Das deutsche Kleinbürgertum ist über Kritik an Menschenverachtung genervt und unwillig, die eigene Verantwortung kritisch zu reflektieren. So auch Patricia Hecht, Autorin der taz. Dem moralischen Appell “Sexkauf nicht in die Illegalität drängen” betitelt sie ihren Artikel vom 1. Januar 2020 und kaut in lähmender Schwere durch, was die Prostitutionslobby rund um den „Berufsverband sexueller und erotischer Dienstleistungen e.V.“ (BesD) der Öffentlichkeit seit Jahren zum Fressen vorwirft. In ihrem Artikel werden Vertreterinnen der politischen Forderung des Sexkaufverbots zititiert, in die gegenüberliegende Ecke des Rings stellt Hecht “die anderen”, darunter “Verbände von Sexarbeiter*innen, die Prostitution als eine selbstgewählte Arbeit wie andere auch werten”. Damit sind die Torpfosten der Debatte gesetzt und während sie selbst bedauert, dass Zwischentöne in der aufgeregten Debatte fehlen würden, sind diese auch nicht in ihrem Artikel zu finden. So wird der BesD unkritisch als “Verband von Sexarbeiter*innen” beschrieben. Unerwähnt bleibt, dass auch Betreiberinnen von Prostitutionsstätten stimmberechtigtes Mitglied und Freier und Zuhälter Fördermitglieder werden. Für Hecht scheint es auch nicht nennenswert, dass der BesD in Freierforen beworben wird, dort auch selbst zur Unterstützung aufruft, der Verein eng mit den Profiteur*innen der Branche kooperiert und dass die Pressesprecherin des BesD auch bei einem großen Onlinesexportal angestellt ist. Erst kürzlich bezeichnete Salome Balthus den BesD als “Hurengewerkschaft”.
Das alles nicht zu hinterfragen, nicht einmal kritisch zu prüfen, sorgt für eine eingeschränkte Sicht auf Prostitution in Deutschland. Und so wirkt auch der Text, als sei er aus Fragmenten der Publikationen der Prostitutionslobby zusammengesetzt und um bereits genehmigte Zitate von Vertreterinnen des Sexkaufsverbots ergänzt. Der Clou aber: Hecht verschiebt die Verantwortung für die patriarchal tradierte Stigmatisierung weiblichen Begehrens in die Prostitutionskritik. Denn nach Hechts Gedankenmodell, löse nicht der Sexkauf das Stigma aus, sondern die Kritik daran. Ergo: Wer Ausbeutung kritisiert, besorgt den Opfern das Stigma und hinter dem Stigma verschwindet die Tat.
Linksliberale wie Hecht fühlen sich dabei denen näher, die jauchzend-fröhlich in die eigene Ausbeutung laufen, als jenen, die sich ausbeuten lassen müssen, um überleben zu können. Ihr soziales Engagement heißt in diesem Fall, ohne Gewissensbisse armen Frauen zu raten, sich doch freiwillig gegen Geld ficken zu lassen, um nicht verhungern zu müssen. Mit dieser Lösung sind alle froh: Der Mann hat Spaß, der Staat spart Sozialausgaben und kassiert Steuern, die Frau hat Sex und was zu essen. Was will eine Frau denn mehr? Prostitution als “Sexarbeit” verharmlost, besorgt dann die Idee der Nützlichkeit, denn nur wer “arbeitet” schafft was und darf auch essen. So wird aus der Prostitution ein “Beruf wie jeder andere” und die politische Linke bekommt noch ihre Ohnmacht im Diskurs vorgeworfen, denn gegen die Lohnarbeit rebelliert ja auch niemand (mehr).
Für Hecht selbst kommt Prostitution nicht in Frage, denn sie verdient mit Prostitutionslobbyismus für die taz Geld. Das Thema Prostitution erarbeitet sie sich theoretisch. Der “Sex” in der Prostitution gilt Hecht dabei als “einvernehmlich” und für andere Argumente fehlen ihr leider, leider die Zahlen. Die notwendige Entrichtung einer materiellen Entschädigung für einen Teil der Abmachung gilt dabei nicht als Sachzwang, sondern als ein Akt besonderer Großzügigkeit der Freier. In einem Staat, in dem Menschen ohne deutschen Pass mindestens einen Ausbeutungsplatz brauchen, um überleben zu können, wird das Zahlen von Entschädigungen für das Aushalten sexueller Gewalt zur milden Geste erklärt. Als wären ein brutales Abschieberegime, Rassismus, Sexismus und die Härten des Arbeitsmarkts noch nicht Elend genug, mündet das alles als Geschlechterverhältnis veranschaulicht in der Prostitution. Kapitalismus besorgt weißen Männern das Geld und nichtweißen Frauen die Not, um am freien Markt ihr letztes Hemd samt Slip anzubieten und sogar Käufer für die Nutzbarmachung des Körpers darunter zu finden. Weiße Frauen erteilen dazu auch noch in linksliberalen Medien Absolution zum Handel mit dem Sex, Ablass wird an den Fiskus gezahlt und alle fühlen sich wohl dabei, denn diese armen Geschöpfe brauchen doch was zu beißen.
