Rassistische Polizeigewalt: „Sie üben immer ihre Machtspiele aus, so: Ich bin Polizist und du bist ein N***!“

16. Juni 2020

Im Zuge der Protestwelle in den USA, die durch den Mord an George Floyd durch einen Polizisten ausgelöst wurden, wurde am 6.5. 2020 zu einer Demo gegen Rassismus am Alexanderplatz in Berlin aufgerufen, an der schätzungsweise 32.500 Menschen teilnahmen. Als gegen Abend die meisten Demonstranten den Platz verlassen hatte und hauptsächlich Jugendliche und unerfahrene Demoteilnehmer*innen auf dem Platz übrig waren, kam es zu massiven Übergriffen durch die Polizei, die die Demonstrierenden mit Schlagstöcken und Pfefferspray angriff und insgesamt 98, überwiegend jugendliche Menschen, in Gewahrsam nahm. Leila Aadil hat sich für LCM mit zwei Demoteilnehmern getroffen, um mit ihnen über den Tag und Rassismus in Deutschland zu sprechen.

Leila: Was war ausschlaggebend dafür, dass ihr auf die Demo gegangen?

Alphonse: Wir sind auf die Demo gegangen, weil wir die Kette von Rassismus und Polizeigewalt zerbrechen wollen. Es kann nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch über dieses Thema sprechen, obwohl unsere Vorfahren und die Vorfahren unserer Vorfahren schon dagegen gekämpft haben. Gerade hier in Deutschland, einem Land, das eigentlich multikulti sein sollte, ein Land, das von Gastarbeitern aufgebaut wurde.

Malcom: Weil ich mich für alle Nationen, für alle Hautfarben einsetzen wollte. Und gegen Rassismus.

Leila: War das eure erste Demo?

Malcom: Ja, bei mir schon.

Alphonse: Ich muss auch sagen, dass es meine erste Demo war – und ein schreckliches Erlebnis. Aber es hat mir gezeigt, dass ich nicht einfach zuhause sitzen und schlafen kann, sondern, dass ich tätig werden muss.

Leila: Was ist so passiert im Laufe des Tages?

Malcom: Ich war mit ein paar Jungs da und dann ging alles viel zu schnell. Ich hab Schläge bekommen und wurde festgenommen. Ich wurde von den Polizisten rassistisch beleidigt, die hätten mir fast den Fuß gebrochen.

Alphonse: Ich bin mit einem Freund, der eine körperliche Behinderung hat und meiner Freundin auf die Demo. Ich dachte es wird friedlich, hatte aber ein schlechtes Bauchgefühl, wegen all der Erfahrung mit rassistischen Polizisten, die ich schon gemacht habe. Als wir auf die Demo kamen, waren die Menschen fröhlich und es war super Stimmung.

Später standen wir an einer Tramstation und schreiende und heulende Menschen sind uns entgegen gerannt. Von weitem habe ich schon gesehen wie die Polizei unschuldige Menschen mit Pfefferspray und Schlagstöcken angegriffen hatte, ich habe gesehen, wie ein Bruder misshandelt wurde und das hat mir weh getan.

Als ich zum Geschehen kam, wurde mir direkt von einem Polizisten gedroht: „Ich prügle dich krankenhausreif, verpiss dich“. Das hat mich emotional getroffen, ich hatte Angst und fühlte mich erniedrigt. Ich wurde von einem Menschen, der das Gesetz vertritt und uns beschützen soll, bedroht, ohne dass ich etwas getan habe.

Kurz danach, haben ein paar Polizisten mich direkt angegriffen, ich war völlig perplex. Zehn Polizisten haben sich auf mich gestürzt, um mich festzunehmen. Mir wurden die Handschellen so fest angelegt, dass ich meine Hand nicht mehr spüren konnte. Ich hatte eine Verletzung am Kopf und das Blut hat auf meine Hose getropft. Alles was ich bekommen habe, war ein Verband, damit es aufhört zu tropfen. Ich habe die ganze Zeit gefragt, was ich eigentlich gemacht haben soll. Das Schlimmste kam aber noch, als ob sie mich nicht davor schon genug erniedrigt und misshandelt hätten, haben sich 10 Polizisten in den Polizeiwagen reingequetscht in dem ich saß und einer hat mich angeschrien: „Wir machen Sie hier fertig, wir werden ihnen zeigen, wer wir sind“.

Als ich in die Gesa kam, habe ich immer wieder über Schmerzen geklagt und konnte meine Hand nicht mehr fühlen. Erst nach Stunden wurde ich zu einem Arzt gebracht, der hat festgestellt, dass mein Arm komplett taub ist und hat sofort angeordnet, dass ich in ein Krankenhaus gebracht werde, weil ein Nerv beschäftigt sein könnte. Die Polizei hat mich nur widerwillig dem Krankenwagen übergeben.

