Seit #Blacklivesmatter Millionen Menschen weltweit auf die Straßen mobilisiert, versprechen diverse Regierungen die ein oder andere „Verbesserung“ und Reform. Doch reicht das? Oder sind Rassismus und Polizeigewalt nur zu überwinden, wenn man gegen den Kapitalismus insgesamt angeht? Wir veröffentlichen einen Gastbeitrag des Musikers Disarstar.
Am 25. Mai 2020 wurde George Floyd im US-Bundesstaat Minnesota von Polizisten gemeinschaftlich ermordet. Der Mord wurde gefilmt und das Video ist viral gegangen. Als Reaktion auf die Tat entstand eine globale Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt. Demonstrationen fanden und finden in allen US-Bundesstaaten, sowie in 18 weiteren Ländern statt.
Ich habe mich bis auf einen Storypost bislang nicht zu alledem geäußert und das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass mich die momentane globale Situation total trifft und überfordert. Klar, die Welt ist kompliziert, das ist nichts Neues. Nur habe ich das Gefühl, dass sie in Zeiten von Corona, (gefährlichen) Spinnern wie Attila Hildmann und einem gefilmten Polizeimord, der Proteste von globalem Ausmaß verursacht, von Tag zu Tag unübersichtlicher wird und auch ich will von diesem ganzen Wahnsinn manchmal nichts wissen. Doch Bertolt Brecht hatte Recht als er sagte: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“
Und darum ist es mir wichtig auch nochmal ein paar Worte zu verlieren. Zum einen weil ich – so sehr ich mich auch über die Proteste und die Tatsache, dass sich so viele positionieren freue – Sorge habe, dass das alles schnell in Vergessenheit geraten wird und die Dinge im Anschluss weiter den gewohnten Gang gehen; zum anderen, weil ich befürchte, dass der Kampf gegen Rassismus ein oberflächlicher bleibt.
Denn den kapitalistischen bürgerlichen Staat der liberalen „Demokratie“, seine Strukturen und die Polizei als eine seiner Institutionen abfeiern, aber gleichzeitig Rassismus bekämpfen wollen wird perspektivisch höchstens temporär Erfolge hervorbringen. Um dem Rassismus zu bekämpfen und hoffentlich eines Tages zu überwinden, müssen wir das System, die Strukturen angreifen (und überwinden), die ihn produzieren und reproduzieren. Schon Malcolm X wusste: „Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus.“
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Der Tod von George Floyd hat eine Bewegung und eine mit ihr verbundene Diskussion über Rassismus hervorgerufen bzw. flächendeckend neu entflammt. Rassistische Polizeigewalt ist für Nicht-Weiße in den USA alltäglich. Diesmal wurde ein Fall auf Video festgehalten, ging zuerst durch die sozialen und dann durch die „offiziellen“ Medien. Ein Mord vor laufender Kamera weckt mehr Empathie als eine Statistik über Tote durch Polizeigewalt.
Hinzu kommt, dass die USA von der Coronakrise schwer getroffen sind. Darunter leidet vor allem die schwarze Bevölkerung. Im Südstaat Louisiana bilden Schwarze 33 Prozent der Bevölkerung, aber 70 Prozent der Corona bedingten Todesfälle. In Illinois, wo der Bevölkerungsanteil von Afroamerikanern 14 Prozent beträgt, sind 42 Prozent der Toten Schwarze. Ähnlich sind die Werte für Inhaftierte und auch Statistiken über die Verteilung von Vermögen passen dazu. Auch wenn die Sklaverei seit Jahrhunderten offiziell vorbei ist, bleibt die ökonomische Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung real. Sie wohnt überproportional in Elendsvierteln, verdient deutlich weniger und landet um ein vielfaches häufiger im Gefängnis. Auch wenn Schwarze vereinzelt, vor allem durch die Musikindustrie oder Popkultur (auch in Form von Sport) gesellschaftlich aufsteigen können, ändert sich an der Lage des Großteils nichts.
Einzelne Schwarze werden Führungspositionen dieses Systems integriert und dennoch bleibt für die Mehrheit alles gleich. Der Kapitalismus ist eben sehr flexibel und kann sich durch Integration Einzelner anpassen. Das hat Obama extrem verdeutlicht. Teile der antirassistischen Bewegung wurden ins Establishment aufgenommen und verändert hat sich quasi nichts. Was bringen Schwarze Polizisten oder Bürgermeister, wenn die Unterdrückung bleibt?