Frauen, die sich prostituieren wollen, gelten im Lobbyslang als “selbstbestimmte Sexarbeiterinnen”. Sie organisieren sich in “Hurengewerkschaften”, werden in Talkshows eingeladen und predigen, dass Prostitution ein “Beruf wie jeder andere sei”, das “älteste Gewerbe der Welt” und das ihnen nach Uhr getakteter Sex richtig viel Spaß macht. Diese selbstbestimmten Sexarbeiterinnen sind meist weiß, sprechen deutsch, drücken sich gebildet aus und sie vertreten angeblich die Interessen aller Prostituierten.
Dass es da noch andere Wirklichkeiten gibt, das wissen wir alle. Aber diese Frauen, die nicht so glücklich als Prostituierte sind, sprechen nicht selbst. Zwangs- und Armutsprostituierte werden zwar erwähnt und bedauert, aber Gewalt sei ja sowieso schon strafbar. Man spricht nicht mit ihnen, sondern über sie. Was diese verstummten Frauen bewegt, wie sie leben, warum sie was machen und was sie eigentlich wollen, findet in den Talkshows nicht statt. Das Bild, das sie vermitteln könnten, schillert nicht. Ein Sexkaufverbot schade dann aber wieder allen und muss darum abgelehnt werden, spricht die Highclass-Escort-Lady aus den Medien, denn es schaffe demnach nur weitere, viel dramatischere Probleme als eben jene, die andere jetzt schon haben. Dann aber für alle Prostituierten. Von noch mehr Gewalt ist die Rede, die Prostituierte in der Illegalität zu ertragen hätten und sich nun nicht mehr wehren können. Mit dem Sexkaufverbot verblieben im Pool der ansonsten supernetten Freier plötzlich lediglich schwer Kriminelle und brutale Triebtäter, weil sich die zahlbereiten Womanizer nun weigern, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. So lauten die aufrüttelnden Appelle der Lobbyvereine.
Mir bleibt nur das Kopfschütteln: Ein Blick in Freierforen genügt, um zu erfahren, wie brutal und massenhaft Prostitution täglich ohne Sexkaufverbot stattfindet: Es werden Vergewaltigungen geschildert, brutale Übergriffe, ekelhafte Beleidigungen. Das alles ist nicht legal. Nur ganz wenige Prostituierte sind krankenversichert, zahlen Sozialabgaben. Offen wird Verkehr ohne Kondom praktiziert und offen kommuniziert, trotz geltender Kondompflicht. Der Großteil der Prostitution findet bereits jetzt in der Illegalität statt. Gewalt ist Alltag, Prostituierte wehren sich höchstselten. Das alles, Elend und Gewalt, verschwindet hinter der Hochglanzprostitution, die crossmedial als Recht aus Selbstbestimmung verkauft wird.
Auch in Hechts Text wird deutlich, dass ihr jedes Wissen um die Wirklichkeit in der Prostitution fehlt. Aber auch, aus welch elitärer Position sie selbst auf die Prostituierten herabblickt. Sie vergleicht das Elend in der erzwungenen Prostitution mit der siebten Nachtschicht einer Putzfrau. Warum vergleicht sie nicht das Elend einer Armutsprostituierten mit den “Belastungen” eines schwerreichen Puffbesitzers? Warum vergleicht sie das Leben und Arbeiten einer Prostituierten nicht mit ihrem Alltag? Jede Frau ist in einer Gesellschaft, in der Prostitution als “eine Option besser als keine” gilt, eine potenzielle Prostituierte. Jede Frau ist von Armut und Gewalt bedroht. Warum vergleicht und identifiziert sich also eine Journalistin nicht mit den Betroffenen von Armut und Gewalt und dem System Prostitution sondern nimmt sogar Partei ein für die Profiteure der Branche?
