Pflegenotstand und Corona – Die Chance von Pflegekräften Gehör zu finden

30. März 2020

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Gastbeitrag

Die Corona Pandemie verschärft gesellschaftliche Widersprüche und spitzt vorhandene Krisenfelder zu. Nirgendwo sonst wird das deutlicher als im Gesundheitssystem. R. Eifeldorf ist seit sieben Jahren in der Pflege tätig, betreibt in seinem Betrieb gewerkschaftliches organizing und muss jetzt auch noch mit immer knapper werdenden Schutzmaterialien auskommen. Er schreibt von seiner Arbeit in Zeiten der Krise und von möglichen Auswegen:

Zur Zeit scheint es nur noch ein Thema zu geben: Covid19. Der sogenannte Coronavirus geistert durch alle Talkshows und Brennpunkte. Auf den Straßen keine Menschen und in den Regalen keine Nudeln mehr. In jedem zweiten Fernsehbeitrag ist das Gesicht Jens Spahns, eines x-beliebigen Arztes oder Virologen zu sehen. Während Sie versuchen, die Bevölkerung und Aktienmärkte zu beruhigen, schuftet sich still und heimlich im Hintergrund eine Berufsgruppe die Buckel krumm: Die Pflegekräfte. Diejenigen, die dieses kollabierende Gesundheitssystem irgendwie doch noch am Laufen halten.

Aber wir Pflegekräfte wissen: Nicht mehr lange. Wir können nicht mehr. Wir wollen auch nicht mehr. Zumindest nicht mehr unter diesen Bedingungen und vor allem nicht mehr für dieses Gehalt. Die aktuelle Krise des Gesundheitswesens während der Corona-Pandemie ist nur die Spitze des Eisbergs für uns Pflegekräfte. Der Pflegenotstand und der damit einhergehende mögliche Kollaps des medizinischen Sektors hat sich lange genug angebahnt. Wir haben versucht darauf aufmerksam zu machen. Doch zu lange wollte man uns nicht hören.

Ich arbeite seit ca. 7 Jahren in der Altenpflege. 7 Jahre lang habe ich versucht zu verstehen, warum meine Arbeit, die ich doch eigentlich so gerne mache, nicht gewürdigt wird. Ich möchte die Gunst der Stunde nutzen, um den Pflegenotstand näher zu beleuchten, Gründe und Auswege aufzuzeigen sowie auf die mangelnde Organisierung zu sprechen zu kommen.

Schlechte Arbeitsbedingungen befördern die Personalnot

Ein Blick auf die demographische Entwicklung in Deutschland reicht, um zu verstehen, dass wir in einer überalternden Gesellschaft leben. Es fehlt an Nachwuchs, der jetzt und vor allem in kommenden Jahren die immer größer werdende Gruppe der Pflegebedürftigen pflegen könnte. Ein Fakt, der uns allen schon lange bewusst ist.

Um dies aufzufangen ist, wie ihr schon ahnen werdet, folgendes passiert: Nichts. Es hätten bereits vor vielen Jahren Tausende neue Lehrkräfte für Universitäten und Berufsschulen ausgebildet werden müssen, um die hunderttausenden neuen Pflegekräfte, die es brauchen wird, auszubilden. Aber selbst wenn dies geschehen wäre, bräuchte es ausreichend Interessierte, die dann eine solche Ausbildung angehen würden. Verständlicherweise ist jedoch die Begeisterung, sich zur Pflegefachkraft ausbilden zu lassen, äußerst gering. Schichtdienst, Wochenendarbeit, harte physische sowie psychische Belastung, ständiges Einspringen, purer Stress, Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, straffe Hierarchien, kaum gesellschaftliche Anerkennung und ein Durchschnittsgehalt von ca. 2400€ brutto ist dann vielleicht doch nicht so attraktiv. Die ca. 15€ Mindestlohn, die Jens Spahns Pflegepersonalstärkungsgesetz beinhaltet sind dabei blanker Hohn, kommt man damit ohnehin nur auf das in der Pflege gängige Durchschnittsgehalt. Diejenigen die sich trotzdem getraut haben, diese Ausbildung anzufangen, springen meist schon nach der Hälfte der Ausbildungszeit wieder ab.