Zudem ist es ein Trugschluss zu glauben, dass das Problem des Rassismus ein US-Amerikanisches wäre. Auch hier in Deutschland sterben Menschen durch rassistische Polizeigewalt. Oury Jalloh ist in der Zelle eines Dessauer Polizeireviers verbrannt. Im Sommer 2018 verbrannte der 26-jährige syrische Kurde Amad Ahmad in seiner Zelle in Kleve. Er war angeblich mit einem gesuchten Malier verwechselt worden, obwohl beide lediglich ihr Geburtsdatum gemeinsam hatten. Sieben Wochen vor seinem Tod informierte die Staatsanwaltschaft die Polizei über den Irrtum, Ahmad blieb trotzdem in Haft. Zu den Toten in Haft muss auch Yaya Jabbi gerechnet werden. Der 21-Jährige aus Gambia nahm sich im Februar 2016 in einer Hamburger Haftanstalt das Leben. Er war mit weniger als zwei Gramm Marihuana erwischt worden, einer geringen Menge, auf die normalerweise keine Strafe folgt. Jabbi kam dennoch ins Gefängnis. Das sind nur einige Beispiele. Von 2000 Anzeigen gegen Polizisten pro Jahr kommen 2-3% zur Anklage. Die NSU-Akten bleiben unter Verschluss.
Der Rassismus geht bei der Betrachtung der Menschen davon aus, dass sich die Menschheit in verschiedene „Rassen“, welche alle über ihre eigenen genetischen wie historisch gewachsenen Merkmale verfügen, unterteilen lässt. Bei den angeblich historisch gewachsenen Merkmalen sind besonders nationale, religiöse und kulturelle Herkunft von entscheidender Bedeutung. Diese Einteilung der Menschen durch den Rassismus führt dann zu einer Bewertung der verschiedenen „Rassen“ und schafft so die Grundlage für die Herabwürdigung anderer, während die eigene Identität als Zugehöriger zu einer bestimmten „Rasse“ gestärkt wird. Für den Kapitalismus ist dieser Umstand äußerst nützlich. Der Rassismus als eine Form der Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse vergrößert dessen Spaltung.
Verwertbare Menschen werden im Ausland abgeworben, dadurch werden die jeweiligen Herkunftsländer indirekt in Unterentwicklung gehalten, auf der anderen Seite wird dann in Deutschland nicht mehr ausreichend in Bildung investiert, weil sich das Kapital sein Menschenbedarf wo anders beschafft. MigrantInnen dienen auf verschiedenste Weise so als Sündenböcke für gesellschaftliche Probleme. Der Zorn der Arbeiterklasse kanalisiert sich so von der herrschenden Klasse auf eine rassistisch definierte Minderheit. Rassismus spaltet also Menschen, die eigentlich die gleichen Bedürfnisse und Interessen haben, in verschiedene, sich feindlich gesinnte Lager. Natürlich versuchen Menschen, sich aus dem vom Imperialismus geschaffenem Elend der „Dritten Welt“ zu retten und machen sich auf den Weg in die westlichen Metropolen. Falls sie es bis hierhin schaffen, werden sie in Lager gesperrt und durch den institutionellen Rassismus terrorisiert.
Geflüchtete werden in eine Situation gedrängt, in der ihnen weder die Almosen des Staates reichen noch legale Zuverdienstmöglichkeiten bleiben. Praktisch in die Kriminalität gezwungen, werden sie so zu Sündenböcken für alle möglichen Probleme der Mehrheitsgesellschaft. Medial aufgeheizt können Neofaschist*innen ihre Taten mit der Stimmung in der Bevölkerung legitimieren. Dadurch glauben sie, dass sie im Interesse „ihres“ Volkes handeln. Diese Grundstimmung wurde vom Rassismus der Mitte, auch durch etablierte Parteien, geschaffen und institutionalisiert. Somit nähren sie den Boden, auf dem die Faschist*innen und Rechtspopulist*innen gedeihen können. Rassismus ist schon lange kein Randphänomen und somit wird der Kampf dagegen auch immer elementarer, denn nur, wenn jede Form der Diskriminierung und Kategorisierung der Menschen in Wertigkeit überwunden wird, ist eine Welt frei von Ausbeutung und Unterdrückung möglich. Aktive Solidarität mit den Betroffenen und das Benennen der Verhältnisse, die den Nährboden für Rassismus schaffen und derer, die von ihm profitieren, sind daher notwendig.
