Rome wasn’t burned in a day

27. Dezember 2017

Mit kleinen Schritten in die Zukunft der Klassenkämpfe

Einige Gedanken von TOP B3rlin zu den Arbeitskämpfen bei Amazon und der Beteiligung an der Kampagne Make Amazon Pay. Ein Diskussionsbeitrag.

Nicht nur die üblichen Verdächtigen, auch Zeit Online, Deutschlandradio, das Vice Magazin oder der Hessische Rundfunk rufen an. „Ihr habt ja gesehen was in Hamburg passiert ist“ warnt das Management Amazon Deutschland die Belegschaften des #teamamazon.(1)  Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke, äußert sich in einem Post auf Facebook positiv, „denn die neuen Technologien können Menschen helfen, statt sie noch schärfer auszubeuten – wenn wir die politischen Verhältnisse ändern.“ Im Neuen Deutschland erhofft sich Christopher Wimmer eine Annäherung von radikaler Linke und Gewerkschaften, worin er einen nicht zu unterschätzenden Fortschritt sähe. Am frühen Morgen des 24.11. ist das Amazon-Verteilerzentrum am Kurfürstendamm von einem immensen Polizeiaufgebot belagert. Um das Kudamm-Karree herum reiht sich Mannschaftswagen an Mannschaftswagen, eine Zufahrt zum Innenhof ist mit einer massiven Platte abgedichtet, beide Einfahrten in die Uhlandstraße sind mit Hamburger Gittern abgesperrt. Obwohl es abgesehen von kleinen Rangeleien zu keinen Auseinandersetzungen kommt, wird eine Person von Polizeibeamten noch aus der U-Bahn gezerrt und festgenommen. Und auch im Nachgang kehrt keine Ruhe ein: Während die italienischen Aktivist*innen von InfoAut in den Auseinandersetzungen in den Amazon-Hallen in Italien am Black Friday die Radikalisierung eines neuen sozialen Kampfs erkennen, der vor allem von prekärbeschäftigten Arbeitsmigrant*innen getragen wird, bleibt ein Beitrag in der anarchosyndikalistischen Zeitung Direkte Aktion skeptisch. Auch wenn sie die Diskussion um den Streik erfolgreich radikalisiert haben, schließt Erna Rauch, „dass die Proteste und Streiks ohne starke, kämpferische Basisorganisationen in den Betrieben verhallen.“ Klar, die große Aufmerksamkeit im Vorfeld hat mehr mit der Prominenz Amazons zu tun, als mit den derzeit höchst zaghaften Lebensregungen der radikalen Linken. Und dennoch: Irgendwie scheint die Aktion Block Black Friday im Rahmen der Kampagne Make Amazon Pay einen Nerv getroffen zu haben. Dabei waren zumindest in Berlin selbst bei großzügiger Schätzung nicht mehr als 300 Menschen auf der Straße.

Von fehlenden Streiks und anderen Blockaden
Vorweg: Die Beteiligung an der Aktion lag auch unter unseren eigenen, bescheidenen Erwartungen. Dass ist auch deshalb schade, weil es
dennoch zu einer kurzfristigen Blockade von beiden Enden der Uhlandstraße und damit zur Schließung der einzigen verbliebenen Auslieferungszufahrt kam. Mit nur wenig mehr Menschen hätte diese Blockade effektiv über einen längeren Zeitraum aufrecht erhalten werden können. Das Ziel, die Auslieferung aus dem Amazon Prime Standort zu verhindern, lag in greifbarer Nähe. Mit dieser Blockade wollten wir einerseits die (Tarif-)Kämpfe der Amazon-Belegschaften unterstützen, die sowohl durch arbeitsrechtliche Regulierungen wie durch die spezifische Unternehmensorganisation Amazons erschwert werden. Andererseits sollte Amazons enormer Einfluss über sein engeres Geschäftsfeld hinaus benannt und das Unternehmen so als ein gesellschaftspolitischer Akteur gezeigt werden. Anders als in Leipzig ist dass Scheitern einer effektiven Blockade besonders misslich, weil die Aktion in Berlin nicht mit einem Streik der Belegschaft innerhalb des Versandlagers koordiniert war. Die Störung des Betriebsablaufs waren dementsprechend höchstens kurzfristig. Zugleich zeigte sich deutlich, wie störanfällig und deswegen auch angreifbar Amazons Versprechen der punktgenauen Lieferung, ist. Dafür spricht nicht zuletzt auch die Unruhe des Managements im Vorfeld.

