Der Widerstand gegen den Krieg Erdogans hat auch in Deutschland begonnen. Aber wie entwickeln wir ihn weiter?
Die Beteiligung am internationalistischen Widerstand gegen den türkischen Einmarsch in der Selbstverwaltungsregion Nordsyriens ist für deutsche Verhältnisse erfreulich: Tausende Menschen marschieren bei den fast täglich stattfindenden Demonstrationen mit, hunderte kommen zu Informationsveranstaltungen zum Thema und nahezu täglich erscheinen Updates zur militärischen Lage auf diversen linken Blogs. Die Frage, die uns bei diversen Gelegenheiten in den vergangenen Wochen gestellt wurde, lautet oft: Wie kann ich mehr tun?
Es ist eine Herausforderung, vor der wir selber stehen: Unsere Genoss*innen stehen in Afrin mit der Waffe in der Hand gegen eine zehntausende Soldaten umfassende Streitmacht mit Luftunterstützung und modernster Technologie. Und bei uns entsteht das Gefühl der Ohnmacht, auch eine große Wut darüber, dass alles, was wir hier anstoßen, noch als viel zu gering erscheint. Deshalb haben wir uns einige Gedanken gemacht, wie weitere Schritte der praktischen Solidarität aussehen könnten.
Erstens: Eine Delegation zum Schutz der Zivilbevölkerung
Der erste Vorschlag, den wir zur Diskussion stellen wollen, sieht so aus: Im Moment ist es für den Otto-Normal-Linken nur schwer möglich, nach Afrin zu kommen. Nach unserem Informationsstand aber nicht für Parlamentarier*innen. Die müssen nicht illegal nach Syrien einreisen, sondern bekommen in der Regel, wenn sie ansuchen, Visa des Regimes bewilligt. Sie könnten also direkt bis Damaskus fliegen, von wo aus sich der Weg nach Afrin organisieren lässt.
Der Sinn und Zweck der Übung: Gerade angesichts der Menschenrechtsverbrechen des Erdogan-Regimes kann eine Beobachter*innenmission in Afrin eine wichtige Rolle nicht nur bei der Skandalisierung dieses verbrecherischen Angriffskrieges spielen. Sie bietet zudem auch Schutz für Zivilist*innen, denn Ankara müsste die Präsenz deutscher Abgeordneter bei seinen Flächenbombardements einrechnen. Parlamentarier*innen könnten so ihre privilegierte Situation zum Schutz von anderen nutzen.
Was können wir tun? Nehmt die Mitglieder der Linkspartei- und Grünen-Fraktionen in die Pflicht. Schreibt ihnen Emails, fordert sie bei Twitter oder Facebook auf, eine solche Delegation zu organisieren. Wir schlagen dafür den Hashtag #AfrinDelegationJetzt vor.
Zweitens: Holen wir Gewerkschaften und die Friedensbewegung ins Boot
Verbreitern wir die Bündnisse unserer Demonstrationen. Kürzlich unterzeichneten dutzende Personen des öffentlichen Lebens einen Aufruf, von dem sie sich erhofften, er könnte die Friedensbewegung, nach Jahren der Krisen und ideologischen Verwerfungen, reanimieren. Es ging um die Ablehnung des sogenannten Zwei-Prozent-Ziels der NATO, generell aber auch – so der Titel des Appells – darum, „abzurüsten statt aufzurüsten“.
Zu den Unterzeichner*innen gehören mit Reiner Hoffmann (DGB), Marlis Tepe (GEW) und Frank Bsirske (verdi) auch führende Funktionär*innen der deutschen Gewerkschaftsverbände. Versuchen wir, auch die Gewerkschaften in die jetzigen Proteste einzubinden. Das könnte – auch für die Friedensbewegung selbst – ein Neustart nach Jahren rechter „Friedensmahnwachen“ werden. Und, wenn es gelingt, sollte es nicht ausgeschlossen sein, auch mal für ein politisches Ziel, etwa für das Ende der umfassenden Kooperation mit dem türkischen Faschismus zu streiken. Klingt wild, für deutsche Verhältnisse, wäre aber gar nicht so abwegig.
Was können wir tun? Versuchen wir, die gewerkschaftlichen Kontakte, die wir haben, in die Vorbereitung der kommenden Demonstrationen einzubinden. Gehen wir auf jene Kreise der Friedensbewegung zu, die klar links.
Drittens: Stellen wir die Öffentlichkeit her, die dieser Krieg verdient
Viele Gruppen und Einzelpersonen haben bereits einen Beitrag geleistet, diese schmutzige Militärkampagne in der Öffentlichkeit bloßzustellen – und die schäbige Rolle der Regierung in Berlin. Aber auch hier ist noch Spielraum nach oben. Die Demonstrationen müssen weitergehen, wachsen und ihr Ausdruck sollte kämpferischer, wütender werden. Zugleich hat sich gezeigt, dass auch „kleine“ medienwirksame Aktionen – wie etwa der Protest bei der Bundespressekonferenz oder die zeitweise Besetzung von SPD-Büros – große Aufmerksamkeit erzeugen können.
Was können wir tun? Zum einen, mit dem weitermachen, was wir begonnen haben, auch wenn – und das ist absehbar – der Medienhype um den Krieg wieder abflaut. Zum anderen aber: Gerade im Bereich kreativer Einmischung in den öffentlichen Diskurs sind bei weitem noch nicht alle Ideen ausprobiert worden.