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Immer wenn man sich abfällig über die Polizei äußert heißt es, man würde von den Handlungen einiger weniger Cops auf alle schließen. Das ist falsch. Ich glaube nicht, dass alle Polizist*innen wegen der Handlungen einiger weniger schlecht sind. Ich weiß, dass alle Bullen schlecht sind, weil alle Bullen als Grundvoraussetzung für ihre Arbeit schwören, alle geltenden Gesetze durchzusetzen, einschließlich der Gesetze, die ganz offensichtlich ungerecht und/oder grausam sind. Nicht der*die Polizist*in ist der bestimmende Faktor in der Gleichung, sondern die Aufgabe, die ein jede*r Polizist*in geschworen hat, zu erfüllen. Es ist moralisch vollkommen inakzeptabel, als selbstverständlich hinzunehmen, dass Polizist*innen beim Ausüben ihrer Arbeit Moral und Vernunft ausschalten, um den Willen einiger (in Form von geltendem Recht) gegen alle in der Nachbarschaft durchzusetzen.
Alle Polizist*innen in diesem System sind schlecht, aber nicht wegen der Handlungen einiger weniger. Es gibt gute Leute. Und es gibt Polizis*innten, die sonst gute Leute sind, aber sie sind keine „guten“ Polizist*innen. Die gibt es hier nicht. Die Disbalance zwischen geltendem Recht und Gerechtigkeit liegt alltäglich auf der Hand. Die Aufgabe der Polizei ist es, mit Gewalt durchzusetzen, dass die gegenwärtigen Verhältnisse fortbestehen. Verhältnisse die (insbesondere global betrachtet) für einige wenige nützlich sind, die große Masse der Bevölkerung jedoch an der dauerhaften Befriedigung ihrer Bedürfnisse hindern. Die Aufgabe der Polizei ist es, den Armen zu bestrafen, der sich durch Diebstahl das Nötige beschafft, das er durch Kauf nicht erwerben kann. Ihre Aufgabe ist es, Arbeiter*innen auf die Straße zu jagen, der die von ihren Vermieter*innen (Erpresser*innen) geforderten Summen nicht mehr aufbringen kann. Ihre Aufgabe ist es, den Obdachlosen zu vertreiben und zu bestrafen, der in eine leerstehende Spekulationswohnung einbricht, um sich zu wärmen. Ihre Aufgabe ist es, jene Flüchtlingsfamilie zum Flughafen zu prügeln und in Elend und Tod zu deportieren, die die politischen Vertreter der Bourgeoisie als volkswirtschaftlich überflüssig eingeschätzt haben.
Die Aufgabe der Polizei ist es, den den Rotstift ansetzenden Manager*innen vor der Wut der von ihm entlassenen Arbeiter*innen zu schützen. Ihre Aufgabe ist es, demonstrierende Linke zu drangsalieren und einzuschüchtern, die für die Überwindung dieses per se schlechten, per se ungerechten, per se grausamen Systems werben. Ihre Aufgabe ist der notfalls gewaltsame Schutz eines Systems, in dem eine parasitäre Minderheit über die von ihr ausgebeutete arbeitende Mehrheit herrscht. Die Bullen sind Leibgarde der Bonzen, nicht in dem Sinne, dass sie die Interessen des konkreten Kapitalisten A oder B vertreten, sondern indem sie die universelle Gültigkeit der Regeln erzwingen, unter denen Kapitalist*in A und B reich sein und die Arbeiter*in X und Y auf dem Arbeitsamt und in der Gosse landen müssen. Und ja, die Polizei rettet Kätzchen von Bäumen.
Der aktuelle Diskurs ist immens wichtig. Er darf nicht oberflächlich sein. Er muss die Strukturen angreifen. Unser Widerspruch und Widerstand darf nicht gelegentlich bleiben. Er muss permanent werden.
# Titelbild: https://twitter.com/Nabalzbhf_anon/status/1268867188074729473/photo/1
Roman Schweiger 9. Juni 2020 - 22:14
Servus Disarstar,
Erstmal danke dir für die Mühe den Text zu schreiben. Man merkt deinen Frust. Aber ich habe das Gefühl, dass du diese ganzen Themen, wie Rassismus und Polizei immer wieder in den „Kapitalismus ist an allem Schuld“ Sack werfen willst.
