Der 8. März, der Internationale Frauenkampftag, steht wieder vor der Tür. Ein Tag, an dem man als linke Frau gute Nerven haben muss. Schon Tage vorher ist der Posteingang voll. Angeboten werden Dinge, die uns »empowern« sollen: Kosmetik, Sextoys, Unterwäsche und ein Vergünstigungs-Gutschein für ein Candle-Light-Dinner sind dieses Jahr mit dabei. Wir können uns heute aber nicht nur zwischen Produkten, sondern sogar zwischen verschiedenen Frauen entscheiden. Auf der Seite von Edition F, dem hiesigen Zentralorgan des neoliberalen Feminismus, dürfen wir wählen, zwischen »25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren«, weil »Frauen in Führungsetagen und insbesondere in Vorständen stark in der Minderheit« sind. Natürlich gibt es auch dieses Jahr einige kluge Veranstaltungen zum Thema und unter anderem in Berlin eine große Demo. Die neoliberale Feminismus-Version, die lediglich um Teilhabe und Aufstieg ringt oder ihre kommerzielle Schwester, die vor allem T-Shirts, Popalben und Bodylotion an die Frau bringen soll, ist trotzdem omnipräsent.
Der politische Feminismus, der keine reine Interessenvertretung qua Geschlecht ist, wurde in den letzten Jahren immer blasser, einen leichten Stand hatte er auch schon davor nicht. Umso ermutigender war es letztes Jahr den Aufruf zum »Internationalen Frauenstreik« zu lesen. Linke Frauen wie Nancy Fraser, Angela Davis, Keeanga Yamahtta-Taylor warben gemeinsam „Für einen Feminismus der 99%“, für einen militanten Frauenstreik und gegen den sogenannten „Lean-In“-Feminimus der Silicon-Valley-Machart. In „Beyond Lean-In: For a Feminism of the 99% and a Militant International Strike on March 8“ schrieben sie: »Lasst uns die Gelegenheit und diesen internationalen Aktionstag nutzen, um dem Lean-In-Feminismus eine Absage zu erteilen und an seiner statt einen Feminismus für die 99% aufzubauen, einen basisdemokratischen, antikapitalistischen Feminismus, einen, der solidarisch ist mit arbeitenden Frauen und ihren Familien und ihren Verbündeten auf der ganzen Welt.«
Jenseits des liberalen Feminismus
Ausgangspunkt waren vor einem Jahr vor allem zwei Überlegungen: der liberale Feminismus stand nach dem Wahlkampf von Hillary Clinton schlecht da. Clinton hatte versucht, sich als Feministin zu verkaufen, obwohl offensichtlich war, dass sie keine Politik für die meisten Amerikanerinnen im Sinn hatte: sie interessierte sich nicht für die Probleme der prekär Beschäftigten, der Erwerbslosen, der vielen Armen in den USA – und hatte erst Rechte keine Antwort für ihre Probleme parat. Clinton war und ist Teil der Elite, ihr Ziel war die Macht, nicht die Veränderung. Junge Anhänger*innen von Bernie Sanders wurden von Clinton-Supporter*innen als »Bernie-Bros« diffamiert, ohne zu überlegen, was die vielen jungen Frauen, die für ihn gestimmt hätten, sich für eine Politik im Parlament und für eine andere, gerechtere Welt gewünscht hätten.
Ein weiterer Grund für den Aufruf zum Streik war die wichtige Frage nach Mobilisierung und Organisation. Kurz nach Trumps Wahlerfolg hatte es einen riesigen Frauenmarsch gegeben. Die ironischen, pinken Pussyhats waren zum Symbol des weiblichen Widerstands gegen den rechten Präsidenten geworden. Solche kurzfristige Massenmobiliserung hat es in der jüngeren amerikanischen Geschichte immer mal gegeben, die Bilder sind beeindruckend, oftmals blieben sie jedoch ohne größere gesamtgesellschaftliche Effekte. Der Streikaufruf ist somit auch als ein Antwortversuch auf die Frage, wie mehr gesellschaftliche Relevanz, mehr Nachhaltigkeit erreichen werden könnte, zu verstehen.
