Unsere liebsten Lampenputzer

24. Mai 2018

Autor*in

Ronny Rauch

Aus aktuellem Anlass: Was für eine Partei ist „Die Linke“ und wie sollten wir uns zu ihr positionieren?

An Anlässen, sich über den Charakter der Linkspartei zu verständigen, fehlte es in den vergangenen Wochen wirklich nicht: Gregor Gysi sprach beim Unternehmerverband der Zeitarbeitsbranche vor und befürwortete Leiharbeit für Geflüchtete im Dienste der „Integration“; der Flügel rund um Sahra Wagenknecht beschloss die Eckpunkte seiner Sammlungsbewegung unter dem Label #fairLand – samt Wahrung „unserer“ Kultur und Ausbau des Polizeistaats; die in Berlin mitregierende „Linke“ erwies sich als guter Koalitionspartner und stimmte der brutalen Räumung von zwei Neubesetzungen zu; und Dietmar Bartsch befeuerte die Hexenjagd auf Aktivist*innen, die durch eine Musikeinlage vor dem Haus eines gewalttätigen Bullen in den Fokus bundesweiter Hetze gekommen waren.

Wer sich an einer Einschätzung der „Linken“ versucht, wird zunächst an die beiden Flügel denken, deren Dauerkonflikt als massenmedialer Clickbait wieder und wieder vermarktet wird. Diese beiden Flügel repräsentieren tatsächlich zwei einseitige theoretische Konzepte. Auf der einen Seite der zumindest verbal sich mit dem Kapitalismus unversöhnlicher gebende Wagenknecht-Flügel, der sich von einer nationalistisch gewendeten Pseudo-Klassenpolitik für den „kleinen (deutschen) Mann“ die Rückgewinnung einer Verankerung in abgehängten Arbeitermilieus erhofft. Auf der anderen Seite der mental schon bei Rot-Rot-Grün auf Bundesebene angekommene, größere Flügel von Katja Kipping bis Gregor Gysi, deren Hauptfokus eine Identitätspolitik ist, die auf gebildete urbane Schichten setzt.

Die Unterschiede sind fraglos da. Dennoch sind die Gemeinsamkeiten der beiden Flügel größer als die Differenzen – jedenfalls aus der Perspektive einer außerparlamentarischen, antikapitalistischen Linken. Alle die Linie und praktische Politik der Linkspartei bestimmenden Kräfte sind untrennbar mit dem parlamentarischen Geschäftsbetrieb verwoben. Impulse für Gesellschaftsmodelle jenseits von Staat und Kapital sind von ihnen nicht zu erwarten. Es handelt sich bei der Linken nicht um eine „Partei der Bewegungen“ – egal wie viele Konferenzen sie zu dem Thema auch ausrichten lässt.

Das soll nicht heißen, dass es nicht aufrichtige Linke in dieser Partei gibt, insbesondere an der „Basis“, in der täglichen Arbeit in Stadtteilen und Gewerkschaften, mit Geflüchteten oder in antifaschistischen Initiativen. Allerdings hat das wiederum wenig mit dem zu tun, was insgesamt die Rolle der „Linken“ in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ist. Die gelegentlich pflichtschuldig in Programmen verankerten Bezugnahmen auf einen „demokratischen Sozialismus“ sind dabei kaum mehr als Rhetorik. Weder will man die bestehende parlamentarische Demokratie durch etwas besseres ersetzen, noch den Sozialismus einführen.

Man sollte eine Partei, so könnte man mit Marx sagen, nicht nach dem beurteilen, was sie sich „dünkt“, sondern nachdem welche tatsächliche Funktion sie erfüllt. Und die Funktion der Linkspartei ist die der linken Opposition innerhalb des Bestehenden. Sie ist Her Majesty’s Loyal Opposition. Wer sich die Zukunft einer solchen Partei vor Augen führen willl, der kann sich die Politik der griechische Schwesterpartei der „Linken“, Syriza, zu Gemüte führen. In einer Situation, in der keine konservative oder sozialdemokratische, auch keine faschistische Partei in Hellas in der Lage gewesen wäre, den mörderischen von der EU-Troika auferlegten Austeritätskurs fortzusetzen, übernahm Alexis Tsipras, der griechische Gregor Gysi, diese Aufgabe. Wer historische Parallelen bevorzugt, kann auch in der Geschichte des Niedergangs der Sozialdemokratie wühlen – man wird erstaunliche Parallelen finden.

Linksreformistische Parteien wie die „Linke“ erfüllen die Funktion, oppositionelle Einstellungen und Gefühle, die Wut über die bestehenden Verhältnisse zu kanalisieren, einzuhegen, verwaltbar zu machen. Heute insbesondere dort, wo die vollends neoliberale Sozialdemokratie an Zustimmung verliert. Letztlich ist hier nicht die Überwindung des Kapitalismus und seines Staats das Ziel, sondern seine „sozialere“ Ausgestaltung. Als Konzept funktioniert dies vor allem in den wohlhabenden Metropolen des weltweiten Kapitalismus, weil hier durch die Ausbeutung der Peripherie selbst in Krisenzeiten ein größerer „Reformspielraum“ existiert.

