Autoritarismus: Erziehung prägt Gesinnung

2. Februar 2021

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Gastbeitrag

Der Autor Herbert Renz-Polster geht in seinem neuesten Buch „Erziehung prägt Gesinnung“ der Frage nach, was die Anhänger rechtspopulistischer Parteien eint. Es sei weder wie vielfach vermutet das Bildungsniveau, noch die ökonomische Lage, sondern vielmehr ihr schon in der Kindheit entstehender stärkerer Hang zum Autoritarismus. Unser Autor Frederik Kunert fasst die Erkenntnisse des Buches zusammen.

Der ehemalige Kinderarzt und Autor zweier pädagogischer Bestseller hält viele Erklärungsmuster für das Erstarken des Rechtspopulismus für zu einfach. So ist z.B. die These, AFD-Anhänger zählten zu den „Abgehängten“ der Gesellschaft nicht haltbar. Vier von fünf AFD-Anhänger*innen bezeichnen ihre wirtschaftliche Lage als gut bis sehr gut, die Mehrheit der AFD-Wähler*innen kam aus bürgerlichen Verhältnissen, die Soziologin Cornelia Koppetsch nennt es gar den „Aufstand der Etablierten“, so sehr sieht sie die AFD in der Mittelschicht verwurzelt. Auch Donald Trump hatte bei den Wahlen 2016 in allen Einkommensschichten eine Mehrheit, nur nicht bei den Ärmsten. Auch das fehlende Bildungsniveau taugt nicht als Erklärung. Die AFD findet nicht unerheblichen Anklang in akademischen Kreisen, eine Partei der „Bildungsversager“ ist sie nicht. Durch Fragen nach der realen Lebenssituation lassen sich Anhänger*innen des Rechtspopulismus nicht identifizieren. Erst durch Fragen nach den konkreten Ängsten bekommt das rechte Lager langsam Kontur: 90 bis 95% der AFD-Wähler*innen fürchten beispielsweise die Bedrohung der „deutschen Sprache und Kultur“, hätten „Angst vor dem Islam und vor Kriminalität“. Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan bestätigt, dass es oft gar nicht um die vielbeschworenen Verlust- oder gar Existenzängste geht, sie spricht hierbei von „einer Sehnsucht nach Eindeutigkeiten“: der Hang zu Recht und Ordnung, die Angst vor Überfremdung oder davor, die eigene Bedeutung verlieren zu können, all das sind Gefühle, die die Rechtspopulisten einen. Kurz gesagt: Was sie eint, ist der Hang zum Autoritarismus.

Im Folgenden versucht der Autor dies zu belegen. So vergleicht er beispielsweise anhand der USA die Befunde von Studien zum Thema Gewalt in der Erziehung mit den Zustimmungswerten für Donald Trump in einer Region. Auch wenn Gewalt in der Erziehung in den USA allgemein weit verbreitet ist (etwa 70% stimmen der Aussage zu, manchmal sei es nötig Kinder mit ein paar guten, harten Schlägen zu disziplinieren) und die Erziehung durchschnittlich autoritärer gestaltet wird, so zeigt sich: Dort wo die Zustimmung zu Gewalt in der Erziehung am höchsten ist, ist auch die Zustimmung für Donald Trump am größten. Die ersten 22 Staaten mit den höchsten Zustimmungswerten zu der Frage „Ist es okay, Kinder zu schlagen?“ gingen allesamt an Trump. Andersrum sieht es ähnlich aus, wie die von der Kinderschutzorganisation Save the Children zusammengetragenen Daten zeigen: Von den zehn bestplatzierten Bundesstaaten in ihrer Liste, also denen, in denen Kinder am sichersten aufwachsen können, ging kein einziger an Trump.

