Abtreibungsverbot in Polen: Zwischen Resignation und Wut

30. Januar 2021

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Gastbeitrag

Am 27. Januar entschied das Verfassungsgericht über ein neues Abtreibungsgesetz aus dem Oktober letzten Jahres welches Schwangerschaftsabbrüche weitestgehend illegalisiert.​​​​​​​ Es formierte sich noch am Abend Protest. Was bedeutet das Gesetz für Pol*innen und welche Perspektive bleibt? Aus Warschau von Toni Koch und Bent Bosker.

Am 27. Januar trat in Polen ein Gesetz in Kraft, das Schwangerschaftabbrüche weitestegehnd illegalisiert. Bisher war es möglich einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund triftiger Gründe durchführen zu lassen.Bereits im Herbst 2020 hatte das Verfassungsgericht ein Urteil gefällt, sich aber mit der Urteilsbegründung ungewöhnlich lange Zeit gelassen. Deswegen tritt das neue Gesetz erst jetzt in Kraft. Es illegalisiert und kriminalisert Abtreibungen von nicht lebensfähigen Föten und bereitet mit seiner Begründung ein totales Abtreibungsverbot vor. Viele Pol*Innen, die unter den sowieso schon schwierigen Umständen einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch bekommen haben, werden diesen nicht durchführen dürfen. Die Termine werden gecancelt. Ärzt*Innen die Beihilfe dazu leisten, wie Medikamente verschreiben oder den Abbruch durchführen, machen sich strafbar.

Polen hatte ohnehin schon eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in der EU.

Bisher war ein Schwangerschaftsabbruch nur in seltenen Fällen möglich, so etwa nach einer Vergewaltigung oder wenn das Leben der Mutter akut bedroht war.Bereits 2016 lehnte das Parlament eine weitere Verschärfung der Schwangerschaftsabbrüche nach heftigen Protesten ab, wohl auch wegen des prognostizierten Einbruchs der Wählerstimmen für die rechtskonservative Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS. Doch nach den Neuwahlen 2019 initiierte diese das neue Gesetz. Frauenrechtsorganisationen schätzen die Anzahl von illegalen Schwangerschaftsabbrüchen in Polen und von Menschen, die diese im Ausland durchführen, auf bis zu 200.000 jährlich. Dahingegen werden weniger als 2.000 Abbrüche legal vorgenommen. Mit der seit heute geltenden Gesetzeslage drohen Ärtz*innen die trotz des Verbots Schwangerschaftsabbrüche anbieten oder durchführen, mehrere Jahre Haft.

Noch am Abend des 27. Januars rief die Bewegung Strajk Kobiet (Frauenstreik), die schon seit 2016 für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts kämpft, zu Demonstrationen auf. Mindestens 2.000 Menschen liefen durch Warschaus Straßen, nach Angaben der Organisator*innen fanden darüber hinaus in insgesamt 46 weiteren Orten in Polen Demonstrationen statt. „Warschau, Tausende. Marschieren zum Sitz allen Übels“ twitterte die Initiative abends, als sich der Demozug ausgehend vom Verfassungsgericht in Bewegung setzte. Vor Kirchen versammelten sich spärlich nationalistische Hooligans zusammen mit Polizist*innen, nachdem im letzten Jahr Demonstrant*innen einige Kirchen stürmten. Die Stimmung auf der Demonstration dieses Jahr war gedrückt, sie wirkte trotz Musik und Parolen wie eine Beerdigung.

Das neue Gesetz war bereits im Oktober durch das Verfassungsgericht genehmigt worden, schon damals demonstrierten Zehntausende auf Polens Straßen. Mehrere Hundert Menschen machten sich auf den weg zum Haus des PiS-Parteichefs Jaroslaw Kaczynski, wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.

Das Gesetz wird aber nicht nur wegen seiner offensichtlichen Frauenverachtung kritisiert, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Rechtswissenschaftler Mikołaj Małeckis schrieb noch am selben Abend für sein Magazin “Dogmaty Karnisty”, welches sich rund um das polnische Strafrecht dreht, dass er das Gesetz allein schon durch die Art und Weise der Einführung, also die lange Verschleppung der Begründungsverlesung, für verfassungswidrig hält.