Malcom: Ich habe von den Polizisten Bomben in den Bauch bekommen und hatte Schmerzen. Die haben mich dann gefragt, ob ich einen Krankenwagen will und ich meinte ja. Dann meinte der Polizist: „Der geht auf ihre Kosten“. Dann hab ich gesagt: „Ich will einen Krankenwagen auf Ihre Kosten“. Daraufhin haben sie keinen Krankenwagen gerufen. Ich habe auch gesagt, dass ich erst Bilder von mir machen lasse, wenn ich die Dienstnummer bekomme, darauf hat man mir geantwortet: „Wir hauen dich“. Die haben mich fertig gemacht, so als würde ich nichts können. In der Zelle habe ich nach meiner kleinen Tochter geschrien, ich habe Platzangst bekommen. Die haben mir versucht Angst zu machen und gesagt: „Du bleibst noch ein paar Tage hier“.

Leila: Wie sieht eure Erfahrung jenseits der Demo mit der Polizei aus? Habt ihr da auch schon Erfahrungen von rassistischem Verhalten gemacht?

Malcom: Safe. Ich werde sehr oft kontrolliert. In der S-Bahn, wenn ich in die Bahn einsteige und die einfach an mir vorbei laufen oder wenn ich im Auto Beifahrer bin, wird das Auto rausgezogen und komplett durchsucht. Wenn ich mich frage von 0 bis 100, wie oft hab ich Rassismus von Polizisten erlebt, dann sind das 99%. Sie üben immer ihre Machtspiele aus, so „Ich bin Polizist und du bist ein N***!“. Wirklich klipp und klar ausgedrückt, genau so ist es immer gewesen und ich glaube das wird auch nie anders sein. An Orten wie Kotti oder Görli ist es abnormal, ich kann keine zwei Schritte gehen, ohne dass ich von der Polizei kontrolliert werde. Deswegen wohne ich auch lieber in Hohenschönhausen und lass mir zwei mal am Tag von irgendwelchen Leuten in der Bahn „N***“ sagen, aber wenigstens gibt es nicht so viele Polizeikontrollen.

Alphonse: Ich hatte noch nie eine Kontrolle, bei der ich mich nicht wie ein Schwerverbrecher gefühlt habe. Selbst bei einer ganz normalen Personalkontrolle, werde ich wie ein Schwerverbrecher behandelt. Wo ich mich manchmal Frage, steht auf meiner Stirn; „Achtung, Achtung, er wird euch alle gleich umbringen“?! Manchmal fühl ich mich auch als ob ich in 20 Ländern gesucht werde, obwohl mich eigentlich, vor dieser Geschichte, niemand kannte.

Leila: Welche Rolle spielt Rassismus in eurem Leben generell?

Malcom: Rassismus prägt mich in meinem Herzen, das ist sone komische Gänsehaut. Man spürt es jeden Tag ein kleines bisschen. Das passiert im Unterbewusstsein, manche Menschen nehmen das nicht mal mehr wahr, die merken nicht, dass sie rassistisch sind.

Alphonse: Ich muss sagen, dass der Rassismus mich sehr prägt. Egal ob es beim Fußball, der Schule, den Behörden oder in der Freizeit ist. Ich bin mit Freunden unterwegs, und irgendein Besoffenerer kommt in der Bahn und sagt „Hey hey Bruder, du saßt aber zu lange im Solarium“. Okay, ich kann darüber lachen, ich bin damit aufgewachsen und ich weiß, er meint das in dem Moment nicht negativ. Aber dass er das macht tut schon weh. Oder wenn ich bei den Behörden sitze und die Frau doch merkt, dass ich mich artikulieren kann, dass ich sie verstehe… und trotzdem fängt sie an mit den Händen und auf schlechtem Englisch mit mir zu sprechen. Ich frag mich dann, wozu bin ich zur Schule gegangen? Wozu versuche ich, mich an eine Gesellschaft anzupassen, wenn das niemals ausreichen wird? Wenn die mich fragen, wie lange ich hier in Deutschland bin und ich sage ich bin hier aufgewachsen, sagen die „dass ich aber sehr gut Deutsch kann“. Wir müssen darüber lachen, wenn wir uns ständig über so was aufregen, können wir hier nicht leben.

Aber ich habe auch erlebt, wie sich fremde Leute an meine Seite gestellt haben, wenn ich rassistisch beleidigt wurde. Aber so was passiert mir vielleicht einmal in drei Jahren, es sollte aber eigentlich jeden Tag passieren. Aber es ist doch so, wenn ich merke, dass jemand irgendwo unterdrückt wird, muss ich dafür einstehen und zusammen mit denen dagegen gehen. Das würde ich mir beim Thema Rassismus auch wünschen.

Malcom: Wenn ich mit meiner Ex-Freundin und meiner Tochter unterwegs bin, schauen uns die ganzen Omas so komisch an. Die denken, wir sind zusammen, weil es um nen deutschen Pass geht.

Alphonse: Ja man, bei mir ist das auch so. Aber man muss auch sagen, dass das manchmal auch von unseren eigenen Brüdern kommt… Die haben diesen Scheiß auch verinnerlicht. Oder wenn du im Auto mit einem weißen Freund sitzt, und dann hält die Polizei das an und nur weil du drin sitzt, wird das komplett auseinandergenommen.