Streikende und Unterstützer*innen, Leipzig 24.11.

Die fehlende Verankerung der Aktionen in den Kämpfen der lokalen Belegschaft ist die zentrale Kritik des Artikels von Erna Rauch in der Direkten Aktion. Rauch begründet damit auch die Nicht-Beteiligung der Freien Arbeiter*innen Union (FAU). Eine solche Koordination konnte es aus dem schlichten Grund nicht geben, weil es innerhalb des Versandzentrums in Berlin bislang weder einen gewerkschaftliche noch eine anders geartete Basisorganisierung gibt. Auch im nächstgelegenen großen Versandlager Brieselang (Brandenburg), ist laut Ver.di bislang keine Streikfähigkeit gegeben. Im Zuge der Vorbereitung der Kampagne haben wir uns dazu entschlossen, dennoch einen Blockade der Auslieferung des Lagers im Kudamm-Karree durchzuführen. Seine Prime-Liefergarantie von zwei Stunden und seine Lage mitten in Berlin exponieren es besonders. Dem Artikel von Erna Rauch, wie auch anderen kritischen Kommentaren, ist darin zuzustimmen, dass mit dem Risiko, durch die Aktionen und deren Kommunikation Beschäftigte zu verprellen und zukünftige Solidarisierung und Organisierung unter ihnen zu erschweren, verantwortungsvoll umgegangen werden muss. Umso wichtiger ist es, bei den Beschäftigten keine falschen Hoffnungen zu wecken. Im Rahmen der Kampagne wurde deshalb Kontakt mit den Beschäftigen aufgenommen und der Standort in den Wochen vor der Aktion mehrfach besucht. Die Berlin Erwerbsloseninitiative BASTA! hat öffentlich dazu aufgerufen, den Standort zu besuchen und an zwei Terminen innerhalb der Aktionswoche über die Kampagne und ihre Ziele informiert sowie einen offenen Brief von kämpfenden Kolleg*innen aus Poznan und Frankreich verteilt. Dadurch konnte u.a. erstmals etwas über die soziale Zusammensetzung der Belegschaft und den Arbeitsprozess an diesem konkreten Standort in Erfahrung gebracht werden. Im Versandlager selbst etwa arbeiten viele Migrant*innen, während in der Auslieferung eine besonders krasse Ausdifferenzierung der Vertragsbedingungen der einzelnen Subkontraktoren und prekarisierten, scheinselbstständigen Selbstausbeuter*innen herrscht.

Die öffentliche Wirkung der Kampagne profitierte dennoch maßgeblich von einem Umstand, der außerhalb unserer Hand lag, auf den wir aber etwa mit der Terminsetzung durchaus hoffen durften: Ver.di rief parallel zu unseren Aktionen an sechs Standorten zum Streik auf. In Piacenza in Italien kam es ebenfalls zu Arbeitsniederlegungen, auf die wir uns beziehen konnten. Auch im Nachhinein erfolgte keine Entsolidarisierung mit der Blockadeaktion oder Kampagne durch Ver.di oder Beschäftigte. Im Gegenteil: Uns erreichte über E-Mail und Facebook wie auch Vorort viel Zuspruch durch Amazon-Arbeiter*innen. Wir denken deshalb, dass wir mit unseren Aktionen die kämpfenden Belegschaften in ihren Tarifauseinandersetzung genau am richtigen Tag unterstützt haben. Ob wir durch unsere Kampagne auch diese Auseinandersetzungen bereits ein Stück weit radikalisieren konnten – who knows? Die verschiedenen Streikbesuche durch Beteiligte der Kampagne, sowie der gemeinsame inhaltliche Ausdruck von Gewerkschaftsvertreter*innen und Unterstützer*innen am 24.11. in Leipzig stellen dafür aber Anknüpfungspunkte dar.