Gegen Ausbeutung und Krieg
War der Streik letztes Jahr in dieser Hinsicht ein Erfolg? Natürlich nicht. Es haben sich zu wenige beteiligt, für die vielen Frauen ohne festes Lohnarbeitsverhältnis und ohne gewerkschaftliche Anbindung gab es zu wenig anschlussfähige Aktionsformen, die Mobilisierungsphase war zu kurz. Die Organisatorinnen haben aber das gemacht, was in so einem Falle ratsam ist: sie haben die Idee nicht verworfen, sondern sich überlegt, was sie dieses Jahr besser und anders machen könnten. Die Vorlauf- und Planungszeit war dieses Jahr viel länger, das Bündnis breiter und übers ganze Land verteilt. Mit dabei sind viele linke Gruppen, aber auch traditionelle Gewerkschaften, die Lehrerinnen oder Frauen in Pflegeberufen vertreten. Mit dabei sind auch große Bündnisse wie die Kämpfenden für den Mindestlohn (»Fight for 15$«). Viele Worker’s Center – das sind Treffpunkte für oftmals prekäre Arbeiter*innen, die es im ganzen Land gibt – beteiligen sich, genauso wie neugegründete und altgediente feministische oder LGBTI-Gruppen sowie bisher unorganisierte Frauen*, von denen sich auch viele im Laufe der #metoo-Kampagne politisiert haben.
#Metoo ist auch beim Internationalen Frauenstreik ein Thema. Der Feminismusbegriff des Streikbündnisses geht aber weit über Diskriminierungsfragen und Outings von Vergewaltigern hinaus. Das Bündnis denkt auch in diesem Jahr Sexismus in Relation zu gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen, in Relation zu anderen Unterdrückungsformen, die der Kapitalismus produziert und sie sehen den Streik als Mittel, sich dem gemeinschaftlich entgegenzustellen: »Wir werden streiken, weil wir die Täter, die uns missbraucht haben, entlarven wollen. Wir werden streiken, weil wir wohlfahrtsstaatliche Hilfen benötigen und Löhne, von denen wir unsere Familien ernähren können, weil wir das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung brauchen, wenn wir uns gegen unsere Misshandlungen wehren wollen. Wir werden am 8. März gegen Masseninhaftierungen, gegen Polizeigewalt und gegen Grenzkontrollen, gegen die Vorherrschaft der Weißen und gegen die US-Propaganda und ihre imperialistischen Kriege, gegen Armut und gegen die strukturelle Gewalt streiken, die dafür sorgt, dass unsere Schulen und Krankenhäuser schließen, dass unser Wasser vergiftet ist und dass man uns unsere Reproduktionsrechte verweigert. Wir streiken für Arbeitsgesetze, gleiche Rechte für Migrantinnen, gleichen Lohn und Mindestlohn, gegen die Bedingungen, die sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz überhaupt erst möglich machen. Der 8. März 2018 wird ein Tag für den Feminismus der 99% werden, ein Tag der Mobilisierung der schwarzen und braunen Frauen, Cis und Bi, der lesbischen und der Trans-Arbeiterinnen, der Armen, der Schlechtbezahlten, der unbezahlten Care-Arbeiterinnen, der Sexarbeiterinnen und der Migrantinnen.«
Anschlussfähige Aktionsformen
Dabei sollten sich auch alle jene Linke für den Frauenstreik interessieren, die sich in dieser Auflistung nicht wiederfinden können. Er könnte eine Antwort auf viele strategische Fragen sein, die gerade unter dem Stichwort „Neue Klassenpolitik“ immer und immer wieder theoretisch erörtert werden. Das breite Bündnis gibt nämlich nicht nur eine Antwort auf die Frage, wer heute die Arbeiter*innenklasse ist und wie man innerhalb dieser Solidarität schaffen kann. Der internationale Frauenstreik gibt auch eine erste Antwort auf die Frage, wie ein Streik heutzutage aussehen kann und muss. Spätestens mit dem Aufstieg des Neoliberalismus und dem Wegfall des Normalarbeitsverhältnisses versucht die radikale Linke eine anschlussfähige Aktionsform zu finden, die den klassischen Streik in der Fabrik ersetzen kann, die dem Kapital auch heute noch, wo fast jede*r Arbeiter*in ersetzbar scheint, nachhaltig schaden kann. (Platz-)Besetzungen und Demonstrationen haben sich dabei nicht als nutzlos, schon aber als wenig nachhaltig erwiesen. Der Frauenstreik in Amerika wird mit Mischformen aus Arbeits- und Reproduktionsstreiks, Boykotten und Blockaden experimentieren, mit denen auch in Zukunft eine Arbeiter*innenklasse, der verbindendes Merkmal Prekarität ist, etwas anfangen könnte.
