Corona, Verschwörungstheorien und die Linke

22. Mai 2020

Nicht wenige drängen voller Ungeduld darauf, dass die Linke in dieser Krise den Rechten und Verschwörungszombies das Banner entreißt und den Aufstand gegen die staatlichen Maßnahmen in der Pandemie anführt. „Wo bleibt die linke Bewegung?“, fragt zum Beispiel mit großer Geste der Journalist und Autor Peter Nowak im Internetportal Telepolis und fordert „eine bundesweit wahrnehmbare“ Bewegung, die einen deutlichen Kontrapunkt setzt „zum Irrationalismus der Corona-Politik wie eines Großteils ihrer Kritiker“. Wie sein Beispiel zeigt, kann man mit derartiger Kritik in ein gefährliches Fahrwasser geraten.

Aufgabe einer Linken müsse es jetzt sein, findet Nowak, konkret herauszuarbeiten, wie ein Virus in einer spätkapitalistischen Welt eine „weltweite offizielle Irrationalität“ hervorrufe. Damit meint er aber nicht etwa die allgemeine Verwirrung vor allem in den westlichen Gesellschaften, die von der Pandemie und den über sie kursierenden Fake News hervorgerufen werden, sondern die Reaktionen der Staaten zu ihrer Eindämmung. Nowak stellt die Gefährlichkeit des Virus in Frage und zitiert aus einem Beitrag, der ausgerechnet in dem ultrarechten Portal Tichys Einblick veröffentlicht wurde.

Und zwar zitiert Nowak einen Satz aus einem Papier, auf das sich die Coronaleugner und Aluhüte in den vergangenen Tagen verstärkt beziehen. Verfasst hatte es ohne Auftrag ein Referent des Bundesinnenministeriums. Am zweiten Mai-Wochenende landete das Papier bei Tichys Einblick, wo der Referent als eine Art Whistleblower dargestellt wurde. Er behauptet in der Studie, dass es sich beim Umgang mit Covid-19 um einen „globalen Fehlalarm“ handelt. Die Gefahr des Coronavirus sei „nicht größer als die vieler anderer Viren“. Die von den Behörden angeordneten Maßnahmen richteten mehr Schäden an als Nutzen. Der Staat müsse sich in der Coronakrise womöglich den Vorwurf gefallen lassen, „einer der größten Fake-News-Produzenten“ gewesen zu sein.

Wer ein solches Papier und einen Blog wie Tichys Einblick ohne kritische Einordnung zitiert, verspielt jede Autorität, über Aufgaben einer Linken zu philosophieren. Zweifellos lassen sich viele Maßnahmen westlicher Regierungen in der Krise kritisieren. Aber die Gefährlichkeit des Virus grundsätzlich zu bezweifeln, ist eine Steilvorlage für alle, die momentan Panik und Verwirrung säen – und das kommt in diesem System immer den Herrschenden zugute. Jede*r Linke, die sich in diesen Sumpf begibt, geht für den Kampf gegen dieses System verloren.

Auf die Frage „Wo bleibt die Linke?“ gibt es eigentlich nur eine Antwort: Sie ist da – auch in der Coronakrise. Diese Pandemie ist für alle neu und um so wichtiger ist es, auch und gerade für Linke, sich nicht in Panik versetzen zu lassen, sondern sich die Entwicklung in Ruhe anzusehen, Schnellschüsse zu vermeiden und die Entwicklung auf marxistischer Grundlage zu analysieren. Wie das aussehen kann, zeigt etwa die Gruppe Roter Aufbau Hamburg mit einem Beitrag, den sie am 10. Mai auf ihre Homepage gestellt hat. Unaufgeregt und verständlich entfaltet der Text, warum es derzeit zu einem „Frühling der Verschwörungstheorien“, wie es in dem Beitrag formuliert wird, kommt, und was das mit dem ‚Wesen des Kapitalismus‘ zu tun hat. Der Irrationalismus, von dem Nowak spricht, den gibt es ja tatsächlich – aber er ist nicht neu, er ist vor allem ein Produkt der Ideologieproduktion in diesem System und damit Teil des Kapitalismus.