Leila: Inwiefern glaub ihr, dass das System, in dem wir leben, insgesamt rassistisch ist und wie sich das auswirkt?

Malcom: Das System ist sehr rassistisch. Schau mal, unsere Heimatländer bezeichnen die als „dritte Welt“, obwohl sie im Kolonialismus alles von dort geklaut haben. Und auch heute, testen die ihre Medikamente an unseren Leuten, unterstützen korrupte Eliten und nehmen die Ressourcen. Und die Menschen werden nur als Opfer dargestellt, obwohl sie sich immer gegen diese Ungerechtigkeit aufgelehnt haben.

Und auch hier ist es so, solange du Leistung bringst und schuftest bist du Deutscher und wirst anerkannt, aber sobald du etwas falsch machst oder ihnen nicht passt was du sagst, heißt es auf einmal „Schau mal das war der Schwarze, der Ausländer und so weiter“. So wie beim Fußball. Die würden auch immer lieber einen Deutschen nehmen, so… ich bin auch Deutscher. Aber die würden lieber einen Deutschen nehmen als einen schwarzen Deutschen, zum Beispiel.

Alphonse: Ja, schon allein, dass man uns als „dritte“ Welt bezeichnet, was soll das denn heißen, verdammt?! Und hier behandeln sie uns, als würden wir auf einem anderen Kontinent wohnen, auch wenn wir hier aufwachsen. Wenn sie uns nicht wollen, dann sollen sie uns und unsere Ressourcen nicht aus unseren Ländern raus exportieren, sondern alles so lassen wie es ist. Anstatt alles immer nur zu nehmen, damit sie weniger bezahlen müssen und mehr Geld machen. Ich verstehe nicht so ganz wie Menschen sich gegenseitig so behandeln können, wir sind doch Menschen mit dem gleichen Blut. Wie können Menschen zu Menschen so sein? Selbst Tiere helfen sich untereinander, beschützen sich untereinander. Ich versteh manchmal den Menschen nicht.

Leila: Möchtet ihr unsern Leserinnen und Lesern zum Abschluss noch was sagen?

Alphonse: Ich bitte jeden Menschen der in seiner Umgebung mit Schwarzen Menschen oder Ausländern zu tun hat, ihnen Gehör zu schenken. Manchmal trauen wir uns nicht, Dinge zu sagen, weil wir schon zu lange mit ihnen leben, aber es ist wichtig, dass ihr uns glaubt. Ich möchte jeden Menschen bitten, mit jeder Art von Rassismus, Diskriminierung und Unterdrückung zu brechen. Und ich möchte nochmal an alle Menschen appellieren, egal woher ihr kommt, bitte lasst uns zusammen eine bessere Zukunft gestalten. Nicht für euch, nicht für jetzt, nicht für die Vergangenheit. Es gibt keine Wiedergutmachung, man kann das nicht wieder gut machen, egal wie man es dreht. Aber für die Zukunft, für die nächste Generation, lass uns zusammen ein Vorbild für die Gesellschaft sein. Das bedeutet nicht nur zu sprechen, sondern es auch zu leben und in die Tat umzusetzen. Gemeinsam sind wir stark!

Leila: Wie machen wir das? Wie setzen wir das um?


Malcom: In dem wir alle zusammen raus gehen. Alle zusammen raus, alle.

# Titelbild: @s_zamora_martin

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Ein Kommentar über “Rassistische Polizeigewalt: „Sie üben immer ihre Machtspiele aus, so: Ich bin Polizist und du bist ein N***!“”

    TimMe 25. Juni 2020 - 8:44

    Zunächst einmal möchte ich den beiden Protagonisten mein Mitgefühl aussprechen. Einfach nur sein Leben leben zu wollen und wegen seiner Hautfarbe „anders“ behandelt zu werden, ist ein Ding der Unmöglichkeit und einfach nur wiederlich. Rassismus ist leider Teil des alltäglichen Leben, häufig auch unbewusst („Mensch, Sie können aber gut Deutsch sprechen“ – vermutlich nicht böse gemeint, dennoch latent rassistisch). Ich hoffe, dass in Zukunft mehr Menschen für dieses Thema sensibel werden und etwas tun, ich versuche es – und ich hoffe es gelingt mir auch.

    Nichts destotrotz wirkt dieser Artikel, als würden ein entscheidender Teil fehlen. Ich kann (möchte) nicht glauben, dass die Polizei im Gro so gehandelt haben soll. Ich bindsvkn überzeugt, dass es auch in der Polizei Rassisten gibt (von wegen Durchschnitt der Bevölkerung), aber das ausnahmslos alle Polizisten auf der Demo so gehandelt haben, kann ich nicht glauben.
    Aus anderen Artikeln und eigener Wahrnehmung weiß ich, dass auf der Demo auch Flaschen, Böller und Stangen gehen die Polizei eingesetzt bzw geworfen wurden – das deckt sich auch nicht mit meinem Verständnis von Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Ich bin da auch schon zwischen die Fronten geraten. Ich hoffe, dass da in Zukunft eine Besserung Eintritt und der offene Diskurs -beiderseitig- wieder möglich wird.