 

Über einer problematischen Aufspaltung
Nichtsdestotrotz: Aus unserer Sicht darf die Aufteilung in eine „authentische“ (Erna Rauch) Unterstützung von Kämpfen der Arbeiter*innen, etwa durch basisgewerkschaftliche Organisierung, und una

 

uthentische (weil angeblich nur stellvertretend stattfindende) Aktionen von außen nicht überbetont und vor allem nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sie verfehlt die Rolle der Logistik im Kapitalismus wie auch die massiven Auswirkungen, die Digitalisierung und Automatisierung haben. Dass die langfristige Organisierung von Belegschaften bei Amazon so schwierig ist, ist eben kein Zufall, sondern hat etwas mit dem „System Amazon“ zu tun. Die extreme Zerteilung der Arbeitsschritte, ihrer Standardisierung und Überwachung macht jeden Standort, aber auch jede einzelne Beschäftige ersetzbar und trägt so zu einer enormen Unsicherheit bei. Amazon ist darin allerdings nur ein Vorreiter einer Entwicklung, der durch seine Monopolstellung im Bereich des Online-Versandhandels, (schlechte) Standards für die Branche und darüber hinaus setzt. Dabei wird die Grenze zwischen den Beschäftigten bei Amazon und anderen Beschäftigten, aber auch zwischen Arbeiter*innen und Nicht-Arbeiter*innen brüchig. In einer Stellungnahme am 24.11. hat Basta! auf die enge Zusammenarbeit Amazons mit dem Jobcenter hingewiesen. Gerade im Weihnachtsgeschäft werden mit Hilfe des Jobcenters große Mengen an Beschäftigten eingesogen, um nur wenige Monate wieder in die Reservearmee der „Arbeitssuchenden“ eingegliedert zu werden. Eine Aktivistin der Initiative bezeichnete das Unternehmen deswegen als „verlängertes Wartezimmer“ des Jobcenters. „Beide arbeiten Hand in Hand bei der Durchsetzung von prekären Arbeitsbedingungen und der Ausweitung eines Niedriglohnsektors.“ In dem, was wir etwas grobschlächtig als digitalen Kapitalismus bezeichnen, vollzieht sich der Prozess der Proletarisierung umso umfassender, weil es hier ersten auch im hochqualifizierten Bereich zunehmend zu Dequalifizierungs- und Automatisierungsprozessen kommt: Immer weiteren Bereichen der Arbeitswelt können flexibilisiert, umfassend kontrolliert und befristet werden (digitaler Taylorismus). Bei Amazon findet dieser Prozess seinen Ausdruck in einer Hire-and-Fire-Mentalität. Die Crowd-Work-Plattform Mechanical Turk, auf der weltweit um digitale Kleinstbeschäftigung konkurriert wird, ist eine logische Konsequenz. „Im Kommunikativen Kapitalismus ist die Kommunikation zum Produktionsmittel geworden,“ beschrieb die Politikwissenschaftlerin Jodi Dean kürzlich in einem Interview die veränderte Lage: „Egal, wie wir elektronisch kommunizieren, jemand anderes besitzt das, was daraus entsteht.“ Mit der Zentralität der Datenextraktion wird zudem zunehmend die Grenzen zwischen Produktion und Konsumption eingezogen. Die auf Seiten der Unternehmen damit verbundenen Ambitionen zeigen sich in dem, was man „smartes“ Zuhause oder die „smarte“ Stadt nennt, besonders rabiat: Sie alle dienen der Ausweitung der Gelegenheiten zum Gewinn von Daten über die Online-Tätigkeit der Nutzer*innen hinaus, zu deren Produktion sie zudem unablässig angeregt werden sollen. Das gibt den Giganten des digitalen Kapitalismus eine ungeahnte Macht darüber, wie wir unser Leben in Zukunft führen werden. An dieser Landnahme ist Amazon mit seinem Sprachassistenten Alexa/Echo beteiligt. Eine Fetischisierung von Basisorganisierung, so wichtig diese selbst ist, verkennt deshalb, wie weit das Fundament des gegenwärtigen Akkumulationsregimes reicht. Mit dem alleinigen Setzen auf Basisorganisierung im Betrieb verstellt man sich somit auch Möglichkeiten des Eingriffs.

 

Es geht uns hier nicht um ein Gleichmachen unterschiedlicher Ausbeutungssituationen und Erfahrungen, sondern darum, die Orte zu erkennen, an denen sich im gegenwärtigen Kapitalismus unterschiedliche Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen verbinden. In den fortlaufenden Wertschöpfungskrisen vollzieht sich eine Durchökonomisierung aller Lebensbereiche, vom Konsum, über die Freizeit bis zu den sozialen Beziehungen. Zunehmend wird diese Durchökonomisierung durch digitale Plattformen wie Amazon, aber auch Google, Dienste wie Uber etc. organisiert, so dass mache Kommentator*innen bereits von einem Plattform-Kapitalismus reden. Genau das macht sie aber auch zu Orten, die anfällig für Unterbrechung sind. Sie können Kristallisationspunkte des Aufbaus von Gegenmacht werden für diejenigen, die in die eigene Verwertung noch einbezogen sind, deren Position darin aber immer zunehmend unsicher ist, wie auch für die, die als Überflüssige bereits aus dem Produktionsprozess ausgeschlossen sind.

