“Der Putzhilfe haben wir freigegeben” – Mittel- und Oberschicht in der Pandemimimi

11. April 2020

Auf eines kann man sich in der aktuellen Krise verlassen. Die Party wird weitergehen, am Tag danach. Einigen wird nicht mehr zum Feiern zu Mute sein, aber der Rest drückt um so mehr auf die Tube, wetten dass?! Wenn die Kurve abflacht und die Virologen den Daumen heben, wird es kein Halten mehr geben. Biergärten, Shopping Malls und Restaurants werden gestürmt, es wird wieder gefeiert, gesoffen und getrunken. Die Kieze werden beben und die Schornsteine werden rauchen wie verrückt. Der Rubel und der Ball werden wieder rollen, der DAX erholt sich und alle singen: Ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt.

Nichts gegen Lebensfreude, nichts gegen Genuss. Natürlich werden alle aufatmen, wenn der aufoktroyierte Lockdown gelockert wird, ganz klar. Und vor allem den Geringverdienenden in Kulturindustrie und Gastronomie ist zu gönnen, wenn sie wieder Geld verdienen können. Aber darum geht es hier nicht, sondern um die auch auf der Linken gelegentlich geäußerte Hoffnung, die Pandemie könne den Kapitalismus erschüttern und ein großes Umdenken bei den Menschen herbeiführen. Der Lockdown zwinge uns alle zu einem wohltuenden Verzicht und zur Entschleunigung, heißt es da, zu einer „Wiederentdeckung der Langsamkeit“, zur Besinnung auf das Wesentliche – „das, was wirklich zählt“, Rücksicht, Menschlichkeit, Nachbarschaft.

All das ist letztlich esoterisch-bourgeoises Gelaber und dient dazu, in einer Zeit, in der vertraute Rituale und Gewissheiten wegbrechen, so etwas wie Nestwärme zu erzeugen. Ebenso wie die Rede vom großen „Wir“. Tag und Nacht werden wir mit Appellen zum Zusammenhalt zugedröhnt. Hashtags heißen #gemeinsamsindwirstark oder #miteinanderstark. Und auch die Konzerne und ihre Werber haben die Wirksamkeit der Solidaritätsduselei längst entdeckt. Aldi signalisiert Fürsorge mit dem Slogan „Aldi ist für Euch da“. Die Hamburger Sparkasse empfängt den User auf ihrer Homepage mit dem Slogan „Gemeinsam da durch“ und so weiter und so fort.

Wie verlogen das ist, wurde bereits vielfach thematisiert. Die Pandemie könnte, so vermuten jedenfalls manche, die sozialen Gegensätze eher noch vertiefen, das Heer der Arbeitslosen und prekär Beschäftigten weiter vergrößern. Erst einmal aber lässt sie die sozialen Gegensätze in neuer Deutlichkeit hervortreten. Die Krise wirft ein grelles Licht auf die Kluft zwischen dem oberen Zweidrittel bis Dreiviertel dieser Gesellschaft und dem unteren Viertel bis Drittel. Mehr als alles andere zeigt sich das darin, was die Vertreter des oberen Segments angesichts der staatlich auferlegten Einschränkungen als „Sorgen“ formulieren.

Auf allen Kanälen jammern abgesicherte Mittelschichtler über die „harten Zeiten“, in denen sie nun leben müssten. Verbannt ins „Homeoffice“, die Kinder können nicht in die Kita und müssen beschäftigt werden, man darf nicht mehr zum Italiener, der Tauchurlaub auf den Malediven musste storniert werden, das Konzert in der Elbphilharmonie fällt aus. Schlimm, schlimm! Exemplarisch sind diese „Nöte“ in einem Beitrag auf krautreporter.de illustriert worden, einem Portal, auf dem bärtige Hipster pseudoaufklärerische Traktate publizieren.

