G7 Sonderjustiz: „Die drei von der Autobahn“

6. September 2019

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Gastbeitrag

Drei Monate Knast wegen „Dokumenten der extremen Linken“?

Eigentlich wollten sie zusammen in den Camping-Urlaub fahren – nach Lekeitio im spanischen Baskenland. Doch statt der baskischen Kultur und antifaschistischen Widerstandsgeschichte lernen drei junge Nürnberger nun „die französischen Bräuche kennen“, wie die deutsch-französische Tageszeitung „eurojournalist„ mit bitterer Ironie anmerkte. Im Vorfeld des G7-Gipfels wurden sie in der Nähe von Biarritz aus dem Auto geholt und im Schnellverfahren zu 2, bzw. 3 Monaten Haft verurteilt. Verdächtig gemacht hatten sie sich durch das Mitführen von Boxsport-Equipment und schwarzen Kleidungsteilen, einer Motorrad-Sturmhaube, einem Notfallhämmerchen, das der Spiegel und andere deutsche Presseorgane sogleich zum Eispickel erhoben, sowie „Dokumenten der extremen Linken“.

Dies und die Tatsache, dass sie dem Tagungsort der Weltmächte zu nahe gekommen waren, reichte der französischen Justiz zu einer Verurteilung der drei wegen „Vorbereitung von Gewalttaten“. Zu den wenigen unmittelbaren Informationen über die Ereignisse – sie stammen unter anderem von dem Freiburger Radiojournalisten Luc, der selbst in kurzer Zeit zweimal inhaftiert und des Landes verwiesen wurde – gehört, dass Verhöre teilweise ohne richtigen Dolmetscher geführt wurden, ihnen Pflichtverteidiger zugeordnet wurden und den Anwälten des Legal Teams der Anti-G7-Proteste der Kontakt verwehrt wurde.

Die drei jungen Genossen wurden nach ihrer Verurteilung auf drei Gefängnisse aufgeteilt. Sie dürften Schwierigkeiten haben, sich mit anderen Gefangenen zu verständigen, da keiner von ihnen französisch spricht. Nicht einmal ihre Eltern durften die Inhaftierten telefonisch kontaktieren. In einem Fall dauerte es 10 Tage bis endlich ein Lebenszeichen per Post ankam, von einem anderen der Gefangenen haben die Angehörigen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Zeilen noch immer keine Nachricht erhalten. Auch die deutsche Auslandsvertretung, an die sich die Eltern wandten, um wenigstens Informationen zu erhalten und ihren Söhnen Anwälte besorgen zu können, mauerte: Man könne nicht, dürfe nicht, bekomme von Frankreich keine Auskünfte.

Der Polizeistaat kennt keine Grenzen

Dabei ist grenzüberschreitende Behördenkooperation eigentlich gar nicht so schwierig. Mit großer Sicherheit ist davon auszugehen, dass die französische Polizei nach der Feststellung der Personalien sehr schnell Bescheid wusste, dass sie es bei den drei Nürnbergern mit „gefährlichen Staatsfeinden“ zu tun hatte.

Eine Bundestags-Anfrage der Linkspartei ergab nämlich wenig überraschend, dass die BRD im Vorfeld des Gipfels von BKA und Verfassungsschutz erarbeitete „Störerdateien“ an die französischen Behörden weitergegeben hatte. Um in einer solchen Liste zu landen, reicht es bereits, dass man „in Zusammenhang mit Großereignissen“ der Polizei aufgefallen ist oder aber „Kontakte zu ausländischen Aktivistinnen (unterhält), die bereits durch Gewaltstraftaten in Erscheinung getreten sind und zu denen zumindest geringfügige polizeiliche Erkenntnisse vorliegen.“ So heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums auf die Anfrage des Abgeordneten Andrej Hunko.

Die „Drei von der Autobahn“, wie die Betroffenen von der inzwischen rege aktiven Nürnberger Solibewegung kurzerhand getauft wurden, sind nicht die Einzigen Opfer europaweiter behördlicher Zusammenarbeit. Dutzende dürften auf Grund dieser und ähnlicher Listen ausgewiesen worden sein. So auch der Journalist Luc, der sogar in Paris vor Gericht gegen seine Ausweisung Recht bekam, dann erneut nach Biarritz reiste, um sofort wieder festgesetzt zu werden. Bekannt ist, dass auch Spanien Frankreich bei der Verfolgung der G7-GegnerInnen unterstützt. Allein 500 Namen aus dem spanischen Baskenland stünden auf einer entsprechenden Liste, wurde dem baskischen Politiker Joseba Alvarez im Rahmen seiner Abschiebung aus Frankreich durch die Polizei mitgeteilt. Insgesamt wurden 164 G7-Gegner*innen im Rahmen der Proteste festgenommen, 23 Menschen werden angeklagt

Gesetze gegen soziale Bewegungen

Ein europäischer Polizeistaat zeigt hier nicht zum ersten Mal Konturen. Schon früher, z.B. im Rahmen des G20 in Hamburg, wurden über das europäische Polizeinetzwerk PWGT („Police Working Group on Terrorism“), das speziell zur Bekämpfung militanter linker Gruppen gegründet worden war, Informationen über Aktivist*innen übermittelt. Welche Gefahr für die Linke von solchen Strukturen ausgeht zeigt das Beispiel der drei Nürnberger nur einmal mehr und sehr deutlich: Als Beweis reichten hier Alltagsgegenstände im Kofferraum und die Zuordnung zur „extremen Linken“ durch einschlägiges Schriftmaterial.

