Unser Redakteur Peter Schaber war in Raqqa – nicht als Journalist, sondern in den Reihen der YPG. Seine Fronterfahrungen hat er für uns aufgeschrieben.
Eigentlich könnte ich längst wieder in Deutschland sein. Als ich vor acht Monaten nach Nordsyrien einreiste, hatte ich weder geplant, so lange zu bleiben, noch eine Waffe in die Hand zu nehmen. Zuerst arbeitete ich als Journalist, mein Beruf eben. Dann manchmal als Bauarbeiter, als Sozialarbeiter, als Koch, Putzkraft, Übersetzer. Die Revolution hat viele Seiten und so muss man viele verschiedene Dinge tun. Auch welche, die man erst ganz neu lernen muss.
Für mich war das zum Beispiel das Handwerk, eine Revolution auch auf dem Schlachtfeld zu verteidigen, gegen diejenigen, die sie ersticken wollen. Ich wusste vorher nicht, wie man ein Gewehr bedient, eine Handgranate oder eine Panzerfaust. Ich ging also in die Lehre. Und irgendwann kam dann der Tag, als ich mit drei anderen Internationalisten gemeinsam in ein Auto nach Raqqa stieg.
Noch 100 Kilometer.
„Die Heimaaaaat ist weit …“, stimmt Heval Ciwan das Marschlied der Thälmann-Kolonne an, als wir den Assad-Highway in Richtung Raqqa entlang düsen. „Doch wir sind bereiiiiiit“, erwidern Kajin, Hogir und ich. Wir tragen unseren rext, den Patronengürtel gefüllt mit vier Magazinen, die Kalaschnikow steht an den Vordersitz gelehnt und Heval Botan, ein 17-jähriger Scharfschütze aus Hasakeh teilt Biskuitrollen und Pepsi aus. Auf das deutsche Liedgut aus dem Spanienkrieg antworten die hier heimischen GenossInnen mit dem Rojava-Marsch: „Kec u xorten soresvan …“ Ich fühle keine Nervosität mehr. Eher Neugier und Entschlossenheit.
Noch 30 Kilometer.
Satte grüne Landschaften umgeben Raqqa. Das Wasser des Euphrat und ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem hauchen dieser Gegend
Leben ein. Bäume reihen sich zu kleinen Wäldern, dazwischen Obstgärten, Mais, Wiesen. Vor ledernen Zelten sitzen Frauen und Männer zusammen, umgeben von Schafen und Kühen. Alles wirkt normal. Kinder und Jugendliche grüßen uns vom Straßenrand mit dem Victory-Zeichen. Heval Dilser winkt zurück, dreht sich zu uns und sagt: „Nehmt das nicht so wichtig. Als Daesh hier war, haben sie mit einem erhobenen Finger gegrüßt. Jetzt eben mit zweien.“
Noch 5 Kilometer.
Wir steigen aus dem Bus. Wir sind in einem Vorort Raqqas. Einige hundert Meter weit weg beginnt die Schutthalde, die früher eine Stadt war. Wir begrüßen unseren Cephe-Kommandanten und werden noch eine Nacht auf dem Dach jener Hochhaus-Ruine verbringen, von der aus die Geschicke des südwestlichen Belagerungsrings um die noch verbleibenden Kämpfer des Islamischen Staates gelenkt werden. Von unseren Matratzen aus starren wir gebannt auf die vollständig dunkle Stadt. Es blitzt. Gumm. Es knallt. Ein Gebäude stürzt ein. Schon aus der Ferne sind die Bombardements eindrucksvoll. Bald würden wir sie aus der Nähe kennenlernen.
0 Kilometer.
Viele Dinge, die man in Rojava lernt, begreift man Schritt für Schritt. Über Wochen, Monate. Was eine Front in einem Krieg wie diesem ist, aber nicht. Es bricht unvermittelt über einen herein. Grade war man noch draußen im normalen Leben. Jetzt ist man drinnen im Krieg.
Als ich im Krieg ankomme, ist es Abend. Zwischen den gelegentlichen Artillerieschlägen ist es still, wenn sich die Dämmerung über Raqqa legt. Die Flugzeuge, Drohnen und Helikopter haben ihr Nachtwerk noch vor sich. Die tagsüber dann und wann ausbrechenden Gefechte mit Kleinwaffen und Bomben pausieren kurz, bevor es richtig los geht. Die Stadt wird dunkler und dunkler. Die Konturen der Milchstraße zeigen sich immer deutlicher am, durch keine urbane Beleuchtung verdeckten, Sternenhimmel. Jetzt, zwischen 20 Uhr abends und 7 Uhr morgens, müssen wir, die wir hier an der Front sind nöbet, Wache halten. Tagsüber haben wir kaum etwas zu tun, denn Daesh bewegt sich nicht. Die Dschihadisten sitzen unter der Erde, unsichtbar, lauernd. Wenn die Sonne den Himmel verlässt, beginnen die Angriffe.
Die Nacht in Raqqa hat eine eigentümliche Ästhetik. Die Ruinen scheinen im Mondlicht auf, elektrisches Licht gibt es nicht. Das Klima ist angenehm, oft weht ein leichter Wind und manchmal ist es sogar etwas frisch. In der schon toten Stadt regt sich kaum ein Laut. Niemand spricht, kein Fernseher stört die Nachbarn, keine Kinder schreien. Man könnte sich leicht einreden, ein Atomkrieg oder Virus hätte die Menschheit ausgelöscht und man ist nun allein in den Ruinen.
Doch die Stille ist eine Abstraktion. Sie existiert nur in den wenigen Minuten, in denen das Sprengen, Bomben und Schießen pausiert, das Nacht für Nacht und – weniger, aber doch – Tag für Tag Löcher in Häuser, Straßen und Menschen reißt. Die Symphonie kommt aus vielen Instrumenten: Die RPGs und Scharfschützen-Gewehre; die BKCs und Kalaschnikows; die Mörser und Haubitzen, die aus einem Vorort abgefeuert werden; die Hubschrauber, die oft dutzende Raketen in Folge abschießen.