Bis 2030 werden 500.000 Pflegekräfte fehlen

So kommt es, dass in Deutschland bis 2030 etwa 500.000 Pflegekräfte fehlen werden. Das hat sogar die rationalisierungsfreudige, neoliberale Bertelsmannstiftung erkannt. Zwar soll mehr Personal durch das oben genannte Pflegepersonalstärkungsgesetz mit millionenschweren Programmen aus dem Ausland rekrutiert werden, jedoch würde solches Fachpersonal andernorts genauso dringend gebraucht. Vielleicht könnte man stattdessen auch einfach aufhören, angehende Pflegekräfte, die zuvor nach Deutschland geflohen sind, in Kriegsgebiete abzuschieben.

Dass es noch nicht längst zu einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems gekommen ist, ist vor allem den oft schwarz arbeitenden und aus Ost-Europa stammenden 24/7-Kräften zu verdanken. Diese leben meist bei den hochbetagten Menschen zuhause und kümmern sich dort unter prekärsten Arbeitsbedingungen um den Haushalt und die Pflege. Ohne zuvor eine angemessene Pflegeausbildung erhalten zu haben.

Patriarchale Rollenbilder und Prekarisierung von „Frauenberufen“

Aber auch die Pflegekräfte in den Heimen, Krankenhäusern und ambulanten Diensten haben durch Einspringen und Überstunden dafür gesorgt, dass eine Grundversorgung bislang noch möglich war. Das wird auch von uns erwartet. Das zutiefst religiös und patriarchal geprägte Rollenbild der pflegenden Nonne ist noch immer tief in den Köpfen verankert: Sie soll barmherzig, aufopferungsvoll und für Gottes Lohn jeder Zeit verfügbar sein und sich empathisch um die Patient*innen kümmern. Genau diese Erwartungshaltung an uns Pflegekräfte macht sich momentan während der Corona-Pandemie bemerkbar. Jens Spahn hat mal eben die die Personaluntergrenze für uns ausgesetzt und es wird erwartet, dass wir notfalls in den stationären Einrichtungen vorübergehend einziehen, um die Versorgung aufrecht zu erhalten. Dass eine solche Krise nur mit mehr und ausgeruhtem, statt mit weniger und überarbeitetem Personal überwunden werden kann, scheint angesichts der angeblichen Aufopferungsbereitschaft unsererseits egal. Die Gesellschaft schweigt währenddessen dazu oder begrüßt die Maßnahmen.

Doch auf den ersten Blick hat sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten hinsichtlich der Emanzipation der Frau zum Positiven gewandelt. Dieser Wandel macht sich jedoch hauptsächlich in der liberalen Gesetzgebung bemerkbar, nicht aber im materiellen Sinn. Die Bedingungen in den so genannten „Frauenberufen“, in der Reproduktions- und Carearbeit sind weiterhin prekär.

Dieser Umstand überträgt sich auch auf den gesellschaftlichen Status von uns Pflegekräften. Nach wie vor gelten wir als „Arschabwischer“ die einen Job ausüben, den jeder Idiot machen kann. Doch unser Beruf ist eine medizinisch höchst anspruchs- und verantwortungsvolle Arbeit. Das Wissen und Können, das uns abverlangt wird, ist immens. Mit der steigenden Alterserwartung nehmen auch die komplexen Krankheitsbilder zu, die wir zu verstehen und behandeln haben.

Bessere Löhne und Arbeitsbedingungen müssen erkämpft werden

Doch eine angemessene Bezahlung für diese Tätigkeiten findet nach wie vor nicht statt. Das hat gute Gründe, haben wir Pflegekräfte es doch verpasst uns zu organisieren. Nur etwa 10% von uns sind Mitglied in einer Gewerkschaft. Arbeitskämpfe oder gar Streiks sind entsprechend rar. Insbesondere Verdi hat es jahrelang verpennt, sich mehr im Pflegesektor zu engagieren und dort zu mobilisieren. Viele Kolleg*innen wollen dies auch gar nicht, haben sie doch Angst vor Repression des kirchlichen Arbeitsrechts. Dieses gilt in vielen der Einrichtungen hierzulande, schränkt gewerkschaftliche Betätigung ein und untersagt jede Form von Streik.

