„Corona? Ich kann das nicht so schrecklich finden! Der Tod eines Menschen: das ist eine Katastrophe. Hunderttausend Tote: das ist eine Statistik!“ Diese Umdichtung von Tucholskys „Französischem Witz“ fasst die Attitüde der Bundesregierung zur Coronakrise ganz treffend zusammen. Die bis jetzt mehr als 24.000 Toten allein in Deutschland waren ein einkalkuliertes Opfer, das zu bringen war, um die kapitalistische Wirtschaft am Laufen zu halten.
Von wegen Gesundheitsschutz
Die öffentlichen Erklärungen sind selbstverständlich andere: „Wir sind zum Handeln gezwungen“, so Angela Merkel (CDU) nachdem vergangenen Freitag mehr als 600 Menschen an einem Tag an Corona gestorben waren. „Letztendlich bleibt der Maßstab der Gesundheitsschutz“, so Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Wirklich? Die Toten der Wochen davor waren kein Grund zu Handeln? Oder die Warnungen von verschiedensten Wissenschaftler:innen der letzten Monate?
Die unerträglichen Folgen dieser Politik zeigen sich nicht nur in den Todeszahlen, die unter ferner liefen den Grundton der täglichen Berichterstattung bilden. Vor allem die Gesundheitsarbeiter:innen, die nach Jahrzehnten neoliberaler Austeritäts- und Privatisierungspolitik sowieso schon unter katastrophalen Arbeitsbedingungen zu leiden hatten, tragen die Folgen der Krise. Beschäftigte in Pflegeheimen und Krankenhäusern haben ein sieben Mal höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Ihre Hilfeschreie sind wohl unter dem Lärm des ganzen Applauses untergegangen.
Der Gesundheitsschutz war während der ganzen Pandemie nur nachrangig, das wichtigste war und ist, dass möglichst viele Menschen weiter arbeiten gehen und die irre Selbstmordsekte Kapitalismus am Laufen halten. Allein die Ausrichtung der Maßnahmen nach der verfügbaren Zahl der Intensivbetten kalkulierte das massenhafte Sterben von Menschen mit ein. Aber auch im seit gestern geltenden „harten Lockdown“ zeigt sich diese Menschenverachtung: Ausgangssperren in Sachsen und Baden-Württemberg, Aufenthalts- und Versammlungsverbote bundesweit, private Treffen sind auf ein Minimum zu reduzieren. Der einzige Bereich der nicht reguliert wird: der Arbeitsplatz, wo wir die Profite für die Kapitalist:innen erschuften. Und während einfach immer weitergearbeitet werden soll, schließen Kitas und Schulen. Eltern (vor allem Frauen*) sollen dann alles gleichzeitig machen: Arbeiten gehen, Kinder betreuen, den Haushalt schmeißen und dabei natürlich nicht das Konsumieren vergessen – online bei amazon versteht sich. Unternehmer:innen hingegen werden lediglich nett gebeten, Betriebsferien auszurufen oder Homeoffice zu ermöglichen, während der Rest des gesellschaftlichen Lebens von der Polizei kontrolliert und Zuwiderhandlungen hart sanktioniert werden. Die Frage, ob man sich nicht auch am Arbeitsplatz mit der tödlichen Seuche anstecken kann, stellt dabei niemand.
Gleichzeitig steigen die Vermögen trotz Corona-Krise weiter , haben 40 Prozent der Bevölkerung Einkommenseinbußen, von den geschätzt 500.000 sowieso illegalisierten in Deutschland ganz zu schweigen. Während Arbeiter:innen in Kurzarbeit gehen, schütten sich die Aktionäre großzügig Dividenden aus – dieses Jahr voraussichtlich über 37 Milliarden Euro allein aus DAX-Unternehmen. Und die so gebeutelten Unternehmer:innen können Hilfen von läppischen 500.000 € pro Unternehmen und Monat klar machen. Für den Rest bleibt Hartz IV. Alles zum Wohle „der Wirtschaft“ – oder anders formuliert: der besitzenden Klasse.
Die Schuldfrage
Diese zynische Politk des Sterbenlassens kann natürlich nicht eingestanden werden. Deswegen wird, wie beim Klimaschutz, die Verantwortung für die grassierende Epidemie ins private verlagert. Wenn die Frage im Raum steht, wer an der fortlaufenden Verbreitung des Virus Schuld hat, ist der anklagende Zeigefinger schnell ausgestreckt: Die jungen, rücksichtlosen Leute, die feiern wollen; die Demonstrant:innen auf den Black Lives Matter Demonstrationen; die arabischen Großfamilien in Neukölln und ihre ach so großen Hochzeiten; die Gastronomie; und jetzt, ganz aktuell, die unverfrorenen Glühweintrinker:innen. Oder wie es im WDR heißt: „Die Menschen haben sich nicht genügend an die Appelle von Politik und Wissenschaft gehalten.“
Im neoliberal verstellten Blick auf die Welt werden gesellschaftliche Zusammenhänge, wie der Zwang zur Arbeit, der Zwang sich den mörderischen Vorgaben in Betrieben zu beugen weder erkannt noch thematisiert. Statt den staatlich orchestrierten Zerfall der Sozialstrukturen zugunsten der Profitmaximierung in den Blick zu nehmen, wird die Schuld den Einzelnen in die Schuhe geschoben. Soll heißen: Schuld an der Misere haben weder die Regierung, noch die viel zu engen Arbeitsbedingungen, zum Beispiel in den Fleischfabriken, sondern die Arbeiter:innen, die sich erdreisten, nach der Maloche dort noch ihre Oma zu besuchen. Dieser Blick auf die vermeintlichen Ursachen der Pandemie kennt dann eben auch nur die neoliberale, vereinzelnde Antwort, die wir jetzt gerade sehen: Zuckerbrot für die Kapitalist:innen, die autoritäre Peitsche für den Rest. Neoliberale Ideologie und staatlicher Autoritarismus gehen schließlich gerne auch mal Hand in Hand.
Die Coronakrise offenbart einmal mehr, wie verkommen und menschenfeindlich dieses Gesellschaftsmodell ist. Die Maschine muss weiterlaufen und weiter Profite aus den Arbeiter:innen pressen, im Krankenhaus, am Band, im Einzelhandel; dafür sind ein paar Coronatote schon ok. Und wenn‘s dann gar nicht mehr geht, werden eben die Büttel des Staates auf die Leute losgelassen – it‘s the economy, stupid.
Peer L. 17. Dezember 2020 - 23:15
Zum Glück unterstützt seit neuestem (?) das Gros der Linken mit der Transatlantifa Kapital und reaktionären Staat und spielt das Schelmenstück mit…unfähig auch nur nach 9 Monaten auf den Trichter zu kommen….ach.
Die Freie Linke hingegen ist noch gegen Kapitalismus und gegen den Wahnsinn, den der reaktionäre Staat hier gegen alle durchdrückt:
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