SPD – alter Revisionismus in neuem Gewand

6. März 2018

Die Zigarette danach: Mit Kevin Kühnert auf dem Dach“ titelt vorgestern der Mario Barth unter den pseudo-jugendlichen Webmagazinen: Bento. Untertitel: „Der Juso-Chef hat verloren – trotzdem geht er in die Offensive.“

Die Tränen kann sich der durchschnittlich 25 Jahre alte Leser und Jodel-Experte bei diesem emotionalen Artikel wohl nicht verkneifen. Der Held der sozialdemokratischen Revolution, geschlagen auf dem Dach, Kippe im Mund, blaue Augen nach vorne. „Er sei schon enttäuscht, sagt er, auch wenn er gerade das Lächeln nur schwer aus seinem Gesicht verbannen kann. Der Druck falle halt gerade von ihm ab. „Ist nur schade, dass er mit diesem Ergebnis abfällt.““

Ja, schade ist es. Ich meine es wäre doch schön gewesen, diesen süßen Boy für den Politbetrieb zu rekrutieren. Ihn berühmt zu machen. Frischen Wind in die Sache bringen. Aber hey, war nix. Egal. Es fällt ja Druck von ihm ab. Denn es ging ja um ihn. Er musste das ja stemmen. Man könnte meinen es ist die Abgangsrede eines rausgeschmissenen DSDS Kandidaten. Dabei fängt für Kühnert die Karriere erst so richtig an. Der kleine Revoluzzer, der gerade so weit rebelliert, dass es die Strukturen nicht stört – es ihn profiliert aber andere nicht denunziert.

Spricht das nicht eigentlich Bände über die revisionistische Schmach, die die SPD über die arbeitenden Massen gebracht hat? Nachdem klar ist, dass die Regierungschefin eines demokratischen Landes ihre vierte (!) Amtsperiode antreten wird, ein Koalitionsprogramm umgesetzt wird, in dem der Abschnitt „Gute Arbeit, breite Entlastung und soziale Teilhabe sichern“ ganze 3 Seiten kriegt und ein Sozi, der so richtig Freude am G20 Polizeimarathon hatte der Vizekanzler wird, scheint die SPD-Welt weiter ok zu sein.

Es ist ja ein starkes Zeichen gewesen. Da hat ja erst mal was Tolles gemacht, indem man seiner Basis eine Minimalstform der Partizipation vorgeworfen hat. Und auch wenn man gespalten ist, Leben geht weiter. Und Kevin Kühnert hat ja schon eine geraucht und sich beruhigt.

Während man sich in diesen Tagen als Sozialdemokrat einfach klammheimlich vom Stadion der bürgerlichen Politik davonmachen kann, wie ein angesoffener HSV Fan und die Niederlage einfach Niederlage sein kann, redet kaum einer in diesen Tagen darüber, was für ein unendliches Privileg es ist, diesen Politbetrieb überhaupt als ein solches Spiel zu begreifen. Wenn eine sozialdemokratische Volkspartei es sich leisten kann ein Rekordtief in den Umfragen wegzustecken und eine rechtspopulistische Partei als Oppositionsführer zu akzeptieren, dann hat sie sich von der Dringlichkeit der Problemlösung für das Prekariat in diesem Land losgelöst.

Am gestrigen 147. Geburtstag von Rosa Luxemburg ist ihr Wort die Warnung, die uns davon abhalten sollte dieses öffentliche Theater zwischen Kühnert und Nahles, zwischen GroKo und NoGroko (ob mit oder ohne Hashtag), zwischen JuSo und Vorstand einfach so unangegriffen zu lassen:

„Speziell in bezug auf den Parlamentarismus ist die möglichst klare Erkenntnis der wirklichen Ursachen seines Verfalles, wie sie sich aus der bürgerlichen Entwicklung mit eiserner Logik ergeben, durchaus notwendig, um die klassenbewußte Arbeiterschaft vor jener verderblichen Illusion zu warnen, als könne man durch eine Milderung und Abstumpfung des sozialdemokratischen Klassenkampfes der bürgerlichen Demokratie und Opposition im Parlament künstlich zu neuem Leben verhelfen.“

Das Theater zwischen jung und alt, das der Öffentlichkeit vorgespielt wurde, das Theater um die „Angst“ vor dem Ergebnis des Mitgliederentscheides, all das kaschiert doch nur die Tatsache, dass dieses bisschen an inszeniertem Konflikt das Maximum an sozialdemokratischen Kämpfen ist. Oder genauer: Auch NoGroKo hätte die Sozialdemokratie nicht geändert, die Oppositionsführung schon gar nicht. Die Gefahr am sozialdemokratischen Revisionismus ist dessen Verleugnung der bourgeoisen Grundbasis des Parlaments, welche den wirklichen Kampf für die arbeitenden Massen unmöglich macht.

Die im selben 1904 erschienenen Artikel skandierte Lösung von Luxemburg ist eine, die sich jede Partei, die von sich behauptet Arbeitnehmer*inneninteressen zu vertreten sich zu Herzen nehmen sollte: „Der wirkliche Weg führt vielmehr nicht durch Vertuschung und Preisgabe des proletarischen Klassenkampfes, sondern gerade umgekehrt durch die schärfste Betonung und Entfaltung dieses Kampfes, und zwar im Parlament wie außerhalb desselben. Dazu gehört sowohl die Kräftigung der außerparlamentarischen Aktion des Proletariats, wie eine bestimmte Gestaltung der parlamentarischen Aktion unserer Abgeordneten.“

Ob die Jusos nun traurig sind oder nicht: Es ist scheißegal, was sie denken, was welcher Flügel denkt, was welcher Minister denkt. Der Diskurs drehte sich lang genug um sie. Es ist eine Dreistigkeit, dass die deutsche Sozialdemokratie nicht willens ist diese Grundfrage an den parlamentarischen Betrieb in Deutschland zu stellen. Es bleibt eine Frechheit, dass Ihnen die Mehrheit der Abgeordneten, der Minister, der Konzerne und der Lobbyisten wichtiger ist, als die allgemeine Mehrheit in der Bevölkerung.

