Hamburger Polizei und #Blacklivesmatter: „Behutsam“ mit Gewalt und Rassismus

10. Juni 2020

Das kann sich keiner ausdenken. Zehntausende gehen in über 20 deutschen Städten auf die Straße, Hunderttausende weltweit, um sich solidarisch zu zeigen mit George Floyd, der am 25. Mai von einem weißen Polizisten in Minneapolis ermordet wurde. Die ganze Republik redet an diesem Tag über nicht anderes als Rassismus und Polizeigewalt – und was macht die Polizei in Hamburg, Berlin und anderswo? Sie liefert an eben diesem Tag haufenweise krasse Beispiele für genau das: Polizeigewalt und Polizeiwillkür. Noch am Samstag machten zahlreiche Videos von brutalen Festnahmen und ähnlichen Übergriffen die Runde in den „sozialen Netzwerken“.

Ganz vorn dabei war wieder einmal die Hamburger Polizei. Vom „Hamburger Kessel“ 1986 über den G-20-Gipfel im Sommer 2017 bis heute bleiben die Cops von der Alster sich offenbar treu. An diesem 6. Juni haben sie aufs Neue bewiesen, dass Deeskalation für sie ein Fremdwort ist. „Hamburger Linie“ nennt sich das. Nachmittags während der Demos auf dem Jungfernstieg und gleich danach auf dem Rathausmarkt hielt man sich noch zurück. Am Abend ging es dann um so mehr zur Sache.

Den Rathausmarkt zu räumen, die Traute hatte nicht einmal Hamburgs Polizei. Fast zehntausend Demonstrant*innen, darunter ungewöhnlich viele Jugendliche, zum Teil augenscheinlich erst zwölf, dreizehn Jahre alt, über den Platz zu scheuchen – das wollte die Einsatzleitung wohl nicht riskieren, schon um hässliche Bilder in der Tagesschau zu vermeiden. Ganz umsonst wollte man die ganzen Hundertschaften, die Wasserwerfer und die Reiterstaffel aber nicht herangekarrt haben.

So können die Kids gegen Abend noch erleben, was die Hamburger Polizei darunter versteht, wenn sie „eine verbotene Versammlung auflöst“, und wie sie sich den Anlass zum Eingreifen mal eben selbst schafft. Die Einsatzleitung stellt mal eben zwei Wasserwerfer an die Ecke Bergstraße/Jungfernstieg. Sie sind der einzige Grund dafür, dass sich rund 350 Protestler an dieser Stelle versammeln. Damit hat die Polizei ihre „verbotene Versammlung“, die sie auflösen kann. Nach drei erfolglosen Durchsagen, sich zu entfernen, jagen einer der Wasserwerfer und Ketten von Cops in Kampfmontur die Jugendlichen über den Jungfernstieg. Es ist eine bizarre Szenerie.

Aber es geht noch mehr. Am Abend kommt es am Hauptbahnhof zu einem Vorfall, der vermutlich landesweit das krasseste Beispiel für Polizeiwillkür an diesem 6. Juni ist. Im Medienrummel um die „Black Lives Matter“-Demos geht er zuerst unter, wird dann aber von Frankfurter Rundschau, Zeit und taz aufgegriffen, nicht zuletzt dank der Bemühungen von Emily Laquer von der Interventionistischen Linken, auf die Geschehnisse aufmerksam zu machen. Die Schilderungen und Bilder dazu erinnern an die Vorgänge in der Gefangenensammelstelle beim G-20-Gipfel.

Was war geschehen? Mehr als 30 Jugendliche und junge Erwachsene, viele mit migrantischen Wurzeln, nimmt die Polizei am Hauptbahnhof in Gewahrsam, weil sie sie für Randale in der Innenstadt verantwortlich macht. Der Jüngste ist 13 Jahre alt, wie sie später herausstellt. Wie Passant*innen berichten und Videos zeigen, müssen sich die jungen Leute in einer Reihe an einer Wand des Bahnhofs aufstellen. Bis zu zweieinhalb Stunden lang werden sie gezwungen hier auszuharren, zeitweise mit erhobenen Händen. Dann werden sie auf mehrere Wachen verfrachtet und schließlich mitten in der Nacht auf freien Fuß gesetzt.

Zeit Online berichtet von zwei jungen Women of Color, die nach eigener Aussage die Demo längst verlassen hatten und auf dem Weg zu einem Imbiss an parkenden Polizeiautos vorbeiliefen. Sie seien von Polizisten an die Wand geschubst worden und hätten dort stehen müssen. Andere, die festgehalten wurden, seien gar nicht von der Demo gekommen, sondern hätten Einkaufstüten dabei gehabt. Das Telefonieren sei ihnen verboten worden. Eine der beiden 20 Jahre alten Frauen berichtet, sie sei ins Polizeipräsidium gebracht worden. Dort habe sie sich bis auf die Unterwäsche entkleiden müssen und sei in eine Einzelzelle gesteckt worden. Die andere sei in einem Bus ins Kommissariat Billstedt verfrachtet worden. Beide hätten selbst sehen müssen, wie sie mitten in der Nacht nach Haus kommen.

Wie hatte Hamburgs Polizei mittags, kurz vor Beginn der beiden Demonstrationen, getwittert? „Wir arbeiten täglich dafür, dass sich ALLE Menschen in Hamburg sicher fühlen können. Wir sind #aneurerSeite!“ Diesen unfreiwilligen Witz toppte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am Montag mit der Bemerkung im NDR Fernsehen: „Ich glaube, wir sind sehr behutsam und sehr verhältnismäßig vorgegangen.“ Die Jugendlichen seien wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und anderer Delikten festgehalten worden. Er sehe das Risiko, dass hier eine „linksextremistische Organisation, die das als schwarzer Block angezettelt hat, die Jugendlichen in die Auseinandersetzung hineingezogen hat“. Auch diese Schuldzuweisungen erinnerten irgendwie an den G-20-Gipfel.

#Titelbild: wikimedia commons

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