Frontsanitäter im Krieg um Syrien.
Interview mit heval Agit und heval Jiyan
Vorspann
Es war Freitag, der 8. September und wie immer war es warm. Die Klimaanlage in dem kleinen Vorzimmer einer diplomatischen Einrichtung für Ausländer aller Art im nordsyrischen Qamislo hatte ihren Geist aufgegeben, regungslos schwitzte ich vor mich hin und starrte auf eine kalte Cola. In weniger als 48 Stunden sollte ich aufbrechen. Nach Raqqa, in die umkämpfte ehemalige Hauptstadt der Terrormiliz Islamischer Staat. Ich hatte mich an vieles gewöhnt in den vergangenen acht Monaten in Kurdistan, aber die Geschichten, die man über Raqqa hörte, zeichneten ein nicht gerade einladendes Bild der (früher, klar) malerischen Metropole am Eufrat. Ein Wort eines befreundeten Kämpfers der Kurdenmiliz YPG hallte in meinem Kopf wieder: meatgrinder, meatgrinder, meatgrinder …
Quietschende Reifen rissen mich aus den Gedanken. Ein weißer Van fuhr vor, drehte, parkte, die Türen öffneten sich. Die zwei Freunde, Jiyan und Agit, die ausstiegen, kannte ich von früheren Reisen durch Rojava – und sie kamen genau zur richtigen Zeit. Beide waren erfahrene Rettungssanitäter, und beide konnten mir helfen, besser zu verstehen, was mich an einer Front wie der in Raqqa erwarten würde. Außerdem ergab sich eine Gelegenheit zu einem schon länger vereinbarten Interview.
Ihr seid ja beide, vor allem du Jiyan, schon länger in Syrien. Erzählt mal: An welchen Operationen habt ihr bisher teilgenommen, was hat euch hier her geführt?
Agit: Mach du zuerst …
Jiyan: Mit dem Daesh-Völkermord im Sengal und dem Widerstand der kurdischen Kräfte in Kobanê haben die Kämpfe und die Revolution hier ja mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das war für mich schon ein Beweggrund, um diesen Schritt zu machen und her zu kommen.
Mein Fokus war immer schon der medizinische Bereich und da lag es nahe, die Aufgabe zu übernehmen, die ich jetzt habe. Ich bin jetzt zweieinhalb Jahre hier und hab‘ an der Operation zur Öffnung eines Korridors nach Kobane teilgenommen, am Krieg um Minbic, am Vormarsch nach Raqqa. Und eben an der noch laufenden Operation in Raqqa-Stadt. Meine Aufgaben waren da sehr unterschiedlich. Je mehr Leute verfügbar sind, desto mehr kannst du auch selber nach vorne gehen; je weniger es gibt, desto mehr musst du irgendwo sein, wo du möglichst breit erreichbar bist.
Agit: Ich bin seit Juni hier und seitdem in Raqqa stationiert. Meine wichtigste Motivation war der Kampf gegen Daesh. Zwei Jungs, die mit mir in dieselbe Schule gegangen sind, sind bei Daesh. Sie waren angehende Ärzte. Und jetzt sind sie hier und flicken diese Leute zusammen, damit die danach weiter vergewaltigen und morden können. Für mich ist das unverzeihlich. Ich bin gekommen, um mitzuhelfen, diesen Terroristen Einhalt zu gebieten.
Aber gleichzeitig fällt auch für mich der Kampf gegen Daesh mit der Unterstützung für die Revolution zusammen. Wir drängen ja nicht nur Daesh zurück, wir helfen, eine bessere Gesellschaft hier aufzubauen.
Hattest du medizinische Vorkenntnisse?
Agit: Ich hatte zuvor schon militärisches Training und Erfahrung im medizinischen Bereich.
Was sind denn die häufigsten Verletzungen, mit denen ihr zu tun habt?
Agit: Minen. Definitiv. Vielleicht 60, 70 Prozent aller Verletzungen und Todesfälle gehen auf das Konto von Minen. Dann kommen Sniper in der Rangliste, Drohnen, Raketen und Small Ops, Angriffe kleiner Teams von Dschihadisten.
Jiyan: Am Anfang der Operation waren auch noch Mörser-Beschuss und schwere Waffen ein Problem, aber das hat sich jetzt bis zu einem gewissen Grad erledigt. Und du hast natürlich die Sprengstoffautos und die Selbstmordtypen, die rumlaufen und sich in die Luft jagen.