Und die Luftschläge. „In fünf Minuten kommt der Flieger wieder. Legt euch hin“, sagt meine Kommandantin. Man legt sich auf den Boden, manche verschränken die Arme hinter dem Kopf. Ich lasse den Mund offen, das hat mir ein Genosse geraten, wegen der Druckwelle. Wenn die Bombe kommt, pfeift es zuerst, dann leuchtet der Himmel auf, ausgehend vom Einschlagpunkt erstreckt sich ein gleißendes Licht über den Horizont. Dann kommt der Knall, der die Luft zerreißt. Dann die Druckwelle, die Wände biegen sich. Jetzt erst hört man den Abflug des Jets.
Meine Arbeit in diesem Stück ist einfach. Ein typischer Werktag sieht etwa so aus: Ich knie neben einer Säule und starre in ein schwarzes Loch. Ich habe eine Kugel im Lauf meiner AK vorgeladen, eine Genossin der YPJ deckt den Balkon hinter mir, von dem aus wir auf die Straße ins Daesh-Gebiet sehen. Wir sind im Alarmzustand. Der IS hat die Wachpunkte neben uns mit einer RPG und Scharfschützen angegriffen. Das schwarze Loch ist unser Treppenaufgang. Er ist verbarrikadiert. Meine Aufgabe ist es, wenn ich ein Geräusch höre, zu entscheiden, ob der Feind kommt oder eine Katze. Wenn es der Feind ist, muss ich schießen oder eine Bombe werfen. Fünf Stunden sitze ich vor dem Loch, die Wände neben mir erzittern vom Artilleriefeuer und den Luftschlägen. Aus dem schwarzen Loch knarrt es, es rumpelt, die hunderten leeren Plastikflaschen knistern.
In dieser Nacht kommen nur Katzen. Katzen, die schleichen, wie Menschen schleichen würden. Katzen, die schreien wie Menschen, die Katzen nachahmen. Und Katzen, die Barrikaden einreißen, ganz wie Menschen, die Barrikaden einreißen. „Wenn ich Daesh wäre, würde ich jedem Kämpfer einen Rucksack voll Katzen umhängen“, scherzt einer aus unserer Gruppe. „Wann immer du aus Versehen beim Schleichangriff ein Geräusch machst, holst du `ne Katze raus, würgst die kurz, damit sie schreit und lässt sie dann laufen. Der Wachposten denkt „ey, wieder `ne Katze“. Und schwupps, meuchelst du alle weg.“ Ich beginne Katzen zu hassen.
Schreckt man in den ersten Nächten noch bei jedem Geräusch einer Katze oder eines Hundes auf, gewöhnt man sich schon bald an die akustische Kulisse. Man weiß zu unterscheiden: Tier, vom Wind verwehter Müll, vom Wind geöffnete bzw. geschlossene Tür, Mensch. Auch die Melodie des Luftkrieges, die sich in Dauerschleife wiederholt, ist schon bald keine Sensation mehr. Wenn man nicht gerade Schicht hat, verschläft man die Bomben.
Den Feind selbst sieht man kaum. Nur wenige Stellungen verfügen über Nachtsichtgeräte. Die meisten schießen auf Bewegungen oder Geräusche. Oder eben auf das Mündungsfeuer des Gegners, wenn er angreift. Daesh selbst lernen wir vor allem durch die Spuren kennen, die die Dschihadisten in jenen Häusern hinterlassen haben, die wir beziehen, wenn wir vorrücken.
In einer Daesh-Stellung finden wir einen aserbaidschanischen Pass und – wie immer bei solchen Gelegenheiten – jede Menge Pillen: Schmerzmittel, Opiate, Muskelrelaxantien, Wachmacher. Rund um den Fundort liegt die Kampfkleidung des IS-Terroristen. Er muss sie eilig ausgezogen und hingeworfen haben. Vielleicht hat er sich abgesetzt. Im selben Haus wühlen wir weiter und bergen einen kleinen Schatz: Eine Kiste mit Material für ausländische IS-Mitglieder. Voluminöse und weniger voluminöse Schriften, die in die Gedankenwelt des Islamischen Staats einführen: Dicke Wälzer mit Regeln, wie „illegitimer Sex“ zu bestrafen sei; ein Büchlein, das anhand von Koran-Stellen zu beweisen versucht, dass Selbstmordattentate nicht haram sind; Anleitungen, wo man den Ungläubigen treffen sollte, wenn man für den Angriff ein Messer nutzt. Und handgeschriebene Rezepte für Schokolade-Bananen-Brownies.
Wir lesen alles sorgfältig durch. Die Gedankenwelt der Dschihadisten kommt uns absurd vor. Heval Ciwan lacht. „Hört mal, wie geil das klingt“, sagt er und liest aus einem Booklet vor: „How to react when you encounter the enemy. Rule one: Keep calm. Rule two: think of the prophet very often. Rule three: Be patient. And noooooow the last rule“, baut Ciwan den Spannungsbogen auf. „Massacre the kuffar. Da kannste ein T-Shirt draus drucken: Keep Calm and massacre the Kuffar.“ Die Kuffar, die Ungläubigen, sind übrigens, wie wir einer anderen Lehrschrift entnehmen, nicht nur wir Kommunisten und alle Atheisten, Christen, Juden, whatever, sondern auch „95 Prozent der heutigen Muslime“.
In der Kiste mit Propaganda-Schriften finden wir auch Hinweise auf ihren Eigentümer. Ein holländisches Ehepaar, das den Weg ins Kalifat angetreten hat. Wir finden Briefe auf holländisch, in denen sich die Eltern über ihren wohl noch sehr kleinen Sohn beschweren. Sein Enthusiasmus für die islamische Lebensweise ließe zu wünschen übrig. Wenn er Frauen sehe, zeige er dagegen ein unsittliches Interesse. Die Briefe lesen sich wie Berichte über die Entwicklung des Kindes zum Islamisten. Die Schulhefte des Kindes dokumentieren erste Fortschritte im Schreiben des Arabischen. Auf der ersten Seite hat es sorgfältig eine Daesh-Fahne gezeichnet, danach nur noch Katzen mit dutzenden Pfoten und Fühlern wie von einem Außerirdischen.
