Befriedung ohne Frieden

12. August 2019

Liam Ó Ruairc neues Buch über Nordirland zeichnet ein ernüchterndes Bild vom viel gelobten „Friedensprozess“

Viel Bezug zu Irland hat die außerparlamentarische Linke Deutschlands heute nicht. Den älteren Genoss*innen wird zumindest noch Bobby Sands ein Begriff sein, vielleicht kann der eine oder die andere noch ein paar Wolfe-Tones-Klassiker mitträllern und die an europäischen Linksparteien Interessierten werden schon mal den Namen Sinn Féin gehört haben. Aber breit im Bewusstsein verankert oder gar kollektiv diskutiert und ausgewertet wird das, was sich da auf der Insel zwischen Cork und Derry abgespielt hat und abspielt bei uns, nicht.

Dabei gehörte die Irish Republican Army, die IRA, über viele Jahrzehnte wohl zu den bekanntesten linksnationalistischen Bewegungen Europas. Gegründet 1969 kämpfte die Provisional IRA bewaffnet gegen die britische Besatzung Nordirlands – bis zum „Good Friday Agreement“ von 1998.

Schon während seines Bestehens wurde der eigentlich antiimperialistische Konflikt vom bürgerlichen Mainstream wahlweise als Religionsstreit zwischen irischen Katholiken und pro-britischen Protestanten oder als Antiterrorkampf einer legitimen Regierung verkauft; nach dem Friedensabkommen veränderte sich der Narrativ.

Das Ende des Jahrzehnte lang als „troubles“ (Probleme) verharmlosten Befreiungskriegs wurde zum Musterbeispiel für die „friedliche“ Beilegung bewaffneter Auseinandersetzungen präsentiert, als eine roadmap, ein Fahrplan zur Konfliktbeilegung.

Die nun erschienene Monographie „Friede oder Befriedung? Nordirland nach der Niederlage der IRA“ des Republikaners und Sozialisten Liam Ó Ruairc macht fundiert eine Gegenrechnung zu diesem Mythos. Der Good Friday sei nicht der Beginn eines Friedens in einem umfassenden Sinn gewesen, sondern markiere die Niederlage des irisch-republikanischen politischen Kampfes. Ó Ruaircs historisch untermauertes Urteil ist vernichtend: „Die Vereinbarung von 1998 fragmentiert das Recht auf Selbstbestimmung des irischen Volkes als Ganzem. Die Souveränität des britischen Staates wurde zementiert. Das bedeutet nicht nur eine Niederlage für den irischen Republikanismus, sondern Sinn Féin“ – die einst wichtigste Kraft im anti-britischen Lager – „hat sich dem feindlichen Lager angeschlossen.“

Liam Ó RUAIRC: „Peace or Pacification“, Zero Books 2019

Der Friedensprozess sei kein Aushandeln auf Augenhöhe gewesen, argumentiert der irische Publizist, sondern das Resultat einer Niederlage der IRA, die man sich einzugestehen habe, wenn man den Republikanismus als politische Idee weiterentwickeln wolle. Die versprochene „Friedensdividende“ sei ausgeblieben, ja mehr noch sei mit der Befriedung ein Prozess des neoliberalen Umbaus Nordirlands einhergegangen.

Der Quellenreichtum von „Friede oder Befriedung?“ macht das Buch dabei gerade auch für Irland-Laien lesenswert – es liefert viele wenig bekannte Daten und Fakten und geschichtlichen Kontext. Die Schärfe der Beobachtung macht es passagenweise auch ganz unabhängig von dem konkreten Bezug zu einer lehrreichen Lektüre. So sind zum Beispiel die Bemerkungen zu „Opfer-Industrie und Therapiekultur“ unschwer etwa auf die in spanischen und baskischen Debatten um den Kampf der ETA vorherrschende Entpolitisierung der Gedenkkultur wiederzufinden.

Und wem in unserer postmodernen Linken würde nicht die Entschärfung des Konflikts durch eine Verlagerung auf das Level der „narzistischen kleinen Differenzen“ bekannt vorkommen? „Zuvor wurde der Konflikt klar verstanden als ein politischer Konflikt zwischen zwei entgegengesetzten politischen Ideologien – Republikanismus und Unionismus. Die Frage war, wer letztendlich der Souverän war: Der Britische Staat oder das irische Volk als Ganzes. Der Friedensprozess hat das fundamental verändert: Der Konflikt wird nun neu definiert – nicht als ein Disput zwischen entgegengesetzten politischen Ideologien, sondern als kultureller Clash zwischen zwei unterschiedlichen kulturellen Identitäten.“ Die Frage, wer real die Souveränität in Nordirland hat, tritt zurück hinter Spiegelfechtereien darüber, wer wie viele Tage im Jahr welche Fahne irgendwohin hängen darf.

Ó Ruaircs Buch gibt nicht nur einen guten Überblick über die Lage in Nordirland heute; es ist auch lesenswert im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen auf der Insel. Denn so oder so, der Brexit wird die immer noch unvollendete Befreiung Irlands von britischer Vorherrschaft wieder in den Fokus der öffentlichen Debatte rücken. Und dabei kann es nicht schaden, die Stimmen dissidenter Linker aus Irland zumindest zur Kenntnis zu nehmen.

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