comes down here
You must learn this lesson fast
And learn it well
This ain’t no upwardly mobile freeway
Oh no, this is the road
Said this is the road
This is the road to hell
Und damit wir nicht schlechte Laune bekommen, hier noch ein etwas optimistischerer und kämpferischer Song der Folkrockband Lindisfarne von 1972, der noch älter ist. Weil der Text so schön ist, seien hier parallel satzweise der englische Originaltext und die deutsche Übersetzung zitiert – als Gruß an die Herrschenden und alle, die die Menetekel nicht sehen wollen:
Councilors, magistrates, men of renown,
Räte, Magistrate, angesehene Persönlichkeiten,
Who needs to live in a dirty old town.
Wer muss schon in einer schmutzigen alten Stadt leben.
Yes, go on, tear it down.
Ja, nur zu, reißt sie ein.
Who need the trees and the flowers to grow,
Wer braucht die ganzen Bäume und die Blumen, die da wachsen,
We can have a motorway with motorway dough,
Wir können eine Autobahn mit Autobahnteig haben, (Anm.: dough vermutlich wegen des Reims)
I know I know I know, they’ve got to go.
Ich weiß, ich weiß, ich weiß, das muss alles verschwinden.
Tear them down, mess them round,
Reißt alles ein, treibt Schindluder damit.
Make a mockery of all of the ground,
Macht aus der ganzen Erde einen Hohn.
And if you ever have a sleepless night,
Und wenn ihr jemals eine schlaflose Nacht habt,
Just count out your money, it’ll be all right.
Zählt einfach euer Geld und alles wird gut.
Politicians, planners go, look what you done,
Politiker, Planer, seht, was ihr getan habt,
Your madness is making a machine of ev’ryone,
Euer Wahnsinn macht eine Maschine aus jedem und jeder,
But one day the machine might turn on.
Aber eines Tages könnte die Maschine aufdrehen.
We’ll tear you down, mess you round,
Und dann werden wir euch niederreißen und mit euch Schindluder treiben.
And bury you deep under the ground,
Und euch tief in der Erde vergraben.
And we’ll dance on your graves till the flowers return
Und dann tanzen wir auf euren Gräbern, bis die Blumen zurückkehren.
And the trees tell us secrets that took ages to learn,
Und die Bäume werden uns Geheimnisse erzählen, die zu erlernen es Generationen gebraucht hat.
We’ll tear you down, mess you round and bury You deep under the ground!
Mutant77 5. August 2021 - 12:38
Das sich die Klimakrise auf biblische Bilder beruft ist folgerichtig. Ich bin kein Theologe aber ich gehe davon aus, dass diese Bilder aus der Bibel vor allem dazu dienten die Mächtigen zu stabilsieren und dem Volk seine Machtlosigkeit zu zeigen. Diese Bilder für die aktuelle Situation zu benutzen zeigt deutlich worum es geht. Das Volk soll sich dem „Herrscher“ gefällig zeigen.
Und ein ganz besonderer Schmackerl sind die Bilder as den 70’ern. Damals hatte noch jeder Mensch in Europa oder Nordamerika ein Bild davon, was Umweltverscmutzung konkret bedeutet. Grosse Regionen waren schwer belastet. Es gab kaum ein Fluss, der keine Kloake war. Im Ruhrgebiet herrschte Smog und unter den Kindern grasierte Pseudokrupp. Aus diesen Bildern entstanden solche Songs.
Der Witz dabei ist, die Politik hat sich entschieden diese Art der Produktion nach Asien zu verlagern und massiv zu vergrößern. Wer den Lebensstil aus den 70’ern kennt, wo z.b. einmal in der Woche die Familie gebadet hat (alle nacheinander in einer Wanne), Kinder die Kleider der älteren auftrugen, diese noch von der Mutter geflickt wurde, Arbeiter hatten keine Autos und Kinder keine eigenen Zimmer, geschweige denn Telefone, all diesen massiven Mehrverbrauch an Resourcen und Energie wurde verlagert.
So können wir heute saubere Luft, Wasser und Böden geniessen und müssen schon mit modernsten Mittel detektieren, um überhaupt noch Umweltskandale aufzudecken. Unter diesem Eindruck wird jetzt von den Mächtigen eine neue Kirche erschaffen, die ein Spurengas in der Atmosphäre als Ursache für „biblische“ Katastrofen erklärt. Wir sollen alle die Energieerzeugung und den kompletten Verkehr umbauen.
Ich sehe da vor allem grosse Interessen der Wirtschaft dahinter, die mit technischen Wendepunkten und Katastrophen schon immer neue Bedürfnisse erschaffen haben. Das ist für die menschliche Entwicklung vermutlich kein Nachteil, wird aber zunächst die Zerstörung der Natur massiv erhöhen, denn wir müssen ja diese ganzen neuen Stoffe, die wir für den Umbau brauchen aus der Erde holen.
Gleichzeitig ersparen wir uns damit die schnelle Industralisierung von Afrika und holen uns weiter von dort die Bodenschätze. Nur, auf grosse technischen Anlagen können sie erstmal nicht hoffen, was gerade für die gebildete Jugend dort eine grosse Katastrofe ist . Das einzige was Afrika noch bekommt werden Solaranlagen sein, mit denen sich die EU Entwicklungskosten spart und Renditeprojekt erschafft.
Ein wahrlich biblisches Projekt, mit sicher keinem samaritschen Ausgang.