Connewitz – die Stunde der Scharfmacher

10. Januar 2020

Eigentlich ist zu den Ereignissen im Leipziger Stadtteil Connewitz in der Silvesternacht schon alles gesagt worden. Die bürgerlichen Medien haben ausufernd berichtet, in den „sozialen Netzwerken“ wurde das Thema rauf und runter diskutiert. Erst lief die Empörungsmaschinerie auf Hochtouren, zuletzt rückte immer mehr – zumindest in den Medien, die ihren journalistischen Anspruch noch nicht ganz aufgegeben haben – die Rolle der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit in den Fokus. Immerhin.

Die Geschehnisse in der Silvesternacht an sich sind nicht groß von Belang, ein paar Scharmützel zwischen Polizei und Feiernden, nichts wirklich Besonderes. Spannend ist an dem Vorgang eigentlich nur, was daraus geworden oder besser gemacht worden ist. Gleich zu Jahresbeginn wurde exemplarisch vorgeführt, wie einfach es ist, mit Fake-News einen reaktionären Hype zu erzeugen. Dies war eine Eskalation mit Ansage – es war die Stunde der Scharfmacher.

„Einen Einsatz zur Aufrechterhaltung der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ nannte die Staatsmacht selbst, was sie zum Jahreswechsel in Leipzig veranstaltete. So wie sie auftrat, erzeugte sie das Gegenteil. Ab mittags kreiste ein Hubschrauber über dem Viertel, Wannen rasten hin und her. Abends griffen die Cops aggressiv ins Geschehen ein, schubsten etwa unbeteiligte Feiernde. Die Polizei wollte offenbar zeigen, wer in Connewitz das Sagen hat.

Kurz nach dem Jahreswechsel kam es dann am Connewitzer Kreuz zu dem Vorfall, der hinterher im Zentrum des Hypes stand. Die Polizeidirektion Leipzig haute noch in der Nacht eine Pressemitteilung raus, die innerhalb weniger Tage von vorn bis hinten als Fake-News entlarvt wurde. Eine „Gruppe von Gewalttätern“ habe einen brennenden Einkaufwagen „mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei zu schieben“ versucht, fabulierte die Polizei, und diese „massiv mit Pyrotechnik beschossen“. Ein Beamter sei dabei so schwer verletzt worden, dass er „das Bewusstsein verlor und im Krankenhaus notoperiert werden musste“. Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze delirierte: „Es ist erschreckend, wie skrupellos Personen in der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz durch offensichtlich organisierte Angriffe schwerste Verletzungen von Menschen verursachen.“

Linke Krawalle, schwer verletzter Polizist, Not-OP – das kam den bürgerlichen Leitmedien am traditionell nachrichtenarmen Neujahrstag wie gerufen. Das klang nach brutalen Autonomen, nach Lebensgefahr und Koma. Von Spiegel über Focus bis Handelsblatt und Zeit stiegen alle auf die Geschichte ein, übernahmen die Mitteilung der Polizei kritiklos und ungeprüft. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon verdächtig, warum über die Verletzung des Polizisten nicht Konkreteres verlautbart wurde. Recht schnell stellte sich heraus, dass es keine Not-OP gegeben hatte und von einer schweren Verletzung nicht wirklich die Rede sein konnte. Der Beamte war wegen eines Risses am Ohr im Krankenhaus behandelt und nach zwei, drei Tagen bereits wieder entlassen worden. Auch die Behauptung, ein brennender Einkaufswagen sei „mitten in eine Einheit“ geschoben worden, brach in sich zusammen.

Politiker aller Couleur hatten da aber ihre Statements schon längst abgesondert. Mit Abscheu und Entsetzen reagierten sie allesamt auf den bösen „linksextremistischen“ Überfall, von Innenminister Hotte Seehofer (CSU) über FDP-Chef Christian Lindner bis zu Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, dessen Gedanken bei dem verletzten Beamten waren. Den Vogel schoss mal wieder Rainer Wendt ab, Chef der reaktionären Deutschen Polizeigewerkschaft, der in der Bild von einer neuen RAF faselte.