Ist man einige Tage an der Front, kommt einem der eigentliche, physische Krieg gegen den Islamischen Staat erstaunlich unspektakulär vor. Denn er hat klare Konturen: Wir sitzen in Häusern, die einen Ring um die noch verbleibenden Stellungen der Terrormiliz bilden. Wir bauen diese Häuser zu kleinen Festungen aus und wechseln uns beim Bewachen der umliegenden Straßen und Gebäude ab. Tagsüber machst du so gut wie nichts. Nachts schießt du, wenn was ist. Oder wirfst Bomben. Der Krieg gegen Daesh ist brutal. Aber seine Brutalität ist banal. Klar, es gibt einen Feind, der dich töten will. Er will dich in die Luft sprengen, mit Minen oder Raketen. Er will von selbstgebauten Drohnen aus Bomben auf dich werfen. Oder er will dir simpel und klassisch in Kopf, Bauch oder Herz schießen. All das ist nicht besonders erfreulich. Aber es ist bei Weitem nicht das Schlimmste im Krieg. Denn dieser Feind steht dir offen gegenüber. Du kannst dich wehren. Auch du hast ein Gewehr. Du bist kein Objekt, du bist Subjekt deines Handelns. Du bist hier aus einem Grund, der mit deinen tiefsten Überzeugungen zu tun hat. Und solange die bestehen, kann dir der militärische Gegner nichts anhaben.
Der viel schwerer zu führende Krieg ist ein anderer. Einer, der viel mehr an die Substanz geht, weil er genau diese tiefsten Überzeugungen angreift. Meine Genossen und ich waren hier her gekommen, um eine bestimmte Lebensweise zu verteidigen. Ein Projekt, das unser aller Zusammenleben revolutionieren soll. Wir kannten die kurdische Guerilla aus den Bergen Kandils, Bakurs – einige aus eigener Erfahrung, andere zumindest aus Erzählungen. Und die trennt die militärische Dimension des Kampfes nicht von den politischen und sozialen Teilen der Revolution. Dass die PKK trotz des andauernden und harten bewaffneten Kampfes die Prinzipien ihres Zusammenlebens – Genossenschaftlichkeit, Kritik und Selbstkritik, Bildung – nicht der Logik des Krieges opfert, ist das, was sie so stark macht – auch militärisch.
Doch das braucht Zeit. Denn es bedeutet im Grunde, dass alle, die in die Berge gehen, ihre liberalen, feudalen, sexistischen, kapitalistischen, rassistischen und sonstigen aus den Klassengesellschaften ererbten Einstellungen zu überwinden versuchen. Die Ausbildung von Guerillas dauert, Monate, Jahre, ein Leben lang.
Doch der Krieg in Syrien verhindert diese Sorgfalt. Zum einen starben hunderte, wenn nicht tausende erfahrene AktivistInnen in den unzähligen Schlachten zwischen Kobanê, Minbic und Tabqa. Zum anderen spülte der rasche Vormarsch tausende von Menschen in die militärischen Strukturen, die aus ganz unideologischen Gründen zur Waffe greifen: Geld, Eigeninteressen oder einfach, weil es eine Überlebensstrategie ist, sich der jeweils starken, siegreichen Miliz in der Region anzuschließen.
Ein Krieg, der an so vielen Fronten geführt wird, hat seine eigene Dynamik. Das größte Problem in Raqqa ist nicht die militärische Stärke von Daesh. Die Grausamkeit dieser Hölle liegt darin, dass der Krieg das Leben zerstört, für das wir hier eigentlich kämpfen. Die tausenden, oft sehr jungen (und mittlerweile mehrheitlich arabischen) Soldaten, die auf der Seite von YPG und QSD Dienst tun, sind ein Spiegel der Gesellschaft in Syrien. Sie haben keinerlei Bildung genossen, auch kaum militärische Ausbildung. Die Ideale jener Bewegung, für die sie eigentlich kämpfen sollten, kennen sie kaum, geschweige denn leben sie nach ihnen. Die Front ist ein dreckiger Ort, ein Ort, der Solidarität und Freundschaft tötet.
Der Zustrom von tausenden Menschen, deren Bewusstsein geprägt ist von der Sozialisierung in den kaputten Gesellschaften des Mittleren Ostens, droht jenes Band zu zerreißen, das die Guerilla in den Bergen ausmacht und das die YPG eigentlich zu übernehmen strebt: Die Einheit von zivilem Aufbau, der Gestaltung des eigenen Zusammenlebens und des bewaffneten Kampfes.
Der schwerste Kampf, den wir heute in Syrien zu führen haben, ist der gegen den Verfall der eigenen Ideale. Der Kampf dagegen, eine normale Miliz unter anderen Milizen zu werden. Der Kampf gegen die Mentalität, den Notwendigkeiten des Krieges alles andere unterzuordnen. Diesen Kampf in den eigenen Reihen hatten wir zu führen. Dies war und ist der eigentliche Krieg, der an allen Fronten ansteht. Und er brachte uns alle an unsere Grenzen.
Wir wurden sauer, verschlossen, ablehnend. Wir entwickelten Vorurteile. Die Probleme waren so schwerwiegend, dass wir vergaßen, ihre Gründe zu analysieren. Wir begannen Personen zu hassen und nicht die Verhältnisse, die sie zu dem gemacht hatten, was sie sind. Erst später, aus der Distanz, konnten wir wieder denken: Warum existieren hier, unter den Soldaten der Revolution, derartig miese Verhaltensformen? Und hat nicht der Umstand, dass diese Menschen hier so wurden, wie sie sind, seine Ursachen auch maßgeblich im Kolonialismus und der Ausbeutung durch die Länder, aus denen wir kommen? Und mit wem wollen wir denn Revolution machen, wenn nicht mit genau diesen Leuten?
