Corona-Demonstrationen: Keine Chance, sondern Ausdruck neoliberaler Verrohung

10. Januar 2021

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Gastbeitrag

Von URA Dresden

Es gibt seit Jahren und besonders in Zeiten der Pandemie unfassbar viele Gründe, um wütend zu sein und auf die Straße zu gehen. Unter anderem gegen Ausbeutung, Menschenverachtung, die Klimakatastrophe, den rechten Rollback und die anhaltende Unterdrückung von Frauen* und Menschen, die nicht in das dichotome Weltbild der zwei Geschlechter passen. Gegen die tatsächliche, aufzeigbare und globale autoritäre Formierung und gleichzeitig für bezahlbares Wohnen, gute Löhne und Sozialleistungen, welche die Menschen nicht in die Armut treiben. Für die Kollektivierung von Infrastruktur und Produktionsmitteln, sowie für mehr Demokratie und Mitbestimmung für Alle, ebenso wie für eine der wohl aktuell wichtigsten Fragen: wer leidet denn eigentlich unter den wirtschaftlichen Folgen von Corona, wer Bezahlt am Ende dafür und wer profitiert einmal mehr?

Im Beitrag „Corona Demonstrationen: die Verpasste Gelegenheit“ macht Marik Ratoun eine streitbare Analyse über die sogenannten „Querdenker“ und formuliert den Vorwurf an eine deutschsprachige radikale Linke, die „Querdenker“ nicht als soziale und hersschaftskritische Bewegung anerkannt zu haben, welche allerdings von rechten Akteur*innen übernommen worden sei.:

Wir als Teil dieser radikalen Linken denken nicht, dass eine falsche Bewegungsanalyse der „Querdenker:innen“ dafür ausschlaggebend war, dass wir als Linke uns nicht in diese Bewegung eingemischt haben. Sondern vielmehr die Analyse der „Querdenker:innen“ und Covid-Leugner:innen so einen Schritt von Beginn an unmöglich gemacht hat:..

1. Nicht alles, was herrschaftskritisch daherkommt, ist es auch

Unserer Ansicht nach konnte von Anfang an kaum progressives Potenzial in den Reihen der „Corona-Rebell:innen“ gefunden werden. Die Bewegung kennzeichnet sich nicht dadurch, dass sie solidarisch ist und sich für die Ausgebeuteten, Unterdrückten oder die rassistisch und sexistisch Ausgegrenzten in diesen besonders schweren Zeiten einsetzt.

Dabei gibt es viel zu kritisieren:Beispielsweise an den neun Milliarden Euro staatlicher Geschenke an Lufthansa, während trotzdem hunderte Jobs gestrichen werden. Oder daran, dass der Einzelhandel oder der Kunst- und Kulturbetrieb in große Schwierigkeiten geraten bzw. vermeintlich „systemrelevante Jobs“, wie Kranknepfleger:innen keine Lohnerhöhungen oder Risikozahlungen bekommen, sondern einzig Beifall vom Balkon und ein dickes Dankeschön der Regierung.

Die Querdenker:innen in Stuttgart, Leipzig, Dresden und woanders, meckerten jedoch über die störende Maske beim shoppen oder eine nicht existente „Impfpflicht“ und forderten schlicht die Rücknahme aller Corona-Schutzmaßnahmen. Zusätzlich verbreiteten sie Fake-News und (antisemitische) Verschwörungserzählungen. Ihnen geht es in erster Linie um sich selbst und den Erhalt ihrer Privilegien, und eben nicht um eine gesellschaftliche Veränderung im sozialen Sinn. Denn wirtschaftliche Konsequenzen und Folgen für unterprivilegierte Teile der Bevölkerung stehen nicht auf der Anklagebank, sondern lediglich die ganz persönlichen Einschränkungen und eine vermeintliche geheime Weltregierung mit Bill Gates an der Spitze.

Der Vergleich mit Frankreich ist unserer Meinung nach eine Beleidigung der Gelbwestenbewegung. Dort stand von Anfang an auf der Agenda, dass der Staat die Kosten der Krise durch neoliberale Maßnahmen auf die Schultern der mittleren bis unteren Schichten verteilt (wie auch in der Corona-Pandemie), anstatt diejenigen zu belasten, die durch den jahrzentelangen Abbau des Sozialstaats und der neoliberalen Politik profitierten und das auch künftig tun werden. Ziel der Proteste war es, der Regierung zu zeigen, dass diese unfaire Verteilungspolitik enden muss und es soziale Lösungen braucht, welche die Reichen stärker belasten als die Armen.

Dagegen sehen wir die Querdenker:innen als Spitze einer neoliberalen Verrohung, wie wir sie unter anderem in den USA und in vielen anderen Teilen der Welt beobachten können. Getrieben vonEgoismus und gespeist von Verschwörungsmythen, geht es ihnen darum, sich der gegenseitigen Rücksichtnahme und Solidarität zu entziehen. Die Verteidigung der eigenen Privilegien ist der einzige Maßstab und anstatt eine Umverteilung gesellschaftlichen Wohlstands von oben nach unten zu fordern, schüren sie Ressentiments, welche die Schwächsten unserer Gesellschaft treffen.

