Die Ereignisse in und nach Chemnitz werfen die Frage des antifaschistischen Kampfes in der Bundesrepublik neu auf. Der Rechtsruck der vergangenen Jahre manifestiert sich immer mehr in einer faschistischen Straßenbewegung, die zum ersten Mal mit der AfD eine Führung haben könnte, die in den Landesparlamenten und im Bundestag verankert ist. Angesichts dessen: Wie können revolutionäre Linke den Rechtsruck zurückschlagen und den Faschismus bekämpfen? Eine solidarische Replik auf Can Yildiz.
Sachsen ist nicht nur das Bundesland mit der stärksten faschistischen Bewegung, das über Schlagwörter wie Pegida, Heidenau, Freital, Clausnitz und jüngst auch Chemnitz immer wieder für negative Schlagzeilen sorgt. Es ist auch das Bundesland in dem eines der eindrücklichsten Arbeitskämpfe der vergangenen Jahrzehnte stattfindet. Die Kolleg*innen von Halberg Guss, einem Automobilzulieferer, haben ganze sechs Wochen am Stück unerbittlich gestreikt. 700 Beschäftigte sollen im März 2019 ihren Job verlieren, weil das Werk dicht macht. Derart langanhaltende Streiks sind in Deutschland selten – eine weitere leuchtende Ausnahme machten da die Kolleg*innen der Vivantes Service Gesellschaft, die sogar 51 Tage am Stück streikten. Der Streik bei Neue Halberg Guss hat deswegen einen eindrücklichen Charakter, weil er fast schon einer Fabrikbesetzung gleichkam, da die gesamte Belegschaft in den Ausstand trat. Möglich war dies nur, weil es einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von nahezu 100 Prozent (!) gibt.
Der gesellschaftliche Widerspruch drückt sich damit in diesem Bundesland par excellence aus. Hier eine enorm kämpferische Belegschaft, die über Landesgrenzen hinweg den Kampf um ihre Arbeit aufnimmt und mit ihrem Streik für Produktionsausfälle sorgt und damit die gewaltige objektive Kraft der Arbeiter*innenklasse zeigt — dort eine faschistische Bewegung, die nicht nur nach dem Mord an Daniel H. Hetzjagden durchführt, sondern in Form von „Bürgerwehren“ faschistische Milizen aufbaut, die für „national befreite Zonen“ und „Schutzzonen für Deutsche“ sorgen will.
Beispielhaft ist hierzu auch die jüngst festgenommene Gruppe „Revolution Chemnitz“, eine faschistische Terrorbande, die nicht nur den Umsturz der BRD planen wollte, sondern selbst aktiv wurde in Form von einer Miliz, welche regelmäßig durch Chemnitz patrouillierte und Migrant*innen angriff.
Hier haben wir eines der wesentlichen Merkmale einer faschistischen Bewegung: Sie stellt das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates in Frage, flankiert mit eigener Gewalt jene des bürgerlichen Staates gegen Linke, Arbeiter*innen und Migrant*innen. Sie will nicht mit dem Instrumentarium der bürgerlichen Gewalt (Polizei, Justiz, Armee) ihre Feinde zerschlagen, sondern durch eigenen Netzwerke, die natürlich teilweise mit dem deutschen Staat zusammenarbeiten und perspektivisch den Staat übernehmen. Der bürgerliche Staat samt der Diktatur der Bourgeoisie bleiben dabei — jedoch in anderer Form — erhalten. Deswegen ist auch jedes Gerede von einer „Revolution! oder einem „nationalen Sozialismus“ nichts weiter als Demagogie, da die kapitalistische Ordnung auch unter den Faschist*innen aufrecht erhalten bleibt.
Reale Kämpfe als Ausgangspunkt
Yildiz stellt zu Recht fest, dass Nazis auch nach 1945 nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellten. In der Tat verwundert es heute kaum, dass sie auch im Staatsapparat repräsentiert sind und dass ein Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Nazis auf den Straßen von Chemnitz schützt. Diese Tatsache wirft die Frage auf, wie die revolutionäre Linke nicht nur zum bürgerlichen Staat, sondern auch zu seiner hegemonialen Ideologie, dem Liberalismus (Punkt 3), stehen sollten. Es ist gleichzeitig auch die alte Frage von Reform oder Revolution, wo Yildiz die Frage nach der revolutionären Ideologie (Punkt 2) einer Organisation aufwirft.