Da wollte der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß, nicht nachstehen und warnte wenig später vor einem sich abzeichnenden neuen „Linksterrorismus“. „Taten der linksextremen Szene zeichnet eine neue Eskalationsstufe aus, weil sie sich nicht mehr nur gegen Sachen wie Wohnungen, Parteibüros oder Fahrzeuge richten, sondern mittlerweile auch direkt gegen das Leben und die Gesundheit von Menschen“, behauptete er dreist in der Welt am Sonntag und verwies auf die Vorfälle in Connewitz. Das Hamburger Abendblatt untermauerte den Vorstoß von Voss mit Angaben des Landeskriminalamtes Hamburg, das von 36 „herausragenden Farb-, Stein- oder Brandanschläge“ wusste, die der „linksextremen Szene“ zuzuordnen seien. Anschläge gegen Gebäude, Fahrzeuge et cetera wohlgemerkt, nicht gegen das Leben und die Gesundheit von Menschen.

In den „sozialen Netzwerken“ wurde zu recht vielfach darauf hingewiesen, wie grotesk es ist, von linkem Terrorismus zu schwafeln, während in den vergangenen Monaten und Jahren die Taten rechter Terroristen für Angst und Schrecken gesorgt haben – da gab es bekanntlich tatsächlich Tote. Radikale Linke sollten sich aber fragen, ob es wirklich Sinn macht, sich mit obskuren Vorstößen von Leuten wie Wendt oder Voß überhaupt sachlich zu befassen. Die Ereignisse von Connewitz und die Debatte danach, sollten eher Anlass sein, sich das Vorgehen der bürgerlichen Hetzer in Politik und Medien, Polizei und Diensten mit gesunder Distanz anzusehen und daraus zu lernen.

Hier ist offensichtlich die Gelegenheit genutzt worden, gleich zum Jahresbeginn ein Thema zu setzen und eine bestimmte Lesart durchzusetzen – und es ist erschütternd wie leicht das war. Natürlich lässt sich die Verletzung eines Polizisten nicht planen, aber dass bei Krawallen mal ein Bulle was abbekommt, liegt auf der Hand. Jedenfalls kam die Verletzung des Beamten in der Silvesternacht der Polizeidirektion Leipzig sehr gelegen. In der Pressemitteilung der Silvesternacht spricht die heimliche Genugtuung, mal wieder ordentlich gegen die Linken vom Leder ziehen zu können, aus jeder Zeile. Und natürlich hat der Pressesprecher der Direktion genau die Reizwörter verwendet, von denen er weiß, dass die Journaille auf sie anspringt.

Von schlampiger Pressearbeit zu sprechen, ist hier also komplett verfehlt, ebenso verfehlt wie die Appelle an die Redaktionen, doch gegenüber Pressemitteilungen der Polizei misstrauischer zu sein. Die Mitteilung der Polizei sollte so sein, wie sie war, und in den meisten Redaktionen ist man nur allzu bereit, solche Köder zu schlucken. Ich denke, man kann angesichts des Vorgangs davon sprechen, dass hier ein Stein ins Wasser geworfen wurde, um sich anzuschauen, welche Kreise er zieht. Wir werden in diesem Jahr sicher noch mehr derartige Inszenierungen erleben.

Auf diese Weise lässt sich nämlich prima von den Faschisierungstendenzen in den Apparaten ablenken. Und dazu sind solche Debatten auch eine Art „Beschäftigungstherapie“ für viele Linke, die sich immer wieder aufs Neue in Abwehrschlachten um die Deutungshoheit verstricken lassen, ihre Energie mit endlosen Diskussionen bei Twitter und Co oder anderswo vergeuden. Natürlich müssen bestimmte Diskurse geführt werden, auch wenn ihr Sinn nicht immer zu erkennen ist. Entscheidend ist aber, sich dabei immer wieder klar zu machen, dass von dieser Polizei, diesen Geheimdiensten und diesen Medien gar nichts anderes zu erwarten ist als Lüge, Repression und der Abbau von demokratischen Rechten und Räumen. Motto auch für 2020 sollte also sein: Erwarte nichts, analysiere alles und kämpfe weiter ums Ganze!