Talk is cheap
Wir denken, dass hierin ein Ausgangspunkt zeitgemäßer antikapitalistischer Politik liegt. Gerade weil in der radikalen Linken angesichts ihre politischen Marginalität Diskussionen um die Bedeutung von Klassenpolitik derzeit mit großem Enthusiasmus geführt werden, waren wir überrascht, dass die Beteiligung an einer praktischen Initiative wie der Kampagne
Make Amazon Pay so schwach ausfiel. Vermutlich haben wir überschätz, wie unmittelbar einleuchtend dieser Kampf auch aus einer antikapitalistischen Pespektive ist. Unterschätzt haben wir sicherlich die Dauer, die es braucht, um in einem solchen relativ neuen Feld verlässliche Verbindungen herzustellen. Kaum ist es uns zudem gelungen, die Kampagne mit anderen derzeit geführten Auseinandersetzungen, etwa im Pflegesektor, also im Bereich der Reproduktion, oder bei den Beschäftigten an den Universitäten zu verbinden – hier liegen noch große Potentiale. Wir begreifen die Aktion als einen Versuch und einen Schritt und hoffen, einen Anstoß für weitere Diskussionen darüber geliefert zu haben, welche Rolle die Digitalisierung und die mit ihr stattfindenden Reorganisation der Ökonomie für die derzeitige politische Entwicklung im Allgemeinen und die autoritäre Formierung in kapitalistischen Staaten im Besonderen spielt. Das kommunistische Bündnis … ums Ganze! ordnet die Auseinandersetzungen bei Amazon in einem aktuellen Text folgendermaßen ein: „Krise, Konkurrenz, Prekarisierung – das ist die Signatur der Gegenwart, auf die sowohl die Erzählungen reaktionärer Akteur*innen wie der Alternative für Deutschland (AfD) als auch die Gesellschaftsvisionen der Zukunftsarchitekt*innen des Silicon Valley reagieren. Aber weder der Rückzug in die Nation, noch eine digitale Technokratie können das gutes Leben verwirklichen – schon gar nicht dann, wenn es ein gutes Leben für alle sein soll. Um gegen die Kulturalisierung gesellschaftlicher Konflikte wie gegen deren technokratische Verwaltung in die Offensive zu kommen, gilt es, die Verhältnisse als von Menschen gemachte und also auch von ihnen veränderbare zu zeigen. Dafür bieten die grenzüberschreitenden Arbeitskämpfe im Logistiksektor einen guten Anknüpfungspunkt.“