Neben dem Umstand, dass die Lebensweise an der Front so gar nicht unseren – zugegeben naiven – Erwartungen entsprechen wollte, machte uns die Präsenz der Amerikaner zu schaffen. Wir konnten die Notwendigkeit zu dieser Zusammenarbeit verstehen, aber emotional war sie für uns alle eine Belastung. Auf der selben Seite mit diesen Mördern und Unterdrückern zu stehen, fiel uns schwer. Wir versuchten wenigstens, jene aufzuklären, die der Illusion anhängen, die Bomberpiloten und Artillerieschützen Washingtons seien unsere Freunde.
Es gab junge Genossen, die sich an den Geräuschen der Detonationen erfreuten. Wir konnten es ihnen nicht übel nehmen. Viele, die an der Front kämpfen, haben keinerlei Ideologie, keinerlei Bildung. Für sie war es einfach: Dort drüben ist Daesh und dieses Rummsen sorgt dafür, dass dort weniger Daesh ist. Das war richtig und doch bemühten wir uns, immer wieder darauf hinzuweisen: „Jetzt haben die Amis gerade für einen Zeitabschnitt ähnliche Interessen wie wir, was den Kampf gegen Daesh anbelangt. Aber all diese Bomben, Kanonen, Gewehre, Flugzeuge, Haubitzen, Panzer sind ja nicht dazu ersonnen worden, Menschen zu befreien. Sie unterdrücken Menschen. Irgendwann werden sie all diese Waffen gegen uns einsetzen, so wie sie schon tausende Male gegen alle eingesetzt wurden, die sich dem Imperialismus widersetzten. Und so, wie sie schon seit 40 Jahren gegen die PKK in Nordkurdistan eingesetzt werden.“
Wenn es für die Gleichgültigkeit des US-Imperialismus gegenüber den Menschen Syriens noch eines Beweises bedurft hätte, dann wurde er uns in Gestalt eines Geräusches geliefert. Als wir es das erste Mal hörten, starrten wir uns danach ratlos an. Was war hier gerade passiert? Flugzeuge kreisten über dem Kessel, lauter und wahrscheinlich tiefer als die Bomber. Dann leuchtete der Himmel rötlich auf. Für drei, vier, fünf Sekunden war alles um uns herum erfüllt mit einem ohrenbetäubenden Geräusch, das klang, als würde ein Riese ein Elektroschockgerät in den Bauch der Stadt rammen. Es fehlen die Buchstaben, um dieses Geräusch lautzumalen, aber es wäre ungefähr ein: „WWWWFFFFRRRRVVVVWWWWRRR“. Als wir den Sound zum ersten Mal gehört hatten, sprachen wir am folgenden Tag kurdische Freunde darauf an. Sie kannten das Geräusch nur zu gut, aber keiner wusste, zu welcher Waffe es gehörte. Sie nannten es nur „den Strom“, sie dachten, es sei irgendetwas Elektrisches. Wochen später fanden wir heraus, was wir da gehört hatten: Die Gatling Gun GAU 8 Avenger des A-10 Warthog. Und die verschießt depleted uranium, also radioaktive Munition. Direkt neben dem Euphrat, der Lebensader der ganzen Region.
Abgesehen davon, dass Raqqa also psychologisch wie ideologisch belastend, dreckig, ungesund, gefährlich und – vor allem, wenn Freunde fielen – auch traurig war, haben uns also die eigenen „Bündnispartner“ verstrahlt. Könnte man nun sagen: Na, war wohl eine Fehlentscheidung, da hin zu gehen, so trifft doch genau das Gegenteil zu. Es war gerade für uns Internationalisten eine Pflicht.
Und ich kann sagen, in all dem Schmutz etwas gefunden zu haben, das wichtiger ist, als alle Schwierigkeiten, die sich einem in den Weg stellen: Die Liebe zu den eigenen Genossen. Was mir half, diese Zeit durchzustehen, war nichts anderes als unser Zusammenhalt als Freunde, als Weggefährten. Wenn ich aus einiger Distanz an Raqqa denke, denke ich zuallererst an Freundschaft. Ich denke an die Genossen, die mit mir gemeinsam den Weg in die apokalyptische Geisterstadt der Terrormiliz Daesh antraten. An Heval Ciwan, mit dem ich schon in den Monaten zuvor den epischen Sternenhimmel des Sengal-Gebirges und die durch Hygienemangel verursachten Durchfallerkrankungen der militärischen Ausbildung teilen durfte. An Heval Kajin, den besten Endomi-Koch im gesamten Belagerungsring um das sterbende Kalifat. Und an Heval Hogir, dem man zweifellos die Aufgabe übertragen sollte, die Wände des einst wieder aufgebauten Raqqa bunt zu bemalen.
Die Freundschaft, die uns verbindet, war, als wir den Stadtrand der umkämpften syrischen Metropole erreichten, eine noch sehr junge. Aber es war von Anfang eine, die aus einem gemeinsamen Ziel, einer konkreten Utopie gestiftet wurde. Wir kannten uns erst seit einigen Monaten, jeweils zwei von uns haben längere Zeit miteinander verbracht. Und doch wurden wir in den kommenden Wochen füreinander alles: Kameraden und Seelsorger, Lehrer und Schüler,
Krankenpfleger und Psychologen.
Und wir lernten andere kennen, die uns in noch kürzerer Zeit ans Herz wuchsen. Ohne diese Menschen, ohne hevaltî, von der es viel zu wenig an der Front gibt, zerbricht man. Um in Raqqa bestehen zu können, muss man ohnehin etwas verrückt sein. Wichtig ist aber, nicht ganz abzudriften. Sonst verblödet und verroht man, man gibt sich auf.