Was die Verletzungen anbelangt kann man sagen: Wenn dir dein Arm oder die Beine weggesprengt werden, du Verletzungen an den Extremitäten hast, dann hast du gute Chancen, wenn schnell interveniert wird und jemand, der sich auskennt, mit Torniqueten den Blutfluss stoppt. Aber alles, was mit inneren Blutungen zu tun hat oder massiven multiplen Schädigungen, das ist schwierig.
Auch wenn wir schnell da sind, gibt‘s halt immer wieder Fälle, bei denen wir nichts machen können. Die Wege sind oft ein Problem. Wenn du irgendwo reingehst, kannst du ja nicht mit dem Panzer rein, bist zu Fuß unterwegs. Das heißt du musst die Person tragen. Dann hast du Sniper-Beschuss und kannst nicht sofort durch. Manchmal musst du dann warten, bis es Nacht wird oder bis ein Luftschlag die Sniper-Stellung beseitigt. Oder du wartest auf eine Gelegenheit und rennst dann über die Straße. Und das frisst alles Zeit und Energie – deine, aber auch die der verletzten Person.
Je nachdem, wo die Front verläuft, hast du dann noch eine halbe Stunde, um die Person wegzubringen. Dann bist du irgendwann in einem Krankenhaus, aber da sind die technischen Möglichkeiten auch sehr beschränkt. Man kann da keine komplizierten Eingriffe machen. Man kann Thoraxdrainagen machen oder einen Airway öffnen, aber du kannst kein Blut geben, weil‘s keines gibt. Die Ausstattung ist sehr minimalistisch. Bis man dann in einem anderen Krankenhaus ist, das schwere Verletzungen behandeln kann, vergehen wieder Stunden.
Ihr kommt ja beide aus Europa und ich gehe mal davon aus, dass ihr vor eurer Ankunft hier keine vergleichbar schweren Verletzungen behandelt habt. Wie habt ihr gelernt, mit dieser Situation hier umzugehen? Ist das schwer für euch oder blendet man das aus?
Jiyan: Ich kannte mich in Europa auch schon aus mit unterschiedlichen Verletzungsmustern, Messerstiche oder ähnliches. Erste Hilfe war mir ja nicht fremd und ich hatte schon mit stark verletzten Menschen zu tun. Aber natürlich ist es in dem Rahmen hier etwas anderes. Du hast auf einmal eine Verantwortung. Und dann fehlt da auf einmal ein Arm oder die komplette Person ist unnatürlich verrenkt. Und dann musst du intervenieren. Das, was man tun muss, ist eigentlich ganz simpel. Aber natürlich ist das total überwältigend, vor allem auch, wenn du die Person kennst. Dann jemanden zu sehen, dem Teile fehlen oder der super viele Löcher von Shrapnels hat …
Sich dann zusammenzureißen und sich auf die Arbeit zu konzentrieren, ist der wichtigste Schritt. Sich zu sagen: Ok, was muss ich machen? Und das dann durchziehen. Mit der Zeit denkst du dann nur noch: Das und das liegt vor – und dann arbeitest du dich Schritt für Schritt durch. Es ist dann aber auch wichtig, den Bezug zu den Menschen nicht zu verlieren. Den Schmerz und die Angst, die die Person in dem Moment hat, darf man nicht vergessen oder kleinreden. Diesen Fokus auf die Person zu haben, hat mir sehr geholfen. Sich bewusst zu sein: Hier geht‘s jetzt gar nicht um mich, sondern um den Verletzten.
Klar, es gibt dann immer mal wieder Momente, da ist eigentlich alles wie immer, aber irgendwie ist es vom Gefühl her anders. Auch wenn man ganz viel ausblendet, hat man immer wieder diese Momente, wo einen das dann wieder ganz anders berührt und man anders drüber nachdenkt. Aber ansonsten gilt: Arbeiten, arbeiten, arbeiten, weil so kann man am besten für die Personen sorgen.
Und gerade bei Minen, ist es ja so, dass nicht eine Person verletzt ist, sondern du gleich vier, fünf, zehn behandeln musst. Kürzlich war mal so eine Phase, da gab‘s längere Zeit keine Drohnenangriffe. Und dann, aus dem Nichts, war da wieder eine Drohne und hat einen Sprengsatz in eine größere Gruppe abgeworfen. Bumm, hatten wir 30 Verletzte, zehn davon schwer. Da musst du dann aussuchen, um wen du dich zuerst kümmerst, und einschätzen können, was jetzt am wichtigsten ist.
