Das G20 Treffen aus einer revolutionären Perspektive heraus betrachtet

28. März 2017

– Bewusstseinsbildung als Grundlage zur zivilen Selbstverteidigung

Um verstehen zu können welche Möglichkeiten Hamburg für uns eröffnet, müssen wir uns zunächst einmal darüber klar werden, was wir durch unseren Protest erreichen wollen. Ist es unser Ziel eine schöne Protestchoreographie zu planen, mit Hafenblockaden und Fingern, die sich auf rote Zonen zu bewegen und zu hoffen, dass möglichst viele Menschen bei unseren Aktionen mitmachen, um am Ende behaupten zukönnen, dass wir erfolgreich waren und wir mit einem gutem Gefühl wieder heim fahren können? Oder verfolgen wir etwa ein langfristiges Ziel?

Blockupy 2012 – Erfolg der Bewegung, Misserfolg der Großbündnisse?

Vor den Blockupy-Protesten 2012 in Frankfurt planten wir eben einen solchen Protest, der bis auf die Demo am Samstag mit all seinen Aktionsbildern verboten worden war. Die Folge waren tausende Aktivisten, die durch die Straßen Frankfurts wanderten, spontan Plätze besetzten, Einkaufstraßen für Versammlungen nutzten, bei denen Hunderte Menschen stehen blieben, zuhörten und der dezentrale Protest das ganze Stadtbild prägte, während die Ordnungskräfte drei Tage lang rotierten, um alles zu verhindern versuchten und am Ende doch nur die ganze Stadt für uns blockierten. Am vierten Tag waren sie einfach nur noch fertig und wir in Siegeslaune an tausenden von demotivierten Robocops vorbei gezogen. Eigentlich waren viele Bedingungen erfüllt gewesen, um von einem erfolgreichen Widerstand sprechen zu können, bis auf dass all unsere geplanten Aktionen nicht stattgefunden hatten, die insbesondere von den großen Zusammenhängen geplant worden waren.

Doch interessanter Weise kamen die großen Gruppen in der Nachbesprechung zu einem anderem Ergebnis und waren der Meinung, dass Blockupy 2012 kein Erfolg gewesen war, eben weil all ihre geplanten Aktionen nicht stattgefunden hatten. Viele Aktivisten konnten sich darüber nur wundern. Ging es etwa nur darum mit eigenen Aktionen auf die eigene Stärke hinzuweisen oder an Bekanntheit zu gewinnen, weil man von Mitgliedsbeiträgen abhängig ist? Oder warum sonst wurden die Proteste als Misserfolg dargestellt? Kann es sein, dass unser Widerstand für die großen Zusammenhänge eher einem Selbstzweck zu dienen scheint, anstatt langfristige revolutionäre Perspektiven eröffnen zu wollen?

Unser Ziel ist es doch die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Eben Verhältnisse zu schaffen, durch die eine Gesellschaft auf Grundlage von Zusammenarbeit, Teilhabe und gegenseitiger Hilfe aller für alle entsteht, in der jeder sein Potential entfalten kann. Für uns ist dies eine Gesellschaft, die sich fern von Staat und Ordnungsmacht in all ihren autonomen und souveränen Prozessen selber verwaltet. Wenn es eins dafür braucht, dann ist es ein revolutionäres Bewusstsein, dass nur über die Praxis entstehen kann.

Das heißt in der Konsequenz, dass es für eine gesellschaftliche Veränderung notwendig ist, Orte aufzubauen, an denen Erfahrungen von Kollektivität, Gemeinschaftlichkeit, Zusammenhalt gemacht werden können – nur dass unsere Orte in diesem Fall die Straßen und Plätze Hamburgs sein werden. Für uns bietet sich die seltene Gelegenheit Mitten in Deutschland „die kapitalistische Moderne herauszufordern“, indem wir durch die kollektive Praxis der Selbstermächtigung zum Widerstand einen emanzipierenden Protest anschieben, bei dem es um die Herausbildung eines kollektiven revolutionären Bewusstseins in der Bevölkerung geht.

Barrikadenbau? Jein. Es geht vor allem um Selbstorganisierung – auch beim G20-Gipfel.

Anstatt ausschließlich die Besetzungen von Häfen, die Belagerung von Zonen, den Bau von Barrikaden und andere Aktionsbilder zu planen – also unsere Aktionsformen – konzentrieren wir einen guten Teil unserer Bemühungen auf ein emanzipatorisches Projekt der „Bewusstseinsbildung als Grundlage zur zivilen Selbstverteidigung“. Die zentrale Bedingung hierfür ist Basisarbeit im Vorfeld und massiv verstärkt während der Gipfelwoche.