Die Gesetzesbegründung folgt dabei der Leier von selbsterklärten „Lebenschützer*innen“. Der Embryo wird juristisch durch Sprache und Form zu einem vollwertigen Menschen erklärt. Damit erhält ein Embryo von Beginn der Schwangerschaft an Menschenrechte.

In dieser Logik entsteht dann, wenn durch eine Schwangerschaft das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist, ein moralisches Dilemma. Das Gericht vergleicht diese Situation mit der, in der ein Flugzeug von Terroristen gekapert wird und auf die Stadt zufliegt. Es sei nun eine Entscheidung die zwei Leben gegeneinander abwäge. Nicht nur deswegen sehen viele Polen auf dem Weg in ein komplettes Abtreinbungsverbot.

Die fundamentalistischen Annahmen spiegeln sich auch in der verwendeten Sprache wieder: Anstatt „Schwangere“ steht dort „Mutter“ – Ein klares Zeichen, dass das Gesetz eine schwangere Person nicht mehr als eigenständiges Wesen sieht, sondern ihr eine bestimmte Funktion zukommen lässt und den Embryo sprachlich als volles menschliches, scheinbar schützenswertes Wesen etabliert.

Auch wird der Begriff „Kind“ statt „Embryo“ in Verbindung mit „ungeborenem Leben“ verwendet, was suggeriert, dass ein Embryo bereits ein Lebewesen sei, es also zu dem oben beschriebenen moralischen Dilemma komme, welches Leben zu schützen sei und im Zweifel die schwangere Person ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung verbüße. „Das Gesetz wirkt nicht wie von Richtern – sondern von einem Priester geschrieben.“, erklärt deswegen die polnische Juristin Kamila Ferenc bei OKO.press.

Es wäre aber falsch zu glauben, so reaktionäres Gedankengut finde nur in Polen Eingang in Gesetze. Auch in Deutschland ist diese Ideologie seit eh und je Grundlage juristischer Entscheidungen. So wurde beispielsweise im November 2017 die Ärztin Kristina Hänel vom Amtsgericht Gießen nach § 219a verurteilt. Dieses aus der NS-Zeit stammende Gesetz verbietet es für Schwangerschaftsabbrüche öffentlich zu werben. Das Gericht wertete die Informationen über verschiedene Methoden des Schwangerschaftsabbruchs auf Hänels Homepage als solche „Werbung“. Hänel legte gegen diese Entscheidung zwar Rechtsmittel ein, das zuständige Oberlandesgericht Frankfurt a.M. bestätigte nun aber die Entscheidung des Amtsgerichts. Der Fall landet jetzt beim Bundesverfassungsgericht.

In Polen kündigten Aktivist*innen derweil ab Donnerstag Blockaden in Warschau an, am Wochenende sollen weitere Demonstrationen stattfinden. Im Anschluss an die Demonstration vom Mittwoche sagte uns eine Aktivistin: „Wenn der Staat solche Grenzüberschreitungen an seiner Bevölkerung vollzieht, dann muss er mit Konsequenzen rechnen. Diese Konsequenz ist entweder Resignation, wie wir sie heute auf der Demo gesehen haben, oder sie verwandelt sich in Wut und Visionen. In Utopien wie eine befreite Gesellschaft aussehen kann. In der keine Macht, kein Staat mehr Zugriff auf die Körper hat die ihn tragen. Diese Entscheidung wird die nächsten Tage fallen müssen.“

# Titelbild: Toni Koch, Demo vom 28. Janar vor dem Verfassungsgericht

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2 Kommentare

    […] Bei­trag Abtrei­bungs­ver­bot in Polen: Zwi­schen Resi­gna­ti­on und Wut erschien zuerst auf Lower Class […]