In Deutschland wird die Stärke der rechten Szene in der ehemaligen DDR oft damit erklärt, sie sei die Antwort auf schwierige Lebensbedingungen und eigene Ausgrenzungserfahrungen nach der Wende. Die Autoritarismusforscherin Prof. Gerda Lederer untersuchte jedoch kurz vor dem Fall der Mauer Kinder und Jugendliche in der DDR und kam zu dem Befund, dass diese in allen untersuchten Domänen höhere Autoritarismus-Werte aufwiesen als die Kinder und Jugendlichen in der BRD, dazu zählten Ablehnung von Ausländern sowie Gehorsam gegenüber Autoritäten und den Eltern. Die Erfahrungen der Wende können also nicht die Ursache gewesen sein. Vielmehr scheint die Art der Erziehung eine entscheidende Rolle zu spielen, wenn es um die Entwicklung von autoritären Ansichten geht.Kurz gesagt: Strenge Kindheiten scheinen mit „strengen“ politischen Überzeugungen einherzugehen.

Renz-Polster stellt zwei grundlegende Sichtweisen bzw. Weltbilder gegenüber: eine Weltsicht der Verbundenheit, in der die Welt als ein guter Ort gesehen wird, dem man mit Zuversicht und Vertrauen begegnen kann und die andere Weltsicht, die die Welt als gefährlichen Ort wahrnimmt, der chaotisch und unsicher ist und den es zu kontrollieren gelte. Er nennt sie „Vertrauen“ und „Kontrolle“ und beschreibt, wie die meisten Menschen zwischen den beiden Weltsichten schwanken, während die Autoritären die Welt ausschließlich als bedrohlich sehen und sie deshalb kontrollieren wollen, ob mit Gewalt, Eroberung, Unterjochung, Stärke oder Kampf. Die Unterschiede zwischen beiden Weltbildern prägen dann auch das Bild vom Kind und damit die Erziehung, die man diesem Kind zuteil werden lässt, ob die Beziehung zum Kind von Verbundenheit und Gemeinsamkeit oder von Kontrolle und Distanz, von Vertrauen oder Gehorsam betont ist, ob es um die Eingrenzung oder die Ermächtigung des Kindes geht. Da die Aushandlungsprozesse innerhalb der Familie im Grunde Politik sind, ist eigentlich klar, warum diese frühen Erfahrungen mit Hierarchien und Konformität in unsere spätere politische Weltsicht eingehen. „Als Kind erfahren wir zum ersten Mal, was es heißt, regiert zu werden“, so fasst es die Linguistin Elisabeth Wehling zusammen. Und wer in der Familie Fürsorge und Verbundenheit erlebt hat, wird sich auch später eher für Fürsorge und Verbundenheit einsetzen und nicht für Ausgrenzung und Hass.

Auch die psychoanalytische Sozialwissenschaft konnte empirisch nachweisen, dass „Kinder, die eine auf Unterdrückung und Unterwerfung beruhende Erziehung erfahren haben, als Erwachsene zur gewaltsamen Unterdrückung anderer neigen.“ Der Autoritarismusforscher Detlef Oesterreich sagt hierzu: „Rechtsautoritarismus ist das Ergebnis einer das Kind überfordernden Sozialisation. Kinder, die in ihrer Kindheit einer sozialen Realität gegenüberstehen, die sie nicht bewältigen können, sind gezwungen, sich in den Schutz und die Sicherheit von Autoritäten zu flüchten.“ Die in der Pädagogik mittlerweile allgemein anerkannte Bindungstheorie von John Bowlby bestätigt ebenfalls: „Faire, hilfsbereite, zugewandte Erziehung fördert faires, hilfsbereites, zugewandtes Verhalten.“ Renz-Polster zieht weitere psychologische Befunde (bspw. zur „theory of mind“) zur Stützung seiner These heran.