Wir sind uns wohl mit Rosa Luxemburg darüber einig, dass einer revolutionäre Organisation „[in] der bürgerlichen Gesellschaft […] dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet [ist], als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten.“
Wir setzen auch Punkt 1 („Bin ich organisiert?“) voraus, doch die Frage nach dem revolutionären Charakter beinhaltet nicht nur die Ideologie, sondern auch und vor allem das Programm. Entgegen vielen vulgärmarxistischen Vorstellungen bedeutet nämlich ein revolutionäres Programm nicht nur die bloße Wiederholungen der Prinzipen des Kommunismus wie Antikapitalismus, Diktatur des Proletariats und Sozialismus, sondern die Kombination von Minimal- und Maximalforderungen in Theorie und Praxis. Was ist damit gemeint?
Am ehesten drückt sich diese Umsetzung des revolutionären Programms in Punkt 4 aus: „Machen wir eine solide Massenarbeit? Wir sollten nicht gegen, sondern um die Gesellschaft kämpfen.“ Einmal unabhängig davon, ob wir es „Massenlinie“ nennen oder nicht, ist es völlig richtig, dass sich an den Problemen der Gesellschaft orientiert werden muss. Doch Yildiz versäumt es hier, und das ist die größte Schwäche des Artikels, dies näher zu konkretisieren und eben die Probleme der Gesellschaft klar und deutlich zu benennen: Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, stagnierende Löhne, rassistische und sexistische Diskriminierung, fallende Renten prekäre Arbeitsbedingungen und so vieles mehr.
Die Antworten auf diese Probleme gibt es aber ebenfalls und sie werden gerade von den Linken viel zu selten thematisiert: Es sind die Kämpfe bei Ryanair, Real, VSG oder das eingangs erwähnte Beispiel bei Neue Halberg Guss, welches die Extremform darstellt, da es um die Lebensexistenz von 700 Kolleg*innen geht. Es sind die Kämpfe der Migrant*innen (Punkt 5) und Frauen (gänzlich ausgeklammert bei Yildiz), welche heute im Zentrum wichtiger Klassenkämpfe stehen. Erst letzte Woche gingen erstere gegen einen korrupten Diktator, Recep Tayyip Erdogan, auf die Straßen. Respektive gingen vor allem Frauen in Berlin am 22. Oktober gegen reaktionäre Fundamentalist*innen und für ihre Abtreibungsrechte auf die Straße.
Jene erwähnten Sektoren sind die „organisierten, politisierten und kämpfenden Massen“. Es ist aber von eminenter Bedeutung, dass die revolutionären Linken nicht nur in diese Kämpfe intervenieren, sondern dies auch mit einem Programm tun: Gewiss, es ist nett, einen Arbeitskampf zu besuchen, aber von viel größerer Bedeutung sind die (sozialen wie demokratischen) Forderungen, die verbunden mit einer Kampfstrategie den Sieg erringen können.
Angesichts einer Senkung des Rentenniveaus auf nur noch 48 Prozent bei gleichzeitiger Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, stagnierender Reallohnentwicklungen , angesichts , dass bereits 40 Prozent der Arbeitsverhältnisse prekär sind (Tendenz steigend) — angesichts dessen ist es legitim von einer sozialen Misere in Deutschland zu sprechen, die wiederum den Boden für den Faschismus bereitet.
Addiert mit der Tatsache, dass nach der bürgerlichen Restauration 1989/90 die ehemalige DDR in Rekordtempo deindustrialisiert wurden und jene soziale Misere dort nochmals größer ist, erscheint es nicht verwunderlich, dass die faschistische Bewegung dort am stärksten ist.
Mehr denn je ist es also notwendig, in die bestehenden Kämpfe mit einem sozialen Programm zu intervenieren und als Ausgangspunkt für eine weitere Politisierung zu nehmen. Denn ja: „Viele versuchen noch nicht einmal ihre eigenen Familien, Nachbarn oder Arbeitskollegen politisch auf unsere Seite zu ziehen“.
Gerade das wird aber notwendig sein und es wird umso besser gelingen, wenn eine Strategie zur Überwindung der sozialen Misere vorgelegt wird. Um die Ziele dieses sozialen Programms (Lohnerhöhungen, Ende von prekären Arbeitsverhältnissen, gesicherte und erhöhte Renten) zu erreichen, ist es notwendig, mit den Methoden und Taktiken der Einheitsfront zu arbeiten und in den Massenorganisationen der Beschäftigten sowie der Basis der reformistischen Parteien zu intervenieren.
# Hovhannes Gevorkian
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