Die Basisarbeit im Vorfeld z.B. in Form einer Stadtteil AG findet schon statt. Lasst uns diese Vorarbeit nutzen und anschieben was sonst nicht möglich ist. Wir ermuntern die Menschen in Hamburg sich mit uns zu solidarisieren und darüber hinaus Protest selber zu organisieren. Lasst uns Haus für Haus, Cafe für Cafe, Straße für Straße, Platz für Platz und Viertel für Viertel Basisarbeit betreiben. Dieses Projekt wird umso wichtiger werden, je näher das große Treffen rückt, in dessen Schatten die ganze Stadt in ein Gefahrengebiet verwandelt werden wird und die Menschen vor Ort erst so richtig verstehen werden, was der Gipfel bedeutet: Staatlich verordneter Ausnahmezustand und Willkür an jedem Bahnhof, Kreuzung und Viertel, der nichts mehr mit den Idealen unserer ach so demokratischen parlamentarischen Demokratie zu tun hat. Soll Ihnen ihre Machtdemonstration im Halse stecken bleiben, indem wir anschieben, was sonst unmöglich erscheint: Kollektiven Widerstand gegen repressive Kontrolle!

Im Weissbuch Bundeswehr finden sich die aktuellen Richtlinien der deutschen Außenpolitik – und eine klare Tendenz zur Verschmelzung von Apparaten und dem Ausbau der Befugnisse des Militärs

In Hamburg wird sich einer jener seltenen Risse in der Alltagswelt der Menschen auftun, durch den hinter die Fassade unserer freien Weltordnung geschaut werden kann und sich für die breite Öffentlichkeit offenbart, was wir schon immer für alle anderen bekämpften – eine Welt in der das Leben, die Freiheit, das Glück des Einzelnen nichts zählt, wenn es nicht der Ausbeutung dient und jeder unter die Räder der Maschine gerät, wer wagt ihren reibungslosen Ablauf zu stören. Für viele Menschen in Hamburg wird die neue Alltagserfahrung des gegen sie gerichteten Apparates der sogenannten öffentlichen Sicherheit mit all seinen neu gewonnenen Sonderrechten dazu führen, dass sie verstehen können, dass wir auch für sie kämpfen und der eigene Widerstand sinnvoll erscheint. Insbesondere „Konzeption zivile Verteidigung“ [1] und das „Weissbuch der Bundeswehr“ [2] bieten sich als fundierte Grundlage der Aufklärung an.

Dass die Menschen in Hamburg sich über den G20 aufregen, sollte uns eben nicht genügen. Nur wenn wir aktiv mit möglichst vielen Menschen in Kontakt treten, ihre Aufmerksamkeit auf öffentlichen Plätzen fesseln, unsere Aufrufe, Texte und Positionen verteilen und vermitteln, können wir hoffen, dass die Schwelle zur eigenen Aktion überschritten wird. Wer versteht wie komplexe adaptive Systeme funktionieren, weiß um ihre Eigenschaft in andere Zustände überzugehen, wenn kritische Schwellenwerte überschritten werden. In unseren Fall heißt dies, dass es in Hamburg vielleicht möglich ist eine kritische Masse zu erreichen, ab der es zum guten Ton gehört mit auf die Straße zu gehen, eben weil es viele machen, die man persönlich kennt.

Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass wir die Steilvorlagen des Systems volley nehmen können. Wenn von jeder Gruppe einige schon eine Woche vorher nach Hamburg fahren und wir gemeinsam mit den Hamburger Strukturen anschieben was wir nur anschieben können, kann Hamburg zu einem Meilenstein des internationalen Protestes gegen eine Weltordnung werden, die unser aller Zukunft bedroht. Zurück bleibt die kollektive Erfahrung der Bevölkerung Hamburgs gegen ein repressives Regime aufgestanden zu sein – nie wieder Faschismus nie wieder Krieg!

– Strategie-AG-Rhein-Main

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Anmerkungen:

[1] Hier zu finden.

[2] Hier zu finden.

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2 Kommentare

    Moritz 28. März 2017 - 22:35

    GENOSSIN gut gesagt, abei warum war die perspektivische Sicht nach Blockupy 2012 mancher, man könnte vielleicht fast sagen maoistischer Egomaninninen und trotzkistischer Spaßbremsen, derart verklärend. Ich denke genau wie du sagst braucht es ein Bewusstsein und das kommt nun mal letztlich vom Herzen, der „Feind“ handelt soziopathisch bis feudalistisch und kennt kein Gefühl für ein positives soziales Miteinander. Wenn ich nun positive mit negativer Dialektik vergleichend auf diese Problematik anwende komme ich zum Schluss, lasst uns da Anfangen wo jener Haufen nicht vorher politisierter Occupisten, nicht Gruppenzugehöriger bei den Fragen und Bedürfnissen aufgehört hat. „Strategie“ charmante Umschreibung, wieder den Wahnsinn, für das was in uns steckt, sind wir nicht alle ein bisschen Sakine Cansiz, ein wenig Thomas Münzer 😉 eben echte Evolutionnisten und nicht postume Postengeier

    ida 30. März 2017 - 8:37

    da kommen die Strategen aus Rhein-Main nach Hamburg, um dort Basisarbeit zu betreiben und die Bevölkerung aufzuklären? Glaubt ihr, die Menschen dort zu blöd, selbst zu verstehen, was in ihrer Stadt abgeht? Vielleicht fahrt ihr vorher einfach mal hin nach HH und macht euch ein Bild von der Bewegung, die warten nämlich nicht auf jemanden, der sie organisiert, die haben da einfach selbst mit angefangen…