Viertens: Arbeiten wir langfristig an der Verbreitung der Ideen der Revolution
Setzen wir uns wirklich mit den Ideen der Rojava-Revolution auseinander – auch kritisch. Eine lebendige Adaption besteht nicht im Kopieren oder Nachahmen. Beziehen wir die Grundgedanken des rätedemokratischen, sozialistischen auf Geschlechterbefreiung ausgerichteten Modells der kurdischen Befreiungsbewegung auf unsere eigenen Diskussionen, etwa die um Neue Klassenpolitik. Entwerfen wir klare Strategien, wie revolutionäre Subjektivität, der Entwurf einer linken Erzählung für unsere Zukunft und der Kampf um deren Realisierung aussehen können.
Was können wir tun? Beziehen wir uns spektrenübergreifend und als Einzelpersonen mehr aufeinander in dem, was wir schreiben und diskutieren. Bilden wir eine Strömung heraus, die Anarchist*innen, Kommunist*innen und alle, die für den Imperativ, diese miesen Verhältnisse umzustürzen, sind, einschließen.
Fünftens: Arbeiten wir langfristig an der Umsetzung der Ideen der Revolution
Das Wichtigste ist: Betrachten wir den Kampf in und um Rojava nicht als eine Projektionsfläche. Dieser Kampf ist unser eigener Kampf. Wenn wir mit Genoss*innen „drüben“ sprechen, ist die deutliche Antwort auf die Frage, was wir noch tun können, immer die: „Macht Revolution in Deutschland.“ Das ist ein Fernziel. Der nächste Schritt in diesem langen Marsch ist, dass wir den Organisierungsgrad der radikalen Linken erhöhen. Wie viele tausend Menschen verstehen sich in Städten wie Berlin, Hamburg oder Leipzig als Linke? Und wieviele davon nehmen wirklich an einem Gruppenleben, an einem politischen Kollektiv teil? Je mehr, desto effektiver wird unser Kampf hier und der Druck, den wir in Solidarität mit unseren Freund*innen anderswo ausüben können.
Was können wir tun? Diejenigen, die noch in keiner Gruppe sind: Wenn ihr auf Veranstaltungen kommt, auf Demonstrationen, sprecht die Genoss*innen an, geht in die Gruppen und fangt an gemeinsam zu handeln. Diejenigen, die schon in Gruppen sind: Hören wir mit dieser Zersplitterung auf. Klar, ideologische Unterschiede kann man nicht einfach beiseite lassen, sonst kommt auch nichts Sinnvolles rum. Aber lasst uns breite Dachverbände gründen, in denen wir diese Schrebergartenmentalität der Kleinstgruppen überwinden. Viele von uns trennt kaum etwas. Und gemeinsam wären wir um ein Vielfaches stärker.
Sechstens: Überwinden wir die Angst, vergessen wir die von Repression Betroffenen nicht
Der Staat mag nicht, was wir tun. Schon gar nicht, wenn wir es mit Kurd*innen zusammen tun. Repressionsschläge werden da nicht ausbleiben. Seien wir vorsichtig. Aber lassen wir uns zugleich nicht von der herrschenden Klasse zur Selbstbeschränkung zwingen, weil wir ihre Angriffe fürchten. Stehen wir erhobenen Hauptes für das ein, was uns bewegt. Und gleichzeitig: Vergessen wir die nicht, die von Repression betroffen sind. Lassen wir sie in den Knästen nicht alleine.
Was können wir tun? Unterstützen wir diejenigen, die Gefangenenhilfsarbeit leisten und schreiben wir unseren Genoss*innen hinter Gittern. Machen wir den internationalen Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen am 18. März zu einem Zeichen unserer Solidarität.
# LCM
nicht von relevanz 6. Februar 2018 - 12:44
Wenn mensch schon über breite Koalitionen redet, könnte mensch auch darüber nachdenken ob mensch die Schwulen-, Lesben- und Transverbände zu mehr Solidarität auffordert, denn es geht auch um ihre Genoss_innen. Theoretisch könnten sogar christliche Verbände auf die Barrikaden gehen. Taktik, nicht Strategie.
Nora 11. Februar 2018 - 12:40
Gerade im Lichte des Artikels vom 2. Februar sollten auch explizit feministische Gruppen angehalten werden sich zu solidarisieren und genau die Fragen der Kurdischen Bewegung zu Patriarchat, Kapitalismus und Befreiung der Frau auch in ihren Strukturen diskutieren. Hierzu braucht es ein gegenseitiges aufeinander zugehen der Gruppen und Verbände. Auch die kurdischen Frauenverbände in Deutschland sollten aktiv den Kontakt suchen und gemeinsame feministische Diskussionen führen, die auch über Jineologie hinaus gehen, jedoch die emanzipatorischen Elemente daraus auch auf unseren Kampf als Frauen und Revolutionärinnen hier in Deutschland anwenden und erweitern!
Lupo 13. Februar 2018 - 0:31
Wo bleibt der Antimilitarismus? Was hat Bundeswehr in der Türkei zu suchen? Keine Verteidigung des Vaterlandes in der Türkei. Dreht die Gewehre um.
Ingo Will 11. März 2018 - 22:59
„Heute Afrin und morgen die ganze Welt …“ – noch ist es nicht so weit, aber wo wird die Kriegstreiberei der Türkei letztlich enden ? Wieder vor den Toren von Wien ? An der Küste der Normandie ? In Afri – und Amerika ? Die zweitgrößte Nato – Armee Türkei unter dem Träumer Erdogan führt jetzt einen brutalen unrechtmäßigen Angriffskrieg gegen kleine mutige Völker wie die Kurden in Rojava – demnächst vielleicht auch gegen Nato – Mitglieder wie Griechenland, Bulgarien und Rumänien sowie den Irak – und von Amerikas Gnaden vielleicht sogar den Iran ? Der IS läßt grüßen … Doch: das Kriegsglück ist launisch ! „Wer das Schwert zieht, wird durch das Schwert fallen …“