Hat man aber einander, kann man den Balanceakt des Wahnsinns schaffen. Und es stellt sich zumindest im Nachhinein ein wundervolles Gefühl ein: Man hat dieses Ding gemeinsam gewuppt. Wie räudig auch immer alles war, das kann einem niemand mehr nehmen. Die politische Freundschaft ist aber auch noch mehr als das. Denn selbst, wenn man nicht am selben Ort ist, selbst, wenn man nichts mehr voneinander hört, weil einen die Notwendigkeiten der Revolution voneinander trennen, bleibt man vereint. Als wir unseren Nokta verließen und abreisten, ließen wir gute Freunde zurück.
Zum Beispiel Heval Leswan, unseren letzten Team-Kommandanten, den wir schon zu vermissen begannen, als unser Auto noch nicht die Stadtgrenzen passiert hatte. Mit ihm waren wir vielleicht zehn Tage am selben Ort. Aber zehn Tage, wenn man 24 Stunden zusammen in einer Extremsituation verbringt, sind ein halbes Leben. Als wir überraschend abreisten, drückte er mir ein Geschenk zur Erinnerung in die Hand, wir küssten uns auf die Wange und grüßten mit serkeftin. Wir stiegen in unser Auto. Leswan stand vor dem Eingang unserer Stellung, die Kalaschnikow nach oben gerichtet im Anschlag. „Schieß‘ nicht, wir sollen nicht leer rumballern“, mahnte einer der Fahrer. Leswan sah ihn scharf an und sagte nur kurz: „Meine Genossen gehen.“ Er stand stramm, den Blick nach vorne gerichtet und drückte ab. Eine Murmel, zwei, drei … Vielleicht sehen wir Heval Leswan nie wieder. Und er uns nicht. Aber so wie er immer für das kämpfen wird, was uns wichtig ist, werden wir immer für das kämpfen, was ihm wichtig ist.
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30 Kilometer entfernt.
Wir sitzen auf der offenen Ladefläche eines Toyota Hilux und der Alptraum verschwindet Kilometer um Kilometer aus unserem Leben. Die kritische Kälte, alles nüchtern analysieren zu können, haben wir noch kaum. Die lebensgefährliche (und oft tödliche) Disziplinlosigkeit, die verrohten Umgangsformen, die feudalen Einstellungen, den jeder Beschreibung spottenden Mangel an Hygiene – all das waren wir jetzt los. Wir sind froh, den Schmutz hinter uns zu lassen. Auf einige GenossInnen sind wir unheimlich wütend. Und dennoch beginnen wir langsam auch die positiven Seiten zu sehen. „Es ist wirklich auffallend“, sagt Hogir. „Der Unterschied zwischen dem Leben der Jungs und dem der Genossinnen in den Frauenstrukturen.“ Wir stimmen zu. Die Genossinnen sind auch in Raqqa Avantgarde gewesen. Sie sind organisierter, disziplinierter, sie nehmen die Prinzipien der Partei ernster.
100 Kilometer entfernt.
Wir diskutieren. Der Ärger und die unmittelbare Bedrohung durch das Verhalten einiger Mitkämpfer entfernt sich immer weiter. Wir sehen nüchterner. Woran lag es? Aus der Maxime „Nie wieder begeben wir uns in eine solche Situation“ wird die Überlegung „Wie können wir unter solchen Bedingungen organisierter wirken, etwas verändern“. Diesmal ist es Heval Kajin, der ein jüdisches Partisanenlied anstimmt. Ciwan und ich kennen es nicht, aber es ist wunderschön. „Sage nie, du gehst den allerletzten Weg / wenn Gewitter auch das Blau vom Himmel fegt. / Die ersehnte Stunde kommt, sie ist schon nah / dröhnen werden unsre Schritte, wir sind da.“
Danach singen wir, so gut wir können, Leonhard Cohens The partisan. „I have changed my name so often / i have lost my wife and children / but i have many friends / And some of them are with me“. Ich überlege noch Rhiannas we found love in a hopeless place rauszuhauen, aber ich breche das Unternehmen mangels ordentlicher Stimme ab. Die Sonne geht unter. Wir fahren nachhause, wo auch immer das sein soll.
RaqqaSonnenbild
200 Kilometer
Ein komisches Gefühl stellt sich ein. Noch vor wenigen Stunden wollte ich nur eines: Weg aus Raqqa. Aber da war ich eben noch in Raqqa. Jetzt fühlte ich mich, als würde ich vor etwas weglaufen. Nicht vor Daesh. Nicht vor dem militärischen Kampf. Sondern vor dem viel schwierigeren Kampf um die Umgestaltung der Lebensverhältnisse an unserer eigenen Front. Ich hatte meine Zeit abgeleistet und war nicht vorher abgehauen. Aber dennoch, es war wie eine Flucht. Andere, die ich schätzen gelernt hatte, waren ja noch da. Und viele tausende würden – ob in Raqqa oder anderen, vergleichbaren Orten – nachrücken. Es war ein Privileg, einfach gehen zu können. Irgendwann auch zurück nach Deutschland.
Was mich tröstete war: Dem Krieg um das neue Leben können wir ohnehin nicht entfliehen. Er wartet auf uns, wo immer wir hingehen. Und wenn wir uns nicht belügen, uns nicht in irgendeine bedeutungslose Bubble aus Gleichgesinnten zurückziehen oder zu Verrätern werden, wird er uns das ganze Leben begleiten. Für diesen Kampf war Raqqa eine gute Schule.
400 Kilometer entfernt.
Wir treffen unsere Genossen. Viele sind gekommen, auch Freunde, von denen wir nicht gehofft hatten, sie so schnell wiederzusehen. Wir tauschen uns aus, auch mit anderen, die die Front gesehen haben. Ich merke: Was ich gesehen habe, war nur ein Ausschnitt des Krieges. Für jene Taburs, die Operationen durchführen, Stellungen des Feindes angreifen, ist der Fokus noch ein anderer: „Ich will die Probleme in der Lebensführung nicht kleinreden. Aber ihr ward halt auf Wache. Wenn du Positionen stürmen musst, und neben dir fallen die Leute wie fliegen um, dann treten die anderen Probleme, die es gibt eben manchmal in den Hintergrund“, sagt Heval Cihan, ein erfahrener YPG-Kämpfer.
