Warum ich nicht wählen gehe… (#2)

23. September 2017

Im Regelfall stehe ich, auch Sonntags, vor 18 Uhr auf, „mein“ Wahllokalist ganz bei mir in der Nähe und es wäre mir ein leichtes, mich dorthinzu begeben und pünktlich meine Kreuzchen auf dem ach so wichtigen Blatt Papier zu machen.

Tu ich aber nicht.

Es stimmt, dass man sich vielleicht manchmal an dem ganzen Wahlzirkus beteiligen muss, um das Aller allerschlimmste zu verhindern – in Einzelfällen. Der Einzug der Linken in den nordrheinwestfälischen Landtag ist mir herzlich egal. Wenn es aber um eine Wahl à la Marine Le Pen vs Macron geht, könnte man sich darum streiten, dass auch ein neoliberales Arschloch der übelsten Sorte wie Macron, dem man seinen Wahnsinn von Weitem ansehen kann (ernsthaft, bei jedem Foto erschreck ich mich), immer noch irgendwie besser sein muss als eine Faschistin wie Le Pen.

Aber schauen wir uns diese Bundestagswahl doch mal an; Mutti wird wieder Kanzlerin, die SPD weint und die AfD kann feiern, das steht so ziemlich fest. Ob jetzt letztere, die CDU in grün, die Spaßpartei Lindners oder die sogenannten Linken ein, zwei Prozentchen mehr oder weniger bekommen und somit drittstärkste Kraft werden, ist mir so latte, dass ich wahrscheinlich nicht mal den Fernseher anschalten werde, um mir das Ergebnis anzuschauen.

Dass ich einer kleinen Partei, die mir unlieb ist, durch Nichtwahl meine Stimme quasi schenken würde, ist Quatsch; zumindest, wenn es nicht die Möglichkeit gibt, dass diese Partei an der 5-Prozent-Hürde scheitert.

Bei der vielzitierten AfD ist das aber nun mal leider überhaupt nicht der Fall, an dieser Hürde sind sie doch schon längst vorbeigerauscht und brauchen meine Stimme gar nicht, um in der Opposition rumnerven zu dürfen.

Warum zur Hölle sollte ich mich also an einer Veranstaltung beteiligen, die mir suggeriert, ich könne so auch nur im Ansatz etwas verändern? Ich behalte mir da lieber bei, mich außerparlamentarisch politisch zu engagieren und abseits von Parlamenten mit den Menschen um mich herum für eine bessere Welt zu streiten und sie selbstorganisiert von unten aufzubauen. Würde ich mich der Illusion hingeben, durch Wahlen etwas verändern zu können, brauchte es dieses Engagement ja gar nicht mehr.

Das sind also mitnichten zwei verschiedene Paar Schuhe, die voneinander getrennt betrachtet werden können; es ist wichtig, aufzuzeigen, dass es einen politischen Handlungsspielraum außerhalb der Parlamente gibt und dass sich Menschen ganz bewusst dafür entscheiden, keine Kompromisse mit den herrschenden Verhältnissen einzugehen.

Würde ich an diesem Sonntag zur Wahl gehen, würde ich damit wahrscheinlich nicht das hiesige politische System „festigen“; destabilisieren tu ich woanders und nicht mit meiner Weigerung zum Kreuzchenmalen. Was ich allerdings damit ausdrücken würde wäre meine Zustimmung, und legitimieren, was alles mit Berufung auf das Wahlergebnis im Namen aller Wähler_innen tagtäglich durchgewunken wird: Abschiebungen, Kriege, Rüstungsexporte, Zwangsräumungen, Sozialkürzungen, Überwachung, Gesetzesverschärfungen und so weiter. Das alles ist deutsche Realität, unter jeder Partei, seit Jahrzehnten. Und ich werde einen Teufel tun, in der Wahlstatistik als „abgegebene Stimme“ aufzutauchen und somit indirekt in meinem Namen all diese Dinge geschehen zu lassen.

Noch ein Wort zu der Partei Die Linke: die Stadt Berlin wird ja nun seit letztem Jahr wieder von unter anderem eben dieser Partei regiert, die viele Leute auch im Umfeld außerparlamentarischer Linker immer noch als bessere Alternative oder zumindest als das kleinere Übel propagieren und dafür werben, ihnen die Stimme zu überlassen. Diese Partei, deren Mitglieder sich doch tatsächlich mit „Genossinnen und Genossen“ ansprechen, ist also auch dafür verantwortlich, dass bereits zwei linke Projekte in nur einem Jahr in Berlin durch SEK zwangsgeräumt wurden, dass die Rigaer 94 von Bullen belagert wird, dass die Stadt ohne Sicht auf ein Ende durchgentrifiziert wird. Dazu äußern sie Verständnis für die Bullen und fordern deren weitere Aufrüstung, und es ist auch nicht ganz abwegig, dass AfD-Gauland immer mal wieder Probs an Sahra Wagenknecht verteilt.

In dem Sinne: ihr wärt wohl die letzte Partei, für die ich meine Stimme draufgeben würde. Dann doch lieber an Die PARTEI,
weil sie ist sehr gut.. aber das ist eine ganz andere Geschichte.

# Fraja Flink

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2 Kommentare

    struppi 24. September 2017 - 10:01

    Seit ihr die „white Dudes“ mit denen die Mädchenmannschaft gesprochen hat?
    http://maedchenmannschaft.net/die-wahl-haben-2/

    Ich lese gerne das „lower class magazine“ vermisse aber oft den Standpunkt, der für die im Titel genannten relevant wäre. Auch hier.

    Das Geschriebene ist sicher richtig für jemanden der sein Leben in dieser sozioökonomischen Umgebung in Berlin (oder Hamburg) aufgebaut hat. Aber wenn man sich schon diese Blase als politischen Basis betrachtet, dann wäre es für einen argumentativen Diskurs hilfreich auch den Horizont zu öffnen. Wie sieht denn die Situation für solche Projekte wie im letzten Abschnitt genannt in anderen Städten aus, in denen keine Linke an der Regierung *beteiligt* ist aus?

    Tatsächlich ist es so, dass es für linke Projekte schwerer wird, je mehr die Hardliner der CDU ein Gewicht bekommen. Trotzdem kann kein linke Minderheit die Obrigkeitsgläubigkeit dieser Klientiel abschaffen, doch um Veränderungen herbeizuführen müssen auch Teile dieser Gesellschaftsgruppe bereit sein zum umdenken.

    Das ist aber auch eine Crux eurer Argumentation. Demokratische Entscheidungsformen richten sich nach der Gewichtung der unterschiedlichen Ansichten – ich kenne nicht eure konkreten Zielen, aber solch eine Wichtung düfte in fast allen Machtformen eine Rolle spielen. Selbst in Anarchistischen muss eine Minderheit auch noch einen – selbstverständlich kleineren – Anteil an Entscheidungen bekommen, ansonsten wird ein zusammenleben schwierig.

    Daher halte ich diesen Text für problematisch, da er einzig den Standpunkt aus einer sehr individuellen und kleinen Weltsicht herrührt. Aber für einen nicht marginalen Teil der Bevölkerung und gerade für die „lower class“ ist der Ausgang der Wahl durchaus mit konkreten Veränderungen verbunden.

    So Dinge wie Leiharbeitsverträge oder die Ausgestaltung der Sozialversicheurngssysteme sind im Alltag der meisten Menschen wichtiger als ein besetztes Haus in Berlin.

    Und ich bin relativ sicher, dass auch du noch die Folgen der Rentenrefomen der SPD Regierung spüren wirst. Und bei diesen Themen gäbe es durchaus eine Wahl. Leider ist aber die „neoliberale“ Propganda so tief gedrungen, dass die Betroffenen häufig AFD wählen, weil die Angst vor „Sozialismus“ und gleichzeitig die meiner Ansicht nach Überhöhung von Randthemen, durch linke Aktionisten, diesen Menschen die Linke keine Alternative darstellen.

    Das für „Aktionisten“ dann nur noch eine „Spaßpartei“ übrig bleibt, die auf die genannten negativen Veränderungen keine konkreten Antowrten bereit halten will, ist aber konsequent.

    So macht halt jeder das was für die eigene Welt das einfachste ist. (Also das gegenteil von dem, was früher mal Solidarität hieß)

    Marcus 24. September 2017 - 14:50

    Alles falsch gedacht, was man zum Thema Wählen oder ganz allgemein zum Thema „Wie kann der einzelne gesamtgesellschaftlich etwas änder?“ falsch denken kann.
    Schade.