    […] „Abtrei­bungs­ver­bot in Polen: Zwi­schen Resi­gna­ti­on und Wut“ am 30. Janu­ar 2021 im… hebt zur aktu­el­len Ent­wick­lung der Pro­tes­te unter ande­rem her­vor: „… Am 27. Janu­ar trat in Polen ein Gesetz in Kraft, das Schwan­ger­schaft­ab­brü­che wei­te­ste­gehnd ille­ga­li­siert. Bis­her war es mög­lich einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch auf­grund trif­ti­ger Grün­de durch­füh­ren zu lassen.Bereits im Herbst 2020 hat­te das Ver­fas­sungs­ge­richt ein Urteil gefällt, sich aber mit der Urteils­be­grün­dung unge­wöhn­lich lan­ge Zeit gelas­sen. Des­we­gen tritt das neue Gesetz erst jetzt in Kraft. Es ille­ga­li­siert und kri­mi­na­li­sert Abtrei­bun­gen von nicht lebens­fä­hi­gen Föten und berei­tet mit sei­ner Begrün­dung ein tota­les Abtrei­bungs­ver­bot vor. Vie­le Pol*Innen, die unter den sowie­so schon schwie­ri­gen Umstän­den einen Ter­min für einen Schwan­ger­schafts­ab­bruch bekom­men haben, wer­den die­sen nicht durch­füh­ren dür­fen. Die Ter­mi­ne wer­den gecan­celt. Ärzt*Innen die Bei­hil­fe dazu leis­ten, wie Medi­ka­men­te ver­schrei­ben oder den Abbruch durch­füh­ren, machen sich straf­bar. Polen hat­te ohne­hin schon eines der restrik­tivs­ten Abtrei­bungs­ge­set­ze in der EU. Bis­her war ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch nur in sel­te­nen Fäl­len mög­lich, so etwa nach einer Ver­ge­wal­ti­gung oder wenn das Leben der Mut­ter akut bedroht war.Bereits 2016 lehn­te das Par­la­ment eine wei­te­re Ver­schär­fung der Schwan­ger­schafts­ab­brü­che nach hef­ti­gen Pro­tes­ten ab, wohl auch wegen des pro­gnos­ti­zier­ten Ein­bruchs der Wäh­ler­stim­men für die rechts­kon­ser­va­ti­ve Regie­rungs­par­tei „Recht und Gerech­tig­keit“ PiS. Doch nach den Neu­wah­len 2019 initi­ier­te die­se das neue Gesetz. Frau­en­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen schät­zen die Anzahl von ille­ga­len Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen in Polen und von Men­schen, die die­se im Aus­land durch­füh­ren, auf bis zu 200.000 jähr­lich. Dahin­ge­gen wer­den weni­ger als 2.000 Abbrü­che legal vor­ge­nom­men. Mit der seit heu­te gel­ten­den Geset­zes­la­ge dro­hen Ärtz*innen die trotz des Ver­bots Schwan­ger­schafts­ab­brü­che anbie­ten oder durch­füh­ren, meh­re­re Jah­re Haft. Noch am Abend des 27. Janu­ars rief die Bewe­gung Stra­jk Kobiet (Frau­en­streik), die schon seit 2016 für eine Libe­ra­li­sie­rung des Abtrei­bungs­rechts kämpft, zu Demons­tra­tio­nen auf. Min­des­tens 2.000 Men­schen lie­fen durch War­schaus Stra­ßen, nach Anga­ben der Organisator*innen fan­den dar­über hin­aus in ins­ge­samt 46 wei­te­ren Orten in Polen Demons­tra­tio­nen statt. “War­schau, Tau­sen­de. Mar­schie­ren zum Sitz allen Übels” twit­ter­te die Initia­ti­ve abends, als sich der Demo­zug aus­ge­hend vom Ver­fas­sungs­ge­richt in Bewe­gung setz­te. Vor Kir­chen ver­sam­mel­ten sich spär­lich natio­na­lis­ti­sche Hoo­li­gans zusam­men mit Polizist*innen, nach­dem im letz­ten Jahr Demonstrant*innen eini­ge Kir­chen stürm­ten. Die Stim­mung auf der Demons­tra­ti­on die­ses Jahr war gedrückt, sie wirk­te trotz Musik und Paro­len wie eine Beer­di­gung…“ […]