Agit: Gleich bei meiner ersten Operation gab es sechs Verwundete, drei davon waren in einem kritischen Zustand. Ein Freund war auf eine Mine getreten. Ich hatte früher Verwundete verarztet, aber nie Menschen mit so schweren Verletzungen. Man zwingt sich, zu handeln, weil ansonsten sterben die Leute. Stressige oder grausige Situationen nimmst du da in Kauf, weil es um Leben und Tod geht.
Auf der einen Seite ist es oft traurig, wenn du versuchst, jemandem zu helfen und du weißt schon währenddessen, dass er‘s nicht schaffen wird. Manchmal hat man aber echte Glücksmomente, wenn Leute überleben, von denen man weiß, dass sie ohne unsere Hilfe gestorben wären.
Einmal wurde ein Freund von einem Sniper unter den Rippen getroffen. Es gab eine Eintritts-, aber keine Austrittswunde. Also wussten wir nicht, wie tief das Projektil steckt. Und er blutete sehr, sehr stark. Er wurde immer wieder ohnmächtig. Also versiegelte ich die Wunde und machte Bandagen drauf und wir fuhren ihn ins Krankenhaus. Ich musste mit einer Hand Druck auf die Wunde ausüben und ihn mit der anderen immer wieder ohrfeigen, damit er aufwacht. Ich dachte jedes Mal, wenn er wegkippte, dass er jetzt nicht mehr aufwachen würde. Aber wir brachten ihn bis zum Krankenhaus durch und dort konnten sie ihn stabilisieren. Selbst wenn er die einzige Person gewesen wäre, die wir durchgebracht haben, wäre es das Herkommen wert gewesen.
Jiyan: Ich erinnere mich an ähnliche Fälle, über die ich mich total gefreut habe. In Minbic waren wir in dieser schrecklich stinkenden Hühnerfabrik. Es kamen Verletzte am laufenden Band, einer davon war ein junger Kämpfer, Heval Dijwar. Der hatte hinten im Rücken neben der Wirbelsäule ein Einschussloch, vorne an der Brust eine große Austrittswunde.
Wir hatten eine neue Person im Team, ein erfahrener Paramedic. Wir machten Dekompression, links eine Nadel rein, rechts eine Nadel rein. Aber es kam viel Blut raus. Und dann kam es zu einem eigenartigen Moment: Der neue Kollege hörte auf, den Verletzten zu behandeln und umfasste seinen Kopf. Er muss gedacht haben, der Junge würde ohnehin sterben und er wollte ihn dabei wohl begleiten. Ich weiß gar nicht, was ihn da geritten hat, aber er war wohl mega überfordert von der Situation. Dann hab ich gesagt: “Auch wenn er jetzt sterben sollte, wir werden ihn normal versorgen und dann losfahren.” Ich dachte natürlich auch, da ist eine Arterie durch und der Freund würde höchstwahrscheinlich sterben, aber bis dahin behandeln wir normal. Dijwar lag also dann im Auto und wir sind eine Stunde über Feldwege gefahren. Er hatte ja auch gebrochene Knochen und von dem Schmerz ist er immer wieder aufgewacht, dann wieder weggedöst. Dann kamen wir im Krankenhaus an, der Junge war schon mega weggetreten. Wir haben ihn reingebracht. Und dann habe ich länger nichts von ihm gehört, aber einige Zeit später kam ich zufällig am ‚Haus der Verletzten‘, einer Einrichtung zur Rehabilitierung, vorbei, und da war er dann. Er lebte. Er konnte sich sogar an alles erinnern. Seine Beine funktionieren zwar noch nicht, er sitzt im Rollstuhl. Aber es gibt eine Chance, dass das wieder wird. Jetzt ist ein Jahr vergangen und langsam kriegt er wieder Gefühl in den Beinen. Mehrere Operationen mit der Lunge hat er durchgestanden. Es war eine schwere Geburt, aber mit Glück und Mühen wird wieder alles funktionstüchtig.
Gibt es eigentlich manchmal, sagen wir, kulturelle Schwierigkeiten bei der Behandlung? Also das zum Beispiel ein Mann sagt, er möchte nicht von einer Frau behandelt werden oder umgekehrt eine Frau sagt, sie lässt sich nicht von einem männlichen Sanitäter versorgen?
Jiyan: Die gibt‘s schon, aber eigentlich weniger, als man erwartet. Es gibt manchmal so Barrieren, gerade bei Verletzungen im Genitalbereich. Oder überhaupt, wenn es darum geht, dass man die Person ausziehen muss. Aber je schwerer die Verletzung ist, desto weniger gibt es eine, ich sag mal, kulturelle Befängnis.