Es bleibt ein Zeugnis für den Zustand des Parlamentarismus, dass diese Mehrheiten unabhängig voneinander existieren können. Der Beweis dafür, dass der bürgerliche Parlamentarismus ein Selbstzweck ist, der von den Massen vollkommen unabhängig existieren kann und sich seine eigene Legitimation ist. In diesem Zusammenhang sind auch die beruhigenden und beschwichtigenden Worte derjenigen zu verstehen, die behaupten die AfD könne das „demokratische Grundgerüst“ der Republik nicht zerstören. Wie könnte die AfD denn ernsthaft etwas zerstören, das von sich selbst lebt und in sich selbst unabhängig von Parteien und Wählerwillen ist.

Es zeigt, dass GroKo und NoGroKo aus dem selben bürgerlichen Diskurs entspringen und die Machtfrage über diesen Diskurs heraus geführt werden muss. Nur so kann ein wirklicher proletarischer Klassenkampf initiiert werden. Nur so können parlamentarische und außerparlamentarische Kämpfe verknüpft werden und ein grundsätzlicher Umbau eben dieses bourgeoisen Fundaments des Selbstbedienungsladens Bundestag eingeleitet werden.

Mit den vorgestellten Personalien und Nachwuchskadern der SPD ist das vollkommen unmöglich. Während die SPD nicht imstande bzw. nicht willens ist diese Machtfrage zu stellen, lässt ihr Revisionismus und ihr Opportunismus die Probleme der Arbeiterschaft, des Prekariats und aller unterdrückten Gruppen außer Acht. Gerade jetzt gilt es offen gegen diese Praxis zu kämpfen und die grundlegenden Probleme des bürgerlichen Parlamentarismus anzugehen.

Dazu gehört auch ein Schritt, den die aktivistischen Kreise oft vergessen: Der Weg in die Praxis. An dieser Stelle soll kein Fass geöffnet werden, das in der bereits geführten Debatte schon aufgebrochen wurde und viele Fragen gestellt hat, nur soll hier letztendlich betont werden: Der sich wiederholende Verrat der SPD und die scheinbare Akzeptanz bzw. Gleichgültigkeit der Massen wird keine Konsequenzen mit sich tragen, solange die sinkende Zustimmung zur SPD nur in Form einer Prozentzahl einer EMNID Umfrage bleibt. Ja, hier muss der Begriff der Alternativlosigkeit der Massen angesprochen werden und hier muss aufklärerische Arbeit geleistet werden, gerade von Links.

Das Problem dieser Alternativlosigkeit mit stumpfen Parolen à la Lafontaine und Wagenknecht wird sicher nicht zu lösen sein.

 

#Manî Cûdî

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3 Kommentare

    Sarah 11. März 2018 - 1:01

    Bei aller sachlich notwendigen Kritik: Warum macht ihr Kevin Kühnert – unmissverständlich homophob – als „süßen Boy“ lächerlich? Hättet ihr das auch getan, wenn er heterosexuell wäre? Die Antwort liegt für alle Menschen, die nicht im sozialen Vakuum leben, auf der Hand. (Und mittels Suchfunktion auf eurer Seite lässt sich das auch leicht überprüfen). Mit dieser homophoben Rhetorik liegt ihr übrigens ziemlich genau auf einer Linie mit Wagenknecht, die ihr ein paar Sätze weiter und auch sonst zu kritisieren vorgebt.

    Essay 11. März 2018 - 13:16

    @Lucas Eben deshalb sind Feministinnen ja auch ganz schnell dabei, klarzustellen, warum diese rechten Frauen mit dem Feminismus ganz un gar nichts zu tun haben,“ Bullshit, es gab immer rechte Feministinnen, die in Deutschland niemals verfolgt wurden. Wie viele radikale“ Feministinnen fielen unter den Radikalenerlass? NULL. Ich hatte bereits einen Kommentar zum Denkmal der verfolgten Schwulen und Lesben im Nationalsozialismus geschrieben, welches die Kleinigkeit“ verschweigt, dass Lesben überhaupt nicht verfolgt und getötet worden sind. Der feministische Revisionismus hat ein Bild von Feminismus in der Geschichte erzeugt, auf das die Ahnungslosen der nächsten Generation Feministinnen entweder hereingefallen sind oder sie kultivieren die hohe Kunst der Stapellüge. Aus meiner Perspektive vermeine ich doch einige deutliche Unterschiede zu erkennen“ das ist aber der völlig unpolitische Punkt. Mit Stärke“ ist einfach nur Status“ gemeint es ist lediglich relevant, *dass* Frauen ihn haben, nicht wie er erworben worden ist. Demzufolge bezieht sich der idiotische Vorwurf auch auf beliebige Männer, was den Vorwurf zu einem beliebigen macht. write custom essays

    antares56 14. März 2018 - 15:34

    Was hat der Name „Mario Barth“ in einem angeblich ernsthaften Artikel zu suchen? Schaut ihr euch diesen Schwachkopf tatsächlich im Fernsehen an? Dann ist es schlecht bestellt um „eure“ Revolution!