Für eine solche hoffnungsvolle Perspektive gibt die Zusammensetzung des Bündnisses und der Beteiligten an den Aktionen trotz allem nämlich durchaus Anlass: Mit stadtpolitisch Engagierten und der Erwerbsloseninitative Basta! waren Berliner Akteure beteiligt, die besonders früh zentrale Orte sozialer Auseinandersetzungen im neoliberalen Umbau erkannt und auf diese auch mit neuen Politikformen reagiert haben. Die Berlin Migrant Strikers sind in die Kämpfe der EU-Binnen-Migrant*innen involviert, die nicht zuletzt ob der durch die deutsche Bundesregierung durchgesetzten EU-Austeritätspolitik nach Berlin gekommen sind und hier eine wichtige soziale und wirtschaftliche Rolle spielen. Bei Vorfeld-Veranstaltungen ist es gelungen, die Verbindung zu den Organisierungsansätzen der Fahrradausliefer*innen in der Deliverunion zu knüpfen, bei denen algorithmisches Management direkt mit neuen Formen der Arbeitsorganisation, Kontrolle und Ausbeutung verknüpft ist. Im Austausch mit dem Soli-Streik Bündnis in Leipzig konnten wir von den Erfahrungen und dem Wissen, das hier in der langfristigen und kontinuierlicher Unterstützungen der kämpfenden Belegschaften bei Amazon gewonnen wurde, profitieren. Mit der Vernetzung der Amazon Workers ist die internationale Dimension der Unternehmenspolitik Amazons zumindest in Ansätzen ein Teil unserer lokalen Politik geworden. Mit dem Kollektiv Capulcu hat eine technik-kritische Gruppe ihr Wissen über die Herrschaftsförmigkeit der Digitalisierung eingebracht, in welcher sie Amazon als zentralen Akteur und deswegen auch gesellschaftlichen Aushandlungspunkt bestimmt hat. Und als post-autonome Gruppe mit einer Faible für Kampagnen konnten wir gemeinsam mit anderen …ums Ganze! Gruppen unser Know-How in Sachen Events und Symbolpolitik nutzen, um eine eine der gegenwärtigen Situation begegnende Analyse und Praxis zu erproben. Dadurch ist es gelungen, die etwa im Rahmen der Transnational Social Strike Plattform geführten Diskussionen um die Rolle der Logistik im gegenwärtigen Kapitalismus in eine Aktion zu übersetzen, die trotz ihrer eingeschränkten unmittelbaren Wirkung internationale Ausstrahlung hatte und so der Internationalität des Klassenkampfs von Oben zumindest nicht mehr ausweicht: In Chicago beispielsweise wurden Bilder unserer Aktion von der Kampagne Fight for 15$ aufgegriffen. Bei dieser handelt es sich um die derzeit wichtigste Gewerkschaftsinitiative in den USA. Die Bezugnahme ist nicht zufällig, handelt es sich beim Großraum Chicago doch schon jetzt um eines der größten Logistikzentren der Vereinigten Staaten. Der amtierende Bürgermeister wie der Gouverneur von Illinois haben in vergangenen September eine sechshundertköpfige Task-Force berufen, um Amazon davon zu überzeugen, den Standort ihres neuen Hauptquartiers nach Chicago zu legen. Der Widerstand dagegen war von diversen Gruppen getragen, wie etwa der Lehrendengewerkschaft, die sich gegen die versprochenen Steuergeschenke wandte, während gleichzeitig die Schulen unterfinanziert sind. Auch daran zeigt sich, dass Amazon eben kein bloßes Thema der dort Arbeitenden sondern ein gesamtgesellschaftliches ist.

Das Feld der sozialen Auseinandersetzungen ausweiten

Filmscreeningen „Amazon macht uns Krank“, Berlin 23.11.

Die Kampagne hatte sich für eine „unszenige“ Ansprache entschieden, weil sie in den seit Jahren anhaltenden betrieblichen Kämpfen bei Amazon, der Bedeutung Amazons als Vorreiter des digitalen Kapitalismus und nichtzuletzt der Allgegenwart von Amazon als Marke ein Möglichkeit sah, eine antikapitalistische Position auf einer gesellschaftlich breiteren Basis zu thematisieren und zuspitzen. Mit einer Broschüre [https://makeamazonpay.org/broschuere/] mit Texten zur digitalen Arbeitswelt wollten wir Wissen über verschiedene Aspekte des digitalen Kapitalismus aber auch der dort sich bildenden Widerstände vermitteln, was bei knapp 3.000 verschickten Heften und über vierzig Veranstaltungen im Vorfeld – davon allein sieben in Berlin – sicherlich ein Stück weit gelungen ist. Das Interesse, was der Kampagne entgegengebracht wurde, war also insgesamt groß. Wieso aber, um noch mal auf die Eingangs festgestellten Abstand zwischen Aufmerksamkeit und Aktionsausdruck zurückzukommen und sie nun anders herum zustellen, gab es dennoch so wenig Beteiligung an Block Black Friday selbst? Wurde mit Blockaden die falsche Aktionsform gewählt? Vielleicht. Wir halten aber daran fest, dass es für eine antikapitalistische Politik, die in den politischen Prozess eingreifen und Handlungsmacht herstellen will, richtig ist, das Feld der Auseinandersetzungen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch auszuweiten: Die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter das Kapital schreitet voran. Wer es sich leisten kann bringt seine Schäfchen ins Trockene, sei es in gated community oder auf den Cayman Islands. Der bürgerliche Rechtsstaat behauptet sich als demokratisch qua Verfahren, während er sich sich zugleich zunehmend autoritär verschanzt. Und aus der sich als Elitenkritik gerierenden reaktionäre Anrufung von Volk und Nation spricht eben nicht der Wunsch nach mehr Mitbestimmung, sondern die Sehnsucht nach einem homogenen Volkswillen, und zwar um den Preis des radikalen Ausschlusses von allem, was als anders bestimmt wird. Das Parteiprogramm der Alternative für Deutschland (AFD) wie die neue rechtsextrem-konservative Regierungskoalition Österreichs zeigen deutlich auf, dass das keinesfalls im Widerspruch zu einem neoliberalen Wirtschaftsprogramm mit all seinen sozialen Verheerungen steht. Eine emanzipatorische Antwort kann nur in der Ausdehnung der kollektiven Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Lebensbedingungen bestehen.