2. Teil einer (neu)rechten Strategie

Verschwörungserzählungen und -Mythen sind schon lange Teil rechter Strategien. Das Ganze hat Tradition von der „jüdischen-bolschewistischen Weltverschwörung“ bis zum „großen Autausch“. Von Beginn an konnten Rechte und Verschwörungstheoretiker:innen die ideologische Stoßrichtung der „Querdenken-Proteste“ festlegen und damit sogar teilweise Menschen erreichen, die vorher nicht zu ihrem Mobiliserungspotenzial zählten.

Des Weiteren kommt dazu, dass die verschwörungsideologische Szene nahezu resistent gegen jede Intervention von außen ist. Nur noch „alternative Medien“ zählen und alle anderen Diskussionsgrundlagen werden als Lügen abgetan. Es wird damit schwer für uns, vernunft- und faktenbasierte Diskussionen und Erklärungen zu nutzen und damit Gehör zu finden Denn mit Hilfe einer Strategie der Wirklichkeitskontruktion kann bei Ihnen alles gerechtfertigt und behauptet werden. Gemeinsame Standpunkte und Inhalte sind schwer zu finden, was wir nach wie vor an den unfassbar schwammigen Inhalten dieser Bewegung sehen.

Die radikale Linke sollte sich diesen entgrenzten Populismus als Strategie nicht zu eigen machen.

Den Versuch, in die Querdenken-Bewegung hineinzugehen und deren Anhänger:innen grundlegend von einer anderen Weltsicht und anderen Zielen zu überzeugen, hätten wir daher als sehr engagiert wahrgenommen. Die Spucke für Diskussionen mit Menschen, die für jegliche Ansätze jenseits ihrer verschwörungsideoligischen Weltbilder völlig unempfänglich sind, können wir uns lieber sparen.

Stattdessen wäre es sinnvoll gewesen, parallel und in Abgrenzung zu den Querdenker:innen, eigene Kritikpunkte stark zu machen, um die Protesthegemonie gegen die Corona-Politik nicht Rechten und Verschwörungsanhänger:innen zu überlassen, sondern tatsächlich progressive und soziale Kämpfe stark zu machen. Dadurch wäre eine alternative Protestmöglichkeit geboten, für Menschen, die aus guten Gründen gegen die Pandmiepolitik der Regierung sind, aber nicht mit Rechten von AfD bis NSU-Unterstützerumfeld demonstrieren wollen..

Dies sind die zwei inhaltlichen Punkte des ursprünglichen Artikels, denen wir gern eine andere Perspektive gegenüberstellen wollen. Ausdrücklich anschließen möchten wir uns hingegen der Aussage des Autors, dass der Staat oder gar der kapitalistische Mainstream kein Bollwerk gegen den Faschismus sein kann. Wer sich zu sehr auf diesen verlässt, ist weiterhin verlassen.

So sehen wir auch die Kommentare infolge der verbotenen Querdenken-Demonstration am 12.12. in Dresden kritisch, welche aus den Lobgesängen für „das konsquente Verhalten der Polizei“ nicht mehr herauskommen und im Staat das Heilmittel gegen den schwarz-weiß-roten Corona-Maßnahmen-Protest beschreien und herbeisehnen. Offenbar sind die Bilder aus Leipzig wenige Wochen zuvor schnell vergessen worden.

Wir stimmen dem Autor darin zu, dass die radikale Linke an sich auch stärker in undurchsichtigen Situationen intervenieren sollte und an einer Kapitalismus- und herrschaftskritischen Linie festhalten muss. Wir müssen uns daran gewöhnen, uns im diskursiven Handgemenge auch mal die Finger schmutzig zu machen, wenn wir aus der eigenen Bubble rauswollen und nicht jedes Aufbegehren direkt zu verschreien. Doch dürfen wir auch nicht hinter unsere emanzipatorischen Mindeststandarts fallen, sondern sollten genau beobachten, wo tatsächlich progressive Potenziale erkennbar sind und wo nicht. Bei den Querdenker:innen fehlt uns dieses Potential leider.

Doch müssen wir die Kritik annehmen, keine gute Alternative angeboten zu haben, die es geschafft hat, mehr als die sowieso schon von linken Ideen Überzeugten zu erreichen. Dies wurde zwar versucht durch Forderungskataloge, die guten Aktionen gegen Tönnies oder durch das Aufzeigen der menschenverachtenden Politik an Europas Außengrenzen. Doch leider waren diese, wie so oft, nicht mit dem nötigen Erfolg verbunden.

In den letzten Jahren mussten wir oft feststellen, dass es eine radikale Linke aus eigener Kraft nicht schafft, breite Bewegungen anzustoßen. Den verzweifelten Wunsch, jeden Strohhalm als möglichen Rettungsring zu sehen, können wir nachvollziehen, doch sehen wir es als notwendige Bedingung, im Vorhinein genau hinzuschauen, ob es Anknüpfungspunkte für uns gibt und progressive Potenziale zu erkennen sind.