Ein weiterer Ausbau europäischer polizeistaatlicher Strukturen und die Überführung bestehender Praxen von der informellen Ebene in formelle Institutionen ist nicht nur im Sinne eines Orban oder Macron. Letzterer ist zwar ein Scharfmacher, der für Grenzkontrollen und Grenzpolizei eintritt, das Asylgesetz verschärfte, bei seinem Antritt die neoliberalen „Arbeitsrechtsreformen“ im Gepäck hatte, und zuletzt das Loi Anti-Casseur, das „Anti-Randalierer-Gesetz“ gegen die sozialen Bewegungen, speziell gegen die Gelbwesten, in Stellung brachte. Diese Tendenz, der Polizei bereits bei bloßem Verdacht immer weiter reichende Handlungsmöglichkeiten zu gewähren ist aber kein rein französisches Phänomen. Denn auch das bayerische Polizeiaufgabengesetz, das der Rechten als Mustervorlage für Länderpolizeigesetze gilt, erlaubt der Polizei bei einer „drohenden Gefahr“ ohne konkreten Verdacht zu Zwangs- und Überwachungsmaßnahmen zu greifen.

Ziel des unerklärten Ausnahmezustands, der über Biarritz verhängt wurde, war offensichtlich Protest komplett zu unterdrücken. Dies schließt nahtlos daran an, wie die deutschen Repressionsorgane mit Hilfe der Medien beim G20 in Hamburg 2017 für die Weltöffentlichkeit Bürgerkriegszenen inszenierten. Zahlreiche Journalist*innen klagten auch in Biarritz über die Einschränkung ihrer Rechte. Führungsmitglieder der französischen Menschenrechtsliga, die als Beobachter*innen vor Ort waren, wurden laut einem Artikel des Onlinemagazins Telepolis, festgenommen. Ebenso wie die „Drei von der Autobahn“ werden sie „geplanter Gewalt“ beschuldigt. Man hatte Helme und Schutzbrillen bei ihnen gefunden.

Doch es muss noch mal gesagt werden: der Umbau des „demokratischen Rechtsstaats“ ist keine französische Spezialität. Auch in anderen europäischen Staaten werden die Befugnisse der Repressionsbehörden systematisch zu Lasten der Menschen ausgebaut. Neue Überwachungstechniken ergänzen die ausgeweiteten Befugnisse und ermöglichen dem Staat, seine Bürger bis ins Intimste zu überwachen. Dass es mit Rechtstaatlichkeit und Demokratie des bürgerlichen Staates nicht so weit her ist, ist keine neue schockierende Erkenntnis. In Frankreich gibt es seit langem als „Notverordnung“ den Paragraf 49-3, der es der Regierung erlaubt, Gesetze am Parlament vorbei zu erlassen. Mit dessen Hilfe hatte auch der „sozialistische“ Präsident Hollande das heftig umkämpfte Arbeitsmarktgesetz durchgepeitscht. In Deutschland haben wir eine lange Tradition über die Schaffung der Notstandsgesetze, die Einführung des §129a und anderer „Anti-Terrorgesetze“, den mittelalterlichen Landfriedensbruch-Paragrafen u.v.m. Die aktuelle Form bürgerlicher Herrschaft stellt also bereits eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, die ein Faschismus nicht erst erfinden müsste. Und der bürgerliche Staat setzt sie auch genau dafür ein wofür sie gedacht sind: Um soziale Bewegungen zu unterdrücken, die für Veränderung und gesellschaftlichen Fortschritt stehen und die Interessen des Kapitals gegen die der Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.

Grenzenlos kämpfen und solidarisch sein

In den Gipfelprotesten fanden eine Vielzahl von sozialen Kämpfen ihren Ausdruck. Es sind Alltagskämpfe für höhere Löhne, bezahlbare Mieten, Bewegungsfreiheit für alle, ökologisches Wirtschaften und gegen rassistische und sexistische Diskriminierung. Der Ausnahmezustand, der in Biarritz herrschte und in dem Protest und Widerstand manchmal gar nicht mehr möglich schien, ist als Drohung selbstverständlich auch und nicht zuletzt gegen diese Alltagskämpfe gerichtet. Die europäische Ebene der Repression entspricht auch der zunehmenden Parallelität von sozialen- und Klassenkämpfen in Europa. Dem Bewusstsein der Linken für diese Tatsache fehlt es noch an schärfe.

Doch die aktuelle Erfahrung ist, dass die Solidarität mit den Betroffenen im Wortsinn grenzenlos ist. Nicht zum ersten Mal findet auch eine grenzüberschreitende Antirepressionsarbeit statt, und mit jedem Kampf lernen wir dazu.

#Organisierte Autonomie
#Titelbild: Willi Effenberger; Eine Stadt hinter Barrikaden.

Für die „Drei von der Autobahn“ hat die Rote Hilfe ein eigenes Spendenkonto eingerichtet:

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