Mbembe-Debatte: Postkolonialer Pappkamerad

20. Mai 2020

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Gastbeitrag

In der Debatte um Achille Mbembe wird nicht nur ein prominenter postkolonialer Kritiker, sondern gleich eine weit über die Postkoloniale Theorie hinausgehende antikoloniale und antikapitalistische Denktradition verworfen.

Wie antisemitisch ist das Werk des afrikanischen Philosophen und Historikers Achille Mbembe? Die Diskussion um diese Frage nimmt immer bizarrere Formen an. Interessant dabei sind weniger die detektivisch erkundeten alten Artikel oder Facebookposts von Mbembe noch ihre Verteidigung, sondern viel mehr die Artikel, in denen gleich Grundsätzlicheres verhandelt wird: Hat „die postkoloniale Theorie“ an sich ein Antisemitismusproblem? Und weiter: Welche Probleme hat „die postkoloniale Theorie“ noch? Ist sie gleich antiaufklärerisch? Dabei zeigt sich, dass die Diskussion weit über Mbembe hinausgeht.

In mehreren Beiträgen wird ganz offen eine kritische Geschichte des Kolonialismus, der Aufklärung und des Kapitalismus zum Gegenstand gemacht. Dabei werden munter alle möglichen kritischen Denker zum Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rassismus in einen Topf geworfen und in die „Postcolonial Studies“ eingemeindet. Wenn Étienne Balibar und Stuart Hall, die sich beide auch mit dem Postkolonialismus auseinandersetzten, aber klar in einer unorthodox marxistischen Tradition stehen, einfach als „Vertreter der Postcolonial Studies“ gehandelt werden, wird klar, was das Angriffsziel der Kritik ist. Ijoma Mangold macht dann in der Zeit das ganz große Fass auf und erklärt Mbembe zum „Antiliberalen“ und damit „repräsentativ für ein ganzes politisch-akademisches Milieu“.

Dabei ignorieren diese Artikel zuerst einmal, dass es eine einheitliche postkoloniale Theorie nicht gibt. Selbst ihre größten Kritiker betonen das – vor allem, weil es keine notwendige „innere Kohärenz“ gebe (V. Chibber). Das sieht man gerade an Mbembe, der sich immer wieder von der postkolonialen Theorie abgrenzt und in seinen Werken spezifisch afrikanische Denktraditionen und ideologisch breit aufgestellte (pan-)afrikanische Intellektuelle, aber auch die europäische Philosophie weit über den Poststrukturalismus hinaus aufruft. Das Feld selbst hat sich so weit ausdifferenziert, dass es schon länger absolut üblich ist, innerhalb der Postcolonial Studies die Postcolonial Studies zu kritisieren und sich zumindest in der Forschung nominell eher zu distanzieren.

Vor allem ihr Charakter als „Theorieindustrie“ und akademisches „Branding“ ist schon seit über zwanzig Jahren Thema, genauso wie die weit über die postkoloniale Theorie hinausgehende – aber im Zusammenhang mit der Frage von (unabgeschlossener) Dekolonisierung und Neokolonialismus immer noch dringliche – Debatte um die Ablehnung materialistischer, politökonomischer Analysen im Nachgang von Poststrukturalismus und Cultural Studies. Mbembe selbst hat diese Ablehnung ziemlich deutlich gemacht – den Marxismus erklärte er für gescheitert, Panafrikanismus und „third-worldism“ sieht er als nicht universalistisch genug.

Da schliesst sich ironischerweise ein Kreis zu Teilen der aktuellen Debatte, denn Mbembe wird gerade im angeblichen Interesse eines (liberalen) Universalismus attackiert. Was exemplarisch an ihm erledigt wird, ist aber eben jene weit früher zurückgehende Denktradition, die Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus nicht allein diskursiv, sondern auch politökonomisch als eng verflochten analysiert hat, und bereits früh eine Globalgeschichte des Kapitalismus von ihrer Peripherie her entwickelt hat. W.E.B. DuBois, CLR James, Eric Williams, Frantz Fanon, Walter Rodney, die Dependenz- und Weltsystemtheorie haben alle zu dieser Tradition beigetragen, und sie sind ausgesprochen oder unausgesprochen auch wichtige Einflüsse auf die Postcolonial Studies; sie sind aber auch Vertreter jenes Panafrikanismus und „third-worldism“, den Mbembe überwinden will. Dabei wird die Relevanz der Studien von Williams, James oder Rodney gerade wieder genau so deutlich wie die Notwendigkeit eines auf Solidarität aufbauenden, von der Dritten Welt ausgehenden Internationalismus. Empirisch gab es um Williams These, die Abolitionsbewegung sei ökonomisch durch den Niedergang des Zuckerrohranbaus in der Karibik bedingt, viele Diskussionen – „widerlegt“, wie es oft heisst, ist sie keineswegs. James‘ Analyse der Haitianischen Revolution und ihrer spezifischen politökonomischen Grundlagen bleibt trotz vieler Erweiterungen in der weiteren Forschung aktuell. Beide lieferten schon vor knapp 80 Jahren eine Sicht auf die Globalgeschichte des Kapitalismus aus seiner Peripherie, die seine Entstehung und seine Grundlagen in der kolonialen Ökonomie der Sklavenplantage ausmachten.

Mbembe’s „Kritik der Schwarzen Vernunft“, ohne sie direkt zu nennen, baut auf diesen Arbeiten auf, stellt sie allerdings auf den Kopf, indem er den Rassismus gegen Schwarze primär setzt, der überhaupt erst „in Gestalt der Plantage die damals effizienteste Form der Akkumulation von Reichtum zu erschaffen erlaubte und so die Integration des Handelskapitalismus, des Einsatzes von Maschinen und der Kontrolle über abhängige Arbeit beschleunigte.“ Sowohl Williams als auch James sahen das andersherum: die politökonomischen Grundlagen schaffen den Rassismus.

Dieser Teil von Mbembes Analyse zeigt aber auch, dass ihn einzig als postkolonialen Diskurstheoretiker oder Ideologiekritiker zu lesen (wie es gerade sowohl seine Kritiker als auch seine Verteidiger tun) diese antikoloniale intellektuelle Tradition ausblendet. Dabei zeigen einige der Beiträge eine Bereitschaft, sie nicht nur auszublenden, sondern gleich zu delegitimieren, um eine ungebrochene Geschichte der Aufklärung zu schreiben, in die Mbembe, so Thomas Assheuer in der „Zeit“, einen christlichen Antisemitismus als alten, in Europa bereits überwundenen, Restbestand unbewusst wieder „re-importiert“ – ein bizarrer Vorwurf an einen Historiker und Denker aus einer ehemaligen deutschen Kolonie, der sich äusserst kritisch mit dem kulturellen Effekt der Mission auf afrikanische Gesellschaften auseinandergesetzt hat. Bei aller notwendigen (und existierenden) Kritik an den Postcolonial Studies – und an Mbembe – sollten Linke sich also überlegen, was in der gerade laufenden Debatte (mit)erledigt wird. Denn die Debatte und mit welcher Vehemenz die „Postcolonial Studies“ erst als Pappkamerad aufgebaut und dann für wahlweise antisemitisch oder antiaufklärerisch erklärt werden, zeigt, dass es (auch in der antikapitalistischen Linken) viele blinde Flecken über die Funktionsweise des globalen Kapitalismus gibt.

#Text: Robert Heinze

#Titelbild: Heike Huslagen-Koch CC-BY SA 4.0

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