Der Rote Aufbau konstatiert, dass wir in einer Welt leben, „deren innere Zusammenhänge viele Menschen nicht verstehen“, die ihnen „verschleiert bleiben“. Die Menschen seien entfremdet durch ihre Arbeit oder dadurch, dass in dieser Gesellschaft alles zu einer Ware wird. Die Menschen träten sich nur noch innerhalb dieser Verhältnisse entgegen, alles werde durch die „Totalität der Wirtschaft“ bestimmt. „Ideologieproduzierende Gewerbe“ trage seinen Teil zur Verschleierung bei und auch in der Schule würden die Bewegungsgesetze der Gesellschaft nicht erklärt. „Wer Germany’s next Topmodel wird oder wer in der Champions League spielt, ist für uns wichtiger als die nächste Tarifverhandlung bei uns im Betrieb“, heißt es in der Analyse. Es lege sich „ein undurchsichtiger Schleier über die gesellschaftlichen Verhältnisse“. Denn „im Kapitalismus soll eben die Mehrheit konsumieren und der Lohnarbeit nachgehen“. Über die „komplexen gesellschaftlichen Verhältnisse“, heißt es im Text des Roten Aufbau, sollten „irgendwelche Soziologen und Politologen Gedanken machen, womit auch die Teilung der Arbeit zu dieser Mystifizierung beiträgt“. Dies sei aber keine Verschwörung von einzelnen Akteuren: „Vielmehr bringt der Kapitalismus als System dies hervor. Es sind keine bösen Medienmogule sondern Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus.“

Das alles sollte für Linke nicht neu sein, aber in der momentanen Krise muss es in Erinnerung gerufen werden. Angesichts der „Hygiene-Demos“ und der Verbreitung von Verschwörungsmythen über das Coronavirus nimmt das bürgerliche Gejammer über die „Fake-News“ und die „Zersplitterung der Informationen“, wie es etwa der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen ausdrückte, zu. Wie immer wollen und können die Protagonisten dieser „Ordnung“ offenbar nicht begreifen, dass diese Phänomene Ausfluss des Systems sind, dessen Bestand sie selbst garantieren und von dem sie profitieren. Dass die Menschen rund um die Uhr stimuliert werden, von TV, Internet & Co. in einer Art Dauererregung gehalten werden, das ist doch gewollt, weil die Leute konsumieren und funktionieren sollen und sonst nichts. Auch die „sozialen Medien“ sind ja zuallererst ein großes Geschäft. Dass sie sich als schneller Brüter für Hetze, Lügen und Mythen erwiesen haben, ist eher ein Kollateralschaden, aber für die Herrschenden auch nicht ohne Nutzen – Verwirrung stiften war schon immer ihr Handwerk.

Erst die flächendeckende Manipulation, die dieses System hervorbringt und zum Überleben benötigt, schafft das Klima, in dem Verschwörungsmythen florieren können. Und in einer Krise wie dieser wirkt sich das besonders fatal aus. Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform der Linkspartei hat die Problematik in der Tageszeitung junge Welt am 23. April sehr plausibel erläutert. Sie fragte: „Ist es leicht, Menschen davon zu überzeugen, dass letzlich alle Probleme auch in unserer Zeit durch die Funktionsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung erzeugt werden?“ Die Antwort gab sie sich selbst: „Es ist das Schwerste überhaupt, darüber aufzuklären.“ Denn diese Aufklärung richte sich gegen die „extrem machtvolle Walze der veröffentlichten Meinung, die den Irrationalismus tagtäglich befördert“. Dennoch, so Brombacher, gebe es für Linke keine Alternative zu diesem Weg. Sie fordert, sich einzusetzen für „all jene, denen das Kapital die Grundlagen für ein würdiges Leben gestohlen hat oder dabei ist, es ihnen zu stehlen“. Der Kampf geht weiter.

#Titelbild: PM Cheung

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Ein Kommentar über “Corona, Verschwörungstheorien und die Linke”

    Maefiz 22. Mai 2020 - 18:22

    Die Behauptung, das Papier sei nur bei Tichys Einblick veröffentlicht worden, wird hier nicht nachprüfbar belegt. Ich hatte es von einer anderen Seite, und das dann als Argument zur Disqualifikation von Peter Nowak anzuführen, finde ich ein bisschen schwach.