Dietmar Bartschs jüngste aufrichtige Parteinahme aufseiten eines von Linken vermeintlich „belagerten“ Staatsschutzbullen ist dabei nicht nur kein Ausrutscher. Sie ist konsequent. Genauso die programmatische Forderung der „Linken“ nach mehr Polizei und einer besseren Ausrüstung selbiger. Sie verweist darauf, dass diese Linke nicht die Abschaffung des Staates will, noch nicht einmal die prinzipielle Änderung von dessen Funktionsweise. Sie will in diesem Staat stärker werden, um mit den Mitteln dieses Staates die Auswirkungen des Kapitalismus abzufedern. Sie will auch nicht, daran lässt Gregor Gysi bei seinen Kabarettauftritten im Kapitalistenmilieu nie einen Zweifel, die Abschaffung des Kapitalismus. Sie will Reglementierungen, auf dass die Herren doch ein bisschen „sozialer“ wirtschaften mögen. Reglementierungen, auf die Gysis Gastgeber und deren Ahnherren in der mehrhundertjährigen Geschichte des Kapitalismus im übrigen noch immer adäquate Antworten gefunden haben.

Die außerparlamentarischen Bewegungen sind aus dieser Perspektive zweierlei: Einmal Mobilisierungspotential, das man für die eigene Regeneration der Parteistruktur oder als Stimmvieh eingemeinden kann; da wo das nicht geht, sind die „Linksradikalen“ dann störende Elemente, „Provokateure“ oder „Abenteurer“. Gegen die Ungeduldigen wird der „Sachzwang“ ins Feld geführt. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, ist die ins Lächerliche gewendete Devise des Linksreformismus. Man würde so gerne alles besser machen, aber diese und jene Konvention verbieten es einfach immer und immer wieder. Der durchschnittliche Linken-Funktionär ist im Grunde eine bemitleidenswerte Figur. Getrieben von guten Intentionen läuft er täglich gegen die unsichtbare Wand aus Sachzwängen, deren durchs Dagegenlaufen entstandene Löcher er abends selber wieder verputzt.

Das der gesellschaftlichen Funktion einer integrativen Loyal Opposition entsprechende Businesssmodell innerhalb der Funktionärsriege ist das einer Ökonomie, die auf dem Prinzip des Tausches von materieller Sicherheit gegen Loyalität und Konformität basiert. Ein Netz aus Jobs – Abgeordnete, Staatssekretär*innen, Stiftungsmanager*innen, Senator*innen, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und vieles mehr – garantiert die Reproduktion der immer gleichen Langeweile. Wer sich an den Lebensstil mit mehreren tausend Euro monatlich gewöhnt hat, hat etwas zu verlieren, wenn die Koalition krachen geht oder der Abgeordneten-Job wegen eines öffentlichen Skandals wackelt. Es sind die von Erich Mühsam so eindringlich porträtierten Lampenputzer, die wir hier antreffen, nur dass es nicht die armen Lampen sind, die man der Barrikade nicht überantworten will, sondern der eigene Dienstwagen.

Die Funktionsträger der „Linken“ leben sozial in einer anderen Welt als die meisten Menschen in den Bewegungen. Wer am Ende des Monats die Miete nicht mehr aufbringen kann; wer nicht mehr alle Zähne im Maul hat, weil das Implantat zu teuer ist; wer vom Jobcenter in erniedrigende Maßnahmen gestopft wird – der wird ein drängenderes Interesse an Veränderung haben als Frau Lompscher mit einem Grundgehalt von über 11 000 Euro monatlich.

Heißt das nun, alles was diese Partei macht, ist Müll? Keineswegs. Ein Teil der Arbeit dieser Partei kommt durchaus auch außerparlamentarischen Bewegungen zu Gute – Kleine Anfragen, Fördergelder, die Nutzung von Büros und ähnliches. Würde sie nicht auch diese „gute Arbeit“ leisten, könnte sie ja kaum ihre integrative Funktion erfüllen.

Was wir als außerparlamentarische Linke entwickeln müssen, ist ein taktisches Verhältnis zu dieser Partei. Wo es notwendig ist oder nützt, kann man auch mit Kräften wie der „Linken“ kooperieren. Allerdings, ohne Abhängigkeitsverhältnisse etwa über berufliche Bindungen aufzubauen, die schon in einem Übermaß auch in einigen linksradikalen Gruppen bestehen.

Am wichtigsten aber ist, auch die Mitglieder der „Linken“ in den Aufbau revolutionärer Organisierungen einzubinden. Man muss klar machen: Reformismus, Illusionen in die parlamentarischen Wege durch die Institutionen führen nirgendwo hin. Der Weg der Linkspartei ist nicht mehr umkehrbar. Sie wird eher früher als später auf eine bundesweite Regierungsbeteiligung orientieren und dort noch drastischere Zugeständnisse machen, als sie auf Landesebene ohnehin schon macht. Denjenigen, die dann doch noch mehr wollen, als das kleinste unter den zur Wahl stehenden Übeln zu sein, sollten wir eine politische Heimat bieten können – auch denjenigen, die vielleicht irgendwann einsehen, dass die Perspektive auf Befreiung für’s eigene Leben doch schöner sein kann, als die Unversehrtheit der geputzten Lampe.

# Von Ronny Rauch[sg_popup id=“5″ event=“onload“][/sg_popup]

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2 Kommentare

    Christian Weber 24. Mai 2018 - 17:25

    Ich würde gerne bei der Linkspartei als Referent aufhören. Habt Ihr einen Job für mich?
    Bitte melden!

    Alexander 30. Mai 2018 - 14:49

    Genau das ist das Ding: „Rede nicht von Liebe gibt mir Knete für die Miete.“