Verschwörungstheorien: „Wer andere als doof überführen kann, gilt ja als schlau.“

27. August 2020

Autor*in

Lea Matika

Mit dem Text „Die beste Entschwörung ist Klassenkampf“ vom Mai 2020, übt Daniel Kulla lieber Ideologiekritik und gibt Impulse für die Aushebelung des Konkurrenzverhältnisses durch Klassenkampf – auch mit dem Mittel der Verschwörung. Das Interview knüpft an diesen und den Text „Blame the Game – Das System ist keine Verschwörung“ des Roten Aufbau Hamburg an. Lea Matika in einem Interview mit Daniel Kulla über Fehler im (nicht nur antisemitischen) Verschwörungsdiskurs, (innerlinke) Konkurrenzverhältnisse und den vergessenen Klassenkampf.

Du sprichst in deinem Text von „der Hufeisenbastelei“ der Linken. Wo liegen die konkreten Fehler im linken Umgang mit Verschwörungstheorien und -theoretikern?

Der Mainstreamdiskurs versucht, das Thema so einzugrenzen, als gäbe es auf der einen Seite die FDGO und auf der anderen das Aluhut-Universum. So werden die Zusammenhänge mit den alltagsideologischen Auffassungen verwischt. Der Fehler beginnt da, wo Linke dieses Mainstream-Ding mitmachen. Wo sie einerseits meinen, sich bekennen zu müssen, dieser Verblendung nicht aufgesessen zu sein und sich andererseits aktiv am Pathologisierungsdiskurs beteiligen. Die Frage, warum Linke so anfällig für „Verschwörungstheorien“ seien, ist ja schon falsch gestellt. Nicht, dass es das gar nicht gäbe, aber im Grunde kam das gerade zuletzt überwiegend von rechts bzw. aus dem liberalkonservativen Spektrum. Warum also sich selbst bezichtigen? Man kann darüber reden, wo Anschlüsse passieren, klar.

Das grundsätzliche Problem ist doch aber dort, wo die Linke als Teil des Konkurrenzbetriebs auch zu sich selbst in Konkurrenz tritt. Und wo sie aufhört zu fragen, was stimmt und was getan werden kann, sondern wo es nur darum geht, die anderen zu widerlegen und sich daran abzuarbeiten, damit man kurzzeitig mal gewinnt. Dazu eignet sich auch der Verschwörungsdikurs. Es wäre schön, über diese Dinge hinauszukommen –was nicht heißen soll, alle Gräben zuzuschütten, und nichts mehr auszutragen, im Gegenteil. Aber diese Abgrenzungs- und Bezichtigungstendenzen stehen dem im Weg. Und diese Luxustrategie kann sich die Linke gar nicht leisten.

Es ist zu forschen, wo das herkommt und was getan werden kann, wie tief das sitzt, wie viele das betrifft und wo die Übergänge sind, und es nicht bei solchen Säuberungsmomenten zu belassen, wie jemanden aus seiner Freundesliste zu löschen. Das geht manchmal nicht anders, aber es ist weniger ein Grund zu triumphieren, es ist eher traurig, dass man nicht mehr zusammenkommt.

Welche Funktion haben denn Verschwörungstheorien, speziell auch in der Krise, die ja keineswegs ein temporärer Ausnahmezustand ist, die einem friedlichen Normalzustand gegenüber steht, sondern bestehende Ungerechtigkeit und Ungleichheit verschärft?

In meinem Vortrag zum Thema habe ich aufgehört zu viel vorauszusetzen, da eine Vermittlung dieser Grundlagen kaum stattfindet. Auch in der Konkurrenzpraxis der Linken will niemand zugeben, Dinge nicht zu wissen, und so wird aufgehört, darüber zu reden. Also fange ich auch ganz grundsätzlich an: Was ist Ideologie und warum gibt es die überhaupt? Warum glauben Menschen Dinge, die nicht stimmen? Was haben sie davon?

Das hat grundsätzlich mit Herrschaft zu tun, dem großen Widerspruch in der Welt; etwas, das sich von Anfang an legitimieren muss, weil Menschen eigentlich Herrschaft nicht brauchen. Ideologie ist die Erzählung von Herrschaft über sich selbst, mit der sie versucht sich zu legitimieren. Und da fungiert als Haupterzählung, dass diese Herrschaft nicht so schlimm sei wie die anderen. Im modernen Diskurs haben wir die kapitalistischen Nationalstaaten, die sich in dieser Form vergleichen. Untereinander und natürlich auch mit verschiedenen historischen Herrschaften, die irgendwann schon mal falsch waren und denen man jetzt überlegen ist.

