Ukraine: Comeback des georgische Wunderarztes

30. Mai 2020

Der Ex-Präsident von Georgien Michail Saakaschwili nimmt einen zweiten Anlauf die Ukraine von Korruption zu befreien. Sein Rezept – „Antielitenrevolution“ durch radikale Marktreformen.

Michail Saakaschwili ist zurück. Der ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Ausbürgerung durch seinen Amtsvorgänger Petro Poroschenko rückgängig gemacht und ihn zum „Berater für Reformen“ ernannt. Der Vater des „georgischen Wirtschaftswunders“ soll nun in der Ukraine ein zweites Wunder vollbringen. Zum zigsten Mal wird angekündigt, die Korruption nun endgültig zu beenden. Saakaschwilis Lösung lautet: „Mehr Konkurrenz, weniger Filz“.

Ein kapitalistischer Revolutionär

Der 52-jährige Saakaschwili schaut auf eine abwechslungsreiche politische Karriere zurück. 2003 kam er in Georgien in der Folge der sogenannten „Rosenrevolution“ an die Macht. Die semifriedlichen Proteste gegen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen stürzten den ehemaligen sowjetischen Funktionär Eduard Schewardnadse. Saakaschwili und seine Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ (VNB) setzten sich bei den Neuwahlen durch. Zur Überraschung aller Beobachter, gelang der neuen Regierung etwas Einmaliges im postsowjetischen Raum: ausgerechnet im seit der Sowjetzeit wegen Korruption berüchtigten Georgien begann sich die Situation rasant zu ändern. Verkehrspolizisten hörten auf Schmiergeld anzunehmen, Touristen verloren die bis dahin sehr begründete Angst vor Straßenkriminalität, das marode Straßennetz wurde erneuert.

Saakaschwilis Rezepte waren einfach, deren Durchsetzung rabiat. Im Gegensatz zur Ukraine, wo es eine starke Protestbewegung gegen Korruption gab, fand in Georgien eine marktliberale „Revolution von oben“ statt. Der Großteil des Staatsapparates wurde gefeuert und durch im Westen ausgebildete junge Spezialisten ersetzt. Die neuangestellten Beamten, besonderes bei der Polizei und Staatsanwaltsschaft bekamen mehr Geld als die gefeuerten Vorgänger, galten jedoch als unabhängig von den lokalen Netzwerken. Oberstes Ziel war nun, das Land attraktiv für ausländisches Kapital zu machen – noch übriggebliebenes Staatseigentum wurde privatisiert, Steuern gesenkt und die Formalitäten bei der Unternehmensgründung maximal erleichtert. Gegen die organisierte Kriminalität, die noch zur Sowjetzeit einen Faktor der lokalen Politik bildete, wurden drakonische Strafen verhängt. Die Reformer machten sich den Ehrenkodex der Oberkaste der kriminellen Welt, der „Diebe im Gesetz“ zu nutze, der es verbietet, den eigenen Status zu verleugnen. Ein Geständnis dazu zu gehören, reichte aus, um zu sieben Jahren Haft verurteilt zu werden. Im Bildungsbereich vergab der Staat nun „Bildungsgutscheine“ die Eltern und Studierende bei den staatlichen oder privaten Bildungseinrichtungen einlösen konnten, was die Konkurrenz befeuerte. Arbeitsschutzgesetze aus der Sowjetzeit wurden abgeschafft, die Arbeitsaufsichtsbehörde aufgelöst, der Arbeitsmarkt dereguliert. Gewerkschaftliche Aktivitäten wurden eingeschränkt.