Weil dabei die Integration in das herrschende System, ob der Notwendigkeit den Lebensunterhalt durch den Verkauf der Arbeitskraft zu verdienen, durch Ideologien kollektiver Zugehörigkeit und brutalem Zwang (für beides ist auf Unternehmensebene Amazon ein Paradebeispiel) in Deutschland besonders hoch ist, bleibt es notwendig mit Kampagnen und Aktionen Bruchstellen sichtbar zu machen. Genauso sind die bestehenden und sich vernetzenden Basisorganisierungen voranzutreiben und zu unterstützen. Sie geben Handlungsmacht zurück, indem sie erzwungene in selbstgestaltete Abhängigkeiten verwandeln, zum Beispiel in einer gemeinsamen und solidarischen Organisierung der Arbeit, des Wohnens usw. Nur beides zusammen ist unter den gegenwärtigen Bedingungen erfolgsversprechend, weil so die jeweilige Begrenztheit der einen wie der anderen Politikform überschritten werden kann. Das geschieht, wenn sich beide Politikformen aufeinander beziehen. Die dabei auftretenden Reibungen, Missverständnisse und auch Konflikte nehmen wir gerne in Kauf. Wir sehen in der Aktion Block Black Friday jedenfalls eine Fortführung unserer Auseinandersetzung mit der Logistik als zukunftsweisenden Bereich antikapitalistischer Politik, die wir mit dem vierten ums Ganze! Kongress im November 2016 in Hamburg begonnen haben und die eine erste Kristallisation in der Hafenblockade während des G20 Gipfels gefunden hat. Alleine in den vergangenen Wochen haben zwei große deutsche Wochenzeitschriften Amazon auf ihr Titelblatt gesetzt: Der Focus verleiht Amazon CEO Jeff Bezos dabei gleich den Titel „Der Herr der Dinge“. Die Herausforderung ist also groß, aber immerhin gibt es auch eine ganze Welt zu gewinnen – und zwar nicht nur die der Dinge. Die gewerkschaftlichen Kämpfe bei Amazon sind schon jetzt, vor Weihnachten, in die nächste Runde gegangen, und werden sicherlich auch die nächsten Jahre nicht zum erliegen kommen. Es könnte sich lohnen, weiterhin zu versuchen, dabei ein Wörtchen mitzureden. Selbstverständlich kann Amazon aber nicht das einzige Feld der Auseinandersetzung bleiben, wenn wir es mit dem Kampf um die Zukunft ernst meinen. Wir freuen uns schon jetzt darauf, mit möglichst vielen von euch im kommenden Jahr die Einrichtung eines Start-Up Zentrums durch Google unter dem Namen Google Campus in Berlin-Kreuzberg zu verhindern.

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(1) Amazon verfügt über eine ausgeprägte Firmenideologie, zu der neben der Kundenorientierung der Zusammenhalt bei Amazon selbst als einer ‚großen Familie‘ oder eben dem #teamamazon gehört. Motto: „work hard, have fun, make history.“

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3 Kommentare

    Besucher 28. Dezember 2017 - 1:50
    lowerclassmag 28. Dezember 2017 - 12:05

    Da haben die Genoss*innen der ak nen lesenswerten Beitrag zu geschrieben:
    https://www.akweb.de/ak_s/ak629/16.htm

    Erna Rauch 29. Dezember 2017 - 13:55

    Vielen Dank für die solidarische Diskussion und diesen lohnenswerten Beitrag! Eine Frage die sich daraus meines Erachtens nach ergibt, ist die Frage nach eine an Handlungsmacht gewinnenden Basisorganisation der Konsumtionsspäre, inklusive Mietkämpfe. Dazu wird in der „Direkten Aktion“ voraussichtlich Mitte Januar ein Diskussionsbeitrag geliefert. In jedem Fall, trotz noch geringer Beteiligung (und ich denke auch, dass das Thema einfach länger gären muss) war die Kampagne wie erwähnt ein guter Schritt nach vorn.