Ich hatte öfter Fälle, wo du Blut auf der Unterwäsche siehst und dann musst du die aufmachen. Und dann siehst du Splitter in den Hoden oder zerschmetterte Eicheln. Von den Verletzten selber kommt da meistens kein Einspruch. Und ich guck mich nicht um, wie die Leute reagieren, die da herumstehen, während ich so etwas behandle.
Wenn man erklärt, was man gerade macht, dann ist es meistens auch gut so. Eine Freundin zum Beispiel war mal von einer Explosion betroffen. Während der Behandlung hat sie nichts gesagt, aber nachher hat sie mich gefragt: Warum musstest du denn mein Hemd aufschneiden? Ich hab dann erklärt, dass ich nach Löchern von Splittern suchen musste. Dann war es auch für sie wieder ok.
Agit: Kulturelle Probleme wegen Scham oder so weniger. Was es gibt, sind Menschen, die nicht verstehen, was wir da eigentlich tun und deshalb die Behandlung behindern. Also zum Beispiel, wenn du jemandem Torniqueten anlegst, dann tut das natürlich weh. Und wenn die Leute nicht wissen, wozu es nützt, versuchen sie, die wieder abzunehmen.
Seit ihr eigentlich selbst mal verletzt worden?
Agit: Bis jetzt nicht …
Jiyan: Also nicht durch Kugeln. Nur beim Laufen. Aber eine Kollegin von uns, Heval Dilan, die hat es einige Male erwischt. Sie hatte zwei schwere Autounfälle und bei einer Operation Shrapnels im Bein. Ich glaube aber, dass wir noch nicht angeschossen wurden, liegt nicht daran, dass Daesh uns nicht gerne treffen würde. Für Daesh sind wir ein beliebtes Ziel. Nicht nur, weil wir Sanitäter sind, sondern eben auch als Ausländer, als Internationalisten.
Agit: Wie Weihnachten. Also, vielleicht nicht wie Weihnachten, aber du weißt schon, was ich meine
Habt ihr schon mal verwundete Daesh-Kämpfer verarztet?
Jiyan: Ich hab davon gehört, dass Leute von uns das gemacht haben, aber ich hab noch nie einen Daesh-Kämpfer verarztet. Nicht, weil ich nicht würde, aber es hat sich einfach noch nie ergeben.
Agit: Ich auch nicht.
Eure Stützpunkte sind ja häufig in Häusern, in denen kurz vorher noch der IS hauste. Was findet man dort denn so?
Agit: Meistens kann man von den Dokumenten und Büchern her erkennen, dass Daesh vorher in einem Haus war. Wir haben zum Beispiel einen Paradies-Pass in einem Haus gefunden.
Einen Paradies-Pass?
Jiyan: Ja, einen Pass, mit dem man das Recht hat, quasi in‘s Paradies einzureisen. Auf dem Standen die Orte, an die man mit ihm reisen kann. Sie hatten Namen wie Himmel, Paradies, Erfüllung, Erfolg … Es gab sogar Visa.
Agit: In einem Haus fanden wir ein Stempelkissen für diese Pässe. Wir dachten zuerst, das wäre halt irgendein kitschiges Ding, das man eben so kriegt. Aber es ist viel ernster. Man muss sich diese Pässe verdienen und kriegt Stempel dafür.
Jiyan: Es ist interessant, wie die Menschen daran glauben. Daesh kreiert ja auch eine eigene Realität. Sie haben diese Pässe, prägen eigene Münzen, bauen ihre eigene Bürokratie eines Islamischen Staates auf. Sie wollen den Menschen suggerieren, dass sie gerade dabei sind, ein neues Leben unter einem Islamischen Staat aufzubauen. Sie versprechen ein gutes Leben nach klaren Regeln – was sie natürlich in Wirklichkeit nicht erschaffen.
Ich denke, dass da auch ein Teil der Kraft von Daesh liegt. Sie bauen ein System auf und präsentieren es als eine Utopie für eine Menge Menschen, die eben auch unterdrückt sind und in ärmlichen Verhältnissen leben. Und es gibt ja hier eine lange Geschichte der Unterdrückung, des Kolonialismus. In dem ungelösten und oft ignorierten Chaos heute verspricht Daesh eine Antwort, indem sie sich als revolutionäre Alternative gegen die Kreuzfahrer inszenieren. Es ist schon wichtig zu verstehen, dass das auch Ausdruck eines vorhandenen Chaos ist, in dem Menschen nicht wissen, was die Zukunft bringen soll, wie sie leben sollen, welchen Werten sie folgen sollen.
