Die 2019 gegründete Kampagne Death in Custody (Tod in Gewahrsam) recherchiert und arbeitet zu in Gewahrsam um‘s Leben gekommenen POC und Schwarzen. Das LCM sprach mit Niko von der Kampagne über Ihre Rechercheergebnisse, strukturellen Rassismus und wie man gegen rassistische Polizeigewalt vorgehen kann.
LCM: Ihr habt ja mit eurer Kampagne vor kurzem eure Rechercheergebnisse veröffentlicht. Kannst du diese kurz zusammenfassen?
Niko: Seit 1990 sind mindestens 159 POC und Schwarze in Gewahrsam umgekommen. Angesichts der Öffentlichkeit, die rassistische Polizeigewalt gerade hat, wolten wir unsere Ergebnisse so schnell wie möglich veröffentlichen. Wir haben bis jetzt nur Namen und Todesdaten veröffentlicht, unsere Daten sind aber noch umfangreicher was Einzelfälle betrifft, mit den Todesumständen und beispielsweise dem gerichtlichen Nachspiel.
Die Kampagne kam durch Todesfälle in den letzten Jahren auf, wie Amad Ahmad in Kleve, der in der Zelle verbrannt ist, oder Rooble Warsame der in Schweinfurt in Gewahrsam starb – angeblich durch Suizid. Bei der Recherche haben wir gemerkt, dass es Sinn macht den Begriff von Gewahrsam zu erweitern. Unsere Definition ist, dass Menschen durch Polizei oder andere staatliche Institutionen in eine Situation gebracht werden, aus der sie aus eigener Kraft nicht mehr rauskommen. Das kann eben auch sein, dass die Polizei Schusswaffen einsetzen, und die Person nicht mehr aus dem Schussfeld rauskommt, oder dass die Polizei Leute hetzt, die dann einen „Unfall“ haben und dabei ums Leben kommen. Oder auch Todesfälle in Gewahrsam, die als Suizid gelabelt werden. Aus zwei Gründen: Im Knast kann es keinen Freitod geben, weil in dieser Situation Leute so zermürbt werden, dass man nicht mehr von einer Freiwilligkeit sprechen kann. Außerdem kann man den Behördenangeben einfach nicht trauen. Wenn behauptet wird es sei Suizid, wird das nicht wirklich überprüft. Wie beim Fall von Oury Jalloh, wo ganz klar ist, dass das kein Suizid war, dieser aber die ganze Zeit als solcher bezeichnet wurde.
Was waren denn eure Probleme bei der Recherche? Weil von offiziellen Stellen werden solche Fälle ja nicht systematisch erfasst.
Eben! Es gibt keine systematische Erfassung. Man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist, als diese 159, die wir jetzt gerade haben. Wir rufen auch dazu auf, dass Leute uns Fälle, die wir nicht kennen zuschicken. Es werden auf jeden Fall noch einige Fälle dazu kommen.
Die Recherche war generell nicht immer einfach. Es gibt generell wenig Informationen und zum anderen wird auch selten erfasst, ob die Person POC oder Schwarz war. Zum Teil konnten wir das indirekt rausfinden, in einem Fall z.B. über einen Polizisten, der zitiert wird und eine rassistische Aussage macht. Es gibt auf jeden Fall Unschärfe.
Es fällt auch auf, dass es bestimmte Jahre gibt, in denen unglaublich viele Fälle dokumentiert sind, z.B. 1994/1995 oder 2019. 2003 haben wir hingegen keinen einzigen Fall. Das ist relativ unwahrscheinlich und weist darauf hin, dass die Datenlage mittelmäßig ist. Die Recherche ist der Versuch zumindest herauszufinden, wie groß das Problem eigentlich sein könnte. Und es ist deutlich größer, als es in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird und erst recht als es von den Behörden beschrieben wird.
Wieso geht Ihr davon aus, dass POC und Schwarze stärker von Tod in Gewahrsam betroffen sind?
