Dokumentarfilm zu Hasankeyf: „Die Werte meines Volkes werden geplündert“

13. Februar 2020

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Gastbeitrag

Trotz aller Kritik und Proteste der von den Auswirkungen betroffenen Gemeinden entlang des Tigris geht die Befüllung des umstrittenen Ilisu-Staudamms – ein Großprojekt der türkischen Regierung – weiter. Seit Neujahr hat der Stausee die 12.000 Jahre alte Stadt Hasankeyf (kurdisch: Heskîf) erreicht, die zu den großartigsten Kultur- und Naturschätzen unseres Planeten gehört.

Seit Juli 2019 sind mindestens 50 Dörfer durch den Ilisu-Stausee überflutet worden. Die Bewohner des Tigris-Tals sind nicht darauf vorbereitet und werden aus ihrer Heimat vertrieben. Eines der überfluteten Dörfer in Hasankeyf ist das Dorf Ewtê.

Der Dokumentarfilm „Siya Avê“ erzählt die Geschichte zweier Frauen, die in Ewtê aufwachsen sind. Die Dreharbeiten für den Dokumentarfilm, der von der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) produziert und vom Journalisten Metin Yoksu geleitet wurde, begannen im August 2019 und dauerten etwa 3 Monate. Der Trailer wurde im Januar veröffentlicht. Auf die Frage, welche Sprache der Doku sein wird, antwortet der Regisseur Metin Yoksu: “In einer Geschichte, die in Kurdistan spielt, kann die Sprache keine andere als kurdisch sein.“ Untertitel wird es auf Türkisch, Englisch und Deutsch geben.

Dilan Karacadag hat mit dem Journalisten und Regisseur Metin Yoksu über die den Dokumentarfilm gesprochen.

Wie ist der Dokumentarfilm “Siya Avê” entstanden? Was hat dich dazu motiviert, das Thema aufzugreifen?

Seit fast zwei Jahren berichten wir als Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) über den Fall in Hasankeyf. Seit August 2019 werden die Menschen aus Hasankeyf herausgeholt. Mehr als 50 Dörfer sind durch den Stausee überflutet worden – nach unseren Schätzungen, da die türkische Regierungen keine offiziellen Angaben veröffentlicht.

Das Dorf Ewtê, in der meine Mutter aufgewachsen ist, gehört zu den vom Ilisu-Staudamm überfluteten Dörfern in Hasankeyf. Als meine Mutter Firyaz Yoksu das erfahren hat, hat sie aus Trauer ein kurdisches Klagelied (kurdisch: şîn) gesungen. Später erfuhr ich, dass eine andere Frau namens Habibe Saçık, die ebenso ihre Kindheit im selben Dorf verbracht hat, auch ein Klagelied gesungen hat. So begann die Idee diesen sowohl traurigen als auch interessanten Zufall zu thematisieren. Meine Mutter sagte mir, dass sie ihr vor dem Überfluten ihr Dorf zum letzten Mal sehen wollte; so begannen die Dreharbeiten für „Siya Avê“.

Ich hatte nicht die Absicht, einen Dokumentarfilm zu drehen. Wenn es so wäre, hätte ich viel früher mit den Dreharbeiten anfangen. Nach dem Klagelied habe ich mich aber zum Drehen gezwungen gefühlt. Mit diesem Dokumentarfilm will ich mich dem Kampf, Hasankeyf zu retten, anschließen. Auch das war meine Motivation.

Als Journalist berichtest du auch immer wieder über Hasankeyf. Ist Hasankeyf denn überhaupt noch zu retten?

Trotz der Zerstörung im Tigris-Tal können wir die Katastrophe noch stoppen. Auch jetzt noch bedeutet die Aufgabe des Ilisu-Projekts einen Gewinn für uns und die kommenden Generationen. Es muss dazu aufgefordert werden, die Flutung des Ilisu-Staudamms zu beenden. Die Situation ist sehr dringend, wir haben keine Zeit zu verlieren.

Eines muss gut verstanden werden; auch wenn der Stausee die historische Stadt Hasankeyf erreicht hat, ist es immer noch nicht zu spät, den Kampf gegen die Zerstörung zu führen. Deswegen sollten wir auf keinen Fall aufgeben; wir müssen mit Entschlossenheit den Kampf um den freien Fluss Tigris, kurdisch: Dicle, und Botan fortführen.

