Ich arbeite in einer Notunterkunft für Obdachlose in Wien. Das heißt, dass ich mehrere Tage pro Woche in oft vollen S-Bahnen in die Arbeit fahre. In eine Unterkunft, in der dutzende Menschen leben. Menschen, die man auch in leerstehenden Wohnungen, von denen es in Wien tausende gibt, unterbringen könnte. Oder in Hotels, die ebenfalls leerstehen. Das Corona-Management der Regierung macht mich wütend, das gilt für die österreichische Regierung genauso wie für Deutschland, wo ich bis vor einigen Monaten noch gelebt habe. Es macht mich wütend, weil es vor Allem darauf abzielt, die Lasten der Krise auf uns, auf die Arbeiter:innenklasse, auf die Selbstständigen und die Mittelschicht abzuladen, während die Reichen von der Krise sogar noch profitieren.
Ich will keine Zustände wie in London, wo Menschen in den Fluren von Krankenhäusern sterben, weil die Intensivstationen voll sind. Ich will nicht, dass sich immer weitere Mutationen des Virus ausbreiten. Die sozialen Kontakte einzuschränken um Covid in den Griff zu bekommen ergibt deshalb Sinn. Aber es wird zur Farce, wenn das Arbeitsleben in Bereichen, die nicht überlebensnotwendig sind, weiterläuft. Wenn sich Arbeiter:innen bei Konzernen wie Tönnies massenhaft anstecken, weil sie in Baracken leben und in Gemeinschaftsräumen schlafen. Deshalb habe ich vor einigen Tagen den Aufruf der Kampagne ZeroCovid unterschrieben, weil diese Kampagne fordert, was logisch ist: Den Shutdown der Wirtschaft, der notwendig ist, um Corona in den Griff zu bekommen. Ich habe unterschrieben, weil ZeroCovid sinnvolle Ideen hat, wie dieser Shutdown sozial abgefedert werden kann: Mit einer massiven Umverteilung des Wohlstandes von Oben nach Unten – europaweit. Und ich habe unterschrieben, weil in dem Aufruf Forderungen Platz finden, die von Pflegekräften schon lange gestellt werden.
Im letzten Jahr haben in Sachen Corona vor Allem liberale und rechte Akteur:innen die Diskussion und die Politik dominiert. Die einen beschränken unser Privatleben, sie machen das Individuum dafür verantwortlich ob Corona besiegt wird oder nicht. Sie lenken damit von systemischen Problemen ab. Die anderen leugnen Corona oder stellen sich gegen die Maßnahmen. Es gab mehrere kleinere Versuche, eine dritte Option greifbar zu machen, eine solidarische Krisenpolitik, die die Coronakrise zu einem Ausgangspunkt für den Aufbruch in eine gerechtere Gesellschaft macht. Nur wurden sie kaum gehört. Mit ZeroCovid ändert sich das. Der Aufruf der Kampagne wurde inzwischen von immerhin fast 100.000 Leuten unterzeichnet und weit mehr Menschen diskutieren darüber.
Es war absehbar dass Rechte und Liberale jetzt schreien: „Aber die Wirtschaft!“, es ist das selbe Geschrei, dass seit Jahrzehnten verhindert, dass der Klimawandeln effizient abgebremst wird. Ja, das Wirtschaftssystem wird sich massiv ändern müssen, wenn wir die Krisen dieser Zeit anpacken wollen.
Und jetzt? Los! Oder nicht? Das Problem an ZeroCovid ist, dass die Regierungen die Forderungen der Kampagne (Spoileralarm!) nicht einfach so umsetzen werden. Nicht weil die Forderungen zu krass sind, man hätte sie auch mutiger formulieren können, sondern weil es in der Politik nicht vor Allem um gute Ideen, sondern um materielle Interessen geht. Egal ob unter Merkel oder Kurz, egal ob unter einer großen Koalition, unter rot-grün, schwarz-blau oder unter welcher Farbkombination auch immer. Das Diktat der großen Konzerne bleibt das selbe und es befiehlt: Privatisieren, sparen, Gürtel enger schnallen!
ZeroCovid ist ein Programm, das mit linken sozial- und wirtschaftspolitischen Ideen um die Ecke kommt. Ein Programm, das den Sachzwängen der kapitalistischen Konkurrenz widerspricht.