# Titelbild: Streetballplatz in Connewitz, Quelle: wikimedia.commons

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Ein Kommentar über “Connewitz – die Stunde der Scharfmacher”

    […] „Con­ne­witz – die Stun­de der Scharf­ma­cher“ von Kris­ti­an Stemm­ler am 10. Janu­a… zur Orches­trie­rung der Kam­pa­gne im Diens­te einer wei­te­ren Stär­kung poli­zei­staat­li­cher Ten­den­zen (in nahe­zu All­par­tei­en-Koali­ti­on): „… Lin­ke Kra­wal­le, schwer ver­letz­ter Poli­zist, Not-OP – das kam den bür­ger­li­chen Leit­me­di­en am tra­di­tio­nell nach­rich­ten­ar­men Neu­jahrs­tag wie geru­fen. Das klang nach bru­ta­len Auto­no­men, nach Lebens­ge­fahr und Koma. Von Spie­gel über Focus bis Han­dels­blatt und Zeit stie­gen alle auf die Geschich­te ein, über­nah­men die Mit­tei­lung der Poli­zei kri­tik­los und unge­prüft. Dabei war zu die­sem Zeit­punkt schon ver­däch­tig, war­um über die Ver­let­zung des Poli­zis­ten nicht Kon­kre­te­res ver­laut­bart wur­de. Recht schnell stell­te sich her­aus, dass es kei­ne Not-OP gege­ben hat­te und von einer schwe­ren Ver­let­zung nicht wirk­lich die Rede sein konn­te. Der Beam­te war wegen eines Ris­ses am Ohr im Kran­ken­haus behan­delt und nach zwei, drei Tagen bereits wie­der ent­las­sen wor­den. Auch die Behaup­tung, ein bren­nen­der Ein­kaufs­wa­gen sei „mit­ten in eine Ein­heit“ gescho­ben wor­den, brach in sich zusam­men. Poli­ti­ker aller Cou­leur hat­ten da aber ihre State­ments schon längst abge­son­dert. Mit Abscheu und Ent­set­zen reagier­ten sie alle­samt auf den bösen „links­ex­tre­mis­ti­schen“ Über­fall, von Innen­mi­nis­ter Hot­te See­hofer (CSU) über FDP-Chef Chris­ti­an Lind­ner bis zu Lin­ken-Frak­ti­ons­chef Diet­mar Bartsch, des­sen Gedan­ken bei dem ver­letz­ten Beam­ten waren. Den Vogel schoss mal wie­der Rai­ner Wendt ab, Chef der reak­tio­nä­ren Deut­schen Poli­zei­ge­werk­schaft, der in der Bild von einer neu­en RAF fasel­te. (…) In den „sozia­len Netz­wer­ken“ wur­de zu recht viel­fach dar­auf hin­ge­wie­sen, wie gro­tesk es ist, von lin­kem Ter­ro­ris­mus zu schwa­feln, wäh­rend in den ver­gan­ge­nen Mona­ten und Jah­ren die Taten rech­ter Ter­ro­ris­ten für Angst und Schre­cken gesorgt haben – da gab es bekannt­lich tat­säch­lich Tote. Radi­ka­le Lin­ke soll­ten sich aber fra­gen, ob es wirk­lich Sinn macht, sich mit obsku­ren Vor­stö­ßen von Leu­ten wie Wendt oder Voß über­haupt sach­lich zu befas­sen. Die Ereig­nis­se von Con­ne­witz und die Debat­te danach, soll­ten eher Anlass sein, sich das Vor­ge­hen der bür­ger­li­chen Het­zer in Poli­tik und Medi­en, Poli­zei und Diens­ten mit gesun­der Distanz anzu­se­hen und dar­aus zu ler­nen. Hier ist offen­sicht­lich die Gele­gen­heit genutzt wor­den, gleich zum Jah­res­be­ginn ein The­ma zu set­zen und eine bestimm­te Les­art durch­zu­set­zen – und es ist erschüt­ternd wie leicht das war. Natür­lich lässt sich die Ver­let­zung eines Poli­zis­ten nicht pla­nen, aber dass bei Kra­wal­len mal ein Bul­le was abbe­kommt, liegt auf der Hand. Jeden­falls kam die Ver­let­zung des Beam­ten in der Sil­ves­ter­nacht der Poli­zei­di­rek­ti­on Leip­zig sehr gele­gen. In der Pres­se­mit­tei­lung der Sil­ves­ter­nacht spricht die heim­li­che Genug­tu­ung, mal wie­der ordent­lich gegen die Lin­ken vom Leder zie­hen zu kön­nen, aus jeder Zei­le. Und natür­lich hat der Pres­se­spre­cher der Direk­ti­on genau die Reiz­wör­ter ver­wen­det, von denen er weiß, dass die Jour­nail­le auf sie anspringt…“ […]