Ich bin zwar immer noch fertig, aber ich beginne zu begreifen, dass ich in Raqqa, wie in einem Brennglas die Realität des Mittleren Ostens sehen durfte. Sicher, nur einen kleinen Ausschnitt, aber mehr als in vielen Monaten zuvor.
„Ich sehe das so“, erklärt Cihan, ein erfahrener internationaler Kader der kurdischen Bewegung, uns vier Frontrückkehrern. „Ihr habt die Widersprüche kennen gelernt, an denen die kurdische Bewegung hier seit 40 Jahren arbeitet. Das ist hier der Mittlere Osten. Wir aus dem Westen konnten ein Leben führen, das bei allen Schwierigkeiten nicht annähernd so kaputt ist, wie das, das die Leute hier führen. Mehr noch: Weil die Nationen, aus denen wir kommen, den Mittleren Osten immer ausgenommen, beraubt haben, konnten wir so leben und mussten diese Menschen hier eben so leben, wie ihr es jetzt gesehen habt. Und wenn wir an der Front als Revolutionäre einen kleinen Teil dieses Schmerzes selbst durchmachen, dann macht uns das nicht nur stärker. Es hilft uns auch unsere Rolle als Umgestalter dieser Wirklichkeit besser zu verstehen. Und es ist ein Preis, den wir zu zahlen haben.“
Dass wir – und viele andere (auch kurdische) Kader – dieser Aufgabe noch kaum gewachsen sind, ist offenkundig. Cihan kritisiert auch sie: „Es gibt die Sloganci, die nur mit Phrasen um sich werfen. Und es gibt diejenigen, die aus rassistischen Vorurteilen gar nicht an den arabischen Jugendlichen arbeiten wollen. Für die heißt es dann: Das sind eben Araber, die leben so dreckig. Schick sie an die Front und aus. Aber wie war die kurdische Gesellschaft, bevor die PKK begonnen hat, sie umzugestalten? Auch sie hatte sich aufgeben. Es hat 40 Jahre gedauert, die heutigen Fortschritte zu erzielen. Und jetzt heißt es eben: Machen wir uns bereit für die nächsten 40 Jahre, in denen wir die anderen Gesellschaften des Mittleren Ostens umgestalten.“ Und für die nächsten 100 Jahre, die wir für uns Deutschen brauchen werden.
#Von Peter Schaber
M. Quriau 7. Oktober 2017 - 14:23
Dieser Bericht ist großartig. Er hat mir gezeigt, dass es noch Kämpfer für unsere Ideen gibt. Wie schließe ich mich der Aktion in Kurdistan an?
Bedelo Rose 7. Oktober 2017 - 17:21
Danke für diesen Beitrag, der so viel ist. Wir sind nicht auf diesem wunderschönen Planeten, um zu unterdrücken, auszubeuten, zu töten, aus reiner Profitgier… Wann begreift das die Menscheit endlich, wir sind mit jedem und allem vereint und müssen zusammen halten.
Wolfgang Prinz 9. Oktober 2017 - 11:57
Du schreibst, dass tausende sehr junge Soldaten bei der YPG sind. Wie viele dieser sehr jungen Soldaten sind unter 18 Jahren alt?
lowerclassmag 10. Oktober 2017 - 14:22
In der YPG und YPJ liegt das Mindestalter für die Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetznugen bei 16 Jahren.
Wolfgang Prinz 11. Oktober 2017 - 4:33
Die YPG ist offensichtlich eine Armee von Kindersoldaten
Der Einsatz von Kindersoldaten ist verboten. Kindersoldaten sind:
»… alle Personen unter 18 Jahren, die von Streitkräften oder bewaffneten Gruppen rekrutiert oder benutzt werden (…), darunter Kinder, die als Kämpfer, Köche, Träger, Nachrichtenübermittler, Spione oder zu sexuellen Zwecken benutzt wurden.«
Definition nach den Pariser Prinzipien (2007), unterzeichnet von 105 Staaten, darunter Deutschland
Gemäß dem “Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, verabschiedet am 25. Mai 2000 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, sollen
“Bewaffnete Gruppen, die sich von den Streitkräften eines Staates unterscheiden, sollen unter keinen Umständen Personen unter 18 Jahren einziehen oder in Feindseligkeiten einsetzen.”
Gemäß dem 2014 vom Legislativrat im Kanton Dschazira erlassenen Wehrpflichtgesetz dürfen Männer erst ab 18 Jahren eingezogen werden.
Artikel 3 führt aus:
»Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für
alle männlichen Personen im Alter zwischen 18
und 30 Jahren.
Es ergibt sich der bestürzende Befund, dass die YPG entgegen ihrem eigenen Wehrpflichtgesetz und entgegen dem internationalen Recht Kindersoldaten im Massenumfang (tausende) einsetzt.
Dies wird übrigens auch durch eine Meldung von “Raqqa is Slaughtering silently” vom 22. Juli 2017 bestätigt:
“Die SDF der syrischen Demokratischen Kräfte dringt jeden Tag in Raqqa-Vorstädten voran, und in jedem neuen Dorf, das sie kontrollieren, verhaften sie Dutzende junge Männer und zwingen sie, sich den Kämpfen gegen ISIS anzuschließen.”
lowerclassmag 11. Oktober 2017 - 13:46
Meine Güte, da hat aber jemand den Kopf etwas zu heiß geduscht.
1. Niemand zwingt “junge Männer, sich den Kämpfen gegen ISIS” anzuschließen
2. Die YPG ist selbstredent keine “Armee von Kindersoldaten” und die große Mehrheit aller Kämpferinnen und Kämpfer ist auch nach deiner Definition volljährig.