Keine Regierung wird dieses Programm umsetzen.
Dennoch ist die Kampagne sinnvoll, denn sie stellt den dominierenden rechten und neoliberalen Erzählungen eine explizit linke entgegen. Selbstredent bleibt es aber notwendig, dass wir uns organisieren. Nur gemeinsam sind wir in der Lage unsere Forderungen auch gegen Widerstände von Oben durchzudrücken. Dafür brauchen wir Mut und starke Druckmittel. Wir brauchen eine kollektive Verweigerung. Wir brauchen einen Generalstreik. Nur der Generalstreik kann die Forderung nach einem Shutdown der Wirtschaft praktisch werden lassen. Wir müssen den Shutdown selbst organisieren.
In Italien planen Gewerkschaften bereits einen Generalstreik: Die Cobas, so werden in Italien die Basisgewerkschaften genannt, rufen für den 29. Januar landesweit dazu auf, die Arbeit zu boykottieren. Mit dem Streik fordern sie unter Anderem eine Vermögensabgabe von zehn Prozent für die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Mit den Milliarden die dadurch frei werden, sollen Arbeiter:innen, die von Kurzarbeit oder Entlassung betroffen sind, entlastet und das durch Privatisierung geschwächte Gesundheitssystem saniert werden. Das ist ein erster Ansatz der in eine richtige Richtung weist. Und Generalstreiks sind auch in Deutschland möglich, wie die Geschichte zeigt – Streikrecht hin oder her.
Was aber macht den Generalstreik so effizient? Der Generalstreik hat gegenüber Protesten und anderen Aktionsformen den Vorteil, dass er einen besonders wunden Punkt trifft: Die Wirtschaft. In einem System, das darauf angewiesen ist ständig zu produzieren, ständig Kapital zu akkumulieren und neue Märkzte zu erschließen, gleicht es einem Erdbeben, wenn auf einmal nichts mehr geht.
Ansatzweise klingt der Generalstreik bei ZeroCovid ohnehin schon an, wenn die Kampapgne schreibt: „Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen, den Einsatz von Beschäftigten für ihre Gesundheit zu unterstützen und die erforderliche große und gemeinsame Pause zu organisieren.“
Leider klammern sich die Gewerkschaften in Deutschland und Östereich und vielen anderen europäischen Ländern an den sozialpartnerschaftlichen Burgfrieden. Wollen wir den Generalstreik, müssen wir den Gewerkschaftsspitzen also Feuer unterm Arsch machen und dort, wo sie nicht mitziehen, oder die Menschen nicht von Gewerkschaften vertreten werden, Basisgewerkschaften und eigene Initiativen aufbauen. Und wir müssen den Streik breiter denken. Als gesellschaftlichen Aufbruch, der auch feministische, antirassistische und klimapolitische Ansätze mitdenkt. Denn streiken können nicht nur Männer mit Bauhelmen und Warnwesten. Feministische Bewegungen haben in den letzten Jahren in vielen Ländern Frauen- bzw. feministische Streiks organisiert, in denen Frauen* nicht nur die Lohnarbeit, sondern auch die Reproduktionsarbeit, also die Arbeit in den Privathaushalten bestreiken, um sich gegen Feminizide und patriarchale Gewalt im Allgemeinen zur Wehr zu setzen. Lernen können wir auch von den Schulstreiks von Fridays For Future und nicht zuletzt von den hunderten Millionen von Bauern und Arbeiter:innen in Indien, die in den vergangenen Monaten immer wieder das Land lahmgelegt haben um sich gegen die Liberalisierung der Agrarmärkte zu wehren.
Lasst uns also eine breite Diskussion darüber starten, wie das funktionieren könnte. Im „Privaten“, in den Schulen, in den Unis und den Betrieben. Lasst uns überlegen wie wir den Druck erhöhen können um die Forderungen nach einer solidarischen Coronapolitik durchzusetzen. Auch mit Blick auf den 8. März, den internationalen Frauenkampftag, an dem wieder feministische Streiks und Demos stattfinden werden. Und mit Blick darauf, dass die Wirtschaftskrise, die im Schatten Corona anrollt, kein Zuckerschlecken wird.
#Titelbild: Gemeinfrei via Pixabay
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