Ein weiterer sehr bedeutender Grund liegt historisch begründet: Seit den 70er Jahren haben sich die Pflegekräfte hauptsächlich im Berufsverband organisiert. Das vorhaben war, endlich als die professionelle Berufsgruppe wahrgenommen zu werden, die man ist. Dies ist ein logischer Schritt, denn wenn du nicht als professioneller Beruf angesehen wirst, sieht auch niemand ein, dass du besser bezahlt werden solltest.

Uns fehlt es nach wie vor an einer Lobby. Insbesondere aus der (radikalen) Linken fehlt es hier an Solidarität. Dabei wären wir so sehr auf die Unterstützung organisierter Gruppen und Menschen angewiesen, wo wir doch selbst kaum Organisierungserfahrung haben. Doch statt sich real auf die so gerne propagierte „Solidarität mit der Arbeiterklasse“ zu beziehen, beschäftigt man sich lieber mit der eigenen akademischen Karriere, verliert sich in innerlinken Diskursen und erfreut sich am Hedonismus im nächstgelegenen AZ. Insbesondere die feministische Dimension einer Erkämpfung besserer Arbeitsbedingungen in der Care-Arbeit wird außer Acht gelassen. Der Feminismus vieler Linker verortet sich nämlich immer mehr in postmodernen Diskursen. Der Fokus liegt dabei meist auf Sprachgebrauch und Verhaltensweisen statt auf konkreten materiellen Bedürfnissen.

Wir Pflegekräfte müssen unsere Lobby also eigenständig aufbauen. Doch ob wir diese Anstrengung zusätzlich zu den krassen Belastungen unser Arbeit gestemmt kriegen bleibt dahingestellt.

Eine Chance wäre die aktuelle Krise allemal.

Auf Dankesworte müssen Taten der Solidarität folgen

Die Relevanz unserer Arbeit und die Notwendigkeit eines entprivatisierten Gesundheitswesens mit ausreichend und gut bezahltem Personal, das nicht ständig überlastet ist, wird so langsam erkannt. Dies ist unsere Chance, Forderungen zu stellen. Und das tun wir auch: Die Forderung nach einem Bruttolohn von 4000€ wird gestellt. Zurecht! Warum sollen wir auch weniger als den deutschen Durchschnittsbruttoverdienst von ca. 3800€ verdienen? Außerdem würde ein solches Gehalt mehr Leute dazu bewegen, diese Arbeit zu tätigen. Nur so kann die Personalnot bekämpft und eine Arbeitszeitverkürzung sowie Belastungsreduzierung möglich gemacht werden.

Es werden immer mehr Forderungen laut. Insbesondere die nach Gefahrenzulagen und einer Entprivatisierung des Gesundheitswesens. Wir Pflegekräfte realisieren gerade, wie viel Macht wir haben, wenn erkannt wird, dass ohne uns nichts läuft. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir nach der Corona-Krise unsere Forderungen auf die Straße tragen. Dass wir nicht wieder an den Rand jeder Debatte gedrängt werden, sondern laut bleiben. Das können wir aber nicht alleine! Wir können nicht mal einfach so in den Streik treten, sind wir doch tagtäglich damit beschäftigt, Menschen am Leben zu erhalten. Wir brauchen die Solidarität derer, die jetzt auf den Balkonen stehen und für uns Abends applaudieren. Lasst den Applaus nicht verhallen, wenn die jetzige Krise vorübergeht, sondern wandelt ihn um. Wandelt ihn in eine breite Bewegung, die auf die Straße geht und in den solidarischen Streik tritt. Aus den Dankesworten müssen Taten der Solidarität werden. Taten die die konkreten materiellen Bedingungen von uns Pflegekräften und damit auch derer, die wir versorgen massiv verbessern.

Denn der Pflegenotstand geht uns alle an!

Wenn ihr mehr von R. Eifeldorf lesen wollt, könnt ihr im auf Twitter folgen @Amanoman1

Titelbild: Gemeinfrei

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Ein Kommentar über “Pflegenotstand und Corona – Die Chance von Pflegekräften Gehör zu finden”

    Hans Grubmüller 28. April 2020 - 21:39

    Ich wusste nicht, dass so viele Pflegekräfte in Deutschland fehlen. Für mich sind Pflegekräfte große Vorbilder. Ihr leistet einen unglaublichen Dienst. Ich bin der Meinung, wir brauchen unbedingt mehr Pflegearbeiter und sogar in allen Bereichen.