Vor dem Hintergrund des Rekordwirtschaftswachstums galt Georgien im Westen als ein Musterland der „Transformation“, ein Labor der monetaristischen Wirtschaftspolitik. Auch ein verlorener Krieg gegen Russland im August 2008 schien den Ruf Saakaschwilis nicht erschüttert zu haben. Jedoch ließ die auf Forderung der Tourismusbranche ausgerichtete Wirtschaftspolitik nach und nach die Zustimmung der Bevölkerung in Agrarland Georgien schwinden. Dazu kam die Arbeitslosigkeit und die überfüllten Gefängnisse – direktes Ergebnis des Antikorruptionkampfes. Nachdem 2012 die VNB die Wahlen verlor, endete 2013 Saakaschwilis Amtszeit. Nochmal kandidieren durfte er laut Verfassung nicht und die neue Regierung begann wiederum, gegen ihn wegen Korruption zu ermitteln. Einem Haftbefehl entzog sich der “Vater des georgischen Wirtschaftswunders“ durch die Flucht in die USA.

Mit „Neoliberalismus“gegen Korruption

2015 wurde Saakaschwili samt einem Team ausgewählter georgischer Reformer in die Ukraine eingeladen. Ein anderer „postrevolutionärer“ Präsident — Petro Poroschenko – machte ihn zum Gouverneur der Region Odessa. Der Versuch die „Revolution von oben“ zu wiederholen, scheiterte diesmal schon im Ansatz. Einen Austausch der kompletten Staatsführung konnte das Provinzoberhaupt nicht bewerkstelligen und jeder Versuch in Odessa eine „zero tolerance“-Politik umzusetzen, stieß auf den Widerstand der gut vernetzten Freunde der lokalen Größen aus anderen Regionen. Saakaschwili beschuldigte den Zoll, die Odessaer Staatsanwaltschaft, das Innenministerium und sogar den Geheimdienst SBU in Schmuggel und Schutzgelderpressung verwickelt zu sein. Er beschuldigte ebenso die größten Unternehmen vor Ort der Monopolbildung und beklagte die schlechten Bedingungen für ausländische Investoren und einheimische Kleinunternehmer.

Allerdings waren nicht nur die Besitzer sondern auch die zahlreichen Mitarbeiter der von der Korruption profitierenden Unternehmen gegen den georgischen „Polittouristen“ aufgebracht. Die Prinzipien der fairen Marktkonkurrenz schienen nicht für alle an oberster Stelle zu stehen. Als sich Saakaschwili es dann auch noch mit dem Innenminister, Arsen Awakow, dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj und schließlich auch mit dem Präsidenten Poroschenko verscherzte, wurde er im November 2016 nicht nur des Amtes enthoben, sondern genau mit denselben Vorwürfen konfrontiert, mit denen er seinerseits nie geizte – korrupt und sogar mit seinem Erzfeind Putin insgeheim im Bunde soll er sein.

Zurück auf die Barrikaden

Der von der Auslieferung nach Georgien bedrohte Saakaschwili wollte nicht aufgeben. Diesmal versuchte er es mit der Bewegung von unten. Er ging zu den Protesierenden vor dem Kiewer Parlament, kündigte eine neue „antielitäre Revolution“ an. Weitere Verzögerung der radikalen Marktreformen seien fatal für die Ukraine und schadeten dem Kampf gegen Moskau, so seine Botschaft. An die enttäuschten Hoffnungen des Maidan-Aufstands appellierend, gründete er seine eigene Partei – „Bewegung der neuen Kräfte “ (RNS). Seine Anhänger lieferten sich Schlachten mit der Polizei und schützten den Expräsidenten und Exgouverneur bis zum Schluss vor Festnahme und Abschiebung.

Nachdem im Februar 2018 der nun offiziell staatenlose Saakaschwili dennoch nach Polen abgeschoben wurde, versuchte er weiterhin Einfluss auf die ukrainische Politik zu nehmen. Erst unterstützte er die Präsidentschaftskandidatur von Julia Timoschenko, Ex-Regierungschefin, die immer wieder im Mittelpunkt von Korruptionsskandalen stand. Danach rief er seine Anhänger auf, die Partei des neuen Präsidenten Selenskyj zu wählen. Scheinbar hat es ihm das Comeback in die ukrainische Politik ermöglicht. Allerdings gilt der politische Neuling Selenskyj als mit dem Oligarchen Kolomojskyj eng affiliiert. Neue Konflikte dürfe also nicht lange auf sich warten lassen.

# Text: Alexander Amethystow

#Bild: wikimedia.commons

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