Betrachtet man nun die Erziehungs- und Bildungssysteme in diesem Land, kann einem angst und bange werden. So sind z.B. in der NUBBEK-Studie nur 7% der Kindertagesstätten als „gut“ oder „sehr gut“ bewertet worden, während 10% als „schlecht“ bewertet wurden und der Rest dazwischen liegt. Die Forschung zeigt aber, dass Kinder von einer Kindergartenbetreuung nur dann profitieren, wenn diese Einrichtungen „gut“ oder „sehr gut“ sind. Die Kritik an der Situation der Schulen des Landes würde vermutlich den Rahmen des Textes sprengen. Dass in Ihnen noch immer Ordnung, Gehorsam und Disziplin die obersten Gebote sind und sie deshalb selbst eine autoritäre Institution sind, dürfte unstrittig sein.

Ein weiterer wichtiger Befund, der im Buch angeführt wird, ist folgender: „Je ungleicher Einkommen und Chancen in einem Land verteilt sind, desto autoritärer denken und empfinden seine Bürger.“ Das beste Beispiel hierfür sind die USA: ein reiches Land, das bei sozialen Messwerten wie Frühgeburtlichkeit, Kindesmisshandlung, Säuglingssterblichkeit, Schulabbruchsraten, sexuellem Missbrauch, sowie Teenagerschwangerschaften und Drogenkonsum von Jugendlichen miserabel abschneidet.

Insgesamt ist das Buch ein Aufruf darüber nachzudenken, wie wir mit unseren Kindern umgehen und welche Erfahrungen wir ihnen mit auf den Weg geben wollen, wie wir also die Entwicklung autoritärer Persönlichkeiten unterbinden können, bevor es zu spät ist. Politische Überzeugungen und der Hang zum Autoritarismus lassen sich mit zunehmendem Alter immer schwerer bekämpfen, vor allem nicht mit „sinnvollen“ Argumenten. Als Linke sind wir aufgefordert, die Kleinsten in unserer Gesellschaft wieder stärker in den Blick zu nehmen, dazu gehört nicht nur eine allgemeine Kritik am Erziehungs- und Schulsystem und seiner konstanten Unterfinanzierung und fehlerhaften Konzeption, sondern auch die Unterstützung aller in der sozialen Arbeit Tätigen in ihren Kämpfen für bessere Bedingungen und der Aufbau eigener Strukturen der Erziehung. Die „Kinderladen-Bewegung“ kann hier ein Bezugspunkt sein, von dem wir lernen können. Es könnte eine Chance sein, den Rechten nicht mehr bloß „Hinterherzurennen“, sondern langfristige Projekte auf den Weg zu bringen und wieder selbst Initiative zu ergreifen.

# Titelbild: privat

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3 Kommentare

    […] Bei­trag Auto­ri­ta­ris­mus: Erzie­hung prägt Gesin­nung erschien zuerst auf Lower Class […]

    M.M.N. 4. Februar 2021 - 13:12

    Das Elende der linken Populismusanalyse:
    Wenn dem so wäre…
    dann geht also seit Jörg Haider und Berlusconi eine Welle der autoritären Erziehung von Österreich und Italien über die Schweiz (SVP), Frankreich (Front National bzw. Rassemblement National), Niederlande (PVV) bis nach Skandinavien und Osteuropa? Die Philippinen (Duerte), die USA, Brasilien??? Und das angesichts der Tatsache, dass mit den 68ern eine umfassende Liberalisierung der westlichen Erziehung stattgefunden hat? Die DDR… Ich kann es nicht mehr hören. In den östlichen Bundesländern sind es die älteren Bürger, die die PDS/Linke wählten/wählen und die jüngeren Leute, die AfD wählen. Wie passt das zu der These, die DDR wäre Schuld am Rechtsruck?
    Natürlich liegt es an der ökonomischen Lage!!! Das zeigen alle demoskopischen Erhebungen. Und selbst wenn die Arbeiter nur zu gleichen Teilen AfD wählen wie die höheren Einkommensgruppen… Das ist die ehemalige Stammklientel linker Politik über die da gesprochen wird. Es reicht wenn 20% der Arbeiter rechts wählen, um rechte Politik mehrheitsfähig zu machen.

    […] Bei­trag erschien zuerst hier auf dem Lower Class Mag. Wir bedan­ken uns viel­mals für das Recht zur […]