Eine Schwierigkeit ist, dass es ja keine Zahlen gibt, wie groß der Bevölkerungsanteil von POC und Schwarzenin Deutschland ist. Einen statistischen Vergleich anzustellen, wie die Betroffenheit von Schwarzen und POC, die in Gewahrsam ums Leben gekommen sind, versus weiße, können wir gar nicht machen
Viele Todesfälle entstehen aber aus Situationen, die für Schwarze und POC deutlich häufiger auftreten. Das sind dann beispielsweise sogenannte „anlasslose Kontrollen“, bei denen offensichtlich Schwarze und POC mehr und ständig kontrolliert werden. Diese Situationen eskalieren dann manchmal bis zum Tod. Dann sind es noch Situationen wie Abschiebehaft. Das ist ja eine Situation in die Deutsche gar nicht kommen können. Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass die Gruppe stärker betroffen ist.
Dass es in der Polizei in Deutschland Rassismus geben könnte, wird ja gerade von Polizeifunktionären und Politikern aller Parteien vehement geleugnet.
Das zu leugnen ist offensichtlich totaler Quatsch. Was wir mit dieser Recherche zusammengestellt haben, sind ja nur die Todesfälle. Und das ist ja nur das extremste Ergebnis, das durch Polizeigewalt entstehen kann. Aber auch die nicht-tödliche rassistische Polizeigewalt ist leider alltäglich. Alle möglichen Stellen wie Reach-out oder KOP können das aus ihrer Arbeit bestätigen. Gerade zu Corona-Zeiten ist das wesentich mehr geworden. Wir denken, dass das daran liegt, dass die Polizei auf der Straße weniger gesehen wird und sie deswegen machen was sie wollen. Es ist aber in jedem Fall offensichtlich, dass Rassimus in der Polizei ein Problem ist. Man muss zwar nicht unbedingt davon ausgehen, dass alle Polizisten Nazis sind, auch wenn es Fälle gibt, wo das offensichtlich der Fall ist. Es sind aber eher Alltagsrassismus und Klischees, wie „Drogendealer haben diese und jene Hautfarbe“, die zeigen, dass das alltäglich in der Polizei ist.
Was auch ganz interessant ist, ist dass das neue Antidiskriminierungsgesetz in Berlin von der Polizei sehr kritisch kommentiert wurde. Das ist ziemlich entlarvend, weil sie ja im Prinzip sagen, dass sie mit diesem Gesetz ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen könnten. Und eigentlich sagen sie damit ja selbst, dass sie rassistisch vorgehen und nicht mehr arbeiten könnten, wenn sie es nicht mehr dürften. Letztendlich ist es doch so, dass wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt, es total offensichtlich ist, dass es Rassismus in der Polizei gibt. Ich hoffe, dass durch die Debatte die Polizei und auch Politiker*innen es sich weniger leisten können, das komplett zu leugnen. Weil so wie es jetzt gerade ist, wird einfach gesagt, „Rassismus in der Polizei gibt es nicht, darf es nicht geben“. Und Fälle die aus rassistischen Situationen entstehen, müssen im Nachhinein dann anders legitimiert werden. Dadurch gibt es eben das Problem, dass Betroffene von Polizeigewalt – auch tödlicher – im Nachhinein kriminalisiert werden. Dass sie, wenn sie überleben, sofort Anzeigen bekommen, und wenn sie nicht überleben im Nachhinein konstruiert wird sie seien gefährlich.
Wie im Fall von Hussam Fadl.
Ja genau, der Fall von Hussam Fadl 2016 in Moabit. Da wurde von Polizeiseite behauptet, er habe ein Messer gehabt. Von den Augenzeugen hat aber niemand ein Messer gesehen. Irgendwann tauchte dann ein Messer auf, auf dem aber nicht mal DNA-Spuren, geschweigen denn Fingerabdrücke von Hussam Fadl gefunden. Dieses Vorgehen ist Folge von dieser Herangehensweise, dass es keinen Rassismus gebe. Und wenn es keine Rassismus gibt, dann müssen eben andere Vorgehensweisen herangezogen werden. Die Täter*innen kommen dann in den meisten Fällen ungestraft davon.
