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16. September 2016

Der Fall Bautzen: Wenn das Abschreiben von Polizeimeldungen als „Journalismus“ gilt, läuft etwas gehörig schief.

Generell steht es um kritischen Journalismus in unserem Land schlecht: Freelancer werden mies bezahlt, in den Redaktionsstuben gilt das Um- und Abschreiben von dpa– oder reuters-Meldungen als billige Alternative zum Aufbau eines Korrespondenten-Netzes und bisweilen kann man, liest man mehrere Presseerzeugnisse zum selben Thema, den Eindruck gewinnen, da schreibe jeden Morgen ein und derselbe bienenfleißige Überjournalist mehrere hundert Artikel.

Die Kombination aus Einsparungen und der permanenten Erziehung zur Konformität haben in der deutschen Medienlandschaft eine – freundlich ausgedrückt – allgemein eher unkritische Mentalität entstehen lassen. Die zeigte sich in all ihrer Ekelhaftigkeit in den vergangenen zwei Tagen in Bestform: In Bautzen, wo vor nicht allzu langer Zeit jubelnde Anwohner Löscharbeiten an einem brennenden Flüchtlingsheim behinderten, gingen deutsche Neonazis begleitet von jenen, die gern welche werden wollen, auf Ausländerjagd.

Die Headlines zum Thema lesen sich dann so: „Gewalt zwischen Flüchtlingen und Rechten“ (Spiegel); „Straßenschlacht zwischen Neonazis und Flüchtlingen“ (Bild); „Dutzende Rechte und Flüchtlinge gehen aufeinander los“ (Die Welt); oder noch besser: „Gewalt zwischen Flüchtlingen und Einheimischen“ (Deutschlandfunk). Die gleichlautenden „Artikel“ ziert in 80 Prozent der Fälle das selbe Bild: Etwa zehn Refugees, zwei ohne T-Shirt, am Ort des Geschehens. Suggeriert wird hier, es habe sich um eine Art Wald- und Wiesenmatch zweier gleichstarker Hooligan-Gruppen gehandelt. Dass dem nicht so war, hätte den Schreiberlingen sogar aus den Polizeimeldungen, die sie kopieren, dämmern können: 20 Geflüchtete trafen auf 80 „Einheimische“.

Manche auflagenstarke Blätter gehen sogar noch weiter. Die ZEIT titelte – ganz ohne Kenntlichmachung als direktes oder indirektes Zitat – schlicht: „Bautzen: Gewalt ging von alkoholosierten Asylwerbern aus“. Konsequent bis zur Schmerzgrenze verlinkte sie in ihrem Online-Text dann auch gleich einen rassistischen Youtube-Kanal zum Beweis dieser These.

Das Elend der Schlagzeilen setzt sich in den Texten fort. Die Bild präsentiert Stimmen aus Bautzen: Ein Anwohner darf sich über die saufenden und pöbelnden Asylwerber beschweren, eine Anwohnerin betont das Unwohlsein von Frauen in Gegenwart der Geflüchteten. Ein Bautzener Triathlet rundet das Bild mit dem Bedauern, „dass es erst zu einem Vorfall kommen musste“, bevor was passiert, ab. Das wars. Refugees oder Antifaschisten aus der Region kommen nicht zu Wort.

Dafür wird ausführlich und oft ohne Distanz jener Mann zitiert, der nach seinen Ausführungen definitiv nicht mehr als unparteiische Quelle gelten sollte, würde sich irgendeiner der Schreiberlinge noch ernst nehmen: Polizeichef Uwe Kilz. Sein Auftritt könnte als Satire durchgehen, wäre die Angelegenheit nicht so traurig. Die minderjährigen Geflüchteten nennt er UMAs (ein Akronym für „unbegleitete minderjährige Asylwerber“) und spricht von ihnen wie von UFOs. Aus einer Gruppe von „UMAs“ seien „auf eine Gruppe von etwa 80 Personen, die im Wesentlichen, ja äh, deutscher Herkunft waren“, Steine und Bierflaschen geworfen worden. Die „Einheimischen“ beschreibt er als „jüngere Personen“, Männer wie Frauen, „teilweise auch Personen, die relativ event-betont vorab in der Stadt unterwegs waren“. Nach den Steinwürfen wurden die „UMAs“ von „der anderen Seite“ dann „natürlich auch verbal attackiert“. Ob in seinem Sprachgebrauch „Event“ als Synonym für ein versuchtes Pogrom steht, fragt ihn leider niemand.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass deutsche Polizeikräfte – gerade auch in Sachsen – oft nicht nur das flüchtlingsfeindliche Gedankengut der Rechten teilen, sondern direkte Kontakte zur Neonazi-Szene unterhalten. Vorfälle rassistischer Beleidigungen und Tätlichkeiten im Amt sind in der BRD keine Seltenheit. Der Korpsgeist deckt sie und kommen sie doch an die Öffentlichkeit, wird nur halbherzig ermittelt.

Und dennoch gelten vielen Journalisten – nicht nur im Falle Bautzens – die Meldungen diverser Polizeisprecher als a priori zutreffende und wahre Tatsachenbeschreibung, die man kaum hinterfragt – oder nur dann, wenn nicht mehr zu leugnen ist, dass sie unhaltbar sind.

– Von Fatty McDirty

  • Foto: Roland Geisheimer / attenzione
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