Welche Schwierigkeiten hattet ihr beim Dreh der Doku?

Das größte Problem war natürlich die technische Ausstattung. Wir haben mit Kameras, Mikrofonen und Stativen aufgenommen, die wir täglich für unsere journalistische Arbeit gebrauchen. Manchmal mussten wir Drohnenaufnahmen durchführen, da an manchen Orten der Zugang gesperrt oder es nicht möglich war, Aufnahmen zu machen. Doch viel schwieriger war die emotionale Situation; Hasankeyf ist einer der schönsten Orte in Kurdistan. Daher war es schwierig, über die Zerstörung einer 12.000 Jahre alten Geschichte zu drehen. Man muss sich das so vorstellen; wenn wir von Hasankeyf ins Tigris-Tal und von dort aus zum Botan-Tal schauen, sprechen wir von einer Fläche von fast einem Drittel Nordkurdistans.

Metin Yoksu wurde 1987 im Dorf Bêlek im Stadtteil Kurtalan in Siirt geboren. Zuletzt arbeitete er in der Nachrichtenagentur Mezopotamya als Korrespondent in Istanbul, Batman und Siirt.

Was hat dich während den Dreharbeiten am meisten beeindruckt?

Seit zwei Jahren erlebe ich viel mit und habe mir unzählige Geschichten angehört. Die Gräber meiner Vorfahren wurden vor meinen Augen geöffnet. Die Werte meines Volkes wurde vor meinen Augen geplündert. Ich musste zusehen, wie die schönsten Flüsse Kurdistans zerstört wurden. Die wunderschönen Bäume Kurdistans wurden vor meinen Augen durch die Überflutung unter Wasser gesettzt. Manchmal kamen mir die Tränen hoch.

Auf was hast du bei den Dreharbeiten geachtet?

Hauptsächlich achte ich darauf, nur das aufzuzeichnen, was ich sehen, ohne etwas vorher zu planen. Drauf los zu drehen und ohne am Natürlichen etwas zu ändern. Leider muss ich hier einige Filmemacher kritisieren, die versuchen, ihre eigene Vorstellung von der Sache zu drehen. Das Zerstörte sollte man nicht als Projekt ansehen. Denn das wäre eine gefährliche Haltung.

Kannst du das detaillierter erklären?

Die meisten „Dokumentarfilmer“ sind vor kurzem hierher gekommen, um ein Projekt aus Hasankeyf zu produzieren. Sie betrachten es als Projekt. Noch gefährlicher ist, dass einige wie ein hungriger Wolf darauf warten, dass die Stadt durch die Überflutung untertaucht, damit sie ein „großes Projekt“ erstellen können. Ich könnte sagen, dass sie sich fast freuen würden, denn denen geht es nicht um Werte, die vernichtet werden und für die man kämpfen sollte. Geschichte und Natur Hasankeyfs brauchen einen Kampf, kein Projekt.

Wer hat außer Ihnen an der Produktion mitgewirkt?

Der Dokumentarfilm ist Ergebnis einer kollektiven Arbeit. Hinter der Kamera stand Akif Özalp, Fiktion und Montage gehört Erhan Karahan, der Berater des Doku-Films ist Ali Ergül. Abgesehen von ihnen gibt es natürlich noch mehrere, die mich unterstützt und geholfen haben.

Wann ist die erste Vorführung? Und wird der Film auch in Europa gezeigt?

Die erste Vorführung findet am 16. Februar um 19:00 Uhr im Ahmet Güneştekin Kulturzentrum der Gemeinde Batman statt. Wir ziehen natürlich die europäischen Filmvorführungen in Betracht. Aber eigentlich ist es unsere Priorität, ihn in kurdischen Städten zu zeigen. Wir wollen Vorführungen von Rojava bis Hewler organisieren. Da der Damm auch Kurden in Südkurdistan betrifft, würden wir uns auf eine Einladung aus Südkurdistan besonders freuen.

Die Vorführungen sowohl in Europa als auch auf der ganzen Welt sind uns aber auch wichtig, da wir diese Grausamkeit der ganzen Welt zeigen wollen. Wir möchten die Stimme Hasankeyfs werden, damit wir es noch retten können.

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