Die Vergleiche wählt sie, um sich von den Ausgebeuteten besser distanzieren zu können. Denn weder die Prostituierte, noch die Putzfrau, noch die Pflegekraft oder der Bauarbeiter haben etwas mit Hechts Lebenswirklichkeit zu tun. Prostitution bleibt für jene als Option im täglichen Überlebenskampf vorbehalten, denen “andere Möglichkeiten zum Beispiel aus sprachlichen Gründen oder wegen fehlender Bildungsabschlüsse nicht zur Verfügung stehen”. Patricia Hecht gehört nicht zu den Ausgegrenzten. Patricia ist weiß und deutsch und sie schreibt seit 2012 für die taz. Patricia kann einvernehmlich, ohne Entschädigungen eintreiben zu müssen, und mit wem sie will ficken. Patricia reflektiert ihre Privilegiertheit nicht. Dafür legt sie in ihrem Artikel dar, wie Linksliberale über Armut und Elend denken.
Menschen in die Prostitution zu zwingen, ist strafbar. Frauen zu ermutigen, freiwillig “Sexarbeit” zu leisten, gilt Linksliberalen als “feministisch” und “empowernd” und als ein (vor allem Frauen) zumutbarer Weg aus der Armut. Die Möglichkeit, mit dem zeitweisen Verzicht auf Grundrechte, den selbstbestimmte Prostituierte notwendigerweise vollziehen müssen, Geld zu verdienen, rechtfertigt die Entwürdigung aller Frauen nicht. Es rechtfertigt auch nicht, von Prostitution als “Sexarbeit” zu sprechen. Prostitution ist auch keine “Dienstleistung”, sondern der personalisierte Handel mit Sexualität. Jedem Versuch der Normalisierung des Handelns mit sexueller Ausbeutung muss vehement widersprochen werden. Dem Wesen der Prostitution entspricht, dass der eine Part den anderen für das Aushalten entschädigen muss. Der Profit, der aus der Kommerzialisierung des Aushaltens zu erzielen ist, rechtfertigt auch nicht, diejenigen Frauen im Stich zu lassen, die keine anderen Optionen als ihre Verprostituierung haben, um in Deutschland zu überleben. Der Profit, der aus dem freiwilligen, überlebensnotwendigen oder mit Gewalt erzwungenem Verzicht auf Menschenrechte zu erzielen ist, rechtfertigt überhaupt nichts!
(Auch keine Gefälligkeitsartikel in der taz.)
Ich habe massenhaft Bücher gelesen, Diskurse durchgeackert, aktiven Prostituierten, Lobbyvertreterinnen, Freiern, Dominas und Bordelbetreibern zugehört. So wie es in jeder Debatte zur Prostitution von prostitutionskritischen Stimmen erwartet wird. Und ich habe Überlebenden zugehört, Aussteigerinnen, die täglich um ihren Lebensunterhalt kämpfen, weil sie sich nicht mehr prostituieren werden und aus allem eine Meinung gebildet. Ich streite, schreibe und kämpfe als Linke, als Feministin, als Frau, für ein Sexkaufverbot. Mir ist bewußt, was das bedeutet. Auch die linken Gegenargumente sind mir bekannt. Meine Forderung ist ein politischer Appell an einen Staat, dessen Verfasstheit von Ausgrenzung, Ausbeutung und Gewalt bestimmt ist, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen und diese gegen männliche Kontrolle und Verfügungsgewalt zu schützen. Ein solcher Appell ist Anklage und Ausdruck meiner Hilflosigkeit, denn selbst die politische Linke scheint sich nicht im Klaren darüber zu sein, wie sie sich zum System Prostitution äußern soll und sich zu verhalten hat. In diesem Sinne ist meine Forderung nach einem Sexkaufverbot auch eine Aufforderung an euch, entgegen der ideologischen Zumutungen der Lobbyvereine, Prostitution wieder als Ausdruck der sozialen Not von Frauen zu betrachten. Wer eine solche Notlage ausnutzt, um sich Triebbefriedigung zu kaufen, ist weder Wohltäter noch Gönner, sondern ein Dreckschwein.
Emily Williams
# Titelbild: Bordellszene aus dem 15. Jahrhundert, wikimedia.commons
Angelika 21. Mai 2020 - 17:29
Danke !
Sexarbeiter*in 20. Juni 2020 - 10:01
Erschreckend wie solch vereinfachte, menschenverachtende, stigmatisierende und moralistische Texte in der deutschen Linken akzeptiert werden. Wenn Mensch sich mal mit Sexarbeiter*innen unterhalten und zuhören würde, könnte man uns ja im Kampf gegen Ausbeutung, Rassismus und Gewalt unterstützen aber nein, die eigene Moral und Ideologie ist ja wichtiger. Sexarbeiter*innen haben die deutsche Linke schon lange an radikaler Analyse und Organisation überholt. Ich spucke auf euch bürgerlichen Haufen