3. Widerstand gegen die Querdenker:innen als Chance aka überholen ohne einzuholen

Wir sind der Meinung, dass wir den Kampf gegen das neoliberale Krisenmanagement mit dem Widerstand gegen die Covid-Leugner:innen, Verschwörungs-Anhänger:innen und regressive Kräfte innerhalb der Proteste vereinen müssen. Denn diese sind ebenso wenig an grundlegenden und sozialen Lösungen interessiert, wie es die Regierung ist. Denn das Corona-Virus ist nicht nur eine Grippe. Es beinhaltet: schwere Krankheit bis zum Tod, Insolvenz der Kulturbranche, Kürzungen im sozialen Bereich – während gleichzeitig zwangsmäßige Corona-Partys in Fabriken und Betrieben stattfinden – soziale Isolation, eine krasse Zunahme häuslicher Gewalt, das weitere abhängen ohnehin schon abgehängter und prekarisierter Kinder, die Überlastung des medizinischen und gesundheitlichen Sektors und eine zunehmende Ungleichverteilung des Reichtums und materieller Güter. Wie Eingangs erwähnt, sind dies genug Gründe, um sauer zu sein, die Regierung und deren Maßnahmen zu verurteilen. Wir müssen aber klar machen, dass sowohl die Leugner:innen, als auch die verpatzte Sozialpolitik der Regierenden zwei Seiten ein und derselben Medaille sind. Die Wut über die Folgen der Corona-Krise kann eine Chance bieten, eine wirkliche soziale Bewegung ins Leben zu rufen, die intersektionale Kämpfe verbindet. Eine Bewegung, die für Solidarität steht, anstatt für Egoismus und damit einen grundlegenden Fehler der kapitalistischen Verwertungslogik, Profite über Menschenleben zustellen, zu überwinden sucht.

Diese Chance ist noch lange nicht verpasst, da vor allem die sozialen und ökonomischen Folgen dieser Pandemie nicht absehbar sind, aber schon jetzt klar ist, dass wir, und nicht die Krisenprofiteure die Zeche zahlen müssen – den Fehler nicht in diese Konflikte zu intervinieren sollten wir nicht noch einmal machen.

# Titelbild: Nutshell Fotografie, CC BY-NC 2.0, Corona-Leugner*innen im Mauerpark am 02.08.2020

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5 Kommentare

    Maulwuerfe 11. Januar 2021 - 9:17

    […] lowerclassmag.com… vom 11. Januar […]

    toolatetowait 12. Januar 2021 - 13:35

    Empfinde die Debatte ein bisschen als Henne-Ei-Streit. Wenn wir als Linke nicht aktiv und alltäglich auf die Menschen der Arbeiter*innenklasse zugehen (in Betrieben, in Nachbarschaften, auf dem Land), Beziehungen zu ihnen aufbauen, uns solidarisch mit ihnen gegen die Zumutungen dieses Systems wehren und dabei alternative linke Ideen und Strukturen entwickeln und verbreiten, ist es nur logisch, dass sich eine individualistische, reaktionäre Mentalität breit macht und Menschen sich verkürzter Erklärungsmuster für ihre Probleme bedienen.
    Wenn wir als Bedingung voraussetzen, dass die herrschaftskritischen Impulse von Massenbewegungen bereits unseren antirassistischen, feministischen und antikapitalistischen Maßstäben entsprechen, bevor wir sie als potentielle Mitstreiter*innen im Kampf wahrnehmen und behandeln, dann werden wir nie in der Lage sein eine wirkmächtige progressive Kraft aufzubauen.

    Ich stimme den Konsequenzen, die der Artikel zieht jedoch grundsätzlich zu: Wir müssen zum jetzigen Zeitpunkt unser eigenes kritisches Narrativ bzgl. der Corona-Politik öffentlich stärken. Würde nur ergänzen, dass wir uns im Alltag stärker „die Hände schmutzig machen sollten“, indem wir den Kontakt zu den degenerierten Teilen der Arbeiter*innenklasse suchen, statt ihn durch moralische Abgrenzung zu meiden. Die „neoliberale Verrohung“ ist nicht nur die Folge der neoliberalen Hegemonie, sondern sie ist genauso die Folge unseres eignenen Scheiterns, und dem Mangel an der Vermittlung emanzipatorischer Alternativen durch linksradikale Kräfte.

    Hans-Karl 13. Januar 2021 - 1:18

    Doper Text, wegen Antwort von Links wenn euch die verteilungsfrage intressiert schaut mal bei „Wer hat der gibt“ vorbei, das kann man sicher unterstützen und die Peoplez freuen sich bestimmt über support. Je mehr des so geiler. Schöne grüße nach Dresden ?

    […] Chance, sondern Ausdruck neoliberaler Verrohung, in: Lower Class Magazine, 10.01.2021, online: https://lowerclassmag.com/2021/01/10/corona-demonstrationen-keine-chance-sondern-ausdruck-neoliberal… aufgerufen am […]