Niedriglohn, Schimmelessen und Gesundheitsgefährdung – Erntearbeiter*innen im deutschen Agrarkapitalismus

17. Mai 2020

Das Wichtigste vorab: am morgigen Montag, den 18.05.2020, ruft die Freie Arbeiter*innen Union für 09:00 Uhr, Am Ühlchen, 53332 Bornheim zu einer Solidaritätsdemonstration mit den Erntearbeiter*innen von Ritter Spargel auf.

Für diejenigen, die nicht hinfahren können, haben wir ein Flugblatt zum Ausdrucken und Verteilen hier verlinkt. Könnt ihr an eurer örtlichen CDUCSUSPD, in Supermärkten oder bei den zahlreichen Lobbyorganisationen der Agrarkapitalisten oder wo auch immer nutzen.

Am vergangenen Freitag war in Bornheim, Nordrhein-Westfalen, Schluss mit Arbeit. Über hundert Saisonarbeiter*innen – Pressemeldungen sprechen von bis zu 250 – legten die Arbeit nieder, worauf die Verwaltung des Betriebs die Polizei rief, um sie einzuschüchtern. Die Arbeiter*innen bemängeln nicht nur verschimmeltes Essen, unbeheizte Massenunterkünfte neben einer Kläranlage und völlig fehlenden Schutz gegen Corona – sondern auch ein Ausbleiben ihrer Bezahlung. Für ein Monat Knochenarbeit hatten sie nur 100 bis 250 Euro ausbezahlt bekommen.

Der Betrieb gehört (oder gehörte bis vor einigen Monaten) dem Ehepaar Ritter, ist allerdings seit Anfang März in der Insolvenzverwaltung. Zuständig ist das Rechtsanwaltsbüro Andreas Schulte-Beckhausen, der Medienberichten zufolge bereits einen neuen Investor für den Großbetrieb an der Hand hat. In der Hauptsaison soll der Hof in den Jahren zuvor bis zu 500 Ernte-Arbeiter*innen beschäftigt haben.

Dass wir so viel über die Bedingungen bei Spargel Ritter in Bornheim wissen, liegt daran, dass die Arbeiter*innen sich gewehrt haben. Wie die Bedingungen in anderen Betrieben sind, kann man sich ausmalen – auch weil bekannt ist, dass die Misshandlung von Saisonarbeiter*innen in der deutschen Landwirtschaft kein neues Problem ist.

Die scharfe Konkurrenz auf dem Lebensmittelmarkt wird nach unten weitergegeben und ganz unten in der Kette stehen eben die Saison- und Wanderarbeiter*innen – ganz ähnlich wie in der Pflege oder der Fleisch-, Transport- oder Bau-Industrie dieses Landes.

Die deutsche Landwirtschaft basiert in großen Teilen auf von Wanderarbeiter*innen geleisteter Niedriglohnarbeit. Rund 300 000 Arbeiter*innen kommen jährlich aus Ländern mit niedrigerem Lohnniveau nach Deutschland, um hier profitabel von Großbetrieben ausgenutzt zu werden. Gängige Probleme sind miserable Unterbringung, überlange Schichten, Unterbezahlung – teilweise unter dem Mindestlohn -, mangelnde Hygiene- und Gesundheitsversorgung, schlechte Ernährung. Schichten von 14 Stunden, sieben Tage die Woche bei gesundheitsschädlicher Schwerstarbeit sind keine Seltenheit.

Das Geschäftskonzept der Agrarunternehmen ist einfach: Die kommen nur für ein paar Monate, sie haben keine Lobby, niemanden interessiert, wie es ihnen geht – also können wir sie ausnehmen, wie wir wollen.

Die Corona-Pandemie hat die Versorgungswege für die Agrarkapitalisten zunächst unterbrochen. Die Bundesregierung – im Verbund mit der Lobbyorganisation Deutscher Bauernverband – nahm sich der auf dem Trockenen sitzenden Ausbeuter an und beschloss, insgesamt bis zu 80 000 Menschen, vorwiegend aus Rumänien, einzufliegen. Zudem wurde der Arbeitsschutz erneut aufgeweicht.

Das Ergebnis sehen wir seit einigen Wochen: Immer wieder kommt es zu Corona-Fällen, ein Erntehelfer verstarb bereits an der Krankheit. Die Vorkehrungen gegen Covid-19 werden vielerorts nicht eingehalten, in einigen Betrieben werden – wie ansonsten etwa in Knechtschaftsverhältnissen in Saudi-Arabien üblich – die Reisedokumente der Arbeiter*innen von den Bossen einkassiert, private Sicherheitsdienste überwachen die Lohnsklaven.

„Erfreulich“, wenn man so etwas sagen kann, ist, dass das Thema im Zuge der Corona-Pandemie eine größere Aufmerksamkeit als im Normalbetrieb erlangt hat. Zwar arbeiten einige Institutionen – wie etwa die DGB-Initiative „Faire Mobilität“ – seit langem beratend zu dem Thema und auch die Freie Arbeiter*innen Union (FAU) macht aktuell zu Bornheim mobil. Doch in der breite des linken Spektrums, insbesondere des außerparlamentarischen, scheint noch kein Zugang zu irgendeiner Art Praxis auf diesem Feld gefunden zu sein. Durch die konkreten Bedingungen ist das sicherlich auch schwierig, denn die Betriebe sind oft sehr abgeschottet vom gesellschaftlichen Leben in diesem Land – mit Absicht natürlich. Dennoch werden wir – wenn wir die eigenen Beteuerungen zu Klassenpolitik ernst nehmen – die Fabrikstore und Zäune durchbrechen und uns Zugang verschaffen müssen.

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