Agit und ich diskutieren da viel drüber, weil es gibt schon nochmal einen Unterschied: Ok, wer trat eigentlich Daesh bei? Da hast du zum einen Leute, die dazu gezwungen waren, dann welche, die es aus finanziellen oder ökonomischen Gründen getan haben und dann die, die hundertprozentig an diese Ideologie glauben. Zum Beispiel ausländische Kämpfer. Die kommen im vollen Wissen darum, wofür sie hier kämpfen. Das ist was anderes als hier dieses lokale Bewusstsein, eine Art Überlebensstrategie, einfach das zu tun, was die gerade stärkste bewaffnete Gruppe will.
Agit: Ich glaube, es gibt die unterschiedlichsten Motive. Einige haben sich wegen ihrer Ablehnung dem Regime gegenüber angeschlossen, einige weil sie vielleicht denken, Daesh wäre ein Garant für Ordnung, andere stimmen mit den allgemeinen Zielen von Daesh überein. Und viele Menschen, ich glaube sogar die Mehrheit, hatten einfach Angst vor ihnen.
Aber was die ausländischen IS-Kämpfer betrifft: Jeder, der hier her kam, wusste, worum es geht. Daesh machte völlig klar, was ihre Botschaft ist: Wir bringen jeden um, der nicht mit uns ist. Jeder, der hier her gekommen ist, hat eine bewusste Entscheidung getroffen …
Jiyan: Ja, aber wir müssen auch verstehen: Welche Realität hat diese Leute angetrieben, so eine Entscheidung zu treffen?
Agit: Das kannst du vielleicht bei Gruppen wie al-Qaida noch sagen. Aber Daesh ist schlichtweg offener Sadismus.
Jiyan: Man kann es auch so sehen: Vielleicht sehen die Menschen gerade in dieser Kompromisslosigkeit eben ihre Hoffnung. Daesh will sich ja als die konsequenteste Kraft gegen den Einfluss von außen verkaufen, als am konsequentesten antiamerikanische Kraft. Auch daher rührt viel von der Unterstützung, die sie bekommen. Oder sie arbeiten mit Versprechen eines guten Lebens: Es gibt diese Videos von Daesh-Familien mit ihren Kindern und wie die einen gemütlichen Alltag im Kalifat verleben.
Agit: Selbst wenn du irgendeiner von dieser konservativ-islamischen Gruppen beitreten willst, hast du ja andere Möglichkeiten wie al-Nusra. Warum treten die Leute der Gruppe bei, die Videos davon veröffentlicht, wie sie Gefangene bei lebendigem Leib verbrennt? Meine Meinung: Von denen, die aus dem Ausland hier hin gekommen sind, sollte keiner dieses Land lebendig verlassen. Schon deshalb nicht, weil wenn 100 von denen zurückkehren, machen vielleicht 99 nichts, aber einer sprengt sich in einem Stadion in die Luft. Sie wussten, was sie tun, als sie hier her kamen. Und sie sollen hier sterben.
Wenn ihr beide irgendwann zurück nach Europa wollt, wird das wahrscheinlich nicht ohne Probleme ablaufen. Was glaubt ihr, erwartet euch in euren Heimatländern?
Agit: Die britische Polizei hat mir gesagt, ich würde nicht verfolgt werden, wenn ich zurückkomme. Aber ich weiß nicht, ob das stimmt, oder ob das ein Trick ist, um mich leichter verhaften zu können. Wir sind hier her gekommen, um einige der schlimmsten Terroristen unserer Zeit zu bekämpfen. Wie jemand behaupten kann, wir wären Terroristen, wenn wir hier gegen diejenigen vorgehen, die überall auf der Welt Anschläge verüben. Das ist doch völliger Schwachsinn. Und ich bin sicher, die britische Bevölkerung sieht uns nicht als Terroristen – insbesondere nach den Angriffen in Manchester.
Und wie denkst du wird es in Deutschland?
Jiyan: Schwierig. Schon dadurch, dass der Staat gegen die kurdische Bewegung hier nochmal stärker vorgeht, denke ich, dass die Aufmerksamkeit der Behörden hier größer ist für Leute, die aus Syrien zurückreisen. Ich rechne schon mit Befragungen, Verhören, vielleicht dem Versuch einer Kriminalisierung. Vielleicht passiert aber auch nichts. Bislang ist es von Fall zu Fall sehr unterschiedlich.
Willst du denn überhaupt irgendwann zurück oder ist dein Lebensmittelpunkt mittlerweile schon hier?
Jiyan: Ich bin sehr gerne hier. Aber ich werde bestimmt auch wieder mal zurückgehen. Zumindest auf Besuch.
# Interview Peter Schaber
# Fotos Privat
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