Vom Weltkrieg zum Kampf um Sowjet-Deutschland – William A. Pelz´ „A History of the German Revolution“

10. November 2020

Der frühere Direktor des Institute of Working Class History in Chicago, William A. Pelz, hat kurz vor seinem Tod ein englischsprachiges Manuskript zur Analyse der oft fast vergessenen Deutschen Revolution von 1918/1919 verfasst, welches 2018 bei Pluto Press unter dem Titel A People‘s History of the German Revolution herausgegeben wurde. Der Historiker untersucht die bewegenden Kriegsjahre 1914 bis 1918, die kleineren und größeren Aufstände und Streiks von gewöhnlichen Arbeiter_innen an der Front und zuhause, die zur Beendigung des Ersten Weltkrieges signifikant beitrugen, sowie die Ergebnisse des Jahres 1918, welche die Novemberrevolution in Teilen der deutschsprachigen Gebiete einläutete.

William A. Pelz, (1951-2017) war Geschichtsprofessor am Elgin Community College. In anschaulicher Weise erzählt Pelz auf knappen 180 Seiten anhand von Stimmen von Zeitzeug_innen, primär aus der Arbeiterklasse, wie sich die Ereignisse zutrugen und wer die treibenden Kräfte der Kämpfe zur Beedigung des Krieges und zum Aufbau von Sowjet-Gegenmacht waren.

Er beleuchtet dabei die weit verbreitete Arbeiterkultur, welche von der damaligen Sozialdemokratischen Partei (SPD) um die Jahrhundertwende offensiv aufgebaut worden war. In der SPD waren damals alle Sozialist_innen organsiert – reformorientierte sowie revolutionäre. Erst im Gefolge der 1914 bewilligten Kriegkredite und damit der Unterstützung des imperialistischen Krieges, kommt es um die Fraktion von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zur Spaltung. Zu dieser Zeit konnten Arbeiterfamilien ihre Einkäufe in einer sozialistischen Kooperative tätigen, sich Bücher aus der sozialdemokratischen Bücherei ausleihen, sich in einem Arbeitersportverein körperlich betätigen, in einem Arbeiterchor mit anderen Genoss:innen singen und vieles mehr. Diese Arbeiter-Gegenkultur entpuppte sich im Laufe der Kriegsjahre als zentral für die Verbreitung subversiver Pamphlete und der breiteren Organisierung gegen den Krieg und für eine deutsche Sowjetrepublik.

Mit viel Liebe zum Detail schildert Pelz, wie zum Beispiel eine junge Näherin ihrem Vater beim Schmuggeln von verbotener Literatur half und dann ein ganzes Jahr lang die gesamte Familie Marx‘ „Kapital“ laut las und bei der Heimarbeit diskutierte. Auch zeichnet Pelz eine kritische Geschichte der Massen in Deutschland bei Kriegsausbruch: Die in den Geschichtsbüchern viel zitierte Kriegsdemonstration von 50.000 in Berlin am 1. August 1914 stellt er den wenige Tage zuvor stattfindenden Anti-Kriegs-Demonstrationen mit bis zu 200.000 Teilnehmenden gegenüber. Im July 1914 sollen nach seriösen Quellen bis zu 1 000 000 in ganz Deutschland gegen den Krieg protestiert haben.

Pelz wird nicht müde, die elementare Führung der Frauen und der Jugend darzulegen: während der Großteil der Männer an die Front bestellt wurde, waren es die Frauen die Heim und Arbeit schmissen – sie waren diejenigen, die die Kinder groß zogen, draußen, in oft vor dem Krieg als rein ‚männlich‘ besetzten Industrien wie der Metallindustrie, Geld verdienen gingen, zu Hause gleichzeitig den Haushalt bewältigten und durch die ganze Stadt jagten, um etwas Essbares zu finden. Frauen waren die ersten, die bei Hungerprotesten Läden einrannten und alles Essbare einpackten. Frauen waren auch oft die Vorreiterinnen, die streikend die Beendigung des Krieges forderten. Diese Dynamiken beschreibt auch Dania Alasti fesselnd in Frauen der Novemberrevolution. Kontinuitäten des Vergessens, welches ebenfalls 2018 erschienen ist.

Pelz ermöglicht der Leserin verschiedene Einblicke in den Alltag und die alltäglichen Kämpfe der Arbeiterklasse während der Kriegsjahre – und weist auf die Radikalisierung der Frauen und der Jugend 1918 hin. Er begnügt sich aber nicht nur mit den Geschehnissen an der Heimatfront, sondern beleuchtet auch die Desillusionierung der deutschen Soldaten an der Kriegsfront. Aus Memoiren und Briefen rekonstruiert er ein Bild von teils sehr früh schon Befehle verweigernden Soldaten und glühenden Nationalisten, die im Zuge der Kämpfe mehr und mehr verstehen, dass dies nicht ihr Krieg, sondern lediglich der Krieg der Herrschenden ist. Diverse komisch anmutende Anekdoten über Fraternisierung von deutschen, französisch-algerischen und britischen Soldaten im Grabenkampf, zeigen ein komplexeres Bild der Alltäglichkeit im Krieg, wo sich Arbeiter und Arbeiter gegenüberstehen.

Die Monate und Tage der Novemberrevolution selbst lesen sich wie ein Krimi – die Euphorie der Massen, der Aufbau demokratischer Sowjetstrukturen, der Räte in Städten wie Kiel, Bremen, Hamburg, Berlin und München, die taktischen und strategischen Fehler der sich von der SPD abgespaltenen USPD und der neu gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands, sowie der letzendliche Verrat der SPD lassen mitfiebern und mitzittern, obwohl man das Ende der Geschichte bereits kennt.

Es sind vor allem die vielen Zitate einfacher Arbeiter:innen, die diese Erzählung so spannend und auch so emotional machen. Eine schöne, klassenkämpferische Einführung über ein, auch in Deutschland, wenig diskutiertes Kapitel unserer Widerstandsgeschichte.

Pelz, William A. (2018): A People‘s History of the German Revolution. Pluto Press- London, 180 Seiten, £16.99.

#Titelbild: wikimedia.commons

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2 Kommentare

    […] Bei­trag Vom Welt­krieg zum Kampf um Sowjet-Deutsch­land – Wil­liam A. Pelz´ „Histo­ry of the Ger­m… erschien zuerst auf Lower Class […]

    Danke 12. November 2020 - 11:36

    für den Tipp!

    Hallo allerseits,

    diesen Kanal gründe ich um Linke aller Couleur wie religiöse Sozialisten oder humanistische Freigeister zu versammeln und um eine linke Perspektive auf die autoritäre (bis protofaschistische) Wende in Deutschland und der Welt mit Ihnen/Euch zu entwickeln, entsprechende Links zu teilen, vor allem aber um der gefühlten „Heimatlosigkeit“ von linken Kritikern der Notstandsmaßnahmen entgegen zu wirken, deren Organisationen oft den Regierungskurs und die Interessen der Herrschenden stützen (statt zu stürzen).

    Über Teilnahme würde ich mich sehr freuen. Ich gehöre keiner politischen Organisation an, bin aber dezidierter freier und selbstdenkender Linker, offen für verschiedene Meinungen und kann auch mit Andersdenkenden human und respektvoll umgehen.

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