Die an vermeintlichen „Ermittlungspannen“ reiche Geschichte der Serie von rechten Brandanschlägen, Sachbeschädigungen und Drohungen in Neukölln bewegt sich einem weiteren Höhepunkt entgegen: Wie die Berliner Generalstaatsanwaltschaft verlautbaren ließ, gebe es Anhaltspunkte für die Befangenheit eines Staatsanwalts, der nun zusammen mit einem weiteren Kollegen versetzt worden sei.
Der Sachverhalt ist brisant: Durch die Auswertung von Chatnachrichten eines der Verdächtigen in der rechtsterroristischen Anschlagsserie, des AfD-Mitglieds Thilo P., wussten die Behörden seit längerem, dass P. den Oberstaatsanwalt Matthias F. nach einem Vernehmungstermin bei F. für einen Verbündeten hielt. Matthias F. habe durchblicken lassen, auf der Seite der Rechten zu stehen, prahlte P. einem weiteren damaligen AfD-Mitglied gegenüber. Die Information wurde von einem zweiten Staatsanwalt weder weitergegeben, noch verwendet, verschwand also einfach im Verfahrensverlauf.
Dass jetzt überhaupt etwas geschieht, dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eher daran liegen, dass die Verantwortlichen einem öffentlichen Desaster zuvor kommen wollte, als dass irgendwelche ohnehin kaum existenten Kontrollmechanismen gegriffen haben. Informationen dieses Magazins zufolge liegt der Sachverhalt nämlich seit einiger Zeit Journalist*innen zweier Tageszeitungen vor, die an dem Fall recherchierten. Man kann vermuten, dass die Generalstaatsanwaltschaft davon Wind bekommen haben muss, woraufhin sie die Flucht nach vorne antrat, um „jedem Anschein einer nicht sachgerechten Bearbeitung“, wie es in der Pressemitteilung der Behörde heißt, entgegenzuwirken.
Nun ist Matthias F. nicht irgendein Staatanwalt – was skandalös genug wäre. Der Oberstaatsanwalt leitete die Abteilung Staatsschutzdelikte und war in dieser Funktion mit zahlreichen Strafverfahren gegen Linke betraut. In der Szene hat man ihn in guter Erinnerung. Er gilt als Scharfmacher, Hardliner, einer, der aus Gesinnung handelt. Auch unter Anwält*innen, so erfuhr lower class magazine, galt F. als stramm rechts.
Im Lichte der jetzigen Erkenntnisse stellen sich zahlreiche Fragen im Fall der Anschlagsserie neu: Warum wurde, nachdem die Ausspähung eines der späteren Opfer vom Verfassungsschutz an die Polizei und von selbiger an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurde, keine Anklage eröffnet? Warum gab es für Thilo P. und Sebastian T. nie Untersuchungshaft – obwohl beide Wiederholungstäter sind und klar eine Gefahr für weitere Opfer ausging? Und warum wurde das Verfahren gegen einen LKA-Beamten, der sich mit Thilo P. in einer einschlägig bekannten Kneipe privat getroffen haben soll, so schnell eingestellt?
Das Problem, dass sich im Fall des Matthias F. zeigt, ist dabei keineswegs eines, das mit zwei Versetzungen behoben werden kann. Die jetzt bekannt gewordenen Informationen legen zwar Nahe, dass sich der Staatschutzchef und der Faschist zumindest vor ihrem Plausch nicht kannten, aber das macht die Sache nicht weniger beängstigend. Denn es zeigt sich, dass in Justiz- und Polizeiapparat neben denen, die sowieso schon organisierte Neonazis sind, auch an sehr hohen Stellen Leute sitzen, die im Fall des Falles durchaus Sympathien für diejenigen hegen, die dem Tag X entgegenfiebern. Gerade in Berlin hätte man das auch vorher wissen können: Hier wirkte bis zu seiner Wahl in den Bundestag für die AfD der damals schon offene Rassist Oberstaatsanwalt Roman Reusch.
Die Reaktionen aus der sich als „mitte-links“ vermarktenden Koalition sind angesichts dieser Problematik verstörend. Anstelle wirklicher Maßnahmen tritt das Bedürfnis alles rasch für erledigt zu erklären, bevor es öffentliche Empörung verursachen kann. So kommentierte als einer der ersten der Grüne Justizsenator Dirk Behrend auf Twitter: „Ich danke der Generalstaatsanwältin für diesen konsequenten Schritt. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die Strafverfolgungsbehörden rechtsextreme Straftaten verfolgen.“ Der Sound der Nachricht trifft den generellen Umgang mit der „Pannenserie“ in Neukölln. Man soll nicht zweifeln und rasch weitergehen. Es gibt hier nichts zu sehen.
#Titelbild: Rasande Tyskar/CC BY-NC 2.0
Wie gefährlich ist „Der III. Weg“? - Lower Class Magazine 9. November 2021 - 8:11
[…] wurde sogar der ermittelnde Staatsanwalt vom Fall abgezogen, weil eine ideologische Nähe zu den Verdächtigen vermutet wird. Es scheint letztendlich so, als sei vor allem Thom ein regelrechtes Justizwunder und könnte […]