Pseudonym und Vermummung stehen einer Öffnung der Linken nicht im Wege – Eine Antwort auf Hendrik Keusch. Von Benjamin Kreutzhof
„Die Frage ist nicht, warum ich vermummt bin, die Frage ist, warum bist du’s nicht, du Dummchen. Auf Selbstschutz zu verzichten, heißt dem Staat zu vertrauen. Lass dir in die Karten schauen. Plauder‘ mit den Cops am Gartenzaun.“ Waving the Guns – Gartenzaun
Im Gegensatz zu Hendrik Keusch tritt der Autor unter einem Pseudonym auf. Sei es auf Veranstaltungen oder in publizierten Texten. Gründe dafür gibt es genug. Das Risiko aufgrund seiner politischen Überzeugungen und seiner politischen Praxis Repressionen zu erfahren, ist immer noch hoch und dies keineswegs nur für Menschen in autonomen und militanten Gruppierungen, die den rechtlich legalen Rahmen überschreiten. Was rechtens ist und was nicht, bestimmen Staat und Justiz – und verfolgen linke Aktivistinnen und Aktivisten konsequent. Beispiele sind aktuell das Verfahren gegen Tim H. in Sachsen und Paul R. in München – Prozesse geführt wegen Nichtigkeiten, aber mit erheblichen Auswirkungen für die Beteiligten. Doch nicht nur (vermeintliche) Verstöße gegen Versammlungsgesetze können für Linke gefährlich werden. Verfassungsschutz und Polizei machen keinen Hehl daraus, dass ihnen etwa die Praxis der Recherche über Neonazi-Strukturen ein Dorn im Auge ist. Mitgliedschaften in vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen und Parteien können wie im Fall von Kerem Schamberger zu möglichen Berufsverboten führen. In Zeiten von Gesinnungsprüfungen von linken Menschen wirkt die Forderung von Hendrik Keusch realitätsfern und ignorant.
Black-Block-Outfits der 90er
Auch ein weiterer Strohmann Keuschs deckt sich nicht mit der Realität. Möglicherweise ist die Situation in Frankfurt eine andere, aber bei Demonstrationen in Norddeutschland sind die beschriebenen „Blackblockoutfits“ als bestimmenden Masse eine Rarität geworden. Bis auf wenige regionale Ausnahmen haben sich Struktur, Zusammensetzung und Kleidung seit den 90er Jahren erheblich gewandelt. Man könnte sogar meinen, dass das Gegenteil eingetreten sei. Bündnisarbeit zwischen autonomen Antifa-Gruppen, Gewerkschaften und anderen linken Organisationen findet praktisch statt.
Keineswegs bleibt man „unter sich“ oder fantasiert von einem „wir gegen die da draußen“. Bei Blockaden gegen Neonaziaufmärsche sitzen keine vermummten, bewaffneten und in schwarz gekleideten Antifas auf der Straße, sondern vermehrt unorganisierte Anwohnerinnen, Oma und Opa neben Studierenden und Alternativen. Auch ohne vorherige Bekanntschaft oder Wissen über die Strukturen der Aktivistinnen und Aktivisten vertraut man sich aufgrund des gemeinsamen Tagesziels.
Facebook und Metadaten
Dass sich Facebook und andere soziale Medien nicht für die Klarnamen ihrer Nutzerinnen interessieren würden, wie Keusch behauptet, ist eine gefährliche Lüge. Natürlich sind Metadaten für die Konzerne wichtiger. Doch nicht vergessen werden darf, wie diese aggregiert werden. Ein soziales Medium lebt doch gerade davon, dass möglichst viele Menschen mit einander in Kontakt stehen, sich finden können und miteinander kommunizieren.
Das geht am besten dann, wenn alle Nutzer mit ihrem bürgerlichen, ‚echten‘ Namen angemeldet sind. Nicht umsonst ist Facebook dazu übergegangen, falsche Namen zu blockieren und sich bei Anmeldung oder nach Meldungen von Accounts ein amtliches Ausweisdokument zuschicken zu lassen. Wer zudem völlig unbedarft Informationen von Demonstrationen und anderen politischen Aktionen ins Netz stellt, spielt den Repressionsorganen in die Hände und gefährdet nicht nur sich, sondern auch andere.
Das Private ist politisch
Einem weiteren Trugschluss sitzt Hendrik Keusch auf. Verschleierung und Anonymisierung im Netz bedeuten nicht, dass Politik zur Privatsache wird. Politische Statements im Netz, rechten Kommentaren und Hasspostings entgegen zu treten, ist nicht damit verknüpft, unter bürgerlichen Namen erkennbar und identifizierbar zu sein. Es ist kein Widerspruch, die eigene Identität verschleiern zu wollen und trotzdem politisch zu agieren. Das gilt auch für politische Debatten außerhalb des Internets. Dass auf der Arbeit oder dem sozialen Umfeld vermeintlich weniger über Klassenkampf, Antifaschismus und Rechtspopulismus geredet wird, mag weniger an der persönlichen Bereitschaft, sondern an der durchaus existenten Gefährdungslage liegen. Bei der politischen Agitation am Kneipentresen ist es den Fremden neben mir egal, unter welchem Namen ich mich vorstelle. Linke Aktivisten, die unter ihrer bürgerlichen Identität öffentlich politisch aktiv sind, handeln oft aus einem privilegierten Standpunkt. Ihre Arbeit ist wichtig und oft fruchtbar, daraus einen Allgemeinheitsanspruch von Deanonymisierung abzuleiten ist naiv.
Ausschluss produzierende Linke
Wir müssen eine Debatte darüber führen, wie linke Positionen gesellschaftlich anschlussfähiger werden. Ebenso muss darüber debattiert werden, wie die linke Szene ihre Ausschlussmechanismen abbaut. In die Debatte allerdings mit dem Thema Anonymisierung Kleidungsstil einzutreten, ist der falsche Ansatz, denn Anonymität wirkt immer noch schützend gegenüber Repressionsorganen und Neonazis. Stattdessen sollten sich linke Debatten um patriarchale Strukturen in der linken Szene, den fehlenden Bezug des linken, studentischen Milieus zur Arbeiterklasse, innerlinke Sektiererei oder die fehlende Bereitschaft ländliche Strukturen in linke Diskussionen miteinzubeziehen, drehen. Diesen Problemen zu begegnen, sind für den Fortschritt der Linken wesentlich wichtiger.
Max Hoelz 11. April 2017 - 22:54
Ich weiß ja nicht wie her Keusch seinen Lebensunterhalt finanziert, aber offen über seine politischen Ansichten zu sprechen, kann für einen lohnabhänige*n Arbeiter*in fatal sein.
„Hallo, ich habe gesehen sie suchen noch einen Produktionshelfer. Ich bin übrigens Herr/Frau* XXXXX und hätte Interesse an diesem Job. Ach, und übrigens; Ich bin Kommunist*in und ich fänd es super sie enteignet am Fließband arbeiten zu sehen.“