Man kann das System kritisieren, da es Schwächen hat, es ist aber nicht an allem Schuld.
Aber ohne Gegenvorschlag und mit Ignoranz den Vorteilen des Kapitalismus gegenüber geht mir das langsam auf den Sack, ehrlich gesagt.
Ich finde es toll, wenn Menschen starke Überzeugungen haben, aber meiner Meinung nach ist dein Artikel sehr einseitig und unreflektiert.
Es gibt in Deutschland nicht nur „die da oben“ und die hart arbeitende Unterschicht. Es gibt tatsächlich eine relativ große Mittelschicht.
Ich finde, da machst du es Dir ein bisschen zu einfach.
Ich finde es unfassbar wichtig jedem Menschen in Deutschland die gleichen Möglichkeiten zu geben. Was er aus diesen Möglichkeiten macht, muss aber dann jeder selbst mit sich ausmachen.
Würde mich tatsächlich gern mal mit dir über Politik und Gesellschaft reden – das wird wahrscheinlich nichts, aber ich hoffe du fandest mein Kommentar interessant
Viele Grüße
Roman
Fine 10. Juni 2020 - 0:44
Krass. Extrem gut geschrieben- ich habe zu jedem Satz den ich lese direkt ein klares Bild vor Augen. War lange nichtmehr so gefesselt.
Ahmir Nahidi 10. Juni 2020 - 9:34
Das ist ein wirklich guter Artikel, der die Probleme des kapitalismus und dem sich dadurch mitbringenden Rassismus umschreibt. Auch auf die Angst das es nach dem weltweiten Aufschrei sich nicht genug ändern wird wurde klasse eingegangen. Nur leider reißt der Autor den gut aufgebauten Artikel dann mit seiner unreflektierten Ansicht über die Polizei wieder ein. Sehr schade, zwar geht er noch den richtigen Weg indem er sagt die Polizisten sind vielleicht zum Teil gute Menschen, sagt dann aber sie sind ALLE schlechte Polizisten und sagt das sie ausschließlich dem reichen Mann dienen und Obdachlose jagen etc. doch vergisst er das die Polizei auch z.b mörder, Gewalt Überfälle, häusliche Gewalt, betrunkende idioten die Frauen angehen. Diebstahl u.s.w bekämpfen….. auch bei den terror anschlägen egal ob in Paris, London oder den Amokläufen in den Staaten haben sie verhindert das solche Psychopathen noch mehr Menschen töten. In einem punkt sind wir uns aber 100% einig nicht nur in der USA aber besonders dort, muss die Legislative dringend handeln damit die Exekutive eingebremst wird indem die judikative gegen Sie vorgeht!
Jasaman 10. Juni 2020 - 14:27
Super Artikel! Vor allem ab der zweiten Hälfte. Danke, bitte mehr von Gerry!!
jb 11. Juni 2020 - 14:41
So wie es jetzt ist, ist es nicht perfekt. Das System ist nicht unfehlbar.
Der Autor ebenfalls.
Zu Beginn wird Hildmann als gefährlicher Spinner bezeichnet, später schreibt der Autor, dass alle Bullen schlecht seien. Der Autor schreibt von drangsalierten linken Demonstranten. Vergleicht man die „Corona-Demos“ und die BLM-Demos, die nicht „per se“ links sind, und schaut man sich sowohl den medialen als auch polizeilichen Umgang mit diesen an, ergibt sich ein Bild, dass nicht dem Opfer-Narrativ entspricht, welches hier aufgezogen wird.
Mit keinem Wort wird der Widerspruch erwähnt, der sich daraus ergibt, dass die letzten Monate für die Mehrheit „Stay Home“ das Motto war und nun all das plötzlich verworfen wird, weil sich ein noch „solidarischeres Motto“ ergeben hat.
Daniel Ludewig 15. Juni 2020 - 14:19
Was gibt es da noch zu sagen. Ich bin oft gar nicht in der Lage Unterschiede zu sehen. Was alle sehen erkenne ich nicht. Im dem Fall, bin ich froh, über mein Sheldon. Danke Kevin, guter Vergleich. PS. Ich werde was überweisen.. Muss eh zum Frisur..