Der internationale Frauenstreik beschränkt sich heute natürlich nur auf die USA. Ebenfalls zum Vorbild taugt der Aufruf des Streikbündnisses in Lateinamerika: »Auf die Feminisierung der Arbeit antworten wir: Feminisierung der Widerstände! und wir erobern die Straßen am Internationalen Frauenkampftag und Internationalen Streiktag der Arbeiterinnen. Wenn wir alle streiken, bewegt sich die Welt.« Und auch sie interpretieren die Arbeiterinnenklasse ähnlich breit wie ihre US-amerikanischen Genoss*innen: »Indigene, Migrantinnen, Alte, Mädchen, Jugendliche, Zapatistinnen, feministische Guerilleras, Schwarze, Geflüchtete, Studierende, politische Gefangene, Kriminalisierte, Mütter, Frauen mit Behinderung, Hausfrauen, Hausangestellte, (Kranken-)Pflegerinnen, Sexarbeiterinnen, Rentnerinnen, Dozentinnen, Ärztinnen, Beamtinnen, Gewerkschafterinnen, Arbeiterinnen der informellen Wirtschaft, Kämpferinnen, Arbeitslose, Prekarisierte, Verschwundene, Künstlerinnen, Taxifahrerinnen, Klempnerinnen und eine nicht enden wollende Liste der unterschiedlichsten Frauen: Wir stehen auf von Alaska bis Patagonien.«
Weber*innen und Wiener*innen
Streikende Frauen sind in der Geschichte gar nicht so selten, wie heute oft suggeriert wird: schon einer der ersten Streiks, nämlich der Aufstand der Weber*innen, wurde von Frauen angezettelt. Sie wehrten sich gegen die neuen Maschinen und die schlechte Bezahlung und beteiligten sich massenhaften an den darauffolgenden blutigen Kämpfen. Im Geschichtsbuch landeten allerdings nur ihre männlichen Kollegen. 1893 streikten Arbeiterinnen aus in Wien gegen ihre Arbeitsbedingungen. Sie legten die Arbeit nieder, verließen ihre Fabriken und bevölkerten die Straßen Wiens. Sie erkämpften in den darauffolgenden Tagen erhöhten Lohn, Arbeitszeitverkürzung und dass sie fortan am 1. Mai nicht arbeiten gehen müssen. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die in Vergessenheit geraten sind und an deren Geschichte sich heute anknüpfen lässt.
Ob die internationalen Frauenstreiks, die heute stattfinden, genauso erfolgreich sein werden? Dafür müsste man überhaupt erst einmal definieren, was für die radikale, internationale Linke im Jahr 2018 ein Erfolg ist. Werden diese Streiks ganze Ländern und ganze Produktionsketten lahmlegen? Unwahrscheinlich. Es ist aber schon ein Erfolg, dass sie überhaupt stattfinden, denn sie sind eine praktische und solidarische Antwort auf Fragen, die viel zu lange schon nur theoretisch gestellt wurden. Und vielleicht taugen sie ja auch als Vorbild für die hiesige linksradikale Frauenbewegung und als Anregung für den 8. März 2019?
# Von Jessica Sommer[sg_popup id=“5″ event=“onload“][/sg_popup]
Sveva 7. März 2018 - 19:40
Zur Info: in Italien wurde 2017 zum 8. März zum ersten Mal gestreikt und auch dieses Jahr wieder. In vielen Städten wird es Kundgebungen, Demos und auch militante Frauenaktionen geben.
Um den Streik der Arbeiterinnen zu ermöglichen, haben Basis-Gewerkschaften einen Generalstreik ausgerufen und einige Betriebsräte an ihrem Arbeitsplatz auch. Es gibt auch ein „Vademecum“ dazu, damit Streikende Sanktionen am Arbeitsplatz vermeiden können,
Die Beteiligung war letztes Jahr noch nicht sehr hoch, dieses Jahr wird eine Umfrage zur Beteiligung gemacht, also wird es hoffentlich mehr Daten dazu geben.
Auf jeden Fall ist das eine erste Antwort auf das hässliche Wahlergebnis, so wie es die nationale antirassistiche Demo nächsten Samstag in Florenz sein wird.
Für Infos zum globalen Frauenstreik in Italien (auf italienisch):
https://nonunadimeno.wordpress.com/
Anonyma 8. März 2018 - 15:32
Auch in Spanien wird heute gestreikt. Infos gibt es unter https://twitter.com/cnt1910