Abseits von der Sichtbarmachung, was erhofft Ihr euch von der Veröffentlichung von der Recherche?
Ein großes Ziel ist, dass bisherige Fälle aufgeklärt werden. Wir wollen auch die Betroffenen- und Angehörigeninitiativen und anderen Gruppen die zu dem Thema arbeiten vernetzen, damit ein Wissensaustausch stattfinden kann. Und dass so vielleicht sogar selber Ermittlungen angestellt werden können und damit Fälle anders bewertet werden. Das hat ja im Fall der Oury-Jalloh-initiative ziemlich erfolgreich geklappt.
Unser Forderung ist natürlich, dass es mit diesen Toden und Morden aufhören muss. Deswegen fordern wir auch die Einrichtung von effektiven und unabhängigen Beschwerde- und Ermittlungsstellen. Es gibt da kleiner Pilotprojekte in Deutschland, in Hamburg und NRW und in anderen Orten. Die Projekte die es gibt, können aber in keinem Maße arbeiten, dass das effektiv wäre. Zum einen sind sie nicht ausreichend unabhängig von Justiz- und Polizeibehörden, sie haben nicht die ausreichende Ausstattung mit Befugnissen und Personal, dass sie ermitteln können. Die Polizei muss einfach kontrolliert werden, weil bisher kontrolliert sie sich selbst. Polizisten ermitteln gegen Polizisten in Fällen von Polizeigewalt und da kommt seltenst was bei raus.
Wie kann man verhindern, dass so eine Stelle nicht nur ein Feigenblatt wird?
Ja, das ist eine unserer Befürchtungen. Eine ineffektiv aufgebaute Stelle kann eine negative Auswirkung haben. Weil dann wird halt gesagt „Wir haben hier doch diese unabhängige Beschwerdestelle, was wollt ihr denn?“ Damit wird jeglicher Kritik der Wind aus den Segeln genommen.
Ich denke da müsste es eine viel klareren Bezug zur und eine Rechenschaft vor der Zivilgesellschaft geben. In den USA gibt es ein paar ganz spannende Projekte wo independent police monitoring betrieben wird. In New Orleans z.B. hat diese Ombudsperson relativ viele Befugnisse, kann in die Daten der Polizei Einsicht nehmen und diese dann auch Organisationen zur Verfügugn stellen. Und dort hat die Zahl polizeilicher Todesschüsse stark abgenommen.
Eure Forderungen richten sich ja vor allem an den Staat.
Wir wollen auf jeden Fall, dass die Gesellschaft auch involviert ist, insbesondere rufen wir zu Solidarität mit Betroffenen von Polizeigewalt auf, um dieses Narrativ zu brechen. Und wir wollen, dass die Verantworlichen zur Rechenschaft gebracht werden.
Es gibt aber ja auch wesentlich radikalere Ansätze, wie die der Black Panthers, die selber auf Streife gegangen sind und die Polizei kontrolliert haben. Denkst du dass so etwas in Deutschland möglich oder nötig ist?
Prinzipiell ist es immer wichtig der Polizei und den Behörden auf die Finger zu schauen bei dem was sie machen. Wenn das nicht passiert, hat das zur Folge, dass sie noch mehr Mist bauen. Wie eben der Anstieg von racial profiling in Corona-Zeiten. Die Polizei selbst zu kontrollieren macht natürlich total Sinn, weil die Kontrolle durch andere staatliche Instanzen nie ausreichend ist. Eine permanente Wachsamkeit der Zivilgesellschaft ist total wichtig!
# Titelbild: miss_millions, CC BY 2.0, Gefängniszellen in Alcatraz (Symbolbild)
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