Diese Normalerzählung ist stets am Wirken. Die Menschen, die beherrscht und ausgebeutet werden, übersetzen das für sich und befinden sich ja auch in einer ähnlichen Konkurrenz, nämlich in Statuskonkurrenz und eben der ökonomischen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Da bedarf es einer Fremdabwertung, um sich aufzuwerten. Wer andere als doof überführen kann, gilt ja als schlau.

Diese Erzählung kriegt ständig Risse und geht nicht mehr auf für die Leute, weil Krise ist oder die sich mal wieder verschärft. Auch auf der individuellen Ebene macht sich das bei den Leuten bemerkbar, wenn der Deal mit dem Idealstaat nicht mehr aufgeht und man denkt: „Na, ob ich meine Rente wirklich noch kriege?“. Wenn ich nun an dieser Stelle Herrschaft nicht infrage stelle und mich mit anderen gegen sie zusammentue, dann gibt es den Impuls, den Realstaat an diese Idealstaatsvorstellung anzupassen. Notfalls gewaltsam: Also die Vorfahrt für die „Tüchtigen“ wieder durchzusetzen.

Man repariert also den Riss im eigenen Weltbild bzw. der ideologischen Haupterzählung. Dafür ist die Unterstellung einer übermächtigen Verschwörung einfach das allerbeste Mittel, also quasi der Joker. Eine Instanz, die alles kann, alles weiß, wunderbare Fähigkeiten besitzt, und eine optimale Projektionsfläche für alle möglichen Zuschreibungen bietet. Die Leute damit überführen zu wollen, dass das verrückt ist, geht voll daran vorbei. Das ist ja gerade die Leistung, keine eigene Ideologie sondern Reparaturprogramm für sie zu sein; eine wunderbare Erklärung für das Unverständliche. Und in dem Moment, wo sich jemand selbst davon überzeugen kann, stehen die Chancen nicht schlecht, dass andere das ähnlich sehen und übernehmen. Zusätzlich kann sich als Mahner und potentieller Retter der Noch-Nicht-Geretteten inszeniert werden, was Status verspricht oder auch reales Einkommen generieren kann.

Wie passen die vorherrschenden antisemitischen Denkmuster im Verschwörungsdiskurs mit einer Selbstinszenierung als ‚die neuen Juden‘ zusammen, wie man es bei Corona-Verschwörungsgläubigen sehen konnte, die sich Davidsterne mit der Aufschrift ‚ungeimpft‘ anheften?

Auf Deutschland bezogen gehe ich davon aus, dass ein Großteil dieses Verschwörungsdiskurses antisemitisch funktioniert – es ist aber nicht zwangsläufig so. Bis der moderne Antisemitismus entstanden ist, funktionierte der Weltverschwörungsdiskurs fast hundert Jahre ohne spezifische Rolle für die Juden. Da wird manchmal eine gedankliche Abkürzung gemacht, dass das beides in eins fallen würde. Der moderne Antisemitismus kommt ohne Verschwörungserzählung nicht aus, aber umgekehrt stimmt das nicht wirklich.

Diese Mustererkennungsgeschichte die dann anläuft, nach dem Motto „Oh guck, eine Krake! – das muss Antisemitismus sein!“, greift unter Umständen daneben. Wie lässt sich denn Herrschaft durch Institutionen, deren Macht in mehrere Länder reinreicht wie z.B. die EU, sonst darstellen? Das ist trotzdem als Hinweis ernst zu nehmen, aber wie argumentieren die Leute denn sonst, die so etwas benutzen? Man kann die ja erstmal warnen, was sie da möglicherweise mit transportieren, statt „Ertappt!“ zu schreien. Da wird es sich teilweise zu einfach gemacht.

Die Selbstinszenierung als die „neuen Juden“ ist teilweise auch so ein Joker im Diskurs. Denn das ist etabliert als das Schlimmste, was irgendwann mal passiert ist – und wenn ich mich maximal selbst viktimisieren will, ist das halt erste Wahl. Viele sind natürlich schon antisemitisch motiviert. Aber ob jetzt alle Leute, die damit rumlaufen, diesem Diskurs so aufsitzen, wäre erstmal zu prüfen. Dass es darauf oft hinausläuft und auch immer wieder diese mörderische Konsequenz hat, ist unbestritten, aber analytisch war mir das manchmal zu bequem, da es nicht die Grundlagen angreift, sondern eher wieder auf diese Abgrenzung und Selbstaufwertung durch Expertentum aus ist – und das macht meiner Meinung nach die Waffe stumpf. Ideologiekritik sollte einfach treffen, sonst verspielt sie ihre Glaubwürdigkeit.