In dem Text wird eine Mutter zitiert, die ihren Corona-Alltag so beschreibt: „Wir putzen jetzt selbst, der Putzhilfe haben wir frei gegeben, zahlen ihr aber ihr Geld weiter. Ich koche alle Mahlzeiten, backe zusätzlich auch Brot, da wir möglichst wenig von draußen holen wollen. … Ich arbeite vom Homeoffice aus, mein Mann muss ins Büro (systemrelevante Branche). Ich muss dazu den Teenagern (Gymnasium) bei der Organisation des Schulstoffs helfen. Das zieht sich manchmal bis in den Abend. … Es ist insgesamt viel und recht belastend, vor allem psychisch.“ Da hat das Schicksal ja schwer zugeschlagen, könnte man spotten.

Eine groteske und schwer erträgliche Weinerlichkeit bricht sich in der Krise Bahn. Ein anderes Beispiel dafür ist ein Beitrag aus dem Hamburger Abendblatt, dem Leib- und Magenblatt der hanseatischen Bourgeoisie. Der Chef des Wirtschaftsressorts, Oliver Schade, bejammert darin die Konsequenzen der Pandemie für sein Leben. „Obwohl es keine zwei Wochen her ist, kommt es mir vor wie fernste Vergangenheit“, heißt es da. Und weiter: „Vor kurzem lag ich mit der Familie noch auf Fuerteventura am Strand, schwamm im Meer, genoss die vielen Sonnenstunden, aß in einem kleinen Restaurant am Hafen von Morro Jable frischen Fisch. Wir lauschten den Klängen einer Akkordeonspielerin, die sich mit ihrem Instrument auf die Mauer vor dem Restaurant gesetzt hatte, um die Gäste zu unterhalten und um ein paar Euro zu verdienen. Es war diese typische Urlaubsstimmung, auf die man sich jedes Jahr wieder freut, dieses Leben voller Unbeschwertheit, ohne Sorgen…“

Diese Sätze sind ebenso kitschig-verlogen wie symptomatisch für die Ignoranz der Mittel- und Oberschicht. Diese Leute hatten offensichtlich in ihrem Leben noch nie wirklich Probleme. Auf die Urlaubsstimmung freut „man“ sich – dass es eine Welt gibt, in der Menschen von Urlaub nur träumen können und täglich ums Überleben kämpfen, ist außerhalb des Horizonts von Menschen wie Schade. Von der Richtigkeit ihres Lebensentwurfs sind sie zutiefst überzeugt. Reisen ist für sie quasi ein Bürgerrecht. Dass es vor allem auch der globale Tourismus ist, der die schnelle Ausbreitung von Viren überhaupt erst ermöglicht, ist für diese Leute kein Thema.

Die Pandemie entlarvt die Banalität des Lebens der breiten Mehrheit in diesem Land. Eines Lebens, das sich in Streben nach Besitz, Konsum und besinnungslosem Eventhopping erschöpft. Bei genauerem Hinsehen drängt sich der Verdacht auf, dass es etwas gibt, was die Menschen derzeit mehr umtreibt als die (ja durchaus berechtigte) Sorge um Job oder Status – nämlich der horror vacui, die Angst vor der Leere. Wegen der Krise ist zumindest zeitweise all das weggebrochen, was ihren Alltag ausmacht. All die hohlen Vergnügungen, zum Beispiel das gemeinsame Gesaufe und Gefresse an Wochenenden und Festtagen wie Ostern.

Wir haben es momentan also mit Entzugserscheinungen zu tun. Sobald die „Suchtmittel“ wieder zu haben sind, wird – wie bei Abhängigen üblich – wieder kräftig zugegriffen. Nach Ostern wird der hohle Hedonismus, der die Gesellschaft dominiert, also wieder um sich greifen. Ein Umdenken wird es nicht geben, denn das setzt Einsicht voraus. Einsicht darin, dass die Abgesicherten auf Kosten der Marginalisierten hierzulande und in den armen Ländern leben – und dass tatsächlich der Kapitalismus die Seuche ist, die pandemisch ist und der Welt den Rest geben wird.

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