Die CDU gab sich einen neuen Vorsitzenden, es wurde nicht Blackrock-Dracula Merz und so kam es, wie es kommen musste: Die halbe linksliberale Hottake-Bubble ergoss zehntausende Liter analyseferne Peinlichkeiten ins Internet. Aus dem Durchschnitt stach einer hervor: Der bis dato völlig unbekannte SPD-Politiker Robin Mesarosch schleuderte einen Cringe-LKW Format Caterpillar ins Gesicht der Mitlesenden: „Ein Land, in dem ein Bergmannssohn gegen einen BlackRock-Millionär gewinnt, ist auch ein Land, in dem die SPD 158 Jahre lang genau dafür gekämpft hat.“
Jetzt könnte man die Standardeinwände bringen, die es eben so zu nennen gibt, wenn es um die SPD geht. Aber in seiner Unbedarftheit trifft der – Eigenbezeichnung – „Flüchtlingsenkel“ (Großeltern mussten 45 als Donauschwaben aus Ungarn raus) einen Punkt: In genau diesem Verständnis von „Arbeiterkind“ liegt eine Pointe des bürgerlichen Klassismusdiskurses*. Und tatsächlich ist es genau das, wofür die SPD „gekämpft“ und während Spartakus-Aufstand, Niederschlagung bayerische Räterepublik und später in der Weimarer Republik eine vorzeigbare Anzahl revolutionärer Arbeiter:innen ermordete.
Später als im Bereich des Antirassismus, Feminismus und der Queer-Bewegung, aber doch rasant, drängt im linksliberalen Flügel des bürgerlichen Diskurses das Label „Arbeiterkind“ auf den Markt der Selbstdarstellung. Unzählige SPD- und Grünenpolitiker:innen verwenden es als Kreuz-Bube im Diskursskat, die Antidiskriminierungsstellen von Bund und Ländern haben ein neues Steckenpferd und der eine oder andere Sohn seiner Klasse schreibt sich fleißig in die Herzen der Feuilletons.
Diese Art der „Klassismuskritik“ hat eine simple These: Die Mühsal des Proletariats liegt begründet in einer Reihe diskriminierender Ausschlussmechanismen, und die muss man beseitigen, um die „soziale Durchlässigkeit“ zu erhöhen. Es geht den Vertreter*innen dieser Ideologie darum, zu zeigen, wer es im Kapitalismus schaffen will, soll es auch schaffen können – und falls da Hindernisse sind, dann muss man die kritisieren. Am Ende der Erfolgsstory stehen dann „Idole“ wie Frank-Walter Steinmeier, Cem Özdemir, Bahn-Chef Rüdiger Grube oder eben Armin Laschet.
Nun hat diese Theorie ein Problem, denn sie will ja nicht den Kapitalismus abschaffen, sondern die „Diskriminierung“. In dieser diskriminierungsfreien Utopieform des Kapitalismus (gesetzt dem illusorischen Fall, das wäre zu erreichen) würde aber immer noch gelten: Es kann vielleicht jede:r schaffen, aber eben nicht alle zugleich. Der Kapitalismus braucht Ausgebeutete, Kapital kann ohne Proletariat ja schlecht akkumuliert werden. „Aufsteigen“ kann man im Kapitalismus zwar schon, aber nicht gemeinsam mit den anderen seiner Klasse, sondern nur auf deren Rücken und gegen sie. Das gilt für einen Cem Özdemir, der dem deutschen Staat fünfmal am Tag willfährig beweist, dass er keiner von denen da, von den Schmuddelmigrant:innen ist, genauso wie eben für einen Laschet, der ja auch nicht „aufgestiegen“ ist, um die polnischen Produktionsarbeiter vom Toennies-Regime zu befreien.
Soweit so trivial. Der bürgerliche Klassismusdiskurs hat aber noch einen zweiten Punkt. Dass es in den imperialistischen Nationen eine größere „soziale Durchlässigkeit“ gibt als in Mexiko, Südafrika oder Indien, hat – neben einer Reihe nationaler Gründe – einen systematischen, den schon die antikolonialen Tagungen der gegen die sozialdemokratische II. Internationale nach dem Ersten Weltkrieg neu gegründeten Kommunistischen Internationalen betonten. Lenin hat ihn oft beschworen, in der Formulierung der Leitsätze der Komintern heisst er: „Eine der Hauptursachen, die die revolutionäre Arbeiterbewegung in den entwickelten kapitalistischen Ländern erschweren, besteht darin, dass es dem Kapital dank dem Kolonialbesitz und den Surplusprofiten des Finanzkapitals usw. hier gelungen ist, eine verhältnismäßig breitere und standfestere Schicht der kleinen Minderheit der Arbeiteraristokratie auszuscheiden.“ Diese Schicht profitierte von „Krümeln“, die die jeweils nationale Bourgeoisie ihnen auf den Katzentisch zuwarf und sah sich demnach eher an „ihre“ Bourgeoisie gebunden als an das globale Proletariat. Sie wurde, logisch, zur Trägerin des „Sozialchauvinismus“, also der Mischung Standortpolitik, Nationalismus plus Klassenkompromiss, um es moderner zu sagen. Das Paradebeispiel für diese These war den Kommunist:innen damals und ist es bis heute die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, SPD.
Die Bedingung der Möglichkeit der „größeren sozialen Durchlässigkeit“ ist der in imperialistischen Nationen vorhandene Spielraum des Kapitals, sich eine Arbeiteraristokratie zu halten. Und der bürgerliche Klassismusdiskurs ist die bunte Begleitmusik zu diesem seit den 1970er-Jahren im Vergleich zu Komintern-Zeiten noch immens angewachsenen Befriedungsmodells. Wenn nun ein Sozialdemokrat sagt, genau dafür, dass der Bergarbeitersohn Laschet zum CDU-Chef aufsteigen kann, habe seine Partei gekämpft, liegt darin – auch wenn ers selber nicht versteht – sehr viel richtiges.
* ich schreibe hier absichtlich „bürgerlicher Klassismusdiskurs“ um zu sagen, dass es auch einen proletarischen geben kann, auch wenn ich die Mehrheit der Debattenbeiträge nicht so sehe
[LCM:] Klassismuskritik: Armin Laschet, Sohn seiner Klasse - Die Linke in ihrer ganzen Vielfalt 16. Januar 2021 - 19:01
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