Hast du noch was anzumerken?

Ich würd gern was zum Text des Roten Aufbau Hamburg sagen. Darin heißt es, Kapitalismus sei keine Verschwörung – und das stimmt natürlich. Der kapitalistische Normalbetrieb findet in aller Öffentlichkeit statt und ist nicht verborgen. Aber: Zu seiner Aufrechterhaltung und Ausweitung werden ständig Verschwörungen gebildet. Es ist unter Herrschaftsbedingungen normal, dass es Verschwörungen gibt und es wäre naiv, anzunehmen, dass Verschwörungen keine Rolle spielten. An anderer Stelle wurde geschrieben, dass die Reichen ja auch in Konkurrenz zu einander stünden und sich deshalb nicht verschwören würden – die stehen natürlich in Konkurrenz, aber sie schließen sich auch zusammen.

Es steht zwar im Text, dass wir um Wohnung, Intimbeziehung, Lebensmittel, usw. konkurrieren

– aber fehlt, dass wir auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren. Da fehlt der Zusammenschluss im Klassenkampf, durch den die Konkurrenz ja tatsächlich ausgehebelt werden kann. Und das wäre auch der Schritt raus aus der Ideologie. Ideologie ist nicht nur Manipulation, sondern sie entsteht ständig aus der Konkurrenz – und kann genau da umgedreht werden! Denn wenn ich mit Ideologie die Konkurrenz normalerweise reproduziere, ist das Konkurrenzbedürfnis in dem Moment, wo sich Leute egalitär zusammentun, um zu streiken oder zu besetzen, aufgeknackt. Dann geht es darum, eine Erzählung zu entwickeln, in der man sich gegenseitig nicht mehr abwertet.

Das fand ich eine Auslassung an der Stelle. Denn wenn ich nicht über die Verschwörung der anderen reden will, dann rede ich auch nicht von der Verschwörung von unserer Seite, die es ja eigentlich ist: Was es oft für ein Theater ist, in einem Betrieb einen Betriebsrat zu haben! Das wird ja auch nicht offen gemacht. Man spricht sich erstmal ab, fühlt vor bei den Kollegen, vielleicht auch außerhalb der Arbeit – so funktioniert ja Verschwörung: über den öffentlichen, klar abgesteckten Rahmen hinaus zu gucken, was durchgesetzt werden kann. Wer sich aber auf den Normaldiskurs einlässt, schlägt sich selber dieses Mittel aus der Hand.

Diese Leerstelle, zwar über ökonomische Verhältnisse zu reden, aber nicht über Klassenkampf, ist auch eine begriffliche. „Klasse“ ruft halt dieses „der Mann mit Helm im Betrieb“-Bild auf. Ich schlage „Arbeitskräfte“ vor, das ist genderneutral und fasst es sehr weit; also wer lebt davon, dass jemand in der Familie oder Lebensgemeinschaft versucht seine Arbeitskraft zu verkaufen, egal, wie gut bezahlt oder legal, und wer hat so das gemeinsame Interesse, dass der eigene Lebensunterhalt für die andere Seite niedrig zu haltende Kosten sind – das ist alles die Klasse. Und alles weitere muss im Klassenkampf ermittelt werden. Wer auf welcher Seite steht, wird sich dann zeigen und kann sich in fortgesetzten Kämpfen immer wieder verschieben.

Und ich bin dafür, immer Forschung und Geschichte im Blick zu behalten und nach Bedürfnissen und Fähigkeiten unserer Spezies außerhalb von Herrschaft zu schauen. Wenn sich eine Annahme als falsch herausstelt, ist das zu inkooperieren – wir machen doch keine Religion.

# Lea Matika ist Journalistin und Künstlerin in Leipzig.

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2 Kommentare

    […] Ich wurde von Lea Matika mal etwas ausführlicher zu Verschwörung, Ideologie und Konkurrenz interviewt: “Wer andere als doof überführen kann, gilt ja als schlau” […]

    Ych 29. Oktober 2020 - 17:57

    „Wenn sich eine Annahme als falsch herausstelt, ist das zu inkooperieren“ soll vermutlich heißen „zu inkorporieren“, richtig?