Marxismus-Feminismus als revolutionäre Theorie und Praxis

25. Oktober 2018

Ein Bericht zur 3. internationalen Marxismus-Feminismus Konferenz

Vom 5. bis 7. Oktober fand in Lund, Schweden, die dritte internationale Marxismus-Feminismus Konferenz unter dem Motto „Unser Leben transformieren. Die Welt transformieren“ statt. Teilnehmende aus Europa, Lateinamerika, den USA, Südafrika und Indien kamen in den Räumen der kleinen Universitätsstadt zusammen um Fragen marxistisch-feministischer Theorie und Praxis zu diskutieren. In 29 Workshops und Paper Panels diskutierten um die 200 Konferenzteilnehmende wie die Krise der Sorgearbeit oder die zunehmende Flut rechter Radikalisierung mit marxistisch-feministischen Strategien eingedämmt und bekämpft werden können. Die Konferenz schloss damit an die in den Jahren zuvor stattgefundenen Marxismus-Feminismus Konferenzen in Berlin (2015) und Wien (2016) an. Mehr noch als in den vergangenen Jahren sollte es darum gehen, Raum zu schaffen, neuere Soziale Bewegungen und Kämpfe der traditionellen Arbeiter*innenbewegung miteinander zu verbinden, Netzwerke aufzubauen und transnationale Solidarität zu stärken.

Wie wollen wir Sorge- und Pflegearbeit gestalten?

Im Workshop »Commonism & Care: eine femma Analyse der Krise der Sorgearbeit und Strategien damit umzugehen« von Corinna Dengler und Ann-Christin Kleinert (Universität Vechta) wurde aufgeworfen wie eine marxistisch-feministische Perspektive helfen kann die Krise der Sorgearbeit zu bewältigen und Strategien für eine emanzipatorische, geschlechtergerechte Verteilung von Sorgearbeit zu entwickeln. Dabei stellen die prekären Lohnarbeitsverhältnisse innerhalb des Sektors der Sorgearbeit – vor allem die Fürsorge und Verpflegung von Kindern, sowie kranken und alten Menschen – ein gravierendes Problem dar. In allen Teilen der Welt wird das sexistische Argument benutzt, dass Frauen Fürsorge angeboren sei und sie aus Liebe sorgen würden. Der eigentliche Akt der Sorgearbeit wird dabei völlig entwertet – gerade weil er eine »Frauentätigkeit« darstellt. Sorgetätigkeiten bleiben entweder als Arbeit unsichtbar, da sie keinen Mehrwert schaffen. Oder aber, wenn diese Tätigkeit im Bereich der Lohnarbeit mit einem Stundenlohn quantifiziert wird, befinden sich Kinder-, Kranken- und Alternpfleger*innen in besonders schlecht bezahlten und meist unsicheren Arbeitsverhältnissen. Hinzu kommt die Auslagerung genau dieser Sorgarbeit verstärkt auf Schultern von migrantischen Arbeitskräften – meist migrantischen Frauen mit wenig Deutschkenntnissen und wenig Kenntnissen zu ihren Rechten als Arbeiterinnen in Deutschland. Umso deutlicher wurde, dass wir uns als Linke mit den Kämpfen von Erzieher*innen, Pflegekräften und Krankenhausangestellten nicht nur solidarisieren müssen, sondern wir in der Verantwortung stehen genau diese Kämpfe zu stärken und gemeinsam über einfache Verbesserungen in den Betrieben hinaus denken und handeln müssen.

Transnationale Solidarität

Im Workshop zur »Politik transnationaler Solidarität« stellten Genossinnen aus Mexiko, Argentinien, Brasilien und Indien die Herausforderungen lokaler Kämpfe internationalistisch in Verbindung. Ana Miranda Mora (Universidad Autónoma de México) und Ana González (Universidad de Buenos Aires, Argentinien) zeigten dabei auf, wie die Kämpfe um reproduktive Rechte in den letzten Jahren auf dem ganzen lateinamerikanischen Kontinenten an Stärke gewonnen haben und mittlerweile auch für die lokalen Regierungen unübersehbar sind. González zeigte sich außerdem erfreut über die breite Beteiligung junger Männer in den massiven Mobilisierungen für das Recht auf freie, sichere und kostenlose Abtreibungen in Argentinien. „Das gab es zu meiner Zeit nicht,“ so die politische Veteranin „und ich finde es klasse, dass so viele junge Männer diese Probleme einer machistischen Gesellschaft immer mehr als ihre eigenen wahrnehmen.“ Carmen Glink Buján von der Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen Hydra in Berlin, machte sich in ihrer Präsentation für ein marxistisch-feministisches Verständnis von Sexarbeit als Arbeit stark und zeigte somit eine der vielen feministischen Spaltungslinien auf. Wenn wir »Sexarbeit ist Arbeit!« ernst nehmen, so müssen wir als Linke aktiv die Kämpfe von Sexarbeiter*innen für sichere und selbstbestimmte Arbeitsverhältnisse unterstützen sowie generell mit dem omnipräsenten Opfernarrativ bezogen auf Sexarbeit (Stichwort: Menschenhandel) generell aufräumen. Ein guter Ansatzpunkt wäre für uns in Deutschland zum Beispiel die personelle, finanzielle und politische Unterstützung der Kampagnen gegen das geltende »Prostituiertenschutzgesetz«, welche von Sexarbeiter*innen bundesweit, fast unbemerkt von linken Strukturen, geführt wird. Celeste Murillo von der sozialistischen Frauenorganisation »Pan y Rosas« (Brot und Rosen) war zu unserer Überraschung, zusammen mit Stefania Barca (Universidade de Coimbra, Portugal), eine der wenigen, die analytisch sauber marxistisch argumentierten (Widerspruch von Kapital und Arbeit als Grundlage für eine materialistische Analyse der Gesellschaft), sowie Kämpfe von Arbeiterinnen als Arbeiterinnen ins Zentrum ihrer Analysen stellten. Dabei zeigte Murillo auf wie in Argentinien vor allem im Bezug auf Forderungen aus queeren communities, die traditionelle Arbeiter*innenbewegung immer selbstbewusster wird. Und zwar nicht durch gutes Zureden oder sprachliches Aufklären, sondern durch konkrete Kämpfe für Umkleideräume für Transfrauen in Betrieben zum Beispiel. Und genau hier zeigte sich eines der Hauptprobleme der Konferenz: viele Sozialdemokrat*innen und liberale Feminist*innen stellten ihre reinen Reformperspektiven – in Forschung und Politik – als »marxistisch-feministisch« dar. Revolutionäre Organisierungsstrategien wurden meist durch Konsumkritik und der Arbeit innerhalb reformistischer Parteien und institutionalisierten Frauenorganisationen und Frauenforschungszentren ersetzt. Es reicht nun mal nicht aus auch Kapitalismus als „einen der vielen Probleme“ zu benennen oder gar ein oder zwei Marx Zitate in die eigene Präsentation – wenn überhaupt – einzubauen.

Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit

Der Versuch die Sphäre der Reproduktion als einzigen Ausgangspunkt neuer Klassenpolitik zu verstehen, wie einige Feministinnen argumentierten, wies auch Ankica Čakardić (Universität Zagreb, Kroatien) zurück. Kämpfe in der Produktion (der Lebensmittel), dort wo der Mehrwert geschaffen wird, seien nach wie vor zentral. Jedoch könnten diese Kämpfe nie ohne Kämpfe in allen Sphären der Reproduktion (des Lebens) erfolgreich geführt werden. Außerdem gehe es auch darum, wie wir uns als Individuen und Bewegungen in diesen Kämpfen verändern. Natürlich muss patriarchale Arbeitsteilung – Wer schreibt die Protokolle? Wer kümmert sich um die emotionale Fürsorge von Genoss*innen? Wer wirkt vermittelnd bei Konflikten? – in politischen Organisationen sowie bezogen auf Kampagnen- und Bündnispolitik aufhören. Frauen und nicht binäre Menschen dürfen nicht die »Patriarchtsexpert*innen« bleiben – Männer müssen ihre eigenen Hausaufgaben machen, sich weiterbilden und ihre Form Politik zu machen (inkl. toxisch-männliches Verhalten wie die Unterdrückung jeglicher Emotionen in der politischen Arbeit) radikal hinterfragen. Nur in Atmosphären wo Frauen und nicht binäre Menschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen wertgeschätzt sehen, kann radikale Solidarität entstehen, welche die Grundlage für eine gemeinsame revolutionäre Politik bildet.

Barcelona 2020

Erzwungene Migration und Vertreibung, zunehmende Ungleichheit in und über die Landesgrenzen des Globalen Nordens und Südens hinweg sowie prekäre Arbeitsverhältnisse sind nur einige der Erscheinungsformen des heutigen Kapitalismus. Wir leben im Schatten der ökonomischen Krise von 2008, welche sich in dieser Phase der Neo-Liberalisierung nicht zuletzt in einer permanenten Spar- und Privatisierungspolitik äußert. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass der Fokus feministischer, akademischer sowie aktivistischer Arbeit Kapitalismus als Ausgangspunkt der eigenen Analyse nimmt, ganz im Sinne marxistisch-feministischer Traditionen. Für unsere konkrete Basisarbeit – im Rahmen vom globalen Frauenstreik am 8. März 2019 zum Beispiel – ist es wichtig, mehr Raum für Austausch zu den Erfahrungen und Praxen von feministischen Genoss*innen aus internationalen Sozialen Bewegungen und Arbeiter*innenorganisationen zu schaffen. Und zwar nicht nur auf Englisch. Daher hoffen wir auf mehr praktische Zusammenarbeitsmöglichkeiten im Sinne einer neuen Internationalen – eine große Herausforderung für die vierte Marxismus-Feminismus Konferenz in Barcelona 2020.

# Eleonora Roldán Mendívil und Tanja Wassiljev
# Titelbild Mídia Ninja/CC BY-NC-SA 2.0

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2 Kommentare

    Hilo 25. Oktober 2018 - 13:43

    Hallo 🙂 Kurze Verständnisnachfrage: Welche Konsumkritik wurde denn speziell angebracht auf der Konferenz?

    Eleonora Roldán Mendívil 2. November 2018 - 22:43

    Hallo. Es ging um eine liberale Kosumkritik. Zum Beispiel wurde aus dem nichts in einem Workshop von einer der Organisatorinnen vorgeschlagen, brasilianische Produkte zu boykottieren, sollte Bolsonaro in Brasilien die Wahl gewinnen. So würden wir als Frauen „mal wirklich was bewegen“. Ich entgegnete, dass solche Konsumkritik-Aufrufe gar nichts an den Bedingungen verändern würde; geschweige denn einen tatsächlich wirtschaftlichen Schaden anrichten. Was unsere Aufgabe hier in Europa sei, ist klar: die Klassenkämpfe hier so zuzuspitzen, dass wir tatsächlich als Bewegung in Erscheinung treten können, die Schaden anrichten kann und somit national sowie transnational agieren kann.