Betreutes Böllern in Schöneberg

1. Januar 2020

20 Polizisten stehen in einer Reihe, hinter und vor Hamburger Gittern, am Eingang zur Steinmetzstraße. Berlin-Schöneberg, um genau zu sein das Gebiet um die Steinmetzstraße und das Pallaseum, wurden dieses Jahr an Silvester zur Böllerverbotszone erklärt. Eine Gruppe junger Männer steht unschlüssig vor dem Polizeiaufgebot und hängt rum, die Stimmung ist entspannt. Letztes Jahr hat es hier Ausschreitungen gegeben, so schlimm, dass ein*e Autor*in der taz, von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ geschrieben hat; Polizeikräfte seien mit Feuerwerk beworfen, ja sogar eine Bushaltstelle sei entglast worden. Und wie immer, wenn in Deutschland eine Mülltonne umkippt oder Polizist*innen sich erschrecken, wurde auch hier beschlossen, Härte und Präsenz zu zeigen. Im Vorfeld wurde nach Infos des Tagesspiegels polizeiintern „vor Ausschreitungen und Straßenschlachten wie bei den 1. Mai- Krawallen in den 1980er-Jahren gewarnt“.

Ein paar Meter abseits der Absperrung steht ein Genosse, der meint „Hier testen sie was sicherheitstechnisch möglich ist“. Und tatsächlich, an der nächsten Straße, der vierspurigen Potsdamer Straße, stehen nicht nur Hambrger Gitter mit Einlassschleuse, bewacht von vermummten Polizisten, sondern ist auch ein Kamerabaum aufgestellt. Die Kameras hängen aber wie faule Früchte nach unten und sind anscheinend nicht eingeschaltet. Auf dem Weg in die Sicherheits-/Verbotszone brüllt einer der Polizisten ein charmantes „He! Halt! Stehenbleiben!“ und kommt angetrottet. „Haste Böller dabei?“ – „Nö“ – „Machma deinen Rucksack auf“. Wurde ja lang und breit angekündigt, dass hier und jetzt anlasslose Druchsuchungen stattfinden dürfen. Nach dem professionellen Blick des Polizisten in den Rucksack geht es rein in die Verbotszone.

An der Grenze wird weiter streng kontrolliert. Ein kleiner Junge mit einer Plastiktüte voll mit Feuerwerk will nach Hause, darf aber nicht, weil seine Wohnung innerhalb der Zone liegt. Ein junger Mann, will eine Packung Raketen in den Kofferraum seines Autos packen, das einen Meter neben den Hamburger Gittern steht. „Ich will doch nur das Auto rausfahren.“ Nach einigem Hin- und Her setzen sich die Polizisten durch. Der junge Mann drückt das verbotene Feuerwerk einem Freund in die Hand, der zehn Meter weiter zur Autoschleuse geht, dort keine 20 Sekunden wartet und dann mit dem Auto abegholt wird und davondüst..

Weiter in der Zone ist erst einmal – niemand. Während auf dem Weg hin nach Schöneberg überall Kleinfamilien und Gruppen von Jugendlichen schon vor Mitternacht eifrig dabei waren, Raketen und Böller in die Luft zu jagen, herrscht in der Verbotszone Stille. Zwei einsame Kamerateams von nicht näher identifizerbaren Medienprojekten ziehen ihre Runden und versuchen die wenigen Passant*innen zu Interviews zu überzeugen und ein Fotograf steht rum und wartet auf Motive. Ansonsten Polizist*innen und ihr Spielzeug: Ein Flutlichtmast, dutzende Wannen, ja sogar ein Wasserwerfer stehen rum und sorgen für Sicherheit. Um die Ecke, wieder in der Steimetzstraße, steht ein Gruppe Polizist*innen auf einer menschenleeren Kreuzung in einer Reihe und bewacht die leeren Straßen, während ein Kollege ihnen Pfannkuchen bringt. Die jungen Männer, die noch vor einer viertel Stunde vor den Gittern standen kommen in die Zone, gehen in ihre jeweiligen Wohnungen und kommen mit allerhand Feuerwerk wieder raus. Sie gehen dann aber direkt wieder an die Hamburger Gitter und fangen dann außerhalb der Zone an zu böllern.

Um viertel vor zwölf ist auf einmal Bewegung innerhalb des abgesperrten Bereichs. Aus einer Wanne steigt ein Dutzend Polizist*innen und setzt sich Sturmmasken und Helme auf und marschiert in Richtung Pallaseum, einem 70er-Jahre-Wohnblock, in dem 2.000 Menschen leben. Dort haben sich auf einem Spielplatz, keinen Meter von den Hamburger Gittern, Leute versammelt und böllern um kurz vor Mitternacht was das Zeug hält. Die Polizisten überwinden die Hamburger Gitter und stellen sich in einer Traube auf. Und stehen rum. Die Familien mit kleinen Kindern und Jugendlichen, die ihr Feuerwerk verschießen, nehmen sie kaum zur Kenntnis.

Um Mitternacht geht es dann richtig los. Böller und Rakten fliegen, Leute umarmen sich und machen Selfies, mal mit ihren Freund*innen und Familienangehörigen, mal mit den Polizist*innen, die weiter nur voll vermummt, mit Helmen auf dem Kopf, mitten im Geschehen stehen. Der Trupp setzt sich Handzeichen schwingend in Bewegung, weiter hinten auf dem Spielplatz haben sie anscheinend etwas polizeilich Relevantes entdeckt. Aber auch dort stehen die Polizeikräfte einfach inmitten feiernder Menschen, wedeln nach fünf Minuten wieder mit den Armen und gehen zurück in ihre Sicherheitszone. Eine Frau, die mit ihrer Tochter unterwegs ist, fragt, wie sie denn nach Hause komme, es sei ja alles abgesperrt und läuft dann die Gitter entlang zum nächsten Grenzübergang.

Ist das noch ein „Test“, wie der Genosse gemeint hat? Oder ist das nicht viel mehr schon bittere sicherheitspolitische Realität? Lokale Ausnahmezustände, wie man sie von den vielen Gefahrengebieten kennt. Sicherheitszonen, in denen offensichtlich ist, das Sicherheit in diesem Sinne, vor allem die Abwesenheit von Leben bedeutet. Während rund um die Sicherheitszone gefeiert und geböllert wird, herrscht innendrin Friedhofsruhe; bis auf Pfannkuchen futternde Polizist*innen ist niemand mehr da, selbst die Presseleute haben sich wohl mangels berichtenswerter Ereignisse an die Außengrenzen verzogen. Sicher ist es allemal, ist ja auch niemand da, den man beschützen könnte, oder der*die die Sicherheit gefährden könnte. Außer eben den Sicherheitskräften. Und um die ging es ja von Anfang an.

Rund um Fragen der Sicherheit findet am 01.02.2020 und 02.02.2020 in Berlin der Entsichern-Kongress statt.

# Titelbild: Polizist*innen betreuen Feuerwerk am Pallaseum, Rafael Ramón

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