Es ist richtig, dass die Wehrpflicht ab 18 greift. Menschen, die als Wehrpflichtige eingezogen werden, kämpfen jedoch nicht an der Front sondern sorgen im Hinterland für Sicherheit. Das Mindestalter von 16 gilt für diejenigen, die sich freiwillig anschließen wollen, um sich und ihre Familie zu verteidigen. Wer daraus jetzt eine Armee von Kindersoldaten macht, der hat halt einfach ein Problem mit der Realität und keinerlei Verständnis von der Situation vor Ort. Denn der ‘Islamische Staat’ macht keine Alterskontrolle bevor er Menschen verschleppen, foltern, vergewaltigen und ermorden. Dementsprechend sind es Tausende, die ihn freiwillig bekämpfen wollen, einige davon eben auch unter 18. Wer bist also du, diesen Menschen ihr Recht, sich selbst gegen die Barbarei des ‘Islamischen Staat’ zu verteidigen, abspricht? Gehst du statt dessen hin und stelst dich vor die Minderjährigen, damit sie nicht selbst kämpfen müssen? Oder sollen sie sich deiner Meinung nach alle solange abschlachten lassen, bis sie 18 sind und dann auch dein Prüfsiegel bekommen?
Wolfgang Prinz 11. Oktober 2017 - 17:14
“1. Niemand zwingt „junge Männer, sich den Kämpfen gegen ISIS“ anzuschließen”
Wirklich nicht? Ist die Wehrpflicht etwa kein Zwang? Wehrpflicht bedeutet genau die Anwendung von Zwang auf junge Männer und Frauen, um sie zum Militärdienst zu zwingen.
“Erste Zwangsrekrutierungen durch die YPG und den
Sicherheitsdienst der PYD, den Asayiş, fanden bereits
im April und Mai 2014 statt, also noch vor Verabschiedung des (Wehrpflicht)Gesetzes. Die ersten Massenrekrutierungen hingegen werden vom Oktober 2014 berichtet. Seither erfolgen Rekrutierungen oft zufällig, beispielsweise an
Kontrollpunkten oder im Zuge von Massengefangennahmen
in Internetcafés oder Kaff eehäusern.”
http://www.kurdwatch.org/pdf/KurdWatch_A010_de_Zwangsrekrutierung.pdf
Das System von Zwangsrekrutierungen wurde bei der Eroberung von Raqqa fortgesetzt gegenüber vorwiegend arabischen Jungen, wenn man der oben zitierten Meldung von RISS Glauben schenkt.
Das Ergebnis dieser Zwangsrekutierungen sind “Tausende, oft sehr junge Soldaten, die auf der Seite der YPG Dienst tun.” Diese Tausenden, sehr jungen Soldaten sind keine Freiwilligen. Denn: “Sie haben keinerlei Bildung genossen, auch kaum militärische Ausbildung. Die Ideale jener Bewegung, für die sie eigentlich kämpfen sollten, kennen sie kaum, geschweige denn leben sie nach ihnen.” (Peter Schaber)
Das sind die typischen Kindersoldaten, wie es sie in allen bewaffneten Konflikten weltweit gibt, die aus Armut oder aus Zwang Dienst tun, und nicht wissen, wofür sie kämpfen.
lowerclassmag 11. Oktober 2017 - 18:57
Lieber Wolfgang Prinz,
offensichtlich hast du nicht den kleinsten Hauch einer Ahnung von der Situation vor Ort, wirfst alles, was du mal gehört, gelesen oder aufgeschnappt hast in einen großen Topf, den du dann kräftig umrührst und dir die Stücken rausschnappst, die dir grade passen. Auf dem Niveau kann man allerdings keine vernünftige Diskussion führen, lediglich mit Verunglimpfungen um sich schmeißen (so wie du das tust).
Aber einen Punkt will ich für dich nochmal ganz sorgfältig herausarbeiten, damit du es in deinem Kämmerlein auch wirklich verstehst:
Die WEHRPFLICHT gilt für Erwachsene zwischen 18 und 30. Diejenigen, die dort eingezogen werden, kämpfen nicht an der Front sondern sind für den Schutz des Hinterlandes zuständig (Polizeiaufgaben).
FREIWILLIGE können (!) sich ab 16 (wie übrigens auch bei der Bundeswehr).
Wolfgang Prinz 12. Oktober 2017 - 0:13
Super. Endlich mal wieder einen Anschiß bekommen von einem Low-Budged-Redaktör, der unfähig ist, in der Wehrpflicht ein Instrument des Zwangs zu erkennen.
alex 12. Oktober 2017 - 17:36
Wehrpflicht und Freiwillig ist der Unterschied. Freiwillig kann jeder ab 16 zur Armee gehen und an Kampfhandlungen teilnehmen. Wehrpflichtige dürfen erst ab einem Alter von 18 Jahren eingezogen werden.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kindersoldat
Aber durch deinen “Hinweis” auf low budget Redakteure denke ich das bei dir das lesen und verstehen das grundlegende Problem ist.
Über Wehrpflicht als zwangsinstrument hätte man diskutieren können, aber nicht mehr mit dir….
G. Nosse 14. Oktober 2017 - 3:13
Danke für deinen spannenden Bericht, Genosse! Der Mut den ihr als Internationalisten aufgebracht habt, das Sich-Ausklinken aus den ewigen Mühlen hier, und mehr natürlich noch die Kämpfe, welche die kurdische Bewegung schon seit Jahrzehnten führt (zumal, weil sie es es muss) – all das sollte Vorbild und Inspiration für alle politisch Aktiven hier sein. Ihr verdient großen Respekt.
Das zu sagen, wenn auch nur so schlicht, scheint mir gerade auch wichtig, da es sicher frustrierend ist, einen so offenen und klaren Text über ein derartige Zeit von Entbehrung und Gefahr zu schreiben, um dann nur wenige anerkennende Kommentare und dafür viel irres Geschwafel (wenn hier auch nur von einer Einzelperson) darunter lesen zu müssen. Zu glauben – oder zumindest zu hoffen – bleibt, dass der Text einige inspiriert habt, wenngleich sie das auch nicht direkt so kommentiert haben.
Zwei Fragen, die sich stellen, wären:
1.) Habt ihr (auch an die Redaktion) keine Bedenken, dass so weite Teile der Gesichter zu erkennen sind? In Zeiten von Biometrie und höchst interessierten Behörden?
2.) Könnt ihr eine Einschätzung darüber abgeben, wie groß die Rolle der Infanterie im Krieg (oder allemal: in dieser Art von Krieg) noch ist? Es mag an der Rolle der Taburs liegen, aus dem hier berichtet wird, das nur militärisch nur passiv agierte. Dennoch wirkt – auch mit Blick auf die Kämpfer von ‘Daesh’ – das Schlachtfeld dominiert von High-Tech und materiellen Kapazitäten der NATO-Großmächte.
Das liegt als Vermutung ohnehin nahe, wenn man der ,Berichterstattung’ von ‘Tagesschau’ & Co. folgt; und wäre dennoch wie das ,Zwischen-Ergebnis’ eines immensen Umbruchs, wenn man bedenkt, wie die Gewichte noch 1914- / 1936- / 1939- / 1955- / 1990- gelagert waren.
Zudem hat diese Entwicklung dramatischste Auswirkungen für jegliche Überlegung politischer Entwicklung gegen den Willen jener Staaten, die mit ihren Mitteln selbst 1871- / 1936- schon jede Gegenwehr zu brechen im Stande waren. Oder vertretet ihr eine positivere Position zu diesem Thema?
Mit aller Solidarität,
xy
nur Schall und Rauch 16. Oktober 2017 - 21:24
Lieber Peter Schaber,
ich möchte mich bei dir aufrichtig für diesen Bericht bedanken. Du hast ein Talent dafür, die Dinge anschaulich und lesenswert zu beschreiben. Noch nie habe ich den Boden Rojavas betreten, aber deine Worte vermögen es, ein etwas sichtbareres Bild zu zeichnen. Sicherlich können sich nur die wenigsten Vorstellen, was es heißt, an der Front gegen die Lumpen von Daesh, gegen den Imperialismus und für eine befreite, solidarische Gesellschaft zu kämpfen. Was es bedeutet, die Bombardements mitzuerleben, die Gewalt zu spüren und den unmenschlichen hygienischen Bedingungen ausgesetzt zu sein. Dass du trotz alledem vor allem auf die Notwendigkeit der ideologischen Festigung und ständige Selbstreflexion hinweist, darauf miteinander solidarisch zu sein, Freundschaft zu leben und die so wertvollen aber schwer zu erreichenden Ziele der Revolution auszubauen, zu leben und zu verteidigen, nicht vor den Schrecken des Krieges zu verrohen und gleichgültig zu werde; genau das lässt mich auf den Erfolg dieses Gesellschaftsprojekts, dieser Revolution hoffen.
Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du diese Eigenschaft bewahren mögest, was auch immer du in der Zukunft erleben magst und egal wohin dich dein Weg dort drüben führt. Und dass du weiterhin Zeit zum schreiben findest.
Wir haben uns vor nicht allzu langer Zeit eines Abends am Rande einer Veranstaltung in Deutschland kennen gelernt und uns ein wenig ausgetauscht. Du wirst dich nicht mehr an das Gespräch erinnern und noch weniger an mich. Ich erinnere mich aber sehr gut an dich und an unser Gespräch und ich möchte dir gerne sagen, dass ich deine Entschlossenheit damals bewundert habe und noch oft an das Gesprochene zurückdenke. Ich schreibe dir das, weil (und da spreche ich aus eigener Erfahrung) einen manchmal das Gefühl packen kann, dass der eigene Beitrag, das Wirken zusammen mit den Genossen klein und unbedeutend zu sein scheint im Kampf gegen den übermächtig erscheinenden Klassenfeind, gegen die Imperialisten und Ausbeuter, die einen immer wieder an der Gurgel packen und zudrücken. Sei dir versichert, dein Beitrag ist nicht klein. Deine Berichte und noch wichtiger das Gespräch zwischen uns haben mir gezeigt, dass kein Beitrag klein und unwichtig ist, wenn er einer gerechten Sache dient, niemals.
Ich schäme mich dafür, den richtigen Weg nicht mit der letzten, entscheidenden Konsequenz gehen zu können, so wie du und die Genossen es dort drüben tun. Um der Mutter, den Freunden und Freundinnen, der Partnerin “leb wohl” zu sagen, fehlt mir der Mut. Dafür möchte ich mich bei dir entschuldigen. Ich versuche hier im Alltag meinen bescheidenen Teil für eine bessere Welt, für eine befreite Gesellschaft zu erbringen. Vielleicht habe ich eines Tages mehr Mut und kann eurem Beispiel folgen und einen aktiveren Beitrag als heute leisten. Vielleicht werden sich meine Ideale eines Tages aber auch wandeln und an Festigkeit verlieren, wie es bei so vielen Genossen und Genossinnen ist, die hier lange gekämpft haben und irgendwann den Kampf aufgeben, sich zurückziehen. Auch das kann sein. Davor habe ich wohl am meisten Angst, denn es hieße, kein Mensch mehr zu sein; den Kampf zu verlieren, nicht weil man verletzt oder getötet wurde, sondern weil man aufgegeben hat.
Dir wünsche ich, dass du an deinen Zielen und Idealen festhalten kannst, wie sie auch aussehen mögen und wohin dich das Leben auch immer trägt. Ob wir uns einmal wiedersehen weiß ich nicht, aber sei dir versichert, dass die Gedanken von vielen Genossinnen und Genossen jetzt in Kurdistan sind, bei euch, die ihr den Mut habt, das Schicksal in die Hand zu nehmen.
Passt auf euch auf, steht zueinander, beieinander! Mein Respekt ist dir, ist euch gewiss.
Es grüßt dich,
ein kommunistischer Genosse aus dem kalten, herbstlichen Deutschland.