Wir brauchen eine Diskussion über eine linksradikale Ethik an den Unis

11. April 2017

Vor kurzem gab es einen vielfach diskutierten Text im LCM für eine Diskussion über die Karriereplanung der linken Studis. Endlich, dachte ich, wird die Uni kritisiert und der „Selbstoptimierungszwang“ den sie auf Student*innen (und Wissenschaftler*innen) ausübt, und stattdessen eine radikale Bruchhaltung mit dem akademischen Betrieb skizziert. Der Text versucht auch über die Probleme von individualistischen Unikarriere zu sprechen, verengt sich allerdings (in über akademischen Sprechduktus) auf einem „Diss“ gegen die Karriere-Kids. Er verkommt darin zu einer „subjektivistischen“ Kritik gegen die „Identitätslogik“ von „linken Studis“. Die spannenden Fragen nach dem Stand des widerständigen „ethischen“ Potentials an den Unis, die er eigentlich stellen könnte, werden schließlich mit „Wir müssen unser Leben“-Pathos über-kleistert. Das schadet der Debatte um eine „linksradikale Ethik“ im Kampf an und gegen die Unis.

Linke sind nicht gleich Linke
Das Ausgangsproblem des Texts liegt in seiner begrifflichen Unschärfe. So wird allgemein von „linken Studis“ gesprochen, als wären die ein einheitliches Subjekt. Das ist aber grundsätzlich falsch. Ich meine damit nicht nur, dass linke Studis in Frankfurt anders sind als linke Studis in Berlin, dass weiße linke Studis anders sind als linke POC-Studis. Ich meine, dass es eine fundamentalen Unterschiede zwischen linksliberalen und linksradikalen Student*innen gibt.

Linksliberale glauben das bestehenden System in seinen Möglichkeiten verbessern zu können, durch „Deliberation im herrschaftsfreien Diskurs“ und der Textproduktion von ultra-kritischen Texten im Adorno-Seminar schlimmstenfalls. Linksradikale glauben, dass die bestehenden Institutionen von und durch die Mehrheit, der unter ihnen Leidenden Menschen, zerschlagen werden müssen (Streik und die Besetzung der Uni, Kollektivierung aller „Wissen(re-)produktionsmittel“, Zerstörung der Leistungsnormen, und ein radikal egalitäres Einkommen aller Beschäftigter an der Universität bis die Lohnarbeit in der kommunistischen Gesellschaft aufgehoben wird usw.).
Das heißt wenn sich der Text an Linksradikale richtet, ist er widersprüchlich, da diese ohnehin für die „Selbstverwaltung“ aller Lehre und Forschung eintreten. Wenn der Text sich an Linksliberale richtet ist er aber unnötig, da er als „bloßer Appell“ ohne „Organisierungsvorschlag“ keine Kuwi-Studis, die gerne Foucault lesen, von der Richtigkeit des „Klassenkampfs“ überzeugen wird. Linksradikale wollen aber konkrete Kämpfe organisieren und nicht darüber lamentieren, dass Linksliberale Unikarrieren machen. Es ist zwar ärgerlich, aber wenn wir uns immer über Linksliberale ärgern würden, wenn sie „ihre Klassenposition verraten“, kämen wir zu nichts mehr.

Das Problem ist die Logik der Uni und nicht die Identitätslogik von „linken Studis“

Das eigentliche Problem des Textes liegt aber darin, dass er sagt: „das Private ist Politisch, ändern wir also unser Leben“. Es ist ein guter Hinweis, dass Karriereplanung eben keine individuelle Sachen sein sollte. Aber diese „ethische Frage“, um die „gelingende“ linksradikale Lebensführung, darf nicht in einem Moralismus erstarren, der nur private Lebenswege kritisiert. Sie muss sich politisch aufheben und zwar in konkreten Kämpfen, gegen die Uni, gegen Leistungsdruck, gegen abgehobene Diskussionskultur, und so weiter, um materielle Verbesserungen für (alle) Studis zu erkämpfen.

Die Uni wird zu einer der zentralen Institutionen des „creative capitalism“, in Deutschland beginnen 50% eines Jahrgangs ein Studium. 50%! Die Uni ist kein Privilegienort von wenigen mehr, sondern Massenuniversität, die im neoliberalen Kapitalismus wesentlich kreativ-intellektuelle Arbeitskraft herstellt. Die Studienbedingungen an den Unis werden sich verschärfen, der allgemeine Konkurrenzdruck wird steigen. Wie ein Freund sagt, wird sich „das“ Proletariat akademisieren und die Akademiker*innen proletarisieren. Es wird eine „akademische Reservearmee“ entstehen, das intellektuelle Proletariat wird prekarisiert werden. Aus diesem Grund ist der Bruch mit der Intellektuellen-Laufbahn zwar eine gute Idee auf einer ethischen Ebene, aber er geht an den Problemen der Zeit vorbei.

Das heißt: nicht linksradikale Studis tappen in die Falle der schillernden Intellektuellenkarriere, sondern allgemein werden Studis an der „unternehmerischen“ Uni in neuer Weise unterworfen und karriereförmig ausgerichtet. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und kein spezifisches von linksradikalen Studis. Vielleicht wird es bei linksliberalen Studis besonders schizophren, wenn sie zu Foucaults „Kontrollgesellschaften“ studieren und sich gleichzeitig selbst optimieren, um die besten Unijobs zu bekommen. Linksradikale deren Identitäten auf den Bruch mit Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und unternehmerischer Uni ausgerichtet sind, müssen meines Erachtens allerdings keine „existenzielle Sinnkrise“ bekommen, wenn es mit der privaten Karriere nicht klappt, wie der Text nahe legt. Viel eher doch wenn es mit der Organisation der Massen nicht voran geht. Das macht linksradikale Studis in ihrer „Identität“ aus, dass sie die linksradikalen, auf den Bruch/die Brüche orientierenden Wesen sind, die an der Uni kämpfen (oder wie Aristoteles schon wusste: das telos der Linksradikalen Studis ist das kommunistische Lernen für alle und nicht die Produktion von ultra-kritischen Texten)

Bruchhaltung an der Uni antizipieren

Das implizite Problem des Textes liegt letztlich darin, dass er zwei Kritikarten vermengt. Die eine Kritik ist eine Kritik an den Karrieren von Linksradikalen, d.h. dass kritisiert werden soll, dass immer wieder gute Genoss*innen sich von ihrer politischen Praxis zugunsten einer Karriere im Kapitalismus entfremden. Die andere Kritik ist eine Kritik der neuen „Subjektivierungsweisen“ an der Hochschule als paradigmatische Unterwerfungsinstanz im „kreativen Kapitalismus“. Ich behaupte, dass das zwei verschiedene Probleme sind und auch verschieden diskutiert werden müssen. Das heißt es gibt keinen qualitativen Unterschied, ob ehemals Linksradikale an der Uni Karriere machen oder bei einer linken Zeitung, bei einer Stiftung oder bei einer Partei (wo die Identifikation ggf. ja noch höher ist als an der Uni) – das Problem ist immer das gleiche: mangelnde Praxis, Anpassungsdruck, ökonomische Kompensation und Überbetonung von Diskursen, usw. Das andere Problem ist der Kampf um die Universitäten und der Bruch mit der Intellektuellenlaufbahn an und gegen die Uni. Da sagt der Text zwar pflichtgemäß auch, dass es wichtig ist es um die Ausrichtung der Unis zu kämpfen, aber im Grund wird ausgedrückt: der Kampf um die Unis ist verloren, lasst uns mit der Unikarriere als Gärtner*innen brechen. Das hieße aber dem Ringen um eine „kritisch-proletarische Hegemonie“ an den Unis bewusst auszuweichen. Das ist schließlich auch ein typisch akademischer Fatalismus und privat-kompensatorischer Fehlschluss: Weil die Institutionen „kritische“ Leute absorbieren, soll der Kampf um sie zu Gunsten einer „Nicht-Identität“ aufgegeben werden.

Es ist ja nicht falsch ethische Fragen an linksradikale Studis zu stellen. Im Gegenteil, finde ich das dem Stand der Kämpfe und des Bewusstseins an den Unis angemessen und wichtig. Aber wie wäre es denn damit anzufangen, den „kleinen“ praktischen Unialltag zu politisieren und nicht nur die „große“ Karriereplanung? Also zu fragen: wie können wir anderen dabei helfen an der Uni klarzukommen? Wie können wir dafür sorgen, dass in Seminaren mit 70 Studis nicht immer nur die selben 5 Theorie-Macker die Chance haben ihre ultra-kritische Kritik vorzutragen, während alle anderen in Ehrfurcht verharren? Wie können wir Hausarbeiten füreinander schreiben, ohne dass wir uns schämen müssen? Wie können wir uns gegen bürgerliche Profs organisieren, um deren Lehrweisen zu kritisieren? Wie können wir strategisch so Projekttutorien besetzen, dass wir nicht nur den Mangeln an kritischer Lehre mit billiger Arbeitskraft kompensieren, sondern wirklich um die Ausrichtung der Lehrstühle kämpfen können? Können wir es nicht erst einmal irgendwie hinkriegen, dass die Uni nicht mehr so ein frustrierender Alltag ist, bevor uns fragen, ob wir nicht lieber Gärtner*innen werden, um unsere linksradikale Identität zu erhalten? Aus diesen konkreten Kämpfen ergibt sich viel eher eine kritische studentische Identität als aus Diskussion über die Karriereplanung mit linksliberalen Adornit*innen, die nach der Lektüre der „negativen Dialektik“ im „autonomen Lesekreise“ glauben, dass sie die Probleme der Praxis theoretisch lösen können. Keine Linksradikale Person würde jemals eine Unikarriere mit dem Verweis „Adorno war aber doch Professor!“ legitimieren. Der Name „Adorno“ steht hier stellvertretend für linksliberale Kritiker*innen, die im Fall der Fälle lieber Cops gegen die Besetzer*innen rufen, die ihre allzu kritische Lehre stören, und nichts zur Organisation von Klassenkämpfen beitragen. Die Frankfurter Schule ist in dieser Hinsicht gescheitert, hören wir auf ihr nachzutrauern. Was haben Bahamas, Jungelword und Antideutsche als Adornit*innenzirkel der radikalen Linken noch zu sagen?

Ja, der Organisationsstand an den Unis ist nicht besonders geil, aber wenn wir uns überlegen, dass die Probleme und das Leid sich verschärfen werden, ist ein Ringen um eine andere Ausrichtung der Unis vielleichter wichtiger als jemals zuvor. Bevor besonders findige Neoliberale das Problem dadurch „lösen“ werden, dass die Unis vollständig als Unternehmen geführt werden, kritischen Lehrinhalte gänzlich verschwinden und die Uni purer Unterwerfungsort für die Herstellung der Arbeitskraft des „creative capitals“ wird. Kann sein, dass wir heute noch unendlich weit davon entfernt sind, um eine „proletarische Hegemonie“ zu ringen. Aber uns an den Unis gegen die Unis zu organisieren ist unerlässlich und wenn die Frage der Karriereplanung dabei hilft, bin ich ich der letzte der sich darüber beschwert. Aber sie muss anders gestellt werden, und zwar in einem Komplex aus ethischen Fragen, die Linksradikale an der Uni dazu befähigt in konkreten Mikro-Auseinandersetzungen gegen die Uni und für ein solidarisches Lernen und Forschen einzutreten. Brecht im Alltag an jeder Stelle mit der unternehmerischen Uni und nicht nur mit der Uni-Karriere. Das zweite ergibt sich aus dem ersten.

– David Doell

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4 Kommentare

    blubb 12. April 2017 - 9:35

    Der Text versucht auch über [linksradiakle Ethik an den Unis] zu sprechen, verengt sich allerdings (über akademischen Sprechduktus) auf einem „Diss“ gegen [Antideutsche]. Er verkommt darin zu einer [plattitüdenhaften] Kritik gegen die [autonomen Lesekreise] von [linksliberalen Adornit*innen]. Die spannenden Fragen nach dem Stand des widerständigen „ethischen“ Potentials an den Unis, die er eigentlich stellen könnte, werden schließlich mit [proletarische Hegemonie]-Pathos über-kleistert. Das schadet der Debatte um eine „linksradikale Ethik“ im Kampf an und gegen die Unis.

    Modest 16. April 2017 - 19:27

    Haha. Point taken! Dem könnte ich nur entgegnen, dass mein Text lediglich eine kurze Antwort sein sollte, bevor in der Diskussion die „Kritik an der Uni“ mit einer Kritik an der Karriere“ vermegent wird.

    — Ich schreibe gerade zum widerständigen „ethischen“ Potential an der Uni einen Text für HUCH und habe zufällig den Emanuels Text beim LCM gesehen und dann eine kurze Replik geschrieben, die allerdings wegen auswärtigen Verpflichtungen des Redaktion nicht früher hochgestellt werden konnte.

    Sorry, dass es jetzt schon zwei solche Texte gab 🙂 Ich hoffe, die nächsten werden konkreter. Lg David

    Emanuel Kapfinger 12. April 2017 - 16:18

    Kontroverse Diskussionen finde ich immer produktiv. Nur so kommen wir gemeinsam weiter. Aber du schreibst deinen Text so, dass wir gar keine Kontroverse austragen können: Seit über 10 Jahren investiere ich wer weiß wieviel Energie in Organisierung in und am Rande der Akademie, weil ich mit konkreten Problemen konfrontiert bin und die zu lösen habe. Das hättest du feststellen können, wenn du einfach nur mal „emanuel kapfinger uni streik“ gegoogelt hättest. Stattdessen wirfst du mir vor, dass ich den Kampf an den Uni verloren gegeben hätte. Obwohl ich das Gegenteil in diesem aktuellen Text geschrieben habe.

    Aber nicht mal in den Details liest du meinen Text genau. Obwohl ich schon im ersten Absatz ganz eindeutig von Hausbesetzern und Antifas spreche, wirfst du mir vor, ich schriebe eigentlich über „Karriere-Kids“, die in Wahrheit Linksliberale seien.

    Und so geht’s weiter mit Falschaussagen über meinen Text. Wie sollen wir denn da in eine Diskussion kommen? Wie soll denn da dein Text eine „Kritik“ an meinem darstellen?

    Modest 16. April 2017 - 19:45

    Hallo Emanuel,

    nach meinen Eindruck sind Deine Reaktionen immer noch stark emotional befangen, deswegen nur zur Sicherheit der Hinweis, dass ich Dir glaube, dass Du seit 10 Jahren linksradikale Politik am Rande der Akademie machst. Ich sehe nicht, dass mein Text Dir das persönlich aberkennen würde?

    Nachdem ich Dich persönlich angeschrieben habe und Du mir Deine Texte geschickt hast, finde ich es – höflich gesagt – unsolidarisch, dass Du so tust, als hätte ich mir noch nicht mal die Mühe gemacht Deinen Namen zu googlen. Wenn Du zu einer solidarischen Diskussion online nicht wilens oder in der Lage bist, dann sollten wir die Differenzen, wie gesagt, bei einem persönlichen Gespräch klären? Sich online unproduktiv zu ärgern, ist ja nicht besonders hilfreich für die Sache, um die es uns geht.

    Da Du ja auch von anderer Seite (https://www.klassegegenklasse.org/zur-diskussion-ueber…/) politisch kritisiert wurdest, fände ich es nicht schlecht, wenn Du zumindest darüber nachdenken würdest, ob Dein Text dem nicht Vorschub leistest. Anders als der Text bei Klasse Gegen Klasse versuche ich Deinen ethischen Einsatz ernst zu nehmen. Dabei versuche ich zunächst zu sagen, dass in Deinem Text immer von „linken“, nicht aber „linksradikalen“ Studis* die Rede ist, und versuche demgegenüber eine Differenz einzuziehen. Expemplarisch wird die Unschärfe in Deinem Text, wenn Du so tust, als würden linksradikale „Adornos“ Professur als Legitimation für eine Uni-Karriere benutzten. Ich würde wirklich gerne wissen, wo so ein Argument von Linksradikalen schon mal benutzt wurde?

    Im Wesentlichen widerspreche ich Dir allerdings in der „Vermengung“ der „Kritik von Karrieren“ mit der „Kritik von Subjektivierungsweise“ an der Universität. Dabei ist es mir wichtig, dass die Frage der Karriere nicht anderen Fragen für eine linksradikale Ethik an der Uni vorgelagert wird.

    „Das implizite Problem des Textes liegt letztlich darin, dass er zwei Kritikarten vermengt. Die eine Kritik ist eine Kritik an den Karrieren von Linksradikalen, d.h. dass kritisiert werden soll, dass immer wieder gute Genoss*innen sich von ihrer politischen Praxis zugunsten einer Karriere im Kapitalismus entfremden. Die andere Kritik ist eine Kritik der neuen „Subjektivierungsweisen“ an der Hochschule als paradigmatische Unterwerfungsinstanz im „kreativen Kapitalismus“. Ich behaupte, dass das zwei verschiedene Probleme sind und auch verschieden diskutiert werden müssen.“

    Ich habe kein Problem an einem Dissens in der Sache. Aber wenn Du mir jetzt wieder absprichst überhaupt auf Deinen Text eingehen zu können, sehe ich auch keine Grundlage für eine Diskussion. An einem eher persönlichen Streit